- Walter Barthel (Journalist)
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Walter Barthel (* 19. November 1931 in Augustusburg; † 22. September 2003 in Thum) war ein deutscher Journalist, in den 1960er-Jahren Doppelagent und Gründer linker Bewegungen.
Inhaltsverzeichnis
Berufliches und politisches Wirken
Barthel wuchs in Sachsen auf und gelangte früh in die FDJ sowie in die SED, weil er zur Kasernierten Volkspolizei ging und Politoffizier wurde. Dort wurde er jedoch wegen diverser Disziplinprobleme entlassen. Er wurde Arbeiter, bekam später nach Absolvierung des Begabten-Abiturs 1956 an der Humboldt-Universität zu Berlin die Chance, Wirtschaftswissenschaften zu studieren, wurde aber 1957 wegen „Fraktionismus“ und „Titoismus“ erneut suspendiert und erhielt ein Parteiausschlussverfahren.
Arbeiten für Stasi und Verfassungsschutz von 1959 bis 1969
1958 verließ er die DDR, machte erneut ein Abendschulabitur, studierte in West-Berlin Politologie, trat in den SDS ein und begann seine journalistische Tätigkeit als Berliner Korrespondent des Kölner Stadtanzeigers. Sein Vater und einige Versprechungen des Führungsoffiziers brachten ihn dazu, schon ab Mai 1958 als Inoffizieller Mitarbeiter „Kurt“ für das MfS zu arbeiten. Seine Aufgaben bestanden darin, z. B. Informationen über das Otto-Suhr-Institut zu liefern und Kontakt zu dem mit 300.000 DM übergelaufenen FDJ-Chef Heinz Lippmann aufzunehmen. Walter Barthel wurde so in Köln drei Jahre lang für monatlich 800 DM hauptamtlicher Redakteur von Der dritte Weg, einer angeblich von der IG Metall finanzierten Publikation, die tatsächlich seit 1958 ein Heft des Verfassungsschutzes war mit dem Ziel, politisch schwankende Linke in der DDR und Mitglieder der verbotenen KPD auf SPD-Kurs zu bringen. Barthels IM-Tätigkeiten wurden von Hubertus Knabe, dem heutigen Direktor der Berliner Stasi-Gedenkstätte, 1994 in der Gauck-Behörde aufgedeckt. Strafrechtliche Konsequenzen hatte das für Barthel nicht, denn er selbst zeigte in einer im WDR 3-Hörfunk[1] veröffentlichten politischen Biografie, dass er zeitgleich als V-Mann für das Bundesamt für Verfassungsschutz (Organisation Gehlen) unter Günther Nollau tätig war. 1965 habe ihn die Stasi dort wieder abgezogen. (Diese Biografie bezeichnet Hermann Weber in der Frankfurter Rundschau vom 11. Oktober 1996 als „unerquickliches Manuskript eines Charakterlumpen“). Barthel selbst stellte sich als „idealistischen Marxisten auf verschlungenen Pfaden“ dar.[2]
1966 trat Barthel der „Novembergesellschaft“ bei, in der auch Johannes Agnoli und Klaus Meschkat aktiv waren. Er war führendes Mitglied im Republikanischen Club Berlin – an der Seite von Hans Magnus Enzensberger, William Born, Wolfgang Neuss und Ossip K. Flechtheim[3] sowie Landessekretär des Berliner SDS neben den Führungskräften Klaus Meschkat, Horst Mahler, Bernd Rabehl und Rudi Dutschke. Er steuerte die Bewegung zur Enteignung Springers und „versteigerte“ auf dem Kurfürstendamm die „Gänsefüßchen“, mit denen in fast allen westdeutschen Zeitungen die DDR apostrophiert wurde. Knabe (kein Zeitzeuge, sondern viele Jahre bei Gauck professioneller Stasi-Akten-Forscher)[4] versucht heute am Beispiel Barthels zu belegen, dass die linke studentische Bewegung, die APO, in West-Berlin und Westdeutschland nicht autonom und innen entstanden ist – als verantwortlich nennt er das Ministerium für Staatssicherheit.[5] Er unterstellt den vielfältigen Bewegungen von damals, „DDR-freundliche Kräfte“ gewesen zu sein, und hält Barthel vor, als Augenzeuge dem Kölner Stadtanzeiger über die Erschießung Benno Ohnesorg berichtet zu haben.[6] Walter Barthel war befreundet mit Dietrich Staritz, in den 1960ern bis 1973 ebenfalls IM („Erich“) und wohl ebenfalls mit BfV-Kontakten. Ungeklärt bleiben müssen zunächst die Behauptungen Webers (in: Leben nach dem Prinzip Links, S. 210–227), dass Barthel schon beim Verlassen der DDR IM war und dass er selbst später seinen Freund Staritz für das MfS angeworben habe.
Zeitungsarbeit von 1966 bis 1982
Barthel arbeitete ab 1966 unter Stefan Reisner in der von Augstein geplanten, jedoch nach einigen Nullnummern nicht realisierten Tageszeitung Heute[7] und gründete dann mit Carl „Charly“ Guggomos[8] alias IM Gustav das Berliner Extrablatt, aus dem 1968 für 14 Jahre der Berliner Extra-Dienst (ed) mit zwei Ausgaben pro Woche hervorging. Barthel („Waba“) war 14 Jahre lang Geschäftsführer und Redakteur dieses gemäßigt linken Pressedienstes. Die Extra-Dienst-Crew wurde von Guggomos und Barthel angeführt; weitere Mitarbeiter waren Martin Buchholz, Hannes Schwenger, Horst Tomayer, Stefan Reisner und Rainer Hachfeld. In seinen Artikeln distanzierte sich Barthel deutlich von den Kaderparteien SED/SEW/DKP, empörte sich über die kommunistische Traditionspresse und geißelte deren „vercodete Sprache“; Zeitungen wie Die Wahrheit, UZ oder Neues Deutschland griffen wiederum den Extra-Dienst scharf an. Später wurde aufgedeckt, dass der ed trotzdem in Abständen kleinere Geldsummen aus DDR-Kanälen erhielt.[9] Kurios erscheint uns heute, dass der ed der innerparteilichen Oppositionsgruppe "Die Klarheit" sehr viel Raum gab, während die SEW/SED diese Strömung als CIA-gesteuert ausgrenzte.[10] Nach einem Streit zwischen Guggomos und Barthel Ende der 1970er Jahre (Walter Barthel war von 1973 bis 1979 Bonner Korrespondent des ed), gab Barthel einige Nummern eines Bonner Extra-Dienstes heraus und versuchte sich mit einer Drechselwerkstatt. 1978 gründete die gleiche Gruppe von Journalisten die linkssozialistische Tageszeitung Die Neue. Im Vorfeld im Mai 1978 hatte nicht Barthel, sondern Guggomos und Buchholz die SEW-Führung von geplanter Einstellung des ed zugunsten einer linkssozialistisch-liberalen Tageszeitung für Westdeutschland informiert und die Partei um Unterstützung gebeten; man wolle dem Christian Ströbele zuvorkommen, der wohl 1979 eine linke Tageszeitung starte.[11] 1982 war Barthel eingebunden in die Gründung der Partei „Demokratische Sozialisten“ (DS), deren Kern aus SPD-Abweichlern bestand, an der Spitze die Bundestagsabgeordneten Manfred Coppik und Karl-Heinz Hansen.
Nach der Wende
Die Enttäuschung vieler politischer Freunde über seine undurchsichtigen Agentenaktivitäten versuchte er zurückzuweisen mit der Argumentation, die Tätigkeiten hätten grundsätzlich dem Frieden gedient und er habe zu keiner Zeit als Agent hüben oder drüben in den fraglichen Jahren 1959–1968 (und danach ohnehin nachweislich nicht) seine tatsächlich undogmatische, demokratisch-sozialistische Einstellung verraten. Die Diskussion um seine Aktivitäten, um sein Links-Sein und seinen Charakter begannen 1994 und halten bis heute an; die heftigen Vorhaltungen, die von Gerda und Hermann Weber in Leben nach dem „Prinzip links“ vorgetragen werden, beziehen sich auf die 1960er Jahre.
1990, unmittelbar nach der Wende, ritt Barthel 'mit Heimweh' auf einem Haflinger vier Wochen lang etwa 850 km von Freisheim bei Bonn aus zurück in seine alte Heimat Erzgebirge. Begleitet von einem WDR-TV-Team traf er am Ziel Jagdschloss Augustusburg seine alte Mutter. Barthel ließ sich danach mit seiner Frau Anna Penders in Leubsdorf nieder. Dort war er noch eine zeitlang als Verwalter und Hausmeister auf dem Anwesen seines Freundes Martin Buchholz tätig, bis er schwer erkrankt mit seiner Frau nach Thum umzog und dort 2003 starb.
Liste seiner Medien-Tätigkeiten
(nicht nur vorübergehende Mitarbeiterschaften und Projekte)
Der dritte Weg - Kölner Stadtanzeiger - Heute - Berliner Extra-Blatt - Spandauer Volksblatt - Berliner Extra-Dienst - Bonner Extra-Dienst - Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt - Die Neue - WDR 3 (Hörfunk)
Vita-Hörfunk-Dokumentation
- Aus dem Leben eines Doppelagenten (Redaktion: Jürgen Keimer); Kritisches Tagebuch; WDR 3, 23. Januar 1996
Literatur und TV-Dokumentationen (mit Passagen zu Barthel)
- Hubertus Knabe: Die unterwanderte Republik. Stasi im Westen. Ullstein, Berlin 2001, ISBN 3-548-36284-2.
- Alfons Söllner u. a. (Hrsg.): Totalitarismus. Eine Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts. Berlin 1997, ISBN 3-05-003122-0.
- Hermann Weber und Gerda Weber: Leben nach dem „Prinzip links“. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten. Chr. Links Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-86153-405-3.
- Jochen Staadt, Tobias Voigt und Stefan Wolle: Feind-Bild Springer. Ein Verlag und seine Gegner. Göttingen 2009, ISBN 9783525363812.
- Karin Storch: Wo sind sie geblieben, was haben sie erreicht?. ZDF, ausgestrahlt 1980
- WDR Eine Reise von der Eifel ins Erzgebirge (11 Folgen), AKS 258400, 1990
- Tilman Jens: Bespitzelt Springer. Wie die Stasi einen Medienkonzern ausspähte. ARD 1., ausgestahlt am 28. Oktober 2009
Einzelnachweise
- ↑ „WDR 3-Kritisches Tagebuch“ vom 23. Januar 1996, Walter Barthel: Aus dem Leben eines Doppelagenten, (gelesen von Bodo Primus, nicht online verfügbar)
- ↑ Günter Geschke: Eindrücke von einer Rundreise durch drei neue Bundesländer. In: Das Gespräch, 25. Mai 1998, nicht online einsehbar
- ↑ [1] Willi Winkler: Ohnesorg und die DDR. Taumeln von einer Lüge zur anderen gesichtet am 20. Mai 2010 auf www.sueddeutsche.de
- ↑ [2] Günter Herkel: Denunzianten und nützliche Idioten (über Knabes Der diskrete Charme der DDR) gesehen in: www.publikationen.html am 16. August 2010
- ↑ [3] Sven Felix Kellerhoff: Wie die Stasi Axel Springer schaden wollte, gesehen am 30. Juni 2010 auf www.welt.de
- ↑ [4] Hubertus Knabe: Wie Ost-Berlin gegen den Axel Springer Verlag mobil machte, gesehen am 12. August 2010 auf www.welt.de
- ↑ [5] Jochen Staadt: Enteignet Augstein gesehen in www.faz.net am 14. August 2010
- ↑ [6] Holger Kulick: Wie zähmte die DDR Journalisten?, gesehen auf www.spiegel.de am 13. August 2010
- ↑ [7] Hubertus Knabe: Frontstadt Berlin. Die geheimen Propagandaktionen der Stasi. In: Die politische Meinung Nr. 381/2001, gesehen am 13. August 2010 auf www.kas.de
- ↑ [8],gesehen am 29. August 2010
- ↑ Dokumente zur Geschichte der SEW
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