- Öhrsonnenuhr von Philipp Matthäus Hahn
-
Die Öhrsonnenuhr von Philipp Matthäus Hahn ist eine Sonnenuhr mit Visiereinrichtung, die vom Benutzer so gegen die Sonne zu drehen ist, dass der von einer Lochblende (einem Öhr als Korn beziehungsweise als Nodus) erzeugte Lichtfleck auf eine Markierung (der Kimme beziehungsweise der einzigen Linie auf dem Zifferblatt) trifft. Das Drehen des Visiers (um die Polachse) wird mit Zahnrädern auf einen Stunden- und einen Minutenzeiger übertragen, die die Tageszeit auf einem runden 12-Stunden-/60-Minuten-Zifferblatt anzeigen. Hahn hat diese Sonnenuhr ohne Magnetnadel [1] zum Richten der von ihm ebenfalls gebauten Räderuhren benutzt.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Die erste Öhrsonnenuhr baute Hahn 1763.[1] Danach entstand eine größere Zahl dieses Sonnenuhrentyps, von denen viele von seinen Söhnen und seinen Mitarbeitern stammen, die er in seinen Werkstätten beschäftigte. Öhrsonnenuhren wurden zur Prüfung seiner Stand- und Taschen-Räderuhren mitgeliefert.[2]
Allgemein kann die tragbare “Augsburger Äquatorialsonnenuhr” (zwischen 1700 und 1800 meistens in Augsburg hergestellt) als Vorbild gelten. Insbesondere sind es die Minutensonnenuhren. Das sind Exemplare mit Zahnrädern, mit denen die Einstellbewegung auf einen Minutenzeiger übertragen wird.[3][4]
Die Minutensonnenuhren wurden lediglich für die Bestimmung der Wahren Ortszeit gebraucht und waren mit einem Polos (Polstab) als Schattenwerfer ausgerüstet.[5] Hahn gestaltete seine Sonnenuhr für die Anzeige der Mittleren Ortszeit, wofür ein Nodus nötig ist. Als solcher bot sich eine Lochblende (Öhr) an. Der damit erzeugte Lichtfleck ist genauer ablesbar als der Schattenpunkt einer kleinen Scheibe oder Kugel. Voraussetzung ist, dass die Blende immer gegen die Sonne gestellt wird, was beim Anpeilen der Sonne vor dem Ablesen ohnehin geschieht. Die später gewählte Bezeichnung Öhrsonnenuhr[6] hilft, den Uhrentyp Hahn's von seinen nahen Vorgängern zu unterscheiden.
Funktion
Die Hahn'sche Öhrsonnenuhr und die einstellbare “Augsburger Äquatorialsonnenuhr” sind Sonderformen einer Sonnenuhr. Ihre Besonderheit ist, dass der Benutzer eine Einstellung vorzunehmen hat und erst danach die Tageszeit ablesen kann: passive Sonnenuhren.
Bei der Hahn'schen Öhrsonnenuhr wird ein um die Polachse (Parallele zur Erdachse) drehbarer vierseitiger Rahmen beim Visieren eingestellt. Die Seite mit der Lochblende und die gegenüber liegende Seite mit Markierung sind parallel zur Polachse. Der untere Rahmenteil ist parallel zum Äquator und trägt das Zifferblatt mit Stunden- und Minutenskala. Der Rahmen wird der Sonne nachgedreht. Er vollführt wie die Sonne eine lineare Drehung um die Polachse (15° pro Stunde). Die Übersetzung mit dem Rädergetriebe - insbesondere auf den Minutenzeiger - wirkt als "mechanische Lupe" und erhöht die Anzeige-Genauigkeit.
Die Sonnenuhren hatten meistens zum Ablesen der Mittleren Ortszeit eine mit Kalender-Daten skalierte Analemma-Schleife als Markierung. Oft hatte die Blende ein zweites Loch und die Bildfläche eine zusätzliche gerade Markierung, so dass auch die Wahre Ortszeit ermittelt werden konnte. Beide Löcher waren seitlich aus der Mitte versetzt, was eine durchgehende Achse ermöglichte.
Die Hahn'sche Öhrsonnenuhr ist eine tragbare Sonnenuhr. Die geographische Breite am Ort der Benutzung muss bekannt sein, um die Neigung der Polachse passend einzustellen. Die Uhr muss so aufgestellt werden, dass sich die Polachse in der Meridianebene befindet. Hahn verzichtete auf die übliche Ergänzung seiner Uhr durch einen Kompass. Den jedem Exemplar beigefügten Anmerkungen zum Gebrauch ... ist zu entnehmen, dass die Aufstellung mit Hilfe der Anzeige selbst vorgenommen wurde.[7] Das dauerte mindestens einen ganzen Tag lang, denn der Beweis für die richtige Aufstellung ist erst erbracht, ... wenn die Sonnenpunkte den ganzen Tag ... auf den gegenwärtigen Monatstag bleiben, und nicht höher und tiefer wandern.[8]
Diese Prozedur wiederholte sich bei jedem neuen Aufstellen. Lediglich die Neigung der Polachse blieb erhalten, weil der sie tragende Meridian-Ring an einem Bügel pendelnd aufgehängt war.[9] Ausführungen auf nivellierbarer Grundplatte waren seltener.[10]
Literatur
- Max Engelmann: Leben und Wirken des württembergischen Pfarrers und Feintechnikers Philipp Matthäus Hahn, Richard Carl Schmidt & Co., Berlin 1923
- Ernst Zinner: Deutsche und Niederländische Astronomische Instrumente des 11. bis 18. Jahrhunderts, Becks'che Verlagsbuchhandlung, 1956
- Philipp Matthäus Hahn 1739-1790, Ausstellungen des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart und der Städte Ostfildern, Albstadt, Kornwestheim, Leinfelden-Echterdingen, Stuttgart 1989, 2 Bände
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ a b Max Engelmann: Leben und Wirken des württembergischen Pfarrers und Feintechnikers Philipp Matthäus Hahn, Richard Carl Schmidt & Co., Berlin 1923, Seite 128
- ↑ Ernst Zinner: Deutsche und Niederländische Astronomische Instrumente des 11. bis 18. Jahrhunderts, Becks'che Verlagsbuchhandlung, 1956, Seite 91
- ↑ Wolfgang Eckhardt: Claude Dunod, Michael Bergauer und Johann Willebrand - zur Geschichte der Minutensonnenuhr, Uhren - alte und moderne Zeitmessung, Oktober 1987, Seiten 30 bis 48, Abbildungen von 7 Minutensonnenuhren
- ↑ Arnold Zenkert: Faszination Sonnenuhr, Verlag Harry Deutsch, 2005, Abbildungen von zwei Minutensonnenuhren auf Seiten 22 und 31
- ↑ Wolfgang Eckhardt: Claude Dunod, Michael Bergauer und Johann Willebrand - zur Geschichte der Minutensonnenuhr, Uhren - alte und moderne Zeitmessung, Oktober/1987, Seite 31
- ↑ zum Beispiel von Max Engelmann: Leben und Wirken des württembergischen Pfarrers und Feintechnikers Philipp Matthäus Hahn, Richard Carl Schmidt & Co., Berlin 1923, Seite 130
- ↑ Max Engelmann: Leben und Wirken des württembergischen Pfarrers und Feintechnikers Philipp Matthäus Hahn, Richard Carl Schmidt & Co., Berlin 1923, Seiten 213 bis 215 (Anhang)
- ↑ Max Engelmann: Leben und Wirken des württembergischen Pfarrers und Feintechnikers Philipp Matthäus Hahn, Richard Carl Schmidt & Co., Berlin 1923, Seite 214 (Anhang)
- ↑ Philipp Matthäus Hahn 1739-1790, Ausstellungen des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart und der Städte Ostfildern, Albstadt, Kornwestheim, Leinfelden-Echterdingen, Stuttgart 1989, Teil 1: Katalog, 8 Exemplare auf den Seiten 368 bis 373
- ↑ Philipp Matthäus Hahn 1739-1790, Ausstellungen des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart und der Städte Ostfildern, Albstadt, Kornwestheim, Leinfelden-Echterdingen, Stuttgart 1989, Teil 1: Katalog, 1 Exemplar auf der Seite 370
Einteilung nach gemessenem Winkel und Messmethode
Stundenwinkel: Messung mit Polstab (schattenwerfender Stab) | Messung mit Nodus (schattenwerfender Punkt): Öhrsonnenuhr
Deklinationswinkel: Messung mit Nodus (schattenwerfender Punkt)
Höhenwinkel: Höhensonnenuhr (Alt-Ägyptische Streiflicht-Sonnenuhr, Säulensonnenuhr, Bauernring)
Azimut: Azimutale Sonnenuhr (Analemmatische Sonnenuhr, Sonnenuhren-Spinne)Einteilung nach Form und Lage des Zifferblatts
Ebene Fläche: Äquatorialsonnenuhr | Vertikalsonnenuhr (Mittagssonnenuhr) | Polare Sonnenuhr | Horizontalsonnenuhr | Alt-Ägyptische Wanduhr | Kanoniale Sonnenuhren | Mittagsweiser | Öhrsonnenuhr von Philipp Matthäus Hahn
Kugelfläche: Globus-Sonnenuhr | Helios Sonnenuhr
Zylinderfläche: Ringsonnenuhr | Ringförmige Äquatorialsonnenuhr | Bauernring | SäulensonnenuhrSonnenuhren mit besonderem Schattenwerfer
Bernhardtsche Walze | Bifilar-Sonnenuhr | Kegel-Sonnenuhr
Wikimedia Foundation.
Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:
Öhrsonnenuhr — Philipp Matthäus Hahn schematisch Mèridienne … Deutsch Wikipedia
Sonnenuhr — Bild 1: vertikale Sonnenuhr mit Polstab Bild 2: a … Deutsch Wikipedia
Höhensonnenuhr — Zylindersonnenuhr für φ=52° Bei einer Höhensonnenuhr wird der Höhenwinkel der Sonne gemessen. Auf Datumslinien des Zifferblattes das Jahresdatum muss bekannt sein kann anstatt des Höhenwinkels die Tageszeit abgelesen werden. Da die Sonne an einem … Deutsch Wikipedia
Sonnenuhr (Altes Ägypten) — Historisches Modell aus Ägypten.[1] Die altägyptische Sonnenuhr (auch Schattenuhr[2]) diente der Messung von saisonalen Tagesstunden … Deutsch Wikipedia
Mittagsweiser — für Mittleren Mittag in Aix en Provence (Place Richelme) Ein Mittagsweiser zeigt mit Hilfe des Sonnenstandes den Mittag an. Die Sonne wird wie bei einer Sonnenuhr in Zentralprojektion auf einer meistens ebenen Fläche abgebildet. Ein ortsfester… … Deutsch Wikipedia
Analemmatische Sonnenuhr — Moderne analemmatische Sonnenuhr Historische analemmatische Sonnenuhr in Brou, Scha … Deutsch Wikipedia
Kanoniale Sonnenuhren — Abb.1 kanoniale Sonnenuhr, moderner Nachbau Abb.2 kanoniale Sonnenuhr, NON … Deutsch Wikipedia
Polare Sonnenuhr — Polare Süd Sonnenuhr … Deutsch Wikipedia
Polstab — Sonnenuhr mit Polstab in Amtzell Der Polstab (auch Polos von griechisch πόλος „Erdachse“) ist der in einer Sonnenuhr am meisten gebrauchte Schattenwerfer. Dabei handelt es sich in der Regel um einen dünnen Stab, der parallel zur Erdachse… … Deutsch Wikipedia
Bauernring — aus dem 15. Jahrhundert Bauernring von 1721 (Repli … Deutsch Wikipedia