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Unter einem Börsengang, engl. Initial Public Offering oder kurz IPO (früher auch „Going Public“ genannt) oder auch Primary Offering, versteht man das erstmalige Angebot der Aktien eines Unternehmens auf dem organisierten Kapitalmarkt. Die Abwicklung des Börsengangs wird in der Regel vom Konsortium, das aus einer oder mehreren Investmentbanken (sog. underwriters) besteht, vorgenommen.
Das Gegenteil eines IPO ist das Going Private oder Delisting.
Gründe
Eines der wichtigsten Motive für einen Börsengang ist es dem Unternehmen durch Ausgabe von Aktien neue finanzielle Mittel zuzuführen (primary offering). Dieses Kapital dient einerseits der Finanzierung von Wachstum, andererseits der Eigenkapitalstärkung. Es kann auch vorhandenen Aktionären die Möglichkeit eröffnen eigene Anteile zu einem besseren Preis verkaufen zu können, als dies bei Anteilen an einem nicht börsennotierten Unternehmen möglich ist (secondary offering). Auch die Unternehmensnachfolge sowie Spin-Offs können durch einen Börsengang geregelt werden. Andere Gründe sind die Deckung des wachstumsbedingten Eigenkapitalbedarfs, die Verbesserung der Fremdkapitalkosten durch Verbesserung der Bonität, die Steigerung des Bekanntheitsgrades, die Steigerung der Attraktivität für Mitarbeiter und Führungskräfte und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit[1]. In der Regel sind bei Börsengängen mehrere Motivationen gleichzeitig anzutreffen.
Ablauf
Auswahl der Emissionbanken & Festlegung der Transaktionsstruktur
Vor dem Börsengang werden von den Altaktionären in der Regel Gespräche mit verschiedenen Banken aufgenommen, bei denen sich diese anhand von Gesprächen mit dem Management, Firmenrundgängen und Analyse der in Form eines Businessplans von dem Unternehmen vorgelegten Zukunftspläne einen ersten Eindruck über das Unternehmen verschaffen.
Darauf folgt der sogenannte Beauty Contest bei dem sich die Emissionsabteilungen der Banken unter Abgabe von Angeboten über die ihren jeweiligen Preisvorstellungen und Konditionen um die Begleitung des Börsenganges bewerben. In der Regel liegen diese Vergütungskonditionen zwischen vier und sechs Prozent des Emissionsvolumens.
Nach Abschluss der Konditionsverhandlungen beauftragen die Altaktionäre in der Regel eine Bank als Konsortialführer und beteiligen daneben häufig weitere Banken an der geplanten Emission.
Vor, während oder nach diesem Auswahlprozess wird gemeinsam mit den beteiligten Konsortialbanken die Transaktionsstruktur des Börsenganges festgelegt. Dabei wird zum einen der gewollte oder erwartete Investorenkreis hinsichtlich geografischer Herkunft und Art (z.B. Mitarbeiter, Kleinanleger, Financial Sponsors, Investmentfonds, Staatsfonds, etc.) abgeschätzt und erste Festlegungen getroffen. Dieses kann zum Beispiel bevorzugte Zuteilung mit Rabatt (Discount) für Mitarbeiter und Kleinanleger sein.
Ebenfalls werden wichtige Rahmenbedingungen wie z.B. Verkaufsrestriktionen in der unmittelbaren Zeit nach dem Börsengang für bestimmte Aktionärsgruppen (engl. Lock-Up-Periode; z.B. für die die Aktien verkaufende Partei oder das Management) definiert.
Darstellung des Unternehmens
In der Folge lässt die Bank eine Due-Diligence-Prüfung durchführen um einerseits die rechtlichen, andererseits die wirtschaftlichen und organisatorischen Gegebenheiten des Unternehmens auf Risiken und Potentiale zu untersuchen. In der Regel wird die Prüfung des Unternehmens in eine Legal Due Diligence und eine Financial Due Diligence aufgeteilt, welche sich auf die rechtliche einerseits und wirtschaftliche Lage andererseits konzentrieren. Wirtschaftsprüfer übernehmen hier in der Regel die Prüfung und stellen am Ende einen entsprechenden Comfort Letter aus, mit dem sie für die Richtigkeit der Zahlen bürgen und oft auch haften. Durch den großen Umfang der Prüfungen und die Kosten für das Haftungsrisiko stellt dieser Kostenblock einen nicht unerheblichen Teil der Kosten eines Börsengangs dar[2].
Die als Due Diligence Report bezeichneten Prüfungsberichte werden in der Regel nicht veröffentlicht, ihr Inhalt trägt jedoch gemeinsam mit dem Businessplan wesentlich bei zur Gestaltung des Argumentationskonzepts (der Equity Story), mit dem bei den Kapitalmarktteilnehmern für die Investition geworben wird. Dieses Konzept bildet wiederum eine Grundlage für den rechtlich verbindlichen Börsenprospekt, der allen Investoren zur Verfügung gestellt wird. Der Börsenprospekt, dessen Inhalt durch eine EU-Richtlinie geregelt ist, zählt zu den Voraussetzungen für den Antrag auf die Zulassung zum Handel an der ausgewählten Börse, die für ein bestimmtes Börsensegment beantragt wird.
Erstellung erster Finanzanalysen
Durch ihre unabhängigen (Finanz-) Analysten lassen die Konsortialbanken nun Finanzstudien, sogenannte Research-Reports, erstellen, die Marktstellung und Marktpotential des Unternehmens beschreiben. Diese Research-Reports enthalten neben einer allgemeinen Beschreibung des Unternehmens samt Historie, aktuellen Entwicklungen und Wettbewerbsanalysen insbesondere auch Discounted Cash-Flow-Analysen und Chancen- sowie Risikoabschätzungen. Gerade diese ersten Research-Reports (auch initial coverage genannt) umfassen oft an die hundert Seiten auf denen die Finanzanalysten das Unternehmen von allen Seiten betrachten. Die dann fertigen Research-Reports sollen eine Idee vermitteln, welches ein fairer Börsenwert für das Unternehmen wäre und stellen somit eine Indikation da, wie hoch der Emissionspreis anzusetzen ist.
Theoretisch urteilen die Analysten dabei unabhängig von den durch die Emissionsabteilung wahrgenommenen geschäftlichen Interessen der Bank, an der Emission beteiligt zu werden; man spricht dabei von der Chinese Wall, die Analyse- und Emissionsabteilungen trennt.
Da Finanzanalysen oft Gefahr laufen als Kaufangebot ausgelegt zu werden und dadurch ein nicht unerhebliches Haftungsrisiko beinhalten sofern die Unabhängigkeit eines Analysten in Frage gestellt wird, werden diese in der Phase des Börsenganges oft nur sehr spärlich an ausgewählte Investoren verteilt. Nachdem einige Banken durch Research-Reports in entsprechende Prospekthaftung genommen wurden sind einige Banken so vorsichtig geworden, dass die Prospekte weder in den USA verteilt werden, noch als Datei zur Verfügung gestellt werden, sondern häufig nummeriert bei Veranstaltungen ausgelegt und am Ende wieder eingesammelt werden.
Roadshow und Bookbuilding
Nun beginnt die Roadshow und das Bookbuilding-Verfahren, wobei je nach Ausgestaltung des Zeitplans die Roadshow auch bereits vor dem Bookbuilding als Pre-Marketing beginnen kann. Unter Vorstellung der Equity Story und der Research Reports versuchen die Banken zunächst in der sogenannten Pre-Marketing-Phase institutionelle Anleger für die Abnahme von Aktien aus dem Emissionsvolumen zu interessieren. In der nun folgenden Bookbuilding-Phase werden diese Bemühungen, meist gemeinsam mit den Vorstandsmitgliedern des Unternehmens, dessen Aktien emittiert werden sollen, in sogenannten Road-Shows intensiviert und das Interesse möglicher Abnehmer ausgewertet.
Festlegung des Emissionspreises
(Siehe Emissionspreis)
Bereits zu Beginn, in letzter Zeit aber auch vermehrt erst zum Ende der Roadshow wird von den Banken dann die sogenannte Preisspanne verkündet, also die Bandbreite, innerhalb derer der Emissionspreis mutmaßlich festgelegt wird. Alternativ kann auch ein sogenannter Festpreis bestimmt werden.
Zeichnung und Zuteilung der Wertpapiere
Daraufhin werden die Aktien in der Zeichnungsfrist öffentlich zur Zeichnung angeboten, wobei sich die interessierten potentiellen Abnehmer verpflichtend dahingehend festlegen, wie viele Aktien sie zu welchem Maximalpreis erwerben möchten. Man spricht hier auch von einer "Zeichnungseinladung" durch das Bankenkonsortium an potentielle Erwerber. Die Zeichnung der angebotenen Aktien ist dabei primär über die am Bankenkonsortium teilnehmenden Banken (Konsortialbank) möglich. Allerdings bieten viele Banken auch die Annahme und Weiterleitung von Zeichnungsaufträgen an. In diesem Fall sammelt die entsprechende (nicht-Konsortial-) Bank die Aufträge ihrer Kunden und übermittelt diese an eine der Konsortialbanken.
Ist das Interesse größer als die Anzahl der angebotenen Aktien, so spricht man von einer Überzeichnung. In diesem Fall legen die Konsortialbanken fest, ob aus dem sogenannten Greenshoe, einem Reservepool, noch weitere Aktien ausgeben werden und legen die Zuteilung fest, mit der bestimmt wird, welcher Interessent mit welcher Zuteilungsquote der gezeichneten Aktien bedacht wird. Da insbesondere bei hoher Überzeichnung der angebotenen Aktien die Konsortialbanken meist bevorzugt die Aufträge der eigenen Kunden bedienen, ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Zeichnung geringer als bei der Zeichnung direkt bei einer Konsortialbank.
Für die Zeichnung und Zuteilung von Aktien aus Neuemissionen erheben die Banken oft zusätzliche Gebühren. Der BGH hat dabei im Jahr 2003 festgestellt, dass diese Zeichnungsgebühr durchaus berechtigt ist[3].
Listing & Settlement
Nachdem die Order-Bücher geschlossen wurden, erfolgt die Zuteilung der Aktien und die endgültige Festlegung des Emissionspreises, sofern dieses nicht bereits vorher geschehen ist. Dieser Preis muss dann entsprechend im Börsenprospekt nachgetragen werden. Dann werden die Aktien in das Handelsregister eingetragen. Ist dies geschehen und existiert ein entsprechend abschließend genehmigter Wertpapierprospekt, so kann der Börsenstart erfolgen. Mit dieser Erstnotierung wird die Aktie erstmals an der Börse gehandelt, und es wird zum ersten Mal ein Börsenkurs, die sogenannte Erstnotiz festgestellt. In der Folge übernimmt eine damit beauftragte Bank, oft der ursprüngliche Konsortialführer (Lead Manager), die Aufgabe des Designated Sponsors, womit sie sich verpflichtet, die Aktie immer handelbar zu halten.
After-Market / Kurspflege
Häufig übernimmt der Designated Sponsor unmittelbar nach dem Börsengang für einen bestimmten Zeitraum (z. B. einen Monat ab Erstnotiz) die Kurspflege der Aktie, wofür er auf den Greenshoe als Verfügungsmasse zurückgreifen kann. Finden in diesem Zusammenhang andauernd Aktienrückkäufe zur Kurspflege statt, so kann der Greenshoe im Ergebnis geringer ausfallen, als beim Börsengang ursprünglich geplant.
Da die Vornahme von Geschäften, die geeignet sind, ein künstliches Preisniveau herbeizuführen, nach § 20a Abs. 1 Wertpapierhandelsgesetz eigentlich verboten sind, handelt es sich bei dieser Art der Kurspflege, sofern sie im Börsenprospekt angekündigt wird, um einen der Ausnahmetatbestände des § 20a Abs. 2 WpHG.
Sehr häufig kommt es vor, dass die ersten Börsenkurse über dem Emissionskurs liegen. Das Verhalten der Emittenten, die damit anscheinend Geld verschenken, wird in der Finanzmarkttheorie als Underpricing bezeichnet und untersucht.
Die größten Börsengänge
Weltweit größte Börsengänge
Datum Unternehmen Erlös
in Mrd. US-Dollar27. Okt. 2006 Industrial and Commercial Bank of China 22,0 [4] 12. Okt. 1998 NTT DoCoMo Inc. 18,4[5] 19. März 2008 VISA 17,86[6] 31. Okt. 1999 Enel 17,4[5] 17. Nov. 1996 Deutsche Telekom 13,0[5] 24. Mai 2006 Bank of China 11,2[7] 26. April 2000 AT&T Wireless Services 10,6[5] 19. Juli 2006 Rosneft 10,4[8] 15. Nov. 1997 Telstra Corp. 10,0[5] 20. Okt. 2005 China Construction Bank 9,2[5] 18. Nov. 2005 Électricité de France 9,0[5] 12. Juni 2001 Kraft Foods 8,7[5] 12. Juni 2000 Telia AB 8,6[5] Größte Börsengänge in Deutschland
Datum Unternehmen Wert
in Mrd. Euro17. Nov. 1996 Deutsche Telekom 13,0[5] 13. März 2000 Infineon 5,4 [9] 17. April 2000 T-Online 3,1 [9] 20. November 2000 Deutsche Post 5,8 [9] 23. Juni 2004 Deutsche Postbank 1,6 [9] Angegeben ist der Wert der Neuemission am ersten Handelstag.
Marktentwicklung
Die Anzahl der Börsengänge erreichte zwischen 1999 und 2000 weltweit ihren Höhepunkt und ging dann infolge des Zusammenbruchs der Börsenblase 2001 stark zurück. An der Frankfurter Börse wurde 1999 mit 166 Erstnotierungen das historische Allzeithoch erreicht, 2000 war mit 142 IPOs noch auf fast gleichem Niveau. 2006 waren es 74 Neuemissionen. Nach Emissionserlös wurde jedoch 2000 mit 26,6 Mrd. Euro der höchste Wert erreicht. Nach Angaben der Deutschen Börse[10] entwickelten sich die Umsätze aus den offerierten Aktien wie folgt:
Jahr 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 Erlöse in
Mrd. EUR3,2 10,5 25,6 2,7 0,25 0 2,0 4,7 7,9 Cold IPO/ Reverse Takeover
Als Cold IPO oder Börsengang durch die Hintertür wird ein Börsengang bezeichnet, bei dem ein Unternehmen nicht durch ein direktes Börsenlisting an der Börse handelbar wird, sondern indirekt, über die Fusion mit oder Übernahme durch eine bereits börsennotierte Aktiengesellschaft, handelbar wird[11]. Indem eine bisher nicht notierte Gesellschaft einer börsennotierten Gesellschaft angeschlossen wird, und die Eigentümer der ersteren entsprechend Aktienanteile an der börsennotierten Gesellschaft erhalten, können private Unternehmensbesitzer diesen Weg als "Exit-Strategie" benutzen, mit der sie im besten Fall für die vorher besessene Gesellschaft eine sehr liquide Aktie durch die Transaktion erhalten[12]. Verglichen mit einem normalen Börsengang lässt sich eine solche Transaktion in einem wesentlich engeren Zeitfenster durchführen, da viele sonst notwendigen Erfordernisse entfallen.
Siehe auch
- Secondary Public Offering
- Emission
- Squeeze-out
- Kapitalerhöhung
- Börsenmantel
- Zweitlisting
- Zeichnungsfrist
Weblinks
- Deutsche Börse AG: Informationen für Börsenaspiranten
- Artikel über den Gang an die Wiener Börse aus rechtlicher Sicht
- Das Modell von Kevin Rock als Erklärungsansatz für das Underpricing Phänomen
- Aktiengesetz der Bundesrepublik Deutschland
Fußnoten
- ↑ Löhr, A: Börsengang - Kapitalmarktchancen prüfen und umsetzen, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 2006, S. 20f. ISBN 9783791025100
- ↑ Kosten des Börsengangs - Ein Überblick
- ↑ Urteil des BGH vom 28.01.03 XI ZR 156/02 Pressemitteilung des BGH vom 28.01.2003
- ↑ http://boerse.ard.de/content.jsp?key=dokument_193612
- ↑ a b c d e f g h i j Handelsblatt, 19. Juli 2006, http://www.handelsblatt.com/news/Boerse/Neuemissionen/_pv/grid_id/762907/_p/200034/_t/ft/_b/1110131/default.aspx/tabelle-die-groessten-boersengaenge-weltweit.html
- ↑ http://aktien.onvista.de/news-filter.html?ID_NEWS_TYPE=1,2,4&SEARCH_VALUE=ipo&DATE_RANGE=archive&NEWS_LANG=de,en&ID_OSI=19564871&ID_NEWS=71874732
- ↑ http://www.manager-magazin.de/geld/artikel/0,2828,417883,00.html
- ↑ http://biz.yahoo.com/ic/55/55399.html
- ↑ a b c d „Augsburger Allgemeine“ vom 3. Juli 2007
- ↑ Die Bank 05/2007, http://www.die-bank.de/
- ↑ http://www.emissionsmarktplatz.de/em-emissionen/html/Glossar_794_810.php?letter=C
- ↑ http://www.uca.de/de/ir/presseberichte/2001/euro_am_sonntag.pdf
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