Friedrich Schiller/Resignation

Friedrich Schiller/Resignation

Das Gedicht Resignation hat Friedrich Schiller im Jahre 1786 in der Zeitschrift Thalia veröffentlicht; eine um zwei Strophen gekürzte Fassung ist im Band 1 seiner Gedichte von 1800 enthalten. Das als „Eine Phantasie“ bezeichnete Werk schildert das Streitgespräch einer verstorbenen Seele mit der Ewigkeit. Darin fordert die Tote von der Ewigkeit eine Gegenleistung für die Entbehrungen, die sie zu Lebzeiten getragen hat, bekommt aber nur zur Antwort, wer für den Glauben auf weltlichen Genuss verzichtet habe, müsse auch in Ewigkeit bei dieser Entscheidung bleiben:

Was man von der Minute ausgeschlagen, gibt keine Ewigkeit zurück.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt des Gedichtes

Das Gedicht beginnt mit der Rede der verstorbenen Seele, die zunächst ihre Situation am Übergang (auf der Schauerbrücke) zur Ewigkeit schildert und diese als Vergelterin anspricht, mit der sie Rechnung halten will. Sie zählt auf, was sie zu Lebzeiten dem Götterkind Wahrheit geopfert hat: der Jugend Freuden und das geliebte Weib. Dann zitiert sie, gewissermaßen in Vorwegnahme der abschlägigen Antwort, die Argumente, mit denen die hohnlächelnde Welt schon zu ihren Lebzeiten diese Opfer abgelehnt hat: Die Schuldverschreibung lautet an die Toten und Götter seien nur ein Schein, der verfallen wird, und Ewigkeit und Unsterblichkeit ein Fieberwahn, der aus der eigenen Gewissensangst entsteht, weil noch kein Leichnam aus der Gruft gestiegen sei, um sie zu bezeugen. Weil die Seele aber davon unerschrocken auf den Götterschwur vertraut hat, fordert sie abschließend ihren Lohn von der Vergelterin.

Die Antwort an die Seele gibt ein unsichtbarer Genius, indem er die Hoffnung auf solchen ewigen Lohn gleichberechtigt neben den Genuss stellt, den man zu Lebzeiten haben kann, und erklärt, dass sich beide gegenseitig ausschließen: Wer dieser Blumen eine brach, begehre die andre Schwester nicht. Dabei umfasst die Hoffnung (und der im selben Atemzug genannte Glaube) keine Erfüllung im Jenseits, vielmehr ist sie für sich alleine eine Alternative zum Genuss im Leben. Der antwortende Genius gibt keinem von beiden den Vorzug.

Stellung im theologischen Diskurs

Der als Titel gewählte Begriff Resignation gelangte durch den Hallischen Pietismus und dessen Übersetzertätigkeit in die deutsche Bildungssprache. Alexander Gottlieb Baumgarten, dessen Ethica Immanuel Kant seinen moralphilosophischen Vorlesungen zugrunde legte, fügte den Begriff der philosophischen Ethik ein.

Das Begriffspaar Hoffnung und Genuss stammt aus dem Spinoza-Streit des 18. Jahrhunderts, wobei „Genuss“ auf die atheistisch-materialistische Position des Epikureismus verweist. Diese Position wurde damals dem christlichen Weltbild (Stichwort „Hoffnung“) gegenübergestellt und veranlasste christliche Gegner dieser Position zum Motto Hoffnung versus Vergnügen, dem auch die verstorbene Seele im Gedicht anhängt. Es wird vom antwortenden Genius umgewandelt in das Motto Hoffnung und Genuss, das die gegensätzlichen Alternativen des Spinoza-Streits im Sinne der Toleranz versöhnen will, dabei aber Immanenz voraussetzt, weil beide Alternativen aufs Diesseits beschränkt werden und es kein zweites Leben im Jenseits gibt.

Diese Toleranz hat ihr Vorbild in der mutmaßlichen Gleichsetzung aller theistischen Religionen in Lessings Ringparabel, geht aber über diese hinaus, weil hier die religiöse Jenseitshoffnung mit dem atheistischen Genuss des Diesseits gleichgesetzt wird.

Das Gedicht wurde in der zweiten Ausgabe der Zeitschrift Thalia veröffentlicht, die neben der optimistischen Ode An die Freude auch die ähnlich pessimistische Freigeisterei der Leidenschaft (unmittelbar vor der Resignation) enthielt. Um die provokative Wirkung der beiden letzten Gedichte abzumildern, fügte Schiller (auf Wunsch des Zensors) eine Fußnote ein, die die „Aufwallung der Leidenschaft nicht [als] ein philosophisches Sistem“ oder „das Glaubensbekenntniß des Dichters“ bezeichnet. Allerdings ist diese Erklärung gerade auf die Resignation nicht anwendbar, denn statt einer „Aufwallung der Leidenschaft“ herrscht darin der nüchterne Ton eines Plädoyers wie bei einer Gerichtsverhandlung, und der Schlusssatz hat den Charakter eines Gerichtsurteils und ist damit verbindlicher als ein philosophisches oder Glaubenssystem.

Bedeutungen von „Resignation“

Obwohl der Titel „Resignation“ im Gedicht selbst nicht mehr vorkommt, schwangen bei den zeitgenössischen Lesern zwei Bedeutungen dieses Wortes immer mit:

  • Resignation im kirchenrechtlichen Sinn bezeichnet die Aufgabe einer Pfarrei oder einer Pfründe
  • Resignation im theologischen bzw. mystischen Sinn bezeichnet die Selbstaufgabe und Ergebung in den göttlichen Willen (als spätmittelalterliche Übersetzung des mittelhochdeutschen gelatenheit, gelassenheit, vgl. bes. Thomas von Kempen, Imitatio Christi, Buch III, Kap. 37: De pura et integra resignatione sui ad obtinendam cordis libertatem).

Die verstorbene Seele im Gedicht redet von der mystischen Resignation, die sie geübt hat, und für die sie nun eine Gegenleistung fordert. In dieser Rede, die Schiller der Seele und damit auch seinen frommen Zeitgenossen in den Mund legt, offenbart sich die Entsagung zu Lebzeiten nur als die eine Seite eines Handels, dessen andere Seite die Entlohnung in der Ewigkeit ist, der also einen Tausch diesseitiger gegen jenseitige Güter bedeutet und der letztlich der egoistischen Seele zum Vorteil dienen soll. Dem gegenüber sieht Schiller die (kirchen-)rechtliche Resignation ohne Gegenleistung, und das Urteil seines Gedichts lautet, dass die theologische Resignation in Wahrheit ebenso wie die rechtliche keine Gegenleistung nach sich zieht.

Diese Entlarvung der Frömmigkeit als egoistisches Handeln ist ein Ergebnis der Psychologie zur Zeit der Spätaufklärung, z.B. der Religionspsychologie von David Hume (The Natural History of Religion, 1757).

Andere Gedichte zum Thema Resignation

Unter dem Titel Resignation kursiert ein anonymes altenglisches Gedicht des Exeter-Buches, das häufig als Reueelegie bezeichnet wird (vgl. Lexikon des Mittelalters, Bd. 7 (1995), Sp. 758 s.v.).

Als Beispiel für den Umgang mit Diesseitigkeit und Resignation aus christlicher Sicht sei Dietrich Bonhoeffers Gedicht Jona angeführt. Es schildert den Wunsch des in Seenot geratenen Propheten, die Seeleute mögen ihn ins Meer werfen, um den Sturm zu stillen, weil er durch seine Schuld Gott erzürnt habe. Gedeutet werden kann es auf Bonhoeffers Situation, der als Mitwisser des gescheiterten Attentats auf Hitler den Fluchtplan aus dem Tegeler Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis aufgegeben hatte, als er dieses Gedicht 1944 schrieb: Er hatte in der Diesseitigkeit auf eine akademische Karriere verzichtet und sich in den Widerstand gegen das Nazi-Regime begeben. Wie Jona durch die Hand der Seeleute empfing er nicht nur sein Urteil vom weltlichen (Unrechts-)Regime, sondern hoffte auf ein Urteil aus der Hand Gottes. Als letzte Worte vor seiner Hinrichtung sind überliefert: Dies ist das Ende, für mich der Beginn des Lebens. Sein Handeln begründete er aber nicht mit der Hoffnung auf Entschädigung im Jenseits, sondern mit diesseitigen Argumenten, z.B. mit der Aufgabe der Kirche in der Welt: Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist. Er dachte über ein religionsloses Christentum nach und schrieb einen Tag nach dem gescheiterten Hitler-Attentat am 21. Juli 1944: Später erfuhr ich, dass man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt.

Literatur

  • Schillers Werke. Nationalausgabe. Band 2I, S. 401–403. Weimar: Hermann Böhlaus Nachf. 1943ff.
  • Wolfgang Riedel: Interpretation des Gedichtes in: Interpretationen. Gedichte von Friedrich Schiller, S. 48ff. Hrsg. von Norbert Oellers. Stuttgart: Reclam 1996, ISBN 3-15-009473-9
  • Dietrich Bonhoeffer: Bilder aus seinem Leben, S. 201ff. Hrsg. von Eberhard Bethge. München: Chr. Kaiser 1986, ISBN 3-459-01613-2
  • Matthias Laarmann: Art. Resignation, in: J. Ritter/K. Gründer/G. Gabriel (Grsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 9 (1992), Sp. 909-916.
  • Matthias Laarmann: Art. Resignation. II. Mystik., in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7 (1995), Sp. 758 (neue Frühbelege).

Weblinks


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