Frühneuenglisch

Frühneuenglisch

Frühneuenglisch (frNE) bezeichnet eine frühe Form des modernen Englisch, wie es etwa während des 16. und 17. Jahrhunderts, der Frühen Neuzeit, gesprochen wurde. Der Beginn der frühneuenglischen Periode – ca. 1500 – wird zum einen von der Einrichtung der ersten Druckerpresse durch William Caxton (1476) und den dadurch entstandenen Zwang, eine einheitliche Grammatik und Orthographie zu installieren, charakterisiert, zum anderen durch das Einsetzen des Great Vowel Shift. Die einheitliche Aussprache, das Standard English, die sich langsam ausbildet, basiert auf der Sprechweise der public schools und der Universitäten. Die Dramatik erreicht einen Höhepunkt mit den Werken William Shakespeares.

Inhaltsverzeichnis

Erwünschte Veränderungen

Bereits im Mittelenglisch (ME) deutete sich durch den Wegfall des Französischen als Amtssprache und die damit einhergehende zunehmende Bedeutung des Englischen ein Wandel in der englischen Sprache an. Spätestens mit der Einführung der Druckerpresse wurde deutlich, dass die englische Sprache umfangreicher Überarbeitung bedurfte, da es weder eine einheitliche Rechtschreibung noch eine einheitliche Grammatik gab. Dies war aber nötig, um einerseits die zu druckenden Bücher so verständlich zu gestalten, dass sie in allen Teilen Englands gelesen werden konnten und andererseits die englische Sprache zu einer „eloquenten“ Sprache zu machen. Zwar sind viele Veränderungen, die die frühneuenglische Periode mit sich brachte, unbewusst geschehen, doch wurden auch erhebliche Teile, gerade was die Restriktion der Grammatik sowie die Expansion des Wortschatzes anbelangt, durchaus initiiert.

Wandel

Phonetik

  • Vokale: Die bedeutendste Veränderung in der Aussprache stellt der Great Vowel Shift, die Frühneuenglische Vokalverschiebung, dar. Der Begriff wurde von dem dänischen Linguisten Otto Jespersen geprägt. Hierbei rückten alle langen Vokale höher, wobei die hohen, geschlossenen Vokale /i:/ und /u:/ zu Diphthongen /ai:/ und /au:/ wurden. Die Gründe für diesen Wandel sind nicht vollständig geklärt; die wohl einleuchtendste Theorie ist die absichtliche Abgrenzung der Oberschicht zu den unteren Schichten. Der Great Vowel Shift stellt jedoch keine universale Veränderung dar; besonders in nördlichen Dialekten fand lediglich die Diphthongierung der geschlossenen Vokale statt.
  • Konsonanten: Auch bei der Aussprache von Konsonanten lassen sich Veränderungen feststellen. In der frühneuenglischen Phase vereinfachten sich häufig initiale Konsonantencluster: so fiel beispielsweise im Cluster /kn/ das /k/ weg. Des Weiteren fiel das Phonem /x/ (mit seinem Allophon /ç/; deutsch: <ch>) weg bzw. fiel durch verschiedene Entwicklungen mit mehreren anderen Phonemen zusammen. Die Veränderungen der Phonetik lassen sich gut am Beispiel des Wortes „knight“ (dt. Ritter, „Knecht“) verdeutlichen: aus Mittelenglisch /knɪçt/ wurde Frühneuenglisch /nait/.

Grammatik

Die Veränderungen in der Grammatik sind äußerst vielfältig.

  • Eine wichtige Veränderung ist der Wegfall des Personalpronomens der 2. Person, thou. Im Mittelenglischen bezeichnete thou die Singularform, you die Pluralform (später auch den Pluralis Majestatis). Im 15. und 16. Jahrhundert veränderte sich die Verwendung dahingehend, dass you sowohl im Singular als auch im Plural verwendet werden konnte; allerdings nur als sehr höfliche Form: mit you redete man sich in der Oberklasse an, mit thou in den unteren Schichten. Im 17. Jahrhundert fiel thou vollkommen weg.
  • Dem Wegfall von thou folgte der Wegfall von -est als Verb-Endung der 2. Person Singular Präsens (thou sayest). Darüber hinaus war es in der 3. Sg. Präsens möglich, zwischen den Endungen -(e)s (he says) und -eth (he sayeth) zu wählen. -eth wurde im Verlauf des Frühneuenglischen seltener, erlebte aber kurzzeitig mit der Veröffentlichung der sehr konservativ gehaltenen King James Bible ein erneutes Aufleben, bevor es völlig durch -(e)s ersetzt wurde.
  • Der bereits im Mittelenglischen begonnene Verlust von Flexionen setzte sich im Frühneuenglischen fort. Beispielsweise folgte dem im Mittelenglischen vollzogenen Verlust der Fallunterscheidung im Frühneuenglischen der Verlust der Flexion von Adjektiven.
  • Komparativ und Superlativ: im Frühneuenglischen sind drei verschiedene Formen möglich: bigger, more big oder more bigger bzw. the biggest, the most big oder the most biggest.
  • Relativpronomen: Im Frühneuenglischen sind drei Relativpronomen üblich: who (bzw. whom), which und that. Interessant hierbei ist, dass who durchaus auch mit einem nicht personalen Beziehungswort stehen konnte, was im heutigen Englisch eher unüblich ist.

Syntax

Die Syntax im Frühneuenglischen gleicht im Wesentlichen der derzeitigen.

  • Verbalphrase: Am bedeutendsten ist wohl die Einführung von do als Hilfsverb; zunächst nur als Betonung in positiven Satzkonstruktionen, im 17. Jahrhundert auch in verneinten Sätzen und im 18. Jahrhundert schließlich in Fragen.
  • Generell kennt das Frühneuenglische sechs Modalverben, von denen jedes sowohl eine Form im Präsens als auch im Präteritum besaß; so war beispielsweise must die Vergangenheitsform von mote, während es heute nur im Präsens gebraucht wird und mote gänzlich verschwunden ist.
  • Nominalphrase: entspricht im Wesentlichen der heutigen Nominalphrase; zu Beginn des Frühneuenglischen war es möglich, einem Nomen zwei Artikel vorzustellen, d. h. ein Demonstrativpronomen und ein Possessivpronomen, z. B. this my father. Dies wurde jedoch bald zugunsten von of-Konstruktionen aufgegeben.
  • Satzbau: Im Gegensatz zum heutigen Englisch war der Satzbau zu Beginn der frühneuenglischen Phase nicht so restriktiv; so war es beispielsweise möglich, statt der üblichen Folge Subjekt- Prädikat- Objekt das Objekt dem Subjekt voranzustellen, bspw. him he called anstelle von he called him.
  • Negation: Im Mittelenglischen waren doppelte Negationen (I will not give him no meat) völlig üblich; dies wurde aber in der Renaissance als „unlogisch“ erachtet und aufgegeben. Auch Verbindungen wie not…never/nobody änderten sich zu not…ever/anybody.

Wortschatz

Ein Kriterium für die Eloquenz einer Sprache ist ein umfangreicher Wortschatz. Der Befund über den englischen Wortschatz zu Beginn des 16. Jahrhunderts lautete: Fit for the street, but not for the book! („Für die Straße geeignet, aber nicht für das Buch!“) Hinzu kam die mit der Renaissance einhergehende Wiederentdeckung klassischer Philosophen sowie die Masse neuer Erfindungen und Entdeckungen, für welche Bezeichnungen gebraucht wurden. Der Zugang zur Einführung neuer Wörter war keineswegs einheitlich. Im 16. Jahrhundert entbrannte hierüber ein Streit zwischen Philosophen, Schriftstellern und anderen Gelehrten, der als Inkhorn Controversy bekannt wurde. Hierbei ging es v.a. um die kontroversen Meinungen der Neologizers, die sich dafür stark machten, Wörter aus anderen, v.a. klassischen Sprachen (hauptsächlich aber Latein), einzuführen und den Purists bzw. Archaizers, die dafür plädierten, alte Wörter zu „reanimieren“ oder neue Wörter aus bereits bestehenden Wörtern zu formen. Die Archaizers sprachen sich zudem für die Nutzung von Dialektismen aus.

  • Lehnwörter: Tatsächlich gelangten vor 1660 diverse lateinische Wörter in die englische Sprache, die zu großen Teilen auch heute noch vorzufinden sind (z. B. Wörter mit der Endung -ity).
  • Allerdings wurden auch diverse neue Wörter geformt, bspw. durch Verbindung von zwei Nomen (stonewall). Diese Wortbildungsverfahren wird allgemein als Komposition bezeichnet. Hierbei hatte besonders William Shakespeare immensen Einfluss.
  • Konversion: besonders produktiv waren Konversionen von Nomen zu Verb (z. B. invoice > to invoice) und von Adjektiven zu Verben (dirtyto dirty)
  • Affigierung: besonders deutlich fällt die Einführung von lateinischen Suffixen und Präfixen aus. Die erfolgreichsten Affixe waren jedoch einheimische: am häufigsten wurden neue Wörter durch das Präfix un- und die Suffixe -ness und -er gebildet.
  • Semantischer Wandel:
    • Generalisierung: z. B. war die Verwendung des Wortes humour auf die Substanzlehre Aristoteles' beschränkt; im Frühneuenglischen wurde es ausgeweitet auf den heutigen Begriff des Humor.
    • Spezialisierung: z. B. bezeichnete das Wort meat im Mittelenglischen jede Form von Nahrungsmitteln; im Frühneuenglischen wurde seine Verwendung auf die Bezeichnung von Fleisch eingeschränkt.

Orthographie

Zu Beginn der frühneuenglischen Periode gab es kaum Rechtschreibregeln. Wörter wurden meist so geschrieben, wie sie gesprochen wurden, was dazu führte, dass es für einige Wörter diverse Möglichkeiten der Schreibweise gab (z. B. Neuenglisch: enough: Frühneuenglisch: ynough(e), enoff, yenough, eno', enouch, enufe,…). Besonders beklagt wurde außerdem die Anzahl überflüssiger Buchstaben in den meisten Wörtern. Bis ins 16. Jahrhundert herrschte auch keine Übereinstimmung darüber, ob Rechtschreibung phonemisch oder logographisch sein sollte, d. h. ob man so schreiben sollte, wie man sprach, oder ob man des besseren Verständnis zuliebe Homonyme unterschiedlich schreiben sollte. Umso erstaunlicher ist, dass zur Mitte des 17. Jahrhunderts die Rechtschreibung größtenteils gefestigt war. Die heute geltende Rechtschreibung orientiert sich größtenteils an der Sprechweise des Mittelenglischen, was sich beispielsweise an der oben erwähnten Schreibweise von knight zeigt.

  • die Buchstaben v und u konnten im Mittelenglischen willkürlich genutzt werden; im 16. Jahrhundert ergab sich die positionale Unterscheidung der beiden Buchstaben: v wurde am Anfang eines Wortes benutzt, u in der Mitte. Ca. 1630 erfolgte die Unterscheidung von v als Konsonant und u als Vokal.
  • Viele Wörter endeten mit -e, um beispielsweise einen langen Vokal oder eine bestimmte Aussprache des finalen Konsonants zu kennzeichnen (siehe Textproben).
  • Alphabet: In der Basis entsprach das Alphabet dem Lateinischen Alphabet. Es gab zwar diverse Diskussionen, zusätzliche Buchstaben einzuführen, um beispielsweise einen Frikativ zu kennzeichnen, diese Versuche blieben jedoch längerfristig erfolglos. Einzig der Buchstabe j, der im Lateinischen Alphabet nicht enthalten ist, wurde neu eingeführt.

Abschluss der frühneuenglischen Periode

Der Abschluss wird bei ca. 1700 gesehen, da zu diesem Zeitpunkt die Grammatik grundsätzlich kodifiziert sowie der Great Vowel Shift zumindest im Süden abgeschlossen war.

Textprobe

Das Vaterunser auf Frühneuenglisch

Our father, which art in heaven.
Hallowed be thy name.

Thy Kingdom come, Thy Will be done,
in Earth, as it is in Heaven.

Give us this day our daily bread,
and forgive us our sins,
as we forgive them that sin against us.

And lead us not into temptation,
but deliver us from evil.

For thine is the kingdom, and the power, and the glory,
for ever and ever.

Amen

Auszug aus Le Morte d'Arthur von Sir Thomas Malory (ca. 1470)

Thenne after the seruyse was done / the kyng Wold wete how many had vndertake the queste of the holy graylle / and to accompte them he prayed them all / Thenne fond they by the tale and honderd and fyfty / and alle were knygthes of the table round.

(Then after the service was done, the King wished to know how many had undertaken the quest of the holy grale, and to count them, he prayed them all, then found them by the count a hundred and fifty and all were knights of the round table.)

Auszug aus The Arte of Rhetorique von Thomas Wilson (1553)

The misticall wise menne, and Poeticall Clerkes, will speake nothyng but quaint proverbes, and blynd allegories, delityng muche in their awne darknesse, especially, when none can tell what thei dooe saie. The unlearned or foolishe phantasticall, that smelles but of learnyng (such felowes as have seen learned men in their daies) will so latine their tongues, that the simple cannot but wonder at their talke, and thynke surely thei speake by some Revelacion.

(The mystical wise men, and Poetical Clerks, will speak nothing but proverbs, and blind allegories, delighting much in their own darkness, especially, when none can tell what they do say. The unlearned or foolish phantastical, that smells but of learning (such fellows as have seen learned men in their days) will so latinize their tongues, that one simply cannot but wonder at their talk and think surely they speak by some revelation.)

Literatur

  • Barber, Charles: Early Modern English. Überarb. Ausgabe, Edinburgh University Press 1997
  • Fausto Cercignani: Shakespeare's Works and Elizabethan Pronunciation. Clarendon Press, Oxford 1981.
  • Dobson, E. J.: English Pronunciation 1500-1700. 2. Auflage, 2 Bände, Clarendon Press, Oxford 1968.
  • Nevalainen, Terttu: An Introduction to Early Modern English. Edinburgh University Press: 2006
  • Pinsker, Hans E.: Historische englische Grammatik: Elemente d. Laut-, Formen-, u. Wortbildungslehre. 4. Aufl. Hueber, München 1974.

Weblinks


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