Georg Neithardt

Georg Neithardt

Georg Neithardt (* 31. Januar 1871 in Nürnberg; † 1. November 1941) war Richter am Bayerischen Volksgericht. Unter anderem leitete er den in Folge des Hitler-Ludendorff-Putsches eröffneten Hochverratsprozess gegen Adolf Hitler und seine Mitverschwörer im Frühjahr 1924 (siehe Hitler-Prozess).

Inhaltsverzeichnis

Leben

Neithardt wuchs als Sohn eines Großkaufmanns in wohlhabenden Verhältnissen auf. Er studierte Jura in Erlangen und war seit 1890 Mitglied des Corps Bavaria.[1]

Nach den juristischen Examina 1892 und 1895, die er mit durchschnittlichem Erfolg absolvierte, trat er in den Justizdienst des Königreichs Bayern ein und absolvierte dort eine unauffällige Karriere, die ihn 1907 nach München an das dortige Amtsgericht und 1911 an das Landgericht München I, zuletzt mit dem Titel eines Oberlandesgerichtsrats führte. Am 14. November 1918 unterschrieb Neithardt die Verpflichtungserklärung gegenüber dem neuen Volksstaat Bayern. Am 14. Mai 1920 leistete er den Treueid auf die neue Verfassung des Freistaates Bayern und die Weimarer Reichsverfassung.

1919 wurde Neithard zum bayerischen Volksgericht in München versetzt. Dort leitete er verschiedene politische Prozesse, auf die er in einem Beförderungsgesuch im Januar 1921 eigens hinwies: So u.a. gegen einen Münchner Versicherungsbeamten Alexander Liening wegen Aufforderung zum gewaltsamen Generalstreik (1 Jahr Festungshaft wegen Vorbereitung des Hochverrats), gegen Fritz Ehrhardt, Schriftleiter der kommunistischen „Neuen Zeitung“ „wegen Aufforderung zum Klassenkampf und Aufforderung zum Hochverrat“ (ein Jahr Gefängnisstrafe). Im April desselben Jahres verurteilte er Wendelin Thomas und zwei weitere Angeklagte wegen Aufreizung zum Klassenkampf zu je zwei Jahren Gefängnis ohne Bewährung.[2] Dagegen zeigte er in dem Prozess gegen den aus der rechtsradikalen Szene stammenden Mörder des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner, Graf Arco, auffallende Milde. Er verhängte gegen ihn zwar die Todesstrafe, die jedoch nicht ernst gemeint war, wie die Urteilsbegründung zeigt:

„Von einer Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte konnte natürlich keine Rede sein, weil die Handlungsweise des jungen politisch unmündigen Mannes nicht niedriger Gesinnung, sondern der glühenden Liebe zu seinem Volke und Vaterland entsprang […] und Ausfluß der in weiten Volkskreisen herrschenden Empörung über Eisner war.“

Schon am nächsten Tag wurde der Mörder folgerichtig durch die bayerische Landesregierung zu lebenslanger Festungshaft begnadigt. Neithardts Beförderung zum Landgerichtsdirektor am Landgericht München I 1922 ließ damit nicht lange auf sich warten.

Eine weiterer Prozess unter seinem Vorsitz war der Prozess im Juni/Juli 1923 gegen die Beteiligten der „Fuchs-Machhaus-Verschwörung“,[3] in dem die Verstrickung bayrischer Regierungsstellen in diesen Putschversuch vertuscht wurde.

Neithardt kannte Hitler von einer Vorstrafe im Januar 1922. Damals hatte er ihm von einer dreimonaten Gefängnisstrafe wegen Landfriedensbruchs, nämlich der gewaltsamen Sprengung einer Versammlung des Bayernbundgründers Otto Ballerstedt, zwei Monate auf Bewährung „erlassen“.

Neithardt unterstützte Hitler schon im Vorfeld des Hochverratsprozesses, in dem er dessen Überstellung an den von Rechts wegen zuständigen Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik, einem beim Reichsgericht in Leipzig zum Zwecke des Republikschutzes eingerichteten besonderen Gerichtshof, verhinderte. Damit folgte Neithardt der Linie der bayerischen Staatsregierung. Deren Justizminister Franz Gürtner (DNVP) hatte schon wenige Tage nach dem Putsch erklärt, er sei politisch außer Stande, dem Ersuchen, einen vom zuständigen Staatsgerichtshof in Leipzig erlassenen Haftbefehl, Folge zu geben; denn mit Ausnahme der Linken seien sämtliche Parteien der Auffassung, dass der Prozess nicht vor dem Staatsgerichtshof stattfinden dürfe. Tatsächlich gab es dann auch kein solches Ersuchen. Neithardt ließ Hitler und den Mitangeklagten breitesten Raum zur politischen Selbstdarstellung. Rechtswidrig wurden Hitlers damalige Vorstrafen nicht zum Gegenstand der Verhandlung gemacht, ebenso wenig wie die Tatsache, dass vier Beamte der Münchner Polizei von den Putschisten erschossen worden waren. Neithardt verurteilte Hitler schließlich rechtswidrig lediglich zur Mindeststrafe von fünf Jahren und stellte entgegen gültigem Recht, dem bereits bewährungsbrüchigen Straftäter die Aussetzung eines Strafrestes in Aussicht. Tatsächlich verbüßte Hitler nur etwa acht Monate Festungshaft. Die nach geltendem Recht zwingende Folge der Ausweisung des österreichischen Staatsangehörigen Hitler unterblieb.

Schon während des Prozesses hatte Neithardt einem Politiker, der ihn auf die Regelung des Republikschutzgesetzes, wonach eine Ausweisung zwingend war, geantwortet, dies sei nicht in Betracht zu ziehen, weil Hitler im deutschen Heer gekämpft habe. Dem damaligen Staatsrat Fritz Schäffer erklärte er, der Prozess müsse so geführt werden, dass der nationale Gedanke nicht Schaden leide.

Neithardt befand sich mit seiner Auffassung in weitgehender Übereinstimmung mit der öffentlichen Meinung. Nur beispielshaft sei auf das damals von dem bekannten Komiker Weiß Ferdl Abend für Abend gesungene und heftig beklatschte Gedicht hingewiesen:

Deutsche Männer stehen heute
vor den Schranken des Gerichts,
mutig sie die Tat bekennen
zu verschweigen gibt´s da nichts!
Sagt, was haben die verbrochen?
Soll es sein gar eine Schand,
wenn aus Schmach und Not will retten
man sein deutsches Vaterland?
Laß dir solche Männer ja nicht nehmen,
denn sie zeigen frei und unbeirrt
dir den Weg, der dich zur Freiheit führt!

Versuche der Staatsanwaltschaft, vertreten durch I. Staatsanwalt Ludwig Stenglein bzw. dessen „rechte Hand“ Hans Ehard und des weiteren II. Staatsanwalts Martin Dresse, die vorzeitige Entlassung Hitlers auf Bewährung zu verhindern, der Einwand, die Führung der Verurteilten während der Festungshaft in Landsberg sei keineswegs einwandfrei gewesen, sie hätten sich vielmehr an der illegalen Fortführung und Neuorganisation der im Kampfbund vereinigten Verbände beteiligt, mit denen sie das hochverräterische Unternehmen vom 8. und 9. November durchgeführt hätten, fanden in der Justiz kein Gehör.

Kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde Neithardt zum Präsidenten des Oberlandesgerichts München ernannt. Am 1. Januar 1934 erhielt er zusätzlich das Amt des Präsidenten der Reichsdisziplinarkammer in München und wurde Mitglied des Familienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht. Drei Jahre später wurde Neithardt mit einer persönlichen Dankesurkunde Hitlers aus dem Dienst verabschiedet.

Im Zuge der Entnazifizierung wurde – auch im Hinblick auf die erheblichen Pensionsbezüge seiner Witwe – ein Spruchkammerverfahren gegen den Nachlass geführt. Zunächst wurde Neithardt als so genannter Hauptschuldiger eingestuft, der Nachlass eingezogen (Spruchkammer München am 11. März 1950). Über verschiedene Instanzen hinweg verflüchtigte sich dieser Vorwurf: Durch Kassationshofbeschluss des bayerischen Sonderministeriums vom 10. Juli 1951 wurde entschieden, dass Neithardt auch kein so genannter Belasteter sei. Das Verfahren wurde auf Kosten der Staatskasse eingestellt.

Einzelnachweise

  1. Kösener Corpslisten 1960, 20, 273
  2. BR 2 Radiowissen: Münchner Geschichte(n) Zwischen Bierkeller und Salon - Hitler in München abgerufen am 4. August 2010.
  3. Lothar Gruchmann, Justiz im Dritten Reich 1933-1940: Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner, 3. Auflage, München 2001, S. 37.

Literatur

  • Otto Gritschneder: Der Hitler-Prozeß und sein Richter Georg Neithardt. Skandalurteil von 1924 ebnet Hitler den Weg. ISBN 3406482929.
  • Otto Gritschneder: Der bayerische Richter Georg Neithardt und sein folgenschweres Hitler-Urteil von 1924. In: NJW. 2001, S. 484 ff.
  • Der Hitler-Prozess 1924. Teil 1 bis 4. In: Reden, Schriften, Anordnungen: Februar 1925 bis Januar 1933. Saur, München 1997–1999, ISBN 3-598-21930-X.

Weblinks


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