Alexanderplatz-Demonstration

Alexanderplatz-Demonstration
Demonstranten auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989

Mit Alexanderplatz-Demonstration wird die größte nicht staatlich gelenkte Demonstration in der Geschichte der DDR bezeichnet, die am 4. November 1989 in Ost-Berlin stattfand. Sie war die erste offiziell genehmigte Demonstration in der DDR, die nicht vom Machtapparat, sondern vom Volk ausgerichtet wurde und gilt als Meilenstein der friedlichen Revolution in der DDR. Die Demonstration und Abschlusskundgebung auf dem Alexanderplatz richtete sich gegen Gewalt und für verfassungsmäßige Rechte, Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Inhaltsverzeichnis

Vorbereitung

Die Initiative zur Demonstration ging ab Mitte Oktober von Schauspielern und Mitarbeitern an Ost-Berliner Theatern aus. Unter dem Eindruck der Übergriffe von Volkspolizei und Stasi gegen Demonstranten während der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR fand am 15. Oktober 1989 eine Versammlung von 800 Theaterleuten in Berlin statt, auf der als erste Jutta Wachowiak den Vorschlag einer Demonstration für eine demokratische DDR machte. Wachowiaks Vorschlag war auf Anregung des Neuen Forums entstanden. Am 17. Oktober 1989 stellte eine Gruppe von Theaterleuten den Antrag auf Zulassung einer Demonstration für die Artikel 27 und 28 der Verfassung der DDR, der am 26. Oktober 1989 genehmigt wurde.[1] Als offizielle Veranstalter fungierten die Künstler der Berliner Theater, der Verband der Bildenden Künstler, der Verband der Film- und Fernsehschaffenden und das Komitee für Unterhaltungskunst.

Ablauf

Ulrich Mühe (links) und Johanna Schall (rechts am Mikrofon)
Teilnehmende Schauspieler während der Demonstration

Die Demonstration startete um 10 Uhr vor dem ADN-Gebäude an der Mollstraße Ecke Prenzlauer Allee, von wo der Demonstrationszug über die Karl-Liebknecht-Straße bis zum Palast der Republik ging, den Palast über den Marx-Engels-Platz umrundete, bevor er über die Rathausstraße zum Alexanderplatz führte – dem Ort der Abschlusskundgebung, die über drei Stunden andauerte. Rund eine halbe Million Menschen nahmen an der Demonstration teil. Die Veranstalter selber gingen von einer Million Teilnehmern aus. Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk ist der Ansicht, aus logistischen Gründen hätten nicht mehr als 200.000 Menschen an dieser Veranstaltung teilnehmen können.[2]

Unter den mehr als 20 Rednern waren unter anderem Politiker wie Manfred Gerlach und Günter Schabowski, Stasi-Generaloberst a. D. Markus Wolf, Rechtsanwalt Gregor Gysi, Hochschulrektor Lothar Bisky, Schriftsteller Christoph Hein, Stefan Heym, Christa Wolf und Heiner Müller, als Vertreter des Neuen Forums Jens Reich; Marianne Birthler für die Initiative Frieden und Menschenrechte sowie die Schauspieler Steffie Spira, Ulrich Mühe und Jan Josef Liefers. Außerdem traten Liedermacher wie Kurt Demmler und Gerhard Schöne auf. Dem von Bärbel Bohley ebenfalls eingeladenen Wolf Biermann war von den DDR-Grenzbehörden am Grenzübergang Friedrichstraße die Einreise verweigert worden.[2] Die „Vertreter der etablierten Ordnung“ (Gerlach, Schabowski, und besonders Wolf, der als langjähriger Leiter der HVA besonders mit der Stasi identifiziert wurde) wurden – ungeachtet ihrer Selbstdarstellung als Reformer – immer wieder von Sprechchören und Pfeifkonzerten unterbrochen.[3]

„Als ich sah, daß seine Hände zitterten, weil die Leute gepfiffen haben, da sagte ich zu Jens Reich: So, jetzt können wir gehen, jetzt ist alles gelaufen. Die Revolution ist unumkehrbar.“

Bärbel Bohley, die in der Nähe von Markus Wolf stand, über den 4. November 1989.[4]

„Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen! Nach all' den Jahren der Stagnation – der geistigen, wirtschaftlichen, politischen; – den Jahren von Dumpfheit und Mief, von Phrasengewäsch und bürokratischer Willkür, von amtlicher Blindheit und Taubheit. […] Einer schrieb mir – und der Mann hat recht: Wir haben in diesen letzten Wochen unsere Sprachlosigkeit überwunden und sind jetzt dabei, den aufrechten Gang zu erlernen!“

Stefan Heym auf der Demonstration am 4. November 1989.

Zahlreiche Teilnehmer trugen selbst gemalte Transparente mit Losungen wie „Wir sind keine Fans von Egon Krenz“, „Volksentscheid zum Führungsanspruch der SED“, „Freie Wahlen statt falscher Zahlen“ und „Rücktritt ist Fortschritt“. Die Kreativität und der Witz, die sich in vielen Transparenten zeigten, waren ein besonderes Kennzeichen dieser Demonstration.[2] Die Demonstration wurde, ohne vorherige Ankündigung, live im DDR-Fernsehen übertragen.

Beamte der Volkspolizei waren kaum sichtbar; als freiwillige Ordner fungierten Künstler, die für diese Funktion mit farbigen Schärpen mit der Aufschrift „Keine Gewalt“ gekennzeichnet waren. Die Ost-Berliner Grenztruppen waren jedoch in erhöhter Alarmbereitschaft, da die DDR-Führung einen Durchbruch der Demonstranten zur Berliner Mauer befürchtete. Zusätzlich verlegte in der Nacht vom 3. auf den 4. November die 1. MSD vierzehn Hundertschaften NVA-Soldaten nach Ost-Berlin,[5] die während der Demonstration gedeckt in Bereitschaft standen.

Wirkung und Rezeption

Ein großer Teil der Transparente der Alexanderplatz-Demonstration wurde nach Ende der Veranstaltung gesammelt und 1994 dem Deutschen Historischen Museum Berlin übergeben. Zum zehnjährigen Jubiläum der Demonstration fanden in Berlin im November 1999 unter dem Motto „Wir waren das Volk.“ Ausstellungen, Diskussionen und künstlerische Aktionen statt. Unter anderem wurde das Haus des Lehrers mit einem acht Stockwerke hohen Transparent mit dem Motto versehen.[6] Die historische Bedeutung der Alexanderplatz-Demonstration wird durch den Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk als hoch eingeschätzt, da auf ihr besonders viele bekannte Persönlichkeiten zu Wort gekommen seien und sie aufgrund der Übertragung durch die DDR-Massenmedien eine hohe Breitenwirkung erlangt habe.[2]

Literatur

Weblinks

 Commons: Alexanderplatz-Demonstration – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Karsten Timmer: Vom Aufbruch zum Umbruch – die Bürgerbewegung in der DDR 1989. Göttingen 2000, S. 277.
  2. a b c d Ilko-Sascha Kowalczuk: Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR, C.H. Beck, München 2009, S. 446 ff.
  3. Hörzitate beim Deutschen Historischen Museum und vgl. Karsten Timmer: Vom Aufbruch zum Umbruch – die Bürgerbewegung in der DDR 1989. Göttingen 2000, S. 276–280.
  4. Gabor Steingart und Ulrich Schwarz: „Wir waren abgedriftet“ – Spiegelgespräch mit Lothar Bisky, Bärbel Bohley, Manfred Gerlach, Jens Reich, Steffie Spira, und Markus Wolf. In: „Der SPIEGEL“, Nr. 45/1994 vom 7. November 1994, Seite 40. Siehe dazu auch Karsten Timmer: Vom Aufbruch zum Umbruch: die Bürgerbewegung in der DDR 1989, Vandenhoeck & Ruprecht, 2000, S. 278–279.
  5. Rüdiger Wenzke: Die Nationale Volksarmee (1956–1990). In: Torsten Diedrich (Hrsg.): Im Dienste der Partei : Handbuch der bewaffneten Organe der DDR, 2. durchges. Auflage. Ch. Links, Berlin 1998, ISBN 3-86153-160-7, S. 512.
  6. Programm „Wir waren das Volk.“ vom 4. November 1999 beim Bezirksamt Mitte von Berlin. (Abgerufen am 6. November 2009.)

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