Globalgeschichte

Globalgeschichte

Weltgeschichte (auch Universalgeschichte oder Globalgeschichte) ist eine Teildisziplin der Geschichtswissenschaft und beschäftigt sich im Idealfall mit der Entwicklung der gesamten Menschheit. Der vorliegende Artikel befasst sich mit der Geschichte dieser Teildisziplin.

Inhaltsverzeichnis

Möglichkeiten und Grenzen der Weltgeschichte

Bereits Herodot verstand seine „Historien“, das erste Werk der europäischen Geschichtsschreibung, als Weltgeschichte, insofern er darin die Entwicklung der ganzen damals bekannten Welt, der Oikumene, nachzeichnete. Geschichtsschreiber wie Diodor führten diese Tradition fort. Die mittelalterlichen Weltchroniken - etwa die Chronica sive Historia de duabus civitatibus des Otto von Freising - erhoben ebenfalls den Anspruch, die ganze Menschheitsgeschichte zu umfassen. Sie begannen mit der Erschaffung der Welt, streiften die persische, griechische und römische Geschichte des Mittelmeerraums und endeten in ihrer jeweiligen Gegenwart.

Der Raum

Theoretisch ist die Weltgeschichte also räumlich und zeitlich unbegrenzt. Gemessen an der Frage des Raums ist eine Weltgeschichte aber praktisch erst möglich geworden, seit ein Teil der Menschheit in die Lage versetzt wurde, den ganzen Planeten in den Blick zu nehmen, konkret: seit den Entdeckungsfahrten der Europäer und dem Beginn der europäischen Expansion ab der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert.

Infolgedessen blieb die Weltgeschichte bis in die jüngste Zeit hinein stark eurozentristisch. Als universalhistorische Darstellungen wurden in der Regel alle Werke angesehen, die zumindest die Geschichte Europas, Amerikas, Vorderasiens und Nordafrikas behandelten und zueinander in Beziehung setzten - das heißt alle Weltregionen mit denen Europa in direktem Austausch stand. Seit dem 18. Jahrhundert fanden auch Ostasien mit dem Kaiserreich China, Japan und Indien zunehmend Beachtung, während Schwarzafrika, Südostasien, Australien und Ozeanien bis heute nur eine untergeordnete Rolle in der Weltgeschichte spielen.

Die Zeit

Chronologisch setzte die traditionelle Weltgeschichte mit der europäischen Antike oder mit den Kulturen Ägyptens und des Alten Orients ein und führt bis in die jeweilige Gegenwart. Erst die Entwicklung der Archäologie als Wissenschaft im 19. Jahrhundert erlaubte auch die Einbeziehung der schriftlosen Vor- und Frühgeschichte.

Weltgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert

Aufgrund der kaum zu bewältigenden Stofffülle bestehen neuere weltgeschichtliche Werke in der Regel aus vielbändigen Reihenpublikationen von Autorenkollektiven. Seit dem 19. Jahrhundert haben aber auch immer wieder einzelne Historiker die Weltgeschichte aus dem Blickwinkel der Geschichtsphilosophie heraus betrachtet: Sie fragen nicht nach den einzelnen Ereignissen, sondern nach den großen Entwicklungslinien der Menschheitsgeschichte und möglichen Deutungsschemata. Hier sind vor allem Jacob Burckhardt, Oswald Spengler und Arnold J. Toynbee zu nennen. Für sie ist das Subjekt der Geschichte nicht die so genannte welthistorische Persönlichkeit, sondern die Menschheit und ihre Kulturen.

Toynbee stellte in seinem 12-bändigen Hauptwerk A Study of History fest, es könne nicht darum gehen, den Umfang des Materials weiter zu vergrößern; vielmehr gelte es, die unübersichtliche Fülle des Stoffs durch generalisierende Distanz zu bewältigen.

Weltgeschichte im 21. Jahrhundert

World History

Das klassische Werk von William H. McNeill The Rise of the West (Der Aufstieg des Westens, 1963) gab innerhalb der US-Geschichtswissenschaft den Anstoß zur Entwicklung der „World History“-Strömung, die seit den 1980er Jahren festere Formen als eigenständige Unterdisziplin an den Hochschulen annahm und zunehmend in den US-Schulunterricht Eingang findet. Bekannte VertreterInnen dieser Strömung bzw. im weitesten Sinn dazu zu rechnen sind z. B. William H. McNeill, John R. McNeill, Immanuel Wallerstein, André Gunder Frank, Janet Abu Lughod, Jerry Bentley, Patrick Manning, Alfred Crosby oder Jared Diamond. Wesentliche Kristallisationskerne dieser mittlerweile über die USA hinausgreifenden Strömung sind die World History Association 1 und diverse Fachzeitschriften.

World History knüpft an diverse Vorläufer wie z. B. die französische Annales-Schule an, und versteht sich als eine Reaktion auf die bzw. als ein Bestandteil der Globalisierung. Hauptanliegen dieser Strömung ist die Überschreitung von räumlichen und zeitlichen Grenzen der Geschichtsschreibung, denn reale Kausalketten halten sich nicht an ethnozentrische Weltbilder. Gefordert wird die Abkehr von eurozentrischen bzw. westlich zentrierten Perspektiven in der Beschreibung und Erklärung der Geschichte der Menschheit. Gesellschaften bzw. Zivilisationen werden weder räumlich noch zeitlich isoliert betrachtet: die nationalstaatliche Perspektive wird konsequent überschritten, um weiträumige Verflechtungen zu verfolgen und die Betrachtung enger Zeiträume (wie z.B. der letzten 500 Jahre) wird durch die Analyse langfristiger Entwicklungen ergänzt. In räumlicher Hinsicht stehen die Verflechtungen („cross-cultural interactions“) über große Entfernungen im Zentrum der Aufmerksamkeit, in zeitlicher Hinsicht die Muster der Entwicklung. Themen sind z.B. die weiträumige Diffusion von technischen und kulturellen Innovationen, Tieren, Pflanzen und Krankheitserregern, das regelmäßige Auf und Ab der Reiche und die damit verbundenen Schübe und Rückschritte in der Verflechtung von Gesellschaften, der kontinuierliche Konflikt zwischen Zentren und Peripherien oder die Regeln der Verlagerung der Zentren.

Weltgeschichte/Globalgeschichte in Deutschland

Diese Entwicklung in der amerikanischen Geschichtswissenschaft beeinflusst mit jahrelanger Verzögerung allmählich auch die europäische und deutsche Debatte, die hier auch unter dem Begriff „Globalgeschichte“ geführt wird. In Europa, speziell in Deutschland, sind jedoch allenfalls Anfänge einer Weltgeschichte im Sinne der Menschheitsgeschichte zu erkennen. Ein Kristallisationspunkt dieses Ansatzes ist das 2002 gegründete European Network in Universal and Global History mit Mitgliedern aus verschiedenen west- und osteuropäischen Ländern.

Die Vertreter der deutschen Globalgeschichte wollen dem Prozess der Globalisierung verstärkt Rechnung tragen und die europazentrierte Sicht auf die Weltgeschichte aufbrechen, die oft von einem nationalstaatlichen Standpunkt aus betrieben wurde und vom 18. bis zum 20. Jahrhundert bestimmend war. Vergleichbar ist das mit den historischen Konzepten wie u.a. transnationale Geschichte oder histoire croisée. Die bisherigen Deutungsmuster wie die aus der Historischen Sozialwissenschaft bzw. Soziologie reichen den VertreterInnen dieses Ansatzes hierfür nicht aus. Im Unterschied zur traditionellen Universalgeschichte, welche eine geschichts- bzw. religionsphilosophische oder auch anthropologische Konnotation hat, ist es bei der Globalgeschichte die neue Kulturgeschichte bzw. Kulturwissenschaft, von der sie ihre eigentlichen Impulse erhält. Die Absage an die traditionelle Universalgeschichte, deren Niedergang seit den 1960er Jahren einsetzt, hat auch ihre Ursache in einer Polarisierung der Wahrnehmung der Welt wie Nord-Süd wie auch West-Ost. Die teleologische Deutung der Universalgeschichte oder der Weltgeschichte wird abgelehnt. Gleichzeitig versucht man die bisherigen historiographischen Deutungsweisen auf ihre Brauchbarkeit hin zu überprüfen. Das betrifft nicht zuletzt Fragen der Periodisierung. Weiterhin hat hierbei auch der Europagedanke seinen Anteil, weil damit neue Antworten auf neue Fragen hinsichtlich der Stellung von Europa in der Welt gefunden werden müssen.

Big History

Während World History die Menschheit auf dem ganzen Planeten in den Blick nimmt, bezieht sich der Ansatz der Big History auf die Geschichte des gesamten Universums. World History stellt die Geschichte einzelner Gesellschaften in den Kontext der Weltgeschichte, und Big History stellt die Weltgeschichte in den Zusammenhang der Geschichte des Universums. Dabei werden im Anschluss an Norbert Elias (und teilweise Karl Popper) die Ebenen der physikalisch-chemischen, der biologischen und der soziokulturellen Evolution unterschieden, deren gemeinsamen Muster und wesentlichen Unterschiede herausgearbeitet werden sollen. Zentral ist hierbei der Begriff der Komplexitätssteigerung. Wichtige Impulse für Big History kommen aus den Niederlanden (Fred Spier) und Australien (David Christian). Innerhalb der World History community werden diese Ansätze mittlerweile intensiv diskutiert.

Siehe auch

Literatur

Klassische Universalgeschichte

  • Harttung, Pflugk: Welt Geschichte, Verlag: Ullstein Verlag 1903 Berlin
  • Burckhardt, Jakob: Weltgeschichtliche Betrachtungen, 1905
  • Gerard Serrade: Leere Zeiten – oder: Das abstrakte Geschichtsbild. Logos, Berlin 1998, ISBN 3897220164
  • Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. Band 1, Wien 1918, Band 2, München 1922
  • Toynbee, Arnold J.: A Study of History, Bd. I-X, London 1934-1954, Zusatzbde. XI-XII ebda. 1959/61 (autorisierte deutsche Kurzfassung: Der Gang der Weltgeschichte, 2 Bde., Zürich 1949 u. 1958)
  • ders.: Mankind And Mother Earth - A Narrative History Of The World, Oxford, 1976 (dt. Menschheit und Mutter Erde. Die Geschichte der großen Zivilisationen, Claassen Verlag GmbH, Düsseldorf, 1979)

Traditionelle Weltgeschichte der Nachkriegszeit

  • Fischer Weltgeschichte, 36 Bde., Frankfurt a.M. 1965 ff.
  • Mann, Golo/ Heuss, Alfred (Hg.) (1961-1965): Propyläen Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte. 11 Bde. Frankfurt/M, Berlin, Wien.
  • Demandt, Alexander (2003): Kleine Weltgeschichte. Die ganze Weltgeschichte in einem Band, München: Beck. ISBN 3406508219 - Rezension, Rezension

Moderne World History/ Weltgeschichte

  • Abu Lughod, Janet (1989): Before European hegemony: the world system A. D. 1250-1350. Oxford: Oxford University Press. ISBN 0-19-506774-6 Rezension
  • Bayly, Christopher A.: Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780-1914. Campus Verlag, 2006, 700 Seiten, ISBN 978-3593381602
  • Bentley, Jerry H. (1996): Cross-Cultural Interaction and Periodization in World History. In: American Historical Review 101 (3), S. 749-770.
  • Bentley, Jerry H./ Ziegler, Herbert F. (2006): Traditions and Encounters. A Global Perspective on the Past. 3rd edition. Boston: McGraw-Hill. - Rezension, Rezension
  • Borchardt, Knut (2001): Globalisierung in historischer Perspektive. (= Bayerische Akademie der Wissenschaften, Sitzungsberichte, Jahrgang 2001, Heft 2). München: Verlag der bayerischen Akademie der Wissenschaften/ Beck.
  • Sebastian Conrad, Andreas Eckert, Ulrike Freitag (Hrg.): Globalgeschichte. Theorien. Ansätze, Themen. Campus Verlag, 2007, ISBN 3593383330
  • Crosby, Alfred W. (1986): Ecological imperialism: the biological expansion of Europe, 900 - 1900. (Studies in environment and history). Cambridge: Cambridge University Press. - Rezension
  • Diamond, Jared (1999): Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften. Frankfurt/ Main: Fischer Taschenbuch Verlag. - Rezension, Rezension, Rezension
  • Geiss, Imanuel (2006): Geschichte im Überblick: Daten und Zusammenhänge der Weltgeschichte. Überarbeitete und erweiterte Neuauflage. Reinbek: Rowohlt.
  • Edelmayer, Friedrich/ Feldbauer, Peter/ Wakounig, Marija (Hg.) (2002): Weltregionen 4 - Globalgeschichte 1450 - 1620. Wien: Promedia. - Verlagsinformation und Rezensionen
  • Frank, André Gunder (1998): ReOrient. Global Economy in the Asian Age. Berkeley: University of California Press. - Zum Inhalt, Rezensionen, Rezensionen, Rezension
  • Fuchs, Eckhard/ Oslund, Karen (2006): Guest Editorial: Teaching World History: Introductory Remarks. In: World History Connected 3.3.
  • Grandner, Margarete/ Komlosy, Andrea (Hg.)(2004): Vom Weltgeist beseelt: Globalgeschichte 1700 - 1815. Wien: Promedia. - Rezension, Rezension
  • Manning, Patrick (2003): Navigating World History. New York: Palgrave Macmillan. - Zusammenfassung, Rezension, Rezension, Rezension
  • McNeill, William Hardy (1964): The Rise of the West. A history of the human community. 5. impr.. Chicago: Univ. of Chicago Press. XVIII, 829 S.
  • McNeill, John R./ McNeill, William H. (2003): The Human Web. A Bird's Eye View of World History. New York: Norton. - Rezension
  • Münkler, Herfried (2005): Imperien. Die Logik der Weltherrschaft. Lizenzausgabe. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. - Rezension, Rezension, Rezensionen, Interview
  • Osterhammel, Jürgen/ Peterson, Niels P. (2003): Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen. München: Beck. - Rezension
  • Nolte, Hans-Heinrich (2005): Weltgeschichte. Imperien, Religionen und Systeme, 15.-19. Jahrhundert. Wien/Köln/Weimar: Böhlau. ISBN 3-205-77440-X
  • Schissler, Hanna (2005): Weltgeschichte als Geschichte der sich globalisierenden Welt. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 1-2, S. 33-39
  • Weber, Wolfgang E. J. (2001): Universalgeschichte. In: Aufriß der Historischen Wissenschaften, Band 2: Räume, S. 15-98, Stuttgart.
  • Wallerstein, Immanuel (2004): World-Systems Analysis. An Introduction. Durham/ London: Duke University Press. - Rezension

Big History

  • Christian, David (2005): Maps of Time. An introduction to Big History. Foreword by William H. McNeill. Berkeley: University of California Press. ISBN 0-520-24476-1. Verlagsdarstellung, Rezension
  • Spier, Fred (1998): Big History. Was die Geschichte im Innersten zusammenhält. (Originaltitel: The Structure of Big History from the Big Bang Until Today). Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Weblinks


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