- Großes ß
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Das große ß – ẞ – (auch: versales ß, großes SZ, großes Eszett) ist die Großbuchstabenform des Kleinbuchstabens ß (Eszett). Sie ist nicht Bestandteil der amtlich verbindlichen deutschen Rechtschreibung. Über eine Aufnahme dieses Buchstabens in das deutsche Alphabet wird seit Ende des 19. Jahrhunderts diskutiert. Anfang 2008 wurde das große ß als neues Zeichen in den internationalen Standard Unicode für Computerzeichensätze aufgenommen, am 24. Juni 2008 trat die entsprechende Ergänzung der Norm ISO/IEC 10646 in Kraft.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Das ß kommt im Deutschen niemals am Wortanfang vor. Deshalb stellt sich die Frage nach seiner großgeschriebenen Form nur, wenn ganze Wörter in Versalien geschrieben werden. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die deutsche Sprache hauptsächlich in gebrochenen Schriften geschrieben und gesetzt, in denen zur Schriftauszeichnung aus praktischen und ästhetischen Gründen nur selten Versalien verwendet wurden; üblicher war der Sperrsatz. Deshalb entstand eine größere Nachfrage nach einem großen ß erst Anfang des 20. Jahrhunderts, als deutsche Sprache vermehrt in Antiqua gesetzt wurde. Die versale Schriftauszeichnung wurde immer häufiger bei Überschriften, Plakaten, Schildern, Grabmälern, Urkunden u.ä. verwendet. In Ermangelung eines Großbuchstabens bleibt das ß im Versalsatz entweder als Kleinbuchstabe erhalten oder es wird durch die Buchstabenpaare „SS“ oder „SZ“ ersetzt.
Großbuchstabe ß
Vorschläge, für das Eszett im Antiquasatz eine Majuskelform einzuführen, gab es seit 1879, als solche in der Fachzeitschrift Journal für Buchdruckerkunst veröffentlicht wurden.[1]
Im Duden von 1925 wurde der Bedarf nach einer Normierung eines großen ß formuliert:
„Die Verwendung zweier Buchstaben für einen Laut ist nur ein Notbehelf, der aufhören muss, sobald ein geeigneter Druckbuchstabe für das große ß geschaffen ist.“[2]
Die Titel der DDR-Duden von 1957 und 1960 (15. Auflage) zeigten ein großes Eszett, für die Rechtschreibung galt allerdings weiterhin obige Regel.
In der sechzehnten Auflage von 1969 wurde auch noch die Entwicklung eines großen „ß“ in Aussicht gestellt:
„Das Schriftzeichen ß fehlt leider noch als Großbuchstabe. Es wird jetzt noch ersetzt durch SS oder, falls Mißverständnisse möglich sind, durch SZ. Bemühungen es zu schaffen, sind im Gange.“[3]
In der 25. Auflage von 1984 fehlte dann solch ein Hinweis, auch die Wörter „leider noch“ im ersten Satz bzw. „jetzt noch“ im zweiten wurden gestrichen:
„Das Schriftzeichen ß fehlt als Großbuchstabe. Es wird ersetzt durch SS oder, falls Mißverständnisse möglich sind, durch SZ.“[4]
Versalsatz ohne großes ß
Die gegenwärtigen amtlichen Regeln[5] zur neuen deutschen Rechtschreibung kennen keinen Großbuchstaben zum ß: „Jeder Buchstabe existiert als Kleinbuchstabe und als Großbuchstabe (Ausnahme ß)“. Im Versalsatz empfehlen die Regeln, das „ß“ durch „SS“ zu ersetzen: „Bei Schreibung mit Großbuchstaben schreibt man SS, zum Beispiel: Straße – STRASSE.“
Die Ersetzungsregeln für den Versalsatz änderten sich im Laufe der letzten hundert Jahre. Die deutsche Rechtschreibung von 1901 ersetzte das Eszett durch „S“ und „Z“. So wurde „Preußen“ im Versalsatz zu „PREUSZEN“. Im Laufe des 20. Jahrhunderts bürgerte sich aber immer mehr die Ersetzung durch „SS“ ein. Die Entwicklung der Rechtschreibregeln im westdeutschen Duden spiegelt die Koexistenz der beiden Formen wider. Kurz vor der Rechtschreibreform von 1996 war die Schreibweise „SZ“ nur noch in Ausnahmefällen möglich, wenn eine Ersetzung durch „SS“ zu Verwechslungen führen würde. So wurde „Masse“ zu „MASSE“, aber „Maße“ zu „MASZE“. Auch die DDR-Ausgaben des Duden von 1969 und 1984 machten nur noch bei Missverständnissen solch eine Unterscheidung und sprechen sich ansonsten für „SS“ aus: „STRASSE, ROCKSCHÖSSE; IN MASSEN GENOSSEN, hier besser: IN MASZEN GENOSSEN“.[3][4]
Die neue deutsche Rechtschreibung schreibt seit 1996 für den Versalsatz die einheitliche Ersetzung von Eszett durch den Doppelbuchstaben „SS“ vor, entsprechend dem traditionell üblichen Gebrauch. Eine Unterscheidung etwa zwischen „Masse“ und „Maße“ ist damit im Versalsatz nicht mehr möglich.
Die Ersetzung des Eszett durch andere Großbuchstaben führt insbesondere bei Eigennamen zu Mehrdeutigkeiten. Der Name „WEISS“ könnte für „Weiß“ oder „Weiss“ stehen, der Name „LISZT“ für „Lißt“ oder „Liszt“. Deswegen bildete sich als dritte Möglichkeit der Mischsatz heraus. Das Eszett wird nicht ersetzt. Der Name „Weiß“ wird im versalen Mischsatz zu „WEIß“. Diese Schreibweise wird seit den 1980er Jahren im nicht maschinenlesbaren Teil der deutschen Reisepässe und Personalausweise angewandt, da einerseits der Name in Versalien gesetzt wird, aber andererseits eine korrekte Wiedergabe der „Originalschreibweise“ wichtig erscheint (im maschinenlesbaren Abschnitt wird jedoch korrekterweise „WEISS“ geschrieben). Auch die Deutsche Post AG empfiehlt, beim Ausfüllen von Formularen in Großbuchstaben das Eszett beizubehalten.
Aus typographischer Sicht wird hier die Unausgewogenheit des Schriftbildes kritisiert, da sich die Formen der Groß- und Kleinbuchstaben der verwendeten Schrift in der Regel in Breite, Höhe und Strichdicke unterscheiden.
Die Geschäftsführerin des Rates für deutsche Rechtschreibung Kerstin Günter begründet die Haltung des Rates zum großen ß mit den Worten: „Es ist […] eine Frage, die schon seit Jahrzehnten unbeantwortet ist und es wohl auch auf geraume Zeit auch bleiben wird. Der Grund liegt darin, daß es dem Rat für deutsche Rechtschreibung nicht zusteht, Schriftzeichen zu erfinden. Seine Aufgabe ist es, die Schreibung zu beobachten und darauf zu achten, daß Regeln und Schreibgebrauch sich im Einklang befinden. Es bedarf also einer Initiative aus der Schreibgemeinschaft (z. B. vonseiten der Typografen), um hier auf der Basis eines gesellschaftlichen Konsens Abhilfe zu schaffen.“ (Kerstin Günter[1])
Gestaltung des neuen Buchstabens
Ein höherer ästhetischer Anspruch als bei Dokumenten besteht bei Plakaten und insbesondere bei Grabinschriften, wo ebenfalls der korrekte Name unbedingt erhalten bleiben soll.[6]
Entsprechende Entwürfe gibt es ebenfalls seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Einzelne Schriftgestalter fügen ihren Schriftarten eine Glyphe bei, die das „ß“ im Versalsatz repräsentieren soll.
Es ist sehr umstritten, wie dieser neue Buchstabe geformt sein soll. Mehrere Ansätze werden diskutiert:
- Großes ß aus dem kleinen ß ableiten. Die Unterlänge behalten, aber die Zeichenproportionen an die anderen Großbuchstaben anpassen (vgl. Schriftart Ehmcke-Antiqua),
- Großes ß aus dem kleinen ß ableiten, aber eine Buchstabenform ohne Unterlänge entwickeln (vgl. Duden 1957),
- Großes Eszett als Ligatur aus den Großbuchstaben SS bzw. SZ konstruieren,
- Großes Eszett in Anlehnung an S und Z frei konstruieren,
- Großes Eszett frei konstruieren.
- Großes Eszett soll gut unterscheidbar zum Großbuchstaben B sein.
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Großes Eszett auf dem Titelblatt des Heftes Signa Nr. 9 [1]
Computersatz
Für den Computersatz gibt es mittlerweile eine gewisse Auswahl an Schriften mit großem Eszett. Haupthindernis für die praktische Nutzung war lange Zeit, dass jeder Hersteller das Zeichen anders codiert hat. Seit April 2008 ist das große Eszett in den Unicode-Standard aufgenommen. Windows 7 liefert einige Systemschriften (s. u.) mit Unterstützung für ẞ mit.
Unicode
Im Jahr 2004 beantragte der Typograph Andreas Stötzner, Herausgeber der Zeitschrift SIGNA, beim Unicode Consortium die Aufnahme eines Latin Capital Letter Double S in Unicode.[7] Der Antrag wurde aus technischen Gründen verworfen – und weil die Existenz dieses Buchstabens nicht ausreichend bewiesen war.[8]
Ein zweiter Antrag auf eine Aufnahme des großen ß als „Latin Capital Letter Sharp S“ wurde 2007 vom zuständigen DIN-Komitee gestellt.[9] Im Rahmen der 50. Sitzung der zuständigen ISO/IEC-Working-Group vom 23. bis 27. April 2007 wurde dem großen ß die Nummer U+1E9E zugewiesen.[10] Am 4. April 2008 wurde das große ß im Unicode-Standard Version 5.1 veröffentlicht.[11]
Zeichen Unicode
PositionUnicode
BezeichnungBezeichnung HTML
dezimalẞ U+1E9E LATIN CAPITAL LETTER SHARP S Lateinischer Großbuchstabe Eszett ẞ Parallel dazu erarbeitet die Medieval Unicode Font Initiative Zeichenbelegungen für Mittelalterforscher. In der aktuellen Version 3.0 dieses Standards wird für das große ß der oben angegebene Unicode-Codepoint empfohlen; in der vorhergehenden Version 2.0 aus dem Jahre 2006 wurde es hingegen noch als U+E3E4 kodiert, da es zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Unicode enthalten war.[12]
Tastaturbelegung
Eine offizielle Tastenbelegung gibt es nicht. Zudem muss für die korrekte Anzeige eine Schriftart verwendet werden, die das Zeichen enthält.
Für die Eingabe unter Mac OS X und Windows sind spezielle Tastaturtreiber erhältlich.[13]
Bei neueren Versionen der deutschen Standardtastenbelegung von X11, die von den meisten Linux-Distributionen genutzt wird, erscheint es, wenn man die Feststelltaste (⇩) aktiviert hat und auf die ß-Taste drückt. Bei älteren Versionen musste man ⇧ + Alt Gr + S betätigen. Diese Kombination ist auch weiterhin möglich.
Die Neo-Tastaturbelegung ermöglicht die Eingabe des großen ß mit ⇧ + ß.
Ausgewählte Schriften mit großem ß
Eine Reihe historischer und zeitgenössischer Schriften enthalten ein großes ß.
Bei neu entwickelten oder überarbeiteten Schriften wird es zunehmend berücksichtigt.
Historische Schriften
Entwerfer bekannt:
- Georg Belwe: Belwe-Antiqua (vier Schnitte, 1913), Belwe-Kursiv (1914), Shakespeare-Mediaeval (versch. Schnitte, 1927 bis 1930), Shakespeare-Kursiv (versch. Schnitte, 1928)
- Fritz Helmuth Ehmcke: Ehmcke-Antiqua (1909), Ehmcke-Kursiv (1910), Ehmcke-Rustika (1914)
- Jakob Erbar: Federgrotesk (1909)
- Jakob Erbar: Erbar-Grotesk (1910)
- Friedrich Wilhelm Kleukens: Kleukens-Antiqua (1910)
- Richard Grimm-Sachsenberg: Grimm-Antiqua (1911)
- F.H. Ernst Schneidler: Schneidler-Latein (1919), Schneidler-Kursiv (1920)
- Hermann Zehnpfundt: Journal-Antiqua (1910)
Entwerfer unbekannt:
- Schriftgießerei Schelter & Giesecke, Leipzig: Koralle (versch. Schnitte, 1913 bis 1931)[14], Roland-Grotesk (um 1914?), Schelter kursiv (1906), Tauperle (1912)[1]
- Schriftgießerei Klinkhardt, Leipzig: Diverse Hausschriften[1]
- Schriftgießerei nicht bekannt: Parcival (in Papier und Druck 1955/9)[1]
Computerschriften
- Windows 7: Times New Roman, Arial, Courier New, Tahoma, Verdana, Segoe UI, Segoe UI Light, Segoe UI Semibold.
- Mac OS X: Geneva
- Freie Schriften: DejaVu-Paket, Linux Libertine und Linux Biolinum, Junicode,
Sonstiges
Die 2008 gegründete Gießener Zeitung enthält ein großes ß im Zeitungskopf.
Literatur
- Hennig, Beate; Tjarks-Sobhani, Marita: Praxistipps Sprache: Das Versal-Eszett. In: technische kommunikation Heft 5, 2009. S. 42–44. (Onlinefassung (nur für registrierte Benutzer))
- SIGNA Nr. 9 – Das große Eszett, Edition Waechterpappel, Grimma 2006, ISBN 3-933629-17-9.
- SIGNA-Sonderheft 2008 anlässlich der Kodierung des versalen Eszetts in Unicode, 32 Seiten, zahlreiche Abbildungen, ISBN 978-3-933629-22-5 (formal falsche ISBN)
- Otto Schwarzer: Für ein großes SZ. In: „Sprachreport“, Heft 2, 1993, S. 11–13. Institut für deutsche Sprache. Mannheim 1993. Behandelt auch die typographische Gestaltung.
Weblinks
Wiktionary: ẞ – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen- Warum man ein großes Eszett benötigt, Typografie.info
- Vollständigere Schriftliste von Schriften mit großem ß, Typografie.info
- Artikel im typeFORUM zur DDR-Duden-Ausgabe von 1965
- Signa Nr. 9 – aktuelle Studien zum großen Eszett (2006, deutsch)
- Initiative zur Einführung des Großbuchstaben Eszett
- Das Comeback des ß, Orf.at, Juni 2008
- Neuer Buchstabe: Das große Eszett kommt, Focus.de
- Hätten Sie’s gewusst? Das große Eszett, Duden Newsletter vom 22. August 2008
- Versaleszett
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e f Signa - Beiträge zur Signographie. Heft 9, 2006 online
- ↑ Vorbemerkungen, XII. In: Duden – Rechtschreibung. 9. Auflage, 1925
- ↑ a b Der Große Duden. Wörterbuch und Leitfaden der deutschen Rechtschreibung. 16. Auflage, Leipzig 1969, S. 581, K 41.
- ↑ a b Der Große Duden. 25. Auflage, Leipzig 1984, S. 601, K 41.
- ↑ Deutsche Rechtschreibung. Regeln und Wörterverzeichnis. Entsprechend den Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung. Überarbeitete Fassung des amtlichen Regelwerks 2004. München und Mannheim Februar 2006. S. 15. (PDF)
- ↑ Andreas Stötzner: Dokumentation „Das versale ß“ (PDF)
- ↑ Andreas Stötzner: Vorschlag zur Kodierung eines versalen ß in Unicode (n2888.pdf PDF) (englisch)
- ↑ Unicode Consortium: Rejected Characters and Scripts. online (englisch); und als Kommentar dazu: Michael Kaplan: Every character has a story #15: CAPITAL SHARP S (not encoded) Michael Kaplan (Englisch)
- ↑ Cord Wischhöfer: Proposal to encode Latin Capital Letter Sharp S to the UCS. (n3327.pdf) (Englisch)
- ↑ Resolutions of WG 2 meeting 50 (Beschlüsse des 50. Treffens der Working-Group 2 des Subkomitees 2 des gemeinsamen Komitees von ISO und IEC, English)
- ↑ Specification for the Unicode Standard, Version 5.1.0
- ↑ MUFI Character Recommendations mufi.info
- ↑ signographie.de
- ↑ bleisetzer.de
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