Alfred Kubin

Alfred Kubin
Alfred Kubin 1904; Fotografie von Nicola Perscheid.

Alfred Leopold Isidor Kubin (* 10. April 1877 in Leitmeritz (Litoměřice), Böhmen; † 20. August 1959 in Zwickledt, Gemeinde Wernstein am Inn) war ein österreichischer Grafiker, Schriftsteller und Buchillustrator.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kubin besuchte ab 1887 ein Gymnasium in Salzburg, ab 1892 absolvierte er eine fotografische Lehrzeit in Klagenfurt. Er lebte ab 1898 in München, wo er zunächst die private Malschule von Ludwig Schmid-Reutte besuchte. Am 2. Mai 1899 immatrikulierte er sich an der Königlichen Akademie für das Fach Malerei bei Nikolaus Gysis. Dieses Studium brach er bald wieder ab. Nach mehreren Studienreisen im Jahr 1905 wurde er 1906 bei Wernstein am Inn auf dem alten Herrensitz Zwickledt ansässig. Hier lebte er bis an sein Lebensende: bis 1948 zusammen mit seiner Frau Hedwig Gründler, der verwitweten[1] Schwester des Schriftstellers Oscar A. H. Schmitz, die er 1904 geheiratet hatte, nach deren Tod in fast völliger Klausur[2]. Kubin schrieb zahlreiche Briefe, unter anderem korrespondierte er seit 1928 mit Karl Rössing und Hermann Hesse, seit 1931 mit Hans Fronius.

In Zwickledt entstand auch Kubins phantastischer Roman Die andere Seite, der 1909 mit zahlreichen Illustrationen Kubins erschien. Kubin beschreibt darin eine Welt der Halluzinationen und Weltuntergangsvisionen. Der fiktive Erzähler, wie Kubin Zeichner von Beruf, wird von einem alten Schulfreund in das von diesem geschaffene Traumreich eingeladen, wo er drei Jahre verbringt. Die anfängliche Faszination weicht einem immer stärkerem Grauen, bis die Traumstadt „Perle“ schließlich in einem apokalyptischen Szenario in sich zusammenbricht. Der Erzähler entkommt als einer der wenigen und hält seine Erlebnisse, im Schutze einer Heilanstalt, schriftlich fest.

Kubins und Gründlers letzte Wohnstätte im oberösterreichischen Zwickledt

Ebenfalls 1909 gründete er zusammen mit u.a. Wassily Kandinsky, Alexej von Jawlensky, Adolf Erbslöh, Gabriele Münter, Marianne von Werefkin und Karl Hofer die Neue Künstlervereinigung München (N.K.V.M.). Aus der N.K.V.M. ging 1911 die Redaktion des Blauen Reiters hervor, an deren zweiter Ausstellung, die nur grafische Arbeiten umfassten, er sich 1912 beteiligte. Er illustrierte etwa 60 Bücher, darunter Werke von Dostojewski und Edgar Allan Poe, veröffentlichte druckgrafische Mappenwerke (1921 „Am Rande des Lebens“, 1918 „Ein Totentanz“, 1941 „Abenteuer einer Zeichenfeder“, 1943 „Die Planeten“ ) und hinterließ tausende Federzeichnungen. Kubin gehörte seit 1923 auch zu den Mitgliedern der Innviertler Künstlergilde, der er auch bei deren Neugründung im Jahre 1947 die Treue hielt. Seit 1930 war er Mitglied der Preußischen Akademie der Künste in Berlin. 1949 wurde er Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.

Kubins Grabstätte bei der Kirche in Wernstein

1931 verfertigte Kubin das Bühnenbild zu Richard Billingers Drama Rauhnacht bei seiner Uraufführung am 10. Oktober 1931 an den Münchner Kammerspielen unter der Regie von Otto Falckenberg. In mehreren grafischen Blättern setzte sich Kubin mit dem literarischen Schaffen Billingers auseinander, Billinger wiederum widmete Kubin mehrere Gedichte. Zwischen 1933 und 1936 hatte er eine intensive Liebesaffäre mit der Arztgattin Emmy Haesele (1894-1987), die unter seinem Einfluss zur Malerin wurde.[3] Spuren dieser Liebesbeziehung finden sich auch in der Lithographiefolge Ali, der Schimmelhengst [4], der illustrierten Lebensgeschichte eines ungestümen Tartarenpferdes, das vereinsamt endet. Die Anfangsbuchstaben der drei Vornamen Kubins bilden den Namen ALI. Seine Ehefrau zeigte als Künstlergattin zwar Verständnis, litt aber zunehmend unter der Lieblosigkeit ihres Mannes und verlangte eine Entscheidung, die dann zu ihren Gunsten ausfiel.[5]

In der Zeit des Nationalsozialismus wurden 63 seiner Werke als „Entartete Kunst“ diffamiert und konfisziert. Trotzdem erhielt er kein Ausstellungsverbot, sondern konnte 1941/42 im NS-Propagandablatt des Generalgouvernements, der Krakauer Zeitung, verschiedene Zeichnungen publizieren.[6]

Kubin starb am 20. August 1959 in Zwickledt und wurde auf dem Friedhof in Wernstein beigesetzt. Die Grabstelle stammt von dem Bildhauer Karl Prantl.

Werk

Signatur Alfred Kubins

Kubins Werk wird durch die Darstellung phantastischer Traumvisionen geprägt, die mit einer nervösen zeichnerischen Strichführung dargestellt werden. Kubin wurde dabei unter anderem durch die visionären und symbolhaften Werke von Francisco de Goya, James Ensor, Odilon Redon, Edvard Munch und Max Klinger angeregt. Er betätigte sich fast ausschließlich als Grafiker.

Sein Werk befindet sich heute teils in der Staatlichen Graphischen Sammlung Albertina in Wien, teils im Oberösterreichischen Landesmuseum Linz. Einen besonderen Rang nimmt das Kubin-Archiv Städtische Galerie im Lenbachhaus München ein; es wurde 1971 als Ergänzung zur Sammlung Blauer Reiter von dem Hamburger Apotheker Kurt Otte erworben. Die Stiftung des mit Kubin befreundeten Ehepaars Reinhold Koeppel und Hanne Koeppel bildet den Grundstock der Kubin-Sammlung im Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg [7].

Ausstellungen und Rezeption

Ausstellungssaal im Kubinhaus in Zwickledt

Ausstellungen zum 50. Todesjahr konfrontieren Kubins Werk mit Werkbeispielen von ihm stilistisch oder motivisch verwandten Künstlerfreunden wie Emmy Haesele, Margret Bilger, Hans Fronius, Fritz von Herzmanovsky-Orlando, Wilhelm Schnabl, Reinhold Koeppel, Anton Steinhart und Wilhelm Thöny.

Seit 1962 gibt es in Zwickledt die „Kubin-Gedenkstätte“, die seit 1992 vom Oberösterreichischen Landesmuseum betreut wird. 1995 wurde das Alfred-Kubin-Projekt des Landes Oberösterreich eingerichtet. Im Jahr 1964 wurden Arbeiten von ihm auf der documenta III in Kassel in der Abteilung Handzeichnungen gezeigt. Zum Kulturpreis, den das Land Oberösterreich verleiht, gehört auch der Alfred-Kubin-Preis. Im Jahr 1977 wurde in Wien Donaustadt (22. Bezirk) der Alfred-Kubin-Platz nach ihm benannt.

Am 25. September 2010 fand im Mainfranken Theater Würzburg die Uraufführung von Michael Obsts Oper Die andere Seite nach dem gleichnamigen Roman von Alfred Kubin statt. Die Musik setzt sich aus orchestralen Teilen und elektronischen Klängen zusammen, deren Intensität sich mit der zunehmenden apokalyptischen Bedrohung des Inhalts steigert.

Werke (Auswahl)

Illustrationen
  • Edgar Allan Poe: Nebelmeer, München und Berlin, Georg Müller, 1920. Mit 29 Illustrationen von Alfred Kubin (2. Aufl.).
  • Huch, F.: Neue Träume, München, Georg Müller, 1921. Mit 10 Lithographien und 10 Illustrationen von Alfred Kubin.
  • Barbey d'Aurevilly, J. A.: Teufelskinder, München, Georg Müller, 1921. Mit 19 Illustrationen von Alfred Kubin.
  • Voltaire: Candide, Hannover, Steegemann, 1922. Mit 28 Federzeichnungen von Alfred Kubin.
  • Johannes Ilmari Auerbach: Der Selbstmörder-Wettbewerb, Darmstadt, Darmstädter Verlag, 1927. Mit 5 Federzeichnungen von Alfred Kubin (2. Aufl.).
  • Durych, J.: Die Kartause von Walditz, München, Piper, 1934. Mit 17 Illustrationen von Alfred Kubin.
  • Richard Billinger: Rauhnacht. Mappenheft mit 13 Lithographien, Kreuz-Verlag, Halle an der Saale 1948.
Briefwechsel
  • Fritz von Herzmanovsky-Orlando: Der Briefwechsel mit Alfred Kubin, 1903 bis 1952. Herausgegeben und kommentiert von Michael Klein. Residenz Verlag, Salzburg u.a. 1983, ISBN 3-7017-0351-5, (= Sämtliche Werke Band 7).
  • Christin Fronius (Hrsg.): Alfred Kubin – Hans Fronius. Eine Künstlerfreundschaft. Bibliothek der Provinz, Weitra 1999, ISBN 3-85252-352-4. (Publication. PNo1).
  • Melchior Frommel, Franz Xaver Hofer (Hrsg.): Margret Bilger – Alfred Kubin. Briefwechsel. LANDSTRICH, Schärding 1997, ISBN 3-928844-21-0.
  • Volker Michels (Hrsg.): Außerhalb des Tages und des Schwindels, Hermann Hesse – Alfred Kubin. Briefwechsel 1928-1952. Suhrkamp, Frankfurt 2008, ISBN 978-3-518-41941-0.
  • Marcel Illetschko: Edition der Korrespondenz Alfred Kubin – Reinhard Piper (1907–1953). Diss. Univ. Wien 2010.
    • Alfred Kubin / Reinhard Piper. Briefwechsel 1907–1953. Herausgegeben im Auftrag des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek und Agnes Essl als Stifterin von Marcel Illetschko und Michaela Hirsch. Mit 123 Zeichnungen von Alfred Kubin und einer Zeichnung von Reinhard Piper. Piper Verlag, München/Zürich 2010, ISBN 978-3-492-05403-4.

Auszeichnungen und Ehrungen

Literatur

  • Assmann, Peter (Hrsg.): „Alfred Kubin 1877–1959“, o. O. (Salzburg), 1995.
  • Brunn, Clemens: Der Ausweg ins Unwirkliche. Fiktion und Weltmodell bei Paul Scheerbart und Alfred Kubin. Igel Verlag, Hamburg, 2. aktualisierte Auflage 2010, ISBN 978-3-86815-518-1.
  • Gehrig, Gerlinde: „Sandmann und Geierkind. Phantastische Diskurse im Werk Alfred Kubins“. Köln 2004.
  • Geyer, Andreas: „Träumer auf Lebenszeit. Alfred Kubin als Literat“, Wien u. a., 1995.
  • Geyer, Andreas: „Heimlicher Lebenstanz. Alfred Kubin und der Tod“, Wien, 2005.
  • Hewig, Anneliese: „Phantastische Wirklichkeit. Kubins 'Die andere Seite'“, München, 1967.
  • Hoberg, Annegret (Hrsg.): „Alfred Kubin 1877–1959“, München, 1990.
  • Hoberg, Annegret u.a.: „Alfred Kubin Das lithographische Werk“, München, 1999.
  • Horodisch, A.: „Alfred Kubin book illustrator“, New York, Aldus, 1950.
  • Marks, Alfred. Der Illustrator Alfred Kubin. Gesamtkatalog seiner Illustrationen und buchkünstlerischen Arbeiten. München 1977.
  • Raabe, Paul: „Alfred Kubin. Leben – Werk – Wirkung“, Hamburg, 1957.
  • Riemerschmidt, U. (Hrsg.): „Alfred Kubin. Aus meiner Werkstatt. Gesammelte Prosa mit 71 Abbildungen“, München, 1976.
  • Riemerschmidt, U. (Hrsg.): „Alfred Kubin. Aus meinem Leben. Gesammelte Prosa mit 73 Abbildungen“, München, 1977.
  • Roman Zieglgänsberger: Alfred Kubins Nebenwelten von Morphiumteufeln und Vogelmenschen. Mit einem Bestandsverzeichnis der Kubin-Zeichnungen des Kunstforums Ostdeutsche Galerie Regensburg. Hg.: Stiftung Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg 2010, ISBN 978-3-89188-121-7.
  • Verna Schuetz: The bizarre literature of Hanns Heinz Ewers, Alfred Kubin, Gustav Meyrink, and Karl Hans Strobl. Madison WI, Univ. Diss. 1974

Einzelnachweise

  1. Alfred Kubin, S. 1. PDF, abgerufen am 18. Juli 2010. (Wiedergabe der Biografie aus: Hoberg, Alfred Kubin 1877–1959, München 1990)
  2. Der Einsame von Zwickledt. In: Arbeiter-Zeitung, 9. April 1952, S. 5.
  3. Brita Steinwendtner: Du Engel – du Teufel. Emmy Haesele und Alfred Kubin – eine Liebesgeschichte. Verlag Haymon, Innsbruck 2009, ISBN 978-3-85218-586-6.
  4. Ali, der Schimmelhengst. Schicksale eines Tartarenpferdes in 12 Blättern, 16 lithographische Blätter, 1 typographisches Blatt. Verlag Johannes-Presse, Wien 1932
  5. Sieglinde Baumgartner (1998). Alfred Kubin und sein künstlerisches Umfeld. In A. Pindelski (Hsrg.), Das Innviertel. Porträt einer kulturellen Region (S. 18-50). Steyr: Ennsthaler Verlag, S. 39.)
  6. Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 342.
  7. Vergleiche dazu: Roman Zieglgänsberger: Alfred Kubins Nebenwelten von Morphiumteufeln und Vogelmenschen. Mit einem Bestandsverzeichnis der Kubin-Zeichnungen des Kunstforums Ostdeutsche Galerie Regensburg. Hg.: Stiftung Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg 2010, ISBN 978-3-89188-121-7.

Weblinks

 Commons: Alfred Kubin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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