Johannes Ilmari Auerbach

Johannes Ilmari Auerbach
Der Mäzen Botho Graef und der 15-jährige Johannes Ilmari Auerbach (Ernst Ludwig Kirchner: „Graef und Freund", 1914).

Johannes llmari Auerbach (* 24. Mai 1899 in Breslau; † 7. Februar 1950 in Oxford), war ein im Nationalsozialismus verfolgter Bildhauer, Maler, Kunstgewerbler und Schriftsteller. In Deutschland nannte er sich Johannes Ilmari-Auerbach, in Frankreich Jean oder Joannès Ilmari, in England John Ivor Allenby.

Inhaltsverzeichnis

Familie und Leben

Johannes Auerbachs Vater war der Breslauer Pianist Max Auerbach (* 1872), seine Mutter die Lehrerin Käthe Auerbach (1871−1940). Johannes hatte drei jüngere Geschwister, Cornelia (Cora), Klaus und Günter. 1898 trat die Familie vom jüdischen Glauben zum Christentum über. Nach der Trennung der Eltern 1906 ging die Mutter mit den beiden jüngsten Söhnen nach Jena, während Johannes und Cornelia vorerst beim Vater blieben. Der kinderlose Onkel, Felix Auerbach, Professor an der Universität Jena, wurde jedoch bald zum Ersatzvater aller Kinder. Johannes Auerbach lernte im Jenaer Haus seines Onkels Reinhard Sorge, Eberhard Grisebach und Botho Graef kennen. Mit letzterem wurde er 1914 von Ernst Ludwig Kirchner im Bild „Graef und Freund" verewigt.

Nach Deutschlandreisen mit der Mutter bis 1915 machte er 1917 ein Notabitur und hörte Vorlesungen in Straßburg, bevor er zum Fronteinsatz nach Frankreich einberufen wurde. Wegen Bronchitis nach kurzem Kampfeinsatz im Lazarett liegend, war er der einzige Überlebende einer ansonsten aufgeriebenen MG-Kompanie. 1918 trat er in die Kommunistische Partei Deutschlands ein und agitierte gegen das "spießige" Bürgertum seiner Familie. Er studierte bis 1919 an der Hochschule für bildende Künste in Weimar bei Richard Engelmann und danach als einer der ersten Schüler am Weimarer Bauhaus. Hierdurch lernte Walter Gropius Auerbachs Onkel Felix kennen, der sein Mäzen und Auftraggeber wurde. In Weimar freundete sich Johannes Auerbach zudem mit dem Biosophen Ernst Fuhrmann und dessen Schüler Hugo Hertwig an, mit dem er 1920 in ein kommunistisches Siedlungsprojekt (siehe: Max Schulze-Sölde) in der Art eines Kibbuz, nämlich dem Lindenhof in Kleve bei Wilster, übersiedelte. Nach persönlichen und finanziellen Differenzen unternahm Auerbach am 21. September 1921 einen Suizidversuch, den er kurz danach in seiner Groteske »Der Selbstmörderwettbewerb« literarisch verarbeitet.

Er kehrte nach Berlin und Jena zurück und erhielt 1921 in Meran den Auftrag für das Grabmal von Karl Ernst Osthaus. 1922 heiratete er seine Jugendliebe Ingeborg Harnack, die Tochter der Jenaer Malerin Clara Harnack und Schwester der späteren Widerstandskämpfer Arvid und Falk Harnack, und zog mit ihr auf das Jagdschloss Kranichstein bei Darmstadt, wo 1925 der Sohn Wulf geboren wurde.

1924 befreundete sich Johannes Auerbach in Hamburg mit dem Maler Paul Bollmann (1885−1944) und ging mit Unterstützung des Kunstmäzens Franz Pariser nach Paris. Hier lernte er Charles Despiau und Aristide Maillol kennen und schloss Freundschaft mit (den in der NS-Zeit als "entartet" bezeichneten) Künstlern Moissey Kogan und Otto Freundlich. 1926 kam der Sohn Claus zur Welt. Von 1925 bis 1928 wurde Auerbach in Ausstellungen in Paris präsentiert und erhielt einige Preise, musste sich jedoch als Maurer und Gelegenheitsarbeiter durchschlagen, da der finanzielle Erfolg ausblieb.

Gedenktafel für Johannes I. Auerbachs Schwester Cornelia Schröder-Auerbach in Berlin-Steglitz

1930 wurde seine Ehe geschieden, und seine Ex-Frau Ingeborg Harnack kehrte mit dem älteren Sohn Wulf von Paris nach Berlin zurück. Über den Mann von Auerbachs Schwester Cornelia (1900−1997), den Komponisten und Bratschisten Hanning Schröder (1896−1987), der seit 1927 bei Rundfunk und Film in Berlin tätig war, lernte Ingeborg dessen einstigen Lehrer Gustav Havemann kennen. Sie heiratete diesen 1931 und hieß fortan Ingeborg Havemann-Harnack. Auch den Sohn Claus konnte Auerbach in Paris nicht allein versorgen, und so wuchsen beide Söhne schließlich bei den Havemanns auf, wurden in NS-Schulen erzogen und dienten später, unter Verheimlichung der jüdischen Abstammung, in Luftwaffe (Wulf) und Marine (Claus, † 1944) der Wehrmacht. Gustav Havemanns Sohn aus erster Ehe, der 1914 geborene Wolfgang Havemann, wurde hingegen weniger von seinem regimetreuen Vater und seiner Stiefmutter Ingeborg als vielmehr von deren Bruder Arvid Harnack beeinflusst und wurde später Widerstandskämpfer für die Organisation Rote Kapelle im Oberkommando der Marine.

Auerbach blieb 1930 in Paris und musste schließlich wegen eines Todesfalls bei der Errichtung seines selbst gebauten Atelierhauses zu Fuß aus Frankreich fliehen. Er traf am 29. Dezember 1932 in Hamburg ein. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten gehörte er drei Monate einer Widerstandsgruppe an, weswegen er von April 1933 bis Ende 1935 mehrmals in KZ-Haft kam. Im Juli 1933 kam er in Isolierhaft, wurde gefoltert und mit Knüppeln zusammengeschlagen. Ab April 1934 war er im KZ Fuhlsbüttel, wo er wegen guter Führung in seiner Zelle zeichnen durfte und später als Schriftzeichner eingesetzt wurde. Nach seiner Entlassung im Oktober 1935 kam er November bis Dezember nochmals in Haft, weil er eine Postkarte an einen Kameraden im KZ geschickt hatte.

1935/36 betätigte er sich im Jüdischen Kulturbund Hamburg, wo er sich mit Rosa Schapire und dem Maler Kurt Löwengard (1895−1940) anfreundete. Er wurde vom Kulturbund finanziell unterstützt und hielt Unterrichtskurse ab. Im April 1936 vertrat er Friedrich Adler an der Franz Rosenzweig-Gedächtnis-Stiftung, zudem nahm er an der Reichsausstellung jüdischer Künstler 1936 in Hamburg teil[1]. Trotzdem kam er über Gelegenheitsaufträge nicht hinaus. 1936 heiratete er die Kunsthistorikerin Inge Fraenckel, die er durch Rosa Schapire kennengelernt hatte. Das Ehepaar wanderte im Mai 1936 nach England aus und ließ sich im Juni auf Capri nieder. 1937 reisten sie über Malta in die britische Kronkolonie Zypern weiter, wo sie nahezu ohne Einkünfte lebten und keinen Atelierraum mieten konnten. Im Oktober 1938 kehrte das Paar nach London zurück.

Auerbachs Versuche, seine Söhne vor dem Krieg aus Deutschland zu sich zu holen, scheiterten an behördlichen Vorschriften. Bis 1946 diente Auerbach beim britischen War Office und wurde britischer Staatsbürger. Ab September 1946 lehrte er Bildhauerei an der Kunstakademie in Oxford. Seine Lebensverhältnisse blieben ärmlich, und noch 1949 lebte er mit seiner Frau in einem Zimmer. Auerbach starb mit nur 50 Jahren an einem Herzschlag.

Ehrungen

In Jena fand 1991 eine Doppelausstellung statt: Helene Czapski-Holzman (1891 - 1968), Gemälde, Aquarelle, Collagen, Johannes Ilmari Auerbach (1899 - 1950), Plastik, Malerei, Graphik, mitsamt begleitendem Symposium: Deutsch-jüdisches Kulturerbe im 20. Jahrhundert: Lebensleistungen, Schicksale, humanistisches Vermächtnis am 16. November 1991.[2]

Zur offiziellen Eröffnung des Archivs Bibliographia Judaica e.V., Schwindstrasse 8, Frankfurt a.M. (Dr. Renate Heuer) am 4. Mai 1984 wurde eine Gedächtnisausstellung der Werke des Malers, Bildhauers und Dichters Johannes Ilmari Auerbach gezeigt.

In der Evangelischen Stadtkirche Alt-Höchst, Frankfurt-Höchst, fand 1989 eine Gedenkausstellung statt 'Johannes Ilmari Auerbach - Joannès Ilmari - John I. Allenby, 1899 - 1950' statt, veranstaltet vom Archiv Bibliographia Judaica e.V.

Werke (Auswahl)

Auerbachs Vorliebe für Bildhauerei und Schnitzerei konnte aus Geld- und Raumnot meist nicht in die Realität umgesetzt werden. In den Zeiten im KZ entstanden Strichzeichnungen, die ein wichtige historische Quelle darstellen, und während seines Exils auf Capri und Zypern und in England hauptsächlich Aquarelle. Zeitlebens verfasste Auerbach außerdem zahlreiche Schriften.

  • 1921: Groteske Novelle: Der Selbstmörder-Wettbewerb mit Radierungen von Marcus Behmer, Otto von Holten Buchdruckerei
  • 1922: Skulptur Kopf des Hugo Hertwig an einer Felswand (zerstört)
  • 1922: Grabmal von Karl Ernst Osthaus, das 1971 von Meran nach Hagen transloziert wurde[3]
  • 1927: 2. Auflage von Der Selbstmörder-Wettbewerb mit fünf Federzeichnungen von Alfred Kubin, im Darmstädter Verlag
  • 1932: Kisten mit Arbeiten, die Auerbach aus Frankreich nach Hamburg schickte, gingen verloren
  • 1935: Arabeske, gezeichnet in einem Strich, entstanden in einer NS-Isolationshaftanstalt[4][5]
  • 1995: Neuauflage von 350 Exemplaren Der Selbstmörder-Wettbewerb. (Ausgabe von 1927) in Fraktursatz[6]

Literatur

  • Auerbach, Johannes Ilmari / Kubin, Alfred: Der Selbstmörder-Wettbewerb. Mit fünf Federzeichnungen von Alfred Kubin (350 Exemplare). Edition Sirene, Fürstenwalde/Spree 1995.
  • Renate Heuer und Frank Kind (Hrsg.): Johannes Ilmari Auerbach 1899-1950. Eine Autobiographie in Briefen. Woywod Bad Soden, 1989. ISBN 3-923447-08-6
  • Cornelia Schröder-Auerbach & Maria Schmid: Johannes Ilmari Auerbach. Plastik - Malerei - Graphik. Städtische Museen Jena 1991[7]
  • Cornelia Schröder-Auerbach: Eine Jugend in Jena in John/Wahl (Hg.), Zwischen Konvention und Avantgarde, Weimar 1995
  • Meike Werner: Moderne in der Provinz: kulturelle Experimente im Fin de Siècle Jena; Wallstein Verlag, Göttingen 2003. ISBN 3-892445-94-X
  • Maike Bruhns: Kunst in der Krise, 2. Ausgabe, Seite 42-45. Dölling und Galitz Verlag, München u. Hamburg 2001. ISBN 3-933374-95-2
  • Maike Bruhns: Kunst in der Krise, 1. Ausgabe. Dölling und Galitz Verlag, München u. Hamburg 2001. ISBN 3-933374-94-4
  • Joachim Ret, Egon Sartorius, Helmut Donner, Hans Heininger: Schriftsteller der Deutschen Demokratischen Republik, Seite 67, Zentralinstitut für Bibliothekswesen (Hrsg.), VEB Verlag für Buch- und Bibliothekswesen, 1961
  • Hans Coppi, Jürgen Danyel, Johannes Tuchel: Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Edition Hentrich, 1994. ISBN 3-894681-10-1
  • Lilo Fürst-Ramdohr: Freundschaften in der Weißen Rose. Verlag Geschichtswerkstatt Neuhausen, München 1995. ISBN 3-931231-00-3.
  • Albrecht Dümling: Aufstieg und Fall des Geigers Gustav Havemann - ein Künstler zwischen Avantgarde und Nazismus. In: Dissonanz Nr.47 (Februar 1996) S.9-14.
  • Walter Kaupert (Hrsg.): Internationales Kunst-Adressbuch: International directory of arts. Annuaire international des beaux-arts. Annuario internazionale delle belle arti, Kaupterverlag, 1958
  • Shareen Blair Brysac: Resisting Hitler: Mildred Harnack and the Red Orchestra S. 74 und 146. Oxford University Press, USA 2002. ISBN 9780195152401[8]

Einzelnachweise

Weblinks


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