Hans Hinselmann

Hans Hinselmann
Hans Hinselmann

Hans Hinselmann (* 6. August 1884 in Neumünster; † 18. April 1959 in Hamburg-Othmarschen[1]) war ein geburtshilflich, onkologisch und wissenschaftlich tätiger deutscher Gynäkologe, der für die Entwicklung der Kolposkopie weltweit bekannt wurde.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

1884 bis 1945

Hans Hinselmann wurde 1884 als Sohn eines Braumeisters geboren. Er studierte bis 1908 an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Medizin. Mit der Dissertation Beitrag zur Kenntnis der bösartigen pigmentierten Geschwülste der Vulva wurde er dort promoviert. Seine Weiterbildung absolvierte er an den Universitätsfrauenkliniken Jena und Gießen. 1912 wurde er an der Universität Bonn unter Otto von Franqué (1867–1937) habilitiert und zum Oberarzt ernannt. 1921 wurde Hinselmann Professor an der Universitätsfrauenklinik Bonn. 1925 wechselte er nach Hamburg als Chefarzt der Frauenklinik am Allgemeinen Krankenhaus Altona. Ab dem 1. Juli 1933 leitete er die Frauenklinik Altona in der Bülowstraße[2] und lehrte an der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg als Dozent für Kolposkopie und Frühdiagnose des Uteruscarcinoms. 1939 wurde er dort zum außerplanmäßigen Professor ernannt.[3] Die Städtische Entbindungsanstalt wurde unter der Leitung Hinselmanns bald in Frauenklinik Altona umbenannt, da sich der Anteil der gynäkologischen Operationen deutlich erhöhte.[2]

Verhalten in der NS-Zeit

In der Zeit des Nationalsozialismus führte Eduard Wirths, ein Schüler Hinselmanns 1943 Kolposkopie-Versuche im KZ Auschwitz durch. Bei Auffälligkeiten wurde der Gebärmutterhals entfernt und im Hamburger Labor seines Bruders unter Verantwortlichkeit von Hinselmann auf Vorstufen eines Gebärmutterhalskrebses untersucht.[4][5] Im Juli 1934 wurde die erste Sterilisation unter der Diagnose der Erbkrankheit in der Frauenklinik Altona ausgeführt. Die Sterilisation nach Hinselmann aufgrund der Sterilisationsgesetze betrug in der Folgezeit 34 Prozent der gesamten Operationen und war damit die häufigste Operation in der Klinik.[2] Unter Hinselsmann Verantwortung wurden von November 1944 bis Anfang 1945 nachweislich mindestens acht „Zigeunerinnen“ auf Anweisung der Gestapo sterilisiert.[1] Die „Einwilligung“ in die Eingriffe wurde mit der Androhung des Transports nach Auschwitz erpresst.[3]

Zeit nach 1945

Wegen der Zwangssterilisationen wurde Hans Hinselmann 1946 suspendiert und im Dezember des Jahres vom britischen Militärgericht in einem der Curiohaus-Prozesse zu drei Jahren Haft und einer Geldbuße von 100.000 Mark verurteilt.[1][3][2] Die letzte Operation, die Professor Hinselmann an der Frauenklinik Altona am 26. November 1946 durchführte, war ein Schwangerschaftsabbruch und Sterilisation, die nun jedoch nach den neuen Richtlinien der britischen Militärregierung durchgeführt wurde.[2] Nach seiner Entlassung aus der Haft wurde er 1949 entnazifiziert. Eine erneute Lehrtätigkeit wurde ihm aus politischen Erwägungen und wegen des Erreichens der Altersgrenze verwehrt. Seine Untersuchungen zur Kolposkopie führte er in seinem privaten Labor fort. Etwa ein halbes Jahr vor dem Tod von Evita Perón 1952, die an Gebärmutterhalskrebs erkrankt war, wurde Hinselmann, als Experte auf dem Gebiet, nach Argentinien eingeladen. Hinselmann arbeitete und publizierte auch nach seinem Ausscheiden aus der Klinik weiterhin wissenschaftlich. 1952 und 1955 führten ihn ausgedehnte Vortragsreisen auf Einladung der dortigen Fachgesellschaften durch südamerikanische Staaten. Wegen seiner wissenschaftlichen Leistung war er Mitglied und Ehrenmitglied vieler Fachgesellschaften. 1956 wurde er zum Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe ernannt. Hans Hinselmann starb im Alter von 74 Jahren in Hamburg.[3][2]

Verdienste

Hinselmann ist vor allem für die Entwicklung der Kolposkopie, das erste Verfahren zur Früherkennung des Gebärmutterhalskrebses, bekannt. Er verfasste jedoch über 300 wissenschaftliche Publikationen und galt jedoch schon in den Jahren seiner Bonner Oberarztzeit unter von Franqué als Experte der Eklampsieforschung, einer schwangerschaftsbedingten Erkrankung. Auf seinen Untersuchungen der Veränderungen des Mutterkuchens basieren noch heute alle wissenschaftlichen Erkenntnisse und Behandlungsstrategien. Hinselmann hat auf Basis der Erkenntnisse seiner Forschungen über die Eklampsie und der Krebserkrankung des Gebärmutterhalses zudem die ersten organisierten Krebsfrüherkennungsuntersuchungen und Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft durchgeführt und gilt als einer der Begründer der gesetzlichen Krebsfrüherkennungsuntersuchungen und der Schwangerschaftsvorsorge. Schon in Briefen an seinen Konassistenten Heinrich Martius wurde die Idee der Einführung eines "Mutterpasses" diskutiert, der in Deutschland 1961 eingeführt wurde. Hinselmann entwickelte eine neue Methode der Sterilisation die Tubensterilisation nach Hinselmann, bei welcher nach Durchtrennung des Eileiters das gebärmutternahe Ende möglichst weit vom Eierstock platziert, unter dem runden Mutterband hindurchgezogen und außerhalb der Bauchhöhle versenkt wurde.[2]

Schriften (Auswahl)

  • Hans Hinselmann: Die angebliche, physiologische Schwangerschaftsthrombose von Gefäßen der uterinen Placentasstelle. Enke, Stuttgart 1913
  • Hans Hinselmann: Zur Sexualethik des gebildeten jungen Mannes. F. Cohen, Bonn 1917
  • Hans Hinselmann (Hrsg.): Die Eklampsie. F. Cohen, Bonn 1924
  • Hans Hinselmann: Das klinische Bild der indirekten Metaplasie der ektopischen Zylinderzellenschleimhaut der Portio. Arch Gynecol Obstetr 133 (1928), 64-69, doi:10.1007/BF02283981
  • Otto von Franqué, Hans Hinselmann, Robert Meyer: Anatomie und Diagnostik der Carcinome, der Bindegewebsgeschwülste und Mischgeschwülste des Uterus, der Blasemole und des Chorionepithelioma malignum. In: Johann Veit: Handbuch der Gynäkologie. J. F. Bergmann, München 1930
  • Hans Hinselmann: Einführung in die Kolposkopie. Hartung, Hamburg 1933

Literatur

  • Hans Ludwig: Hinselmann und Schiller — die Erkennung von Frühstadien des Zervixkarzinoms. Gynäkologe 4 (2003), 373 - 374, doi:10.1007/s00129-003-1356-z
  • Ruth Jolanda Weinberger: The Deadly Origins Of A Life-saving Procedure. Forward vom 26. Januar 2007, zuletzt abgerufen am 14. Mai 2009
  • J. S. MacLean: The life of Hans Hinselmann. Obstet Gynecol Surv 34 (1979), 788-9, PMID 392361
  • J. L. Powell: Biographic sketch: Powell's Pearls: Hans Peter Hinselmann, MD (1884-1959). Obstet Gynecol Surv 59 (2004), 693-5, PMID 15385845
  • J. da Silveira: Professor Hans Hinselmann. Rev Ginecol Obstet (Sao Paulo) 105 (1959), 567-70, PMID 14446730
  • Heinrich Martius: Hans Hinselmann. Dtsch Med Wochenschr 84 (1959), 1423-4, PMID 14421865

Weblinks

Literatur von und über Hans Hinselmann im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek

Einzelnachweise

  1. a b c Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 257.
  2. a b c d e f g Volker Lehmann: Chronik der Frauenklinik Altona Bülowstraße. online
  3. a b c d Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke: Hamburgische Biografie. Wallstein Verlag, 2006, ISBN 3835300814. in der Google Buchsuche
  4. Robert J. Lifton: The Nazi Doctors: Medical Killing and the Psychology of Genocide., 391, 1986, ISBN 0-465-04904-4
  5. Hermann Langbein: Menschen in Auschwitz. Europaverlag, Wien, 1972, , 427-28, ISBN 3-548-33014-2

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно решить контрольную?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Hinselmann — Hans Hinselmann (* 6. August 1884 in Neumünster; † 18. April 1959 in Hamburg Othmarschen[1]) war ein geburtshilflich, onkologisch und wissenschaftlich tätiger deutscher Gynäkologe, der vor allem für die Entwicklung der Kolposkopie, das erste… …   Deutsch Wikipedia

  • Liste der Biografien/Hi — Biografien: A B C D E F G H I J K L M N O P Q …   Deutsch Wikipedia

  • Cervix-Karzinom — Klassifikation nach ICD 10 C53 Bösartige Neubildung der Cervix uteri C53.0 Endozervix C53.1 Ektozervix …   Deutsch Wikipedia

  • Cervixkarzinom — Klassifikation nach ICD 10 C53 Bösartige Neubildung der Cervix uteri C53.0 Endozervix C53.1 Ektozervix …   Deutsch Wikipedia

  • Eva Peron — Eva Duarte de Perón, genannt Evita (um 1947) María Eva Duarte de Perón (auch Eva Ibarguren, Evita genannt; * 7. Mai 1919 in Los Toldos; † 26. Juli 1952 in Buenos Aires), war die Primera Dama („First Lady“) von Argentinien und die zweite Frau von… …   Deutsch Wikipedia

  • Evita Peron — Eva Duarte de Perón, genannt Evita (um 1947) María Eva Duarte de Perón (auch Eva Ibarguren, Evita genannt; * 7. Mai 1919 in Los Toldos; † 26. Juli 1952 in Buenos Aires), war die Primera Dama („First Lady“) von Argentinien und die zweite Frau von… …   Deutsch Wikipedia

  • Evita Perón — Eva Duarte de Perón, genannt Evita (um 1947) María Eva Duarte de Perón (auch Eva Ibarguren, Evita genannt; * 7. Mai 1919 in Los Toldos; † 26. Juli 1952 in Buenos Aires), war die Primera Dama („First Lady“) von Argentinien und die zweite Frau von… …   Deutsch Wikipedia

  • Gebärmutterhalskrebs — Klassifikation nach ICD 10 C53 Bösartige Neubildung der Cervix uteri C53.0 Endozervix C53.1 Ektozervix …   Deutsch Wikipedia

  • Kollumkarzinom — Klassifikation nach ICD 10 C53 Bösartige Neubildung der Cervix uteri C53.0 Endozervix C53.1 Ektozervix …   Deutsch Wikipedia

  • María Eva Duarte — Eva Duarte de Perón, genannt Evita (um 1947) María Eva Duarte de Perón (auch Eva Ibarguren, Evita genannt; * 7. Mai 1919 in Los Toldos; † 26. Juli 1952 in Buenos Aires), war die Primera Dama („First Lady“) von Argentinien und die zweite Frau von… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”