Italienischer Adel

Italienischer Adel

Da das mittelalterliche Lehnsrecht in Italien und das italienische Erbrecht sich erheblich vom Fränkischen unterschied, ist der italienische Adel nur bedingt mit dem französischen oder deutschen vergleichbar. Das gilt insbesondere für das Mittelalter. Für diese Zeit kann man generell von "Italien" nur im geographischen Sinne sprechen. Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse waren in den lombardischen und normannischen Herrschaftsgebieten, im Einflussbereich Konstantinopels, in Tuszien, im Kirchenstaat, in Venetien sehr verschieden. Die Italienpolitk Kaiser Friedrich I. Barbarossa scheiterte wesentlich daran, dass er versuchte, Italien die deutschen Lehnsverhältnisse überzustülpen.

Gleichwohl entwickelte sich der italienische Landadel ähnlich wie in Deutschland und Frankreich aus dem Lehnswesen. Dabei besaß Italien im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten auch eine starke Klasse des Stadtadels, die Signoria. Einige Geschlechter des Landadels, wie die Gonzaga in Mantua, die Este in Ferrara, die Visconti und Sforza in Mailand, oder des Stadtadels, wie die Medici in Florenz, erlangten schon früh Souveränität für ihre Familien, in der Regel als Vasallen des Papstes.

Kennzeichnend für die Entwicklung des italienischen Adels war, dass die mittelalterlichen Grafschaften und Baronien recht klein waren, so dass die späteren Marquis und Grafen oft über nur unbedeutenden Landbesitz verfügten. Die Entwicklung verlief in allen bedeutenderen Teilstaaten Italiens ziemlich ähnlich, mit Ausnahme des Kirchenstaates, wo verschiedene Päpste zuerst ihre Familien in den Herzogsrang erhoben und dann Gunstbeweise in der Form von Adelsbriefen und sehr zahlreichen Standeserhöhungen an ihre Anhänger austeilten. Ein Kardinal teilte seinen Adel der ganzen Familie mit, alle höheren Militärgrade führten Baronen- oder Grafentitel mit sich, höhere Würden in den Ritterorden gaben hohe Titel.

Inhaltsverzeichnis

Adlige Rangstufen in Italien

Nach der Entstehung des Königreiches Italien unter dem Haus Savoyen waren die Rangstufen ähnlich wie in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich, Spanien: Fürst (Principe), Herzog (Duca), Markgraf (Marchese), Graf (Conte), Baron (Barone) und(Nobile)geregelt durch den §6 Art 39 des "Regolamento per la consulta Araldica". Wegen der hohen Zahl der betitelten Adligen im alten Stadt- und Landadel hat sich ein Kleinadel kaum entwickeln können. Die zwei höchsten Titel des Herzogs und Fürsten waren nur nach dem Recht der Erstgeburt zusammen mit dem Majorat vererbbar, die jüngeren Söhne nahmen die Titel von anderen Gütern der Familie. Das war eine grundlegende Veränderung des italienischen Erbrechts, nach dem alle Kinder gleichberechtigt erbten.

Das Oberhaupt der Familie Borghese, Livio (* 1874), führte beispielsweise in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, folgende Titel: „11. Fürst von Montecompatri, 11. Fürst von Sulmona und Vivaro, 10. Fürst von Rossano, 5. Herzog von Canemorte, 11. Herzog von Palombara, 5. Herzog von Castelchiodato, 11. Herzog von Poggionativo, 11. Markgraf von Mentana, Norma, Civitella, Pratica, Moricone und Percille, 11. Graf von Valinfreda, 11. Baron von Cropalati, 11. Herr von Scarpa, Edelmann von Rom, Patrizier von Venedig, Neapel und Genua, Herr von … (noch elf Titel)“. Dessen ältester Sohn Flavio (* 1902) hieß zu Lebzeiten des Vaters nur „12. Fürst von Sulmona“. Prinz Livios Bruder Rodolfo durfte sich nur „Prinz von Nettuno“ nennen. Von den italienischen Fürsten- und Herzogsfamilien haben bis heute etwa 25 überlebt.

Eigentlich erst im Königreich Italien (1861–1946) kann von "Adel" im Sinne der traditionellen "Adelsforschung", die mitunter ihre Vorstellungen völlig unangemessen auf italienische Verhältnisse überträgt, gesprochen werden. 1861 wurde der alte Adel bestätigt und neuer durch Adelsbriefe nach den oben beschriebenen Rangstufen kreiert, wobei die Vorschläge für gewöhnlich von der Regierung unterbreitet wurden. Beispiele für in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg geadelte Personen sind etwa Armando Diaz (1921 als Duca della Vittoria), Paolo Thaon di Revel (1921 als Duca del Mare), Gabriele D’Annunzio (1924 als Principe di Montenevoso) sowie Guglielmo Marconi (1924 als Marchese Marconi). Adelsverleihungen wurden bis zur Abschaffung der Monarchie im Jahre 1946 vorgenommen. Die Italienische Republik schaffte 1946 den Adel ab, toleriert aber den Gebrauch von Titeln auch in amtlichen Dokumenten.

Adel des Heiligen Stuhls

Gegenwärtig können nur der Heilige Stuhl (als partikuäres Völkerrechtssubjekt nicht mit dem Staat Vatikan zu verwechseln) und die Republik San Marino Adelswürden verleihen. Beim Heiligen Stuhl wird das seit dem Pontifikat Johannes XXIII. nicht mehr praktiziert, obwohl die theoretische Möglichkeit immer noch besteht.

Adel in San Marino

Die kleine Republik San Marino verlieh dagegen noch in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts Adelstitel, weniger an Inländer als an Ausländer für „Verdienste um den Staat“.

Die venezianischen Nobilhòmini

Nicht mit dem traditionellen Adel vergleichbar sind die sogenannten venezianischen Nobili, die präzise Nobilhòmo (Venexian: Nobilòmo oder Nobiluomo) genannt werden müssen: Sie sind überhaupt nicht mit europäischen Adligen, auch nicht mit italienischen vergleichbar, sondern sie waren Kaufleute, und zwar aus jenen Familien, die zum venezianischem Parlament, dem Großen Rat, seinen Gremien und Regierungsämtern zugelassen waren, den Dogen und alle anderen Regierungsbeamten aus ihren Reihen wählten. Sie unterschieden sich ansonsten nicht von den reichen venezianischen Patrizierfamilien (Cittadini), die nach der Erweiterung des Großen Rates 1297 (üblicherweise falsch als Serrata = Verschluss bezeichnet) dazu keinen Zugang mehr hatten, und hatten daher eine Eigenständigkeit und ein Selbstbewusstsein, das jedem König ein Dorn im Auge sein musste, waren sie doch keine Lehnshintersassen eines Herrschers. Daher setzten Napoléon und die habsburger Kaiser während ihrer Herrschaft über Venedig alles daran, aus den venezianischen Nobilhòmini Vasallen zu machen. Kaiser Franz I. von Österreich hatte nach der Wiederinbesitznahme Venedigs das Wort Nobilòmo abermals unter Strafe gestellt, wie das schon 1798 geschehen war. Nach dem Anschluss Venetiens an das Königreich Italien 1866 galten auch hier die italienischen Adelstitel.

Literatur

  • Heinrich Benedikt: Kaiseradler über dem Apenin. Die Österreicher in Italien 1700-1866. Wien/München 1964
  • Oliver Thomas Domzalski: Politische Karrieren und Machtverteilung im venezianischen Adel (1646-1797). Sigmaringen 1996
  • Enciclopedia Italiana di Szienze, Letteri et Arti, Band XXIV., Roma MDCCCCXXXVI – XIII.
  • Markus Fuchs: Legende - Amt - Endogamie. Ein Porträt des venezianischen Adels von den Anfängen bis ins 16. Jahrhundert. Seminararbeit 2004
  • Dieter Girgensohn: Kirche, Politik und adelige Regierung in der Republik Venedig zu Beginn des 15. Jh. Göttingen 1996
  • Volker Hunecke: Der venezianische Adel am Ende der Republik 1646-1797. Demographie, Familie, Haushalt. Tübingen 1995
  • Hagen Keller: Adelsherrschaft und ständische Gesellschaft in Oberitalien (9.-12. Jahrhundert) Tübingen 1979
  • Peter Kunz: Nürnberg und Venedig: Gegenseitige Einflüsse und Parallelismen in zweieuropäischen Adelsrepubliken. Saarbrücken 2009
  • Marion Lühe: Der venezianische Adel nach dem Untergang der Republik (1797-1830). Köln 2000
  • Marco Meriggi Der lombardo-venezianische Adel im Vormärz. In: Armgard Rehden-Dohna, Ralph Melville (Hg.): Der Adel an der Schwelle des bürgerlichen Zeitalters 1780-1860. Stuttgart 1988, 1998 S. 225-236
  • M. Merores: Der venezianische Adel. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte. In Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Bd. XIX/1926, S. 193-237; Ders.: Der große Rat von Venedig und die sogenannte Serrata vom Jahre 1297. In Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Bd. XXI/1928, S. 33-113
  • Gerhard Rösch: Der venezianische Adel bis zur Schließung des Großen Rates. Sigmaringen 1989, Stuttgart 2001
  • Volker Reinhardt (Hg.): Die großen Familien Italiens. Stuttgart 1992

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