Jung Stilling

Jung Stilling
Johann Heinrich Jung, genannt Jung-Stilling, 1801 im Alter von 60 Jahren. Das Aquarell von Marquard Wocher (1760-1830) befindet sich im Kupferstichkabinett Basel.

Johann Heinrich Jung (genannt Jung-Stilling) (* 12. September 1740 in Grund im Siegerland; † 2. April 1817 in Karlsruhe) war ein deutscher Augenarzt, Wirtschaftswissenschaftler und Schriftsteller.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Sein Vater war der Dorfschneider Johann Helmann Jung (1716-1802), der in der Lebensgeschichte „Wilhelm“ genannt wird, seine Mutter Johanna Dorothea geb. Fischer („Dortchen“, evtl. auch Dorte genannt; * 1717) verstarb 1742, als Jung 18 Monate alt war. Jung wuchs in einer der damals üblichen Großfamilien auf. Diese zählte zum unteren Mittelstand; neben dem Einkommen des Vaters und Großvaters besaß die Familie ein eigenes Haus und eine teilselbstversorgende Landwirtschaft.

Jung wechselte nach dem Besuch der Dorf- zur Lateinschule, die er mit 14 Jahren verließ. Nach seiner Konfirmation erhielt Jung die erste Schulmeisterstelle. So war er nun regelmäßig von donnerstags bis samstags als Lehrer in Dörfern seiner Heimat tätig. An den übrigen Wochentagen arbeitete er in der Schneiderei seines Vaters.

Nach der Wiederverheiratung des Vaters verließ er als 22-Jähriger seine Heimat. Sieben Jahre hindurch war Jung die rechte Hand des Fabrikanten und Fernhandelskaufmanns Peter Johannes Flender (in den Erzählungen als „Herr Spanier“ bezeichnet) in Kräwinklerbrücke im Bergischen Land. Jung wirkte bei Flender als Kaufmannsgehilfe sowie als Lehrer der Kinder des Patrons und lernte auch selbst weitere Sprachen (Französisch, Griechisch, Hebräisch). Nach einem kurzem Medizinstudium in Straßburg, wo er Johann Wolfgang Goethe und Johann Gottfried Herder begegnete, ließ er sich als praktischer Arzt in Elberfeld nieder. Dort begann er auch mit der augenärtzlichen Chirurgie; bis an sein Lebensende operierte Jung-Stilling an die 3.000 Patienten.

Aufgrund mehrerer technischer und ökonomischer Aufsätze in der Fachliteratur erhielt Jung einen Ruf als Professor an die Kameral Hohe Schule in Lautern. Er gab daher seine Tätigkeit als Arzt auf und lehrte ab 1778 in Lautern als Professor der Landwirtschaft, Technologie, Fabriken- und Handelskunde sowie Vieharzneikunde. Als die Kameral Hohe Schule 1784 mit der Universität Heidelberg vereinigt wurde, zog er erneut um. Nach einigen Jahren in Heidelberg lehrte Jung von 1787 bis 1803 als Professor für ökonomische Wissenschaften an der Universität Marburg und wurde 1803 durch Karl Friedrich von Baden, später mit dem Rang eines Geheimen Hofrats in Geistlichen Dingen, zum Berater ohne ein öffentliches Amt berufen.

Heinrich Jung-Stilling

Von 1806 bis zu seinem Tod lebte er als Großherzoglich Badischer Geheimer Hofrat Johann Heinrich Jung genannt Jung-Stilling in Karlsruhe von einer Pension des Kurfürsten. Warum sich Jung den Namen „Stilling“ beilegte, ist nicht genau bekannt; „still“ bedeutete zu seiner Zeit in erster Linie „friedlich“. Andere Erklärungen verweisen darauf, dass er wegen seiner Zugehörigkeit zu den Stillen im Lande, den Pietisten, Jung-Stilling genannt wurde[1]

Einen hohen Bekanntheitsgrad erlangte Jung durch seinen Freund Johann Wolfgang Goethe, der ohne Jungs Wissen den ersten Band dessen Lebenserinnerungen veröffentlichen ließ: Henrich Stillings Jugend. Eine wahrhafte Geschichte, eine zeitüblich verschlüsselte Autobiographie und wichtiger Vorläufer des Entwicklungsromans.

Die Romane – Geschichte des Herrn von Morgenthau (1779), Geschichte Florentins von Fahlendorn (1781) und Leben der Theodore von der Linden (1783) – zeigen ihn als Vertreter des „empfindsamen“ Erziehungsromans. Insbesondere durch die Periodika Der graue Mann (1795-1816) und Des christlichen Menschenfreunds biblische Erzählungen (1808-1816) wurde Jung-Stilling zum führenden Erbauungsschriftsteller der Erweckungsbewegung und zu einem der meist gelesenen religiösen Schriftsteller überhaupt.

Denkmal und Erinnerungen

Jung-Stilling-Haus in Hückeswagen-Hartkopsbever
Jung-Stilling-Denkmal mit Brunnen in Hilchenbach

In Hückeswagen steht in der Ortschaft Hartkopsbever das so genannte Jung-Stilling-Haus.
In Hilchenbach errichteten ihm dankbare Freunde und Gönner ein Denkmal, das auf einem Reliefmedaillon seinen Kopf im Linksprofil zeigt.
In den Museen in Hilchenbach und im Oberen Schloss in Siegen wurden Jung-Stilling-Stuben eingerichtet, die an sein Lebenswerk erinnern.
In Hilchenbach gab es außerdem ein Jung-Stilling-Gymnasium und in der benachbarten Stadt Kreuztal gibt es die Jung-Stilling Gemeinschaftsgrundschule Kreuztal-Kredenbach. Des Weiteren gibt es in der Gemeinde Dietzhölztal-Ewersbach eine Jung-Stilling-Grundschule.

In Siegen gibt es das Jung-Stilling-Krankenhaus. Die auf dem Rosterberg liegende Einrichtung ist ein Akademisches Lehrkrankenhaus der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn.

Straßen, Plätze und Wege

In Kaiserslautern, wo er lange wirkte, ist eine Straße nach ihm benannt. In Hilchenbach gibt es eine Jung-Stilling-Allee, in Netphen einen Jung-Stilling-Platz.

Weitere Straßen und Wege, die mit dem Namen des Gelehrten bezeichnet wurden, gibt es in Ahlen, Betzdorf, Bochum, Burbach, Dortmund, Freudenberg, Hückeswagen, Karlsruhe, Kreuztal, Neunkirchen, Radevormwald, Siegen, Wilnsdorf und Wuppertal.


Werke (Auswahl)

Gesamtausgaben

  • 1835 Johann Heinrich Jung’s, genannt Stilling, sämmtliche Schriften, 3 Bände. Stuttgart 1935
    • Band 1: „Lebensgeschichte“. (Druck und Verlag von Fr. Henne)
    • Band 2: „Scenen aus dem Geisterreiche“. (Druck und Verlag von Fr. Henne)
    • Band 3: „Die Siegesgeschichte der christlichen Religion“. (J. Scheible’s Buchhandlung)
= Band 1–3 von:
  • 1835–1838 Johann Heinrich Jung-Stillings sämtliche Schriften. 8 Bände, Neudruck. Olms, Hildesheim/New York 1979
    (ohne die wirtschaftswissenschaftlichen Arbeiten). ISBN 3-487-06811-7 (Band 1) bis ISBN 3-487-06818-4 (Band 8)

Einzelwerke

  • 1775 Die Schleuder eines Hirtenknaben
  • 1776 Die große Panacee wider die Krankheit des Religionszweifels
  • 1776 Die Theodicee des Hirtenknaben
  • 1777 Heinrich Stillings Jugend
  • 1778 Heinrich Stillings Jünglingsjahre
  • 1778 Heinrich Stillings Wanderschaft
  • 1779 Die Geschichte des Herrn von Morgenthau
  • 1779 Versuch einer Grundlehre sämmtlicher Kameralwissenschaften
  • 1783 Versuch eines Lehrbuchs der Landwirthschaft der ganzen Welt
  • 1784 Versuch einer Grundlehre sämmtlicher Kameralwissenschaften
  • 1785 Versuch eines Lehrbuchs der Fabrikwissenschaft
  • 1785 Versuch eines Lehrbuchs der Vieharzneikunde (2 Teile)
  • 1786 Anleitung zur Cameral-Rechnungs-Wissenschaft
  • 1787 Lehrbuch der Forstwirthschaft (2 Teile)
  • 1788 Lehrbuch der Staats-Polizey-Wissenschaft
  • 1789 Lehrbuch der Finanz-Wissenschaft
  • 1789 Heinrich Stillings häusliches Leben
  • 1790 Lehrbuch der Cameral-Wissenschaft oder Cameral-Praxis
  • 1791 Blicke in die Geheimnisse der Natur-Weisheit
  • 1792 System der Staatswirthschaft
  • 1793 Über den Revolutions-Geist unserer Zeit
  • 1794-1796 Das Heimweh
  • 1795-1801 Scenen aus dem Geisterreich
  • 1799 Lehrbuch der Handlungswissenschaft
  • 1799 Die Siegsgeschichte der christlichen Religion
  • 1804 Heinrich Stillings Lehr-Jahre
  • 1808 Theorie der Geister-Kunde
  • 1809 Apologie der Theorie der Geisterkunde
  • 1816 Lehrsätze der Naturgeschichte für Frauenzimmer

Einzelnachweise

  1. Biografie Johann Heinrich Jung

Literatur

  • Martin Völkel: Jung-Stilling: Ein Heimweh muß doch eine Heimat haben. Annäherungen an Leben und Werk 1740–1817. Bautz Nordhausen 2008, ISBN 978-3-88309-453-3
  • Gustav Adolf Benrath (Hrsg.), Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte. 3. Auflage. Darmstadt 1992, ISBN 3-534-07476-9
  • Max Geiger: Aufklärung und Erweckung. 1963
  • Stella Ghervas: Réinventer la tradition. Alexandre Stourdza et l'Europe de la Sainte-Alliance. Paris, Honoré Champion, 2008. ISBN 978-2-7453-1669-1
  • Gerhard Merk: Jung-Stilling-Lexikon Wirtschaft. 1987
  • Gerhard Merk: Jung-Stilling. Ein Umriß seines Lebens. 1988
  • Otto Wilhelm Hahn: Johann Heinrich Jung-Stilling. 1990 - Biographie
  • Gerhard Merk: Jung-Stilling-Lexikon Religion. 1988
  • Gerhard Schwinge: Jung-Stilling als Erbauungsschriftsteller der Erweckung, 1994
  • Reidmar Egidi: Jung-Stilling-Lexikon Forsten. 1997
  • Gerhard Schwinge, Johann Heinrich Jung-Stilling: Briefe. 2002
  • Kurt Mantel und Josef Pacher: Johann Heinrich Jung, genannt Stilling in: Biographien bedeutender hessischer Forstleute. Georg-Ludwig-Hartig-Stiftung & J. D. Sauerländer, Wiesbaden und Frankfurt am Main 1990, ISBN 3-7939-0780-5, S. 369–372. (Hier ist der Fehler von Freybe enthalten.)
  • Nicole Vogel: Licht in Marburgs Gassen. Aus dem Leben von Jung-Stilling. Historischer Roman. Francke, Marburg an der Lahn 2008, ISBN 978-3-86827-024-2

Weblinks


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