KHM 15

KHM 15
Hänsel und Gretel, Darstellung von Alexander Zick
Illustration von Ludwig Richter, 19. Jahrhundert

Hänsel und Gretel ist ein Märchen aus der Sammlung der „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm (KHM 15). Das Märchen fand auch Aufnahme in Ludwig Bechsteins Deutsches Märchenbuch 1856. Im Typenverzeichnis wird das Märchen unter 327A geführt.[1]

Inhaltsverzeichnis

Inhalt nach der Fassung von 1812

Hänsel und Gretel sind die Kinder eines armen Holzfällers, der mit seiner Frau im Wald lebt. Als die Not zu groß wird, überredet sie ihren Mann, die beiden Kinder nach der Arbeit im Wald zurück zu lassen. Der Holzfäller führt die beiden am nächsten Tag in den Wald. Doch Hänsel hat die Eltern belauscht und legt eine Spur aus kleinen weißen Steinen, anhand derer die Kinder zurückfinden. So kommt es, dass der Plan der Mutter scheitert. Doch der zweite Versuch gelingt: Dieses Mal haben Hänsel und Gretel nur eine Scheibe Brot mit, die Hänsel zerbröckelt, um eine Spur zu legen. Diese wird jedoch von Vögeln gefressen. Dadurch finden die Kinder nicht mehr nach Hause und verirren sich. Am dritten Tag finden die beiden ein Häuschen, das ganz aus Brot, Kuchen und Zucker hergestellt ist. Zunächst brechen sie Teile des Hauses ab, um ihren Hunger zu stillen. In diesem Haus lebt jedoch eine Hexe, die ähnlich wie die Baba Jaga eine Menschenfresserin ist. Sowohl in der Fassung von 1812, der Ausgabe von 1819 und in der „Ausgabe letzter Hand“ von 1857 ruft sie in einer Art von Lautmalerei: „Knuper, knuper, kneischen, wer knupert an meinem Häuschen?“[2]

In Ludwig Bechsteins Deutschem Märchenbuch 1856 lautet der Text, abweichend von den Brüdern Grimm: „Knusper, knusper, kneischen! Wer knuspert mir am Häuschen?“.[3] Die Antwort der Kinder dagegen ist bei Bechstein und in der erweiterten Fassung der Brüder Grimm von 1819 identisch: „Der Wind, der Wind, das himmlische Kind“. [4]
Die Hexe lässt sich nicht täuschen, fängt die beiden, macht Gretel zur Dienstmagd und mästet Hänsel in einem Käfig, um ihn später aufzuessen. Hänsel wendet jedoch eine List an: Um zu überprüfen, ob der Junge schon dick genug ist, befühlt die halbblinde Hexe jeden Tag seinen Finger. Hänsel streckt ihr nun jedes Mal einen kleinen Knochen entgegen, weil er Angst vor dem Tod hat. Als sie erkennt, dass der Junge anscheinend nicht fett wird, und sie die Geduld verliert, will sie ihn dann doch braten. Die Hexe bittet Gretel, in den Ofen zu gucken, ob dieser schon heiß sei. Aber Gretel behauptet, dass sie zu klein sei, um in den Ofen zu schauen. Deshalb muss die Hexe selbst nachsehen. Als sie den Ofen öffnet, schiebt Gretel die böse Hexe in den Ofen. Die Kinder nehmen Schätze aus dem Hexenhaus mit und finden den Weg zurück zum Vater. Die Mutter ist inzwischen gestorben. Nun leben sie glücklich und leiden keinen Hunger mehr.

Die zweite Fassung von 1819

Hänsel und Gretel, Darstellung von Alexander Zick

In dieser Fassung erfährt das Märchen eine Erweiterung und Umdeutung. Es ist nicht mehr die eigene Mutter, auf deren Betreiben die Kinder im Wald ausgesetzt werden, sondern eine Stiefmutter. Nach dem Tod der Hexe finden die Kinder zunächst nicht nach Hause, sondern geraten an ein Gewässer, das sie nicht überqueren können. Schließlich schwimmt eine Ente herbei, die die Kinder über das Wasser trägt. Anschließend kommt ihnen die Gegend bekannt vor, und die Kinder finden nach Hause. Ludwig Bechstein folgt in seinem „Deutschen Märchenbuch“ weitgehend dieser zweiten Fassung der Brüder Grimm, erweitert aber die Handlung um einen dankbaren weißen Vogel, der die Krümel aufgepickt hat und den Kindern nach dem Tod der Hexe den Weg nach Hause zeigt.

Einflüsse und Vorläufer

Das Märchen stammt aus mündlicher Überlieferung und wurde außer von den Brüdern Grimm und Bechstein von Franz von Pocci nacherzählt und illustriert. Es erschien auch 1844 im „Deutschen Volkskalender“ von Friedrich Wilhelm Gubitz. In der Eingangsmotivik ist das Märchen von PerraultsLe petit poucet“, einem Däumlingsmärchen abhängig, wo neben dem Ausstreuen von Kieselsteinen und Brot auch das Motiv der Menschenfresserei vorkommt.[5]

Zur Motivik

In der Urfassung der Brüder Grimm, ebenso wie in Ludwig Bechsteins Märchensammlung ist es statt einer Stiefmutter noch die eigene Mutter, was dem Märchen eine eher sozialkritische Bedeutung gibt. Die Kinder werden ausgesetzt, weil die Familie verhungert. Bei Bechstein stirbt die Mutter nicht, sondern macht sich zusammen mit dem Vater Sorgen um die Kinder und bereut, sie fortgeschickt zu haben. In diesem Moment betreten die Kinder das Haus, und die Not hat ein Ende.

In der Fassung der Brüder Grimm von 1819 ähnelt das Märchen in seinem Ausgangsmotiv vielen Stiefmuttermärchen.

Rezeption

Musikalische Bearbeitungen

  • Kinderreim/-lied:
Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald.
Es war so finster und auch so bitterkalt.
Sie kamen an ein Häuschen von Pfefferkuchen fein.
Wer mag der Herr wohl von diesem Häuschen sein?


Hänsel war hungrig, stibitzt ein Stück vom Dach.
Und auch die Gretel macht es dem Bruder nach.
Es schmeckte gar so lecker, sie aßen immer mehr.
Plötzlich da knackt es und sie erschraken sehr.


Huhu, da schaut eine alte Hexe raus.
Sie lockt die Kinder ins Pfefferkuchenhaus.
Sie stellte sich gar freundlich, o Hänsel, welche Not,
sie will dich braten, im Ofen braun wie Brot.


Du alte Hexe, du bist ein böses Weib.
Frißt kleine Kinder nur so zum Zeitvertreib.
Wir stellen dir ne Falle dann ist’s mit dir vorbei.
Das ist die Strafe für Kinderbraterei.


Doch als die Hexe zum Ofen schaut hinein,
ward sie gestoßen von unserm Gretelein.
Die Hexe musste braten, die Kinder geh'n nach Haus'.
Nun ist das Märchen von Hans und Gretel aus.
  • Engelbert Humperdinck: Hänsel und Gretel, Oper (Uraufführung: 23. Dezember 1893 in Weimar).
    • Hans-Joachim Drechsler, Schweriner Blechbläser-Collegium: Hänsel und Gretel, nach dem Märchenspiel von Engelbert Humperdinck, bearbeitet für einen Erzähler und neun Blechbläser
  • Henri Rene: Hansel And Pretzel, Jazz-Tune

Puppenspiel-Adaption

Hänsel und Gretel der Piccolo Puppenspiele

Parodien

  • Iring Fetscher: „Hänsel und Gretels Entlarvung oder Eine Episode aus der Geschichte des Präfaschismus.“ In: Ders.: Wer hat Dornröschen wachgeküßt? Das Märchen-Verwirrbuch. Fischer, Frankfurt a.M. 1974.
  • Ders.: „Streit um ‚Hänsel und Gretel‘“. Edler von Goldeck berichtet vom dritten Internationalen Märchendeuterkongreß in Oil Lake City, Texas (1975)'. In: Ders.: Der Nulltarif der Wichtelmänner. Märchen und andere Verwirrspiele. Fischer, Frankfurt a.M. 1984.
  • Hans Traxler: „Die Wahrheit über Hänsel und Gretel“, 1963. Neuere Auflage: Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2002. Neuste Auflage: Reclam, Stuttgart 2007.
    Diese Wissenschaftssatire ist so meisterhaft geschrieben, dass man als Leser auf den Gedanken kommen kann, ob sie nicht doch ernst gemeint sein könnte. Die Perfektion der Parodie hat sogar dazu geführt, dass die Traxler-Version ihrerseits als „Wahrheit“ verbreitet wird (s. modernes Märchen).
    Hier eine kurze Zusammenfassung der „Forschungsergebnisse“: Die aus Wernigerode stammende „Schraderin“ ist eine erfolgreiche Lebkuchenbäckerin im Nürnberg des 17. Jahrhunderts, die – jung und schön – nicht nur von dem herzoglichen Hofbäcker Hans Metzler um ihren Erfolg beneidet, sondern auch begehrt wird. Nachdem sie seinen Heiratsantrag zurückgewiesen hat, verfolgt er sie weiterhin hartnäckig, so dass sie sich gezwungen sieht fortzuziehen. Sie erwirbt ein einsames Fachwerkhaus am Engelsberg im Spessart, renoviert es, errichtet vier Backöfen – um sich von nun an ganz ihrem Beruf zu widmen. Metzler schwärzt sie bei der Inquisition in Form des „Gelnhäuser Stadtschultheißen“ an. Standhaft gelingt es ihr trotz der Folter, sich der Hexenvorwürfe zu widersetzen, und sie muss entlassen werden. Hans Metzler entschließt sich – wahrscheinlich mit seiner Schwester Gretel – zu persönlicher Racheausübung. Mit Mordgedanken im Sinn dringen die Geschwister in das Haus der Schraderin ein und stoßen sie grausam in einen der vier Öfen. Das Lebkuchenrezept, das Geheimnis des Erfolges der „Bakkerhexe“, finden sie jedoch nicht.
  • Michael Ende: „Ein sehr kurzes Märchen
Hänsel und Knödel, die gingen in den Wald.
Nach längerem Getrödel rief Hänsel plötzlich: „Halt!“
Ihr alle kennt die Fabel, des Schicksals dunklen Lauf:
Der Hänsel nahm die Gabel und aß den Knödel auf.
  • Otto Waalkes griff das Märchen oft in Liedern auf und textete so bekannte Lieder zu Hänsel und Gretel-Parodien um.
  • Walter Moers: Ensel und Krete. Ein Märchen aus Zamonien von Hildegunst von Mythenmetz mit Erläuterungen aus dem Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und Umgebung von Professor Dr. Abdul Nachtigaller, Eichborn, Frankfurt a.M. 2000.
  • I, Robot: In dem Film "I, Robot" (u.a. mit Will Smith) wird die Geschichte durch das „Krümel für Krümel“-Schema hervorgehoben, der Drehbuchautor deutet so darauf hin, dass dieses Märchen auch in „Zukunft“ seine Bekanntheit nicht verlieren werde.
  • "Gretel und Hänsel und die Hexe im Wald" von Sigrid Laube und Mara Blazejovsky

Verfilmungen

Hänsel und Gretel erlebte seit 1909 zahlreiche Verfilmungen, darunter:

  • Hänsel und Gretel, BRD 1954, Regie: Fritz Genschow
  • Hänsel und Gretel, BRD 1954, Regie: Walter Janssen
  • Hänsel und Gretel, BRD 1971, Regie: Rudolf Jugert
  • Hänsel und Gretel (O: Cannon Movie Tales - Hansel and Gretel), USA 1986, Regie: Len Talan mit Cloris Leachman (Hexe), Nicola Stapleton (Gretel), Hugh Pollard (Hänsel)
  • Die Wahrheit über Hänsel und Gretel 1987, Regie: Thees Klahn
  • Gurimu Meisaku Gekijō, japanische Zeichentrickserie 1987, Folge 2: Hänsel und Gretel
  • SimsalaGrimm, deutsche Zeichentrickserie 1999, Staffel 1, Folge 3: Hänsel und Gretel
  • Hänsel und Gretel, D 2006, Regie: Anne Wild
  • Hänsel und Gretel – Ein Fall für die Supergranny, Komödie aus Die ProSieben Märchenstunde (Deutschland/Österreich, ab 2006): Die Eltern der beiden unartigen Kinder Hänsel und Gretel bringen diese nach einem besonders schlimmen Streich (sie hatten mit Kanonenpulver gefüllte Brotkrumen an Vögel verfüttert, die daraufhin explodierten) zur Kindererziehungsexpertin Frau Gutkind (Hexe). Diese hält mehrere Kinder im Keller gefangen, die mit falschen Briefen ihren Eltern vorgaukeln müssen, wie gut sie jetzt erzogen sind.
Knusperhäuschen mit Hexe

Sonstiges

Einzelnachweise

  1. Ludwig Bechstein, Sämtliche Märchen, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1983, (Lizenzausgabe des Winklerverlages München), Kommentar, S.786
  2. Originalzitat der Brüder Grimm, Ausgaben der KHM 1812 und 1819, vgl. . „Ausgabe letzter Hand“ von 1857, Philipp Reclam, Stuttgart 2007, S. 104.
  3. Originalzitat Ludwig Bechstein, a. a. O., S.62, siehe auch den angegebenen Weblink
  4. Ludwig Bechstein, a. a. O., S. 62
  5. Anhang mit Kommentaren zum Deutschen Märchenbuch von Ludwig Bechstein, S. 786f.

Weblinks


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