Karl Friedrich Stellbrink

Karl Friedrich Stellbrink
Karl Friedrich Stellbrink

Karl Friedrich Stellbrink (* 28. Oktober 1894 in Münster; † 10. November 1943 in Hamburg) war ein evangelisch-lutherischer Pastor. Er wurde als einer der Lübecker Märtyrer hingerichtet.

Inhaltsverzeichnis

Jugend und Ausbildung

Karl Friedrich Stellbrink war das zweite Kind des Oberzollsekretärs Karl Stellbrink und seiner Frau Helene Kirchhoff. Ab 1904 besuchte er das humanistische Gymnasium in Detmold, dann wechselte er nach Spandau und verließ 1913 nach der Mittleren Reife die Schule. Nach erfolgloser Bewerbung an der Kunstakademie in Düsseldorf wandte er sich der Theologie zu. 1913 trat er in das Landeskirchliche Diaspora-Seminar in Soest ein, das speziell für den Dienst im Ausland vorbereitete.

Der Erste Weltkrieg verzögerte seine Ausbildung. Im Februar 1915 wurde er als Soldat eingezogen und kam an die Westfront, wo er am 14. Januar 1916 so schwer verwundet wurde, dass die linke Hand versehrt blieb.

Als „50 % kriegsversehrt“ wurde Stellbrink am 1. Oktober 1917 aus dem Kriegsdienst (Heerdienst) nach Berlin entlassen. Hier leistete er soziale Arbeit für die Kirche und einen Kinderrettungsverein, leitete einen Männer- und Jünglingsverein und bereitete sich auf seine Reifeprüfung vor. Das Abitur bestand er am 31. März 1919; ein Jahr später legte er die Abschlussprüfung am Predigerseminar Soest ab. Für ein knappes Jahr kam er nun als Vikar nach Barkhausen im Synodalbezirk Minden. Am 5. März 1921 heiratete er die Lehrerin Hildegard Dieckmeyer. Kurz danach empfing er in Witten die Ordination für das geistliche Amt in Übersee.

Auslandsaufenthalt

Einen Monat später wurde er mit seiner Frau nach Brasilien entsandt. Stellbrink trat in Rio Grande do Sul seinen Dienst als Pastor deutscher Siedler an. Die Familie blieb acht Jahre in Brasilien; ihre drei Kinder wurden dort geboren.

Stellbrink war schon zu dieser Zeit Mitglied in mehreren völkischen Organisationen, unter anderem im Alldeutschen Verband.

Pfarrstellen in Deutschland

Im Sommer 1929 beschloss er nach einem Urlaub in der Heimat nicht nach Brasilien zurückzukehren, sondern sich in Deutschland um eine Pfarrstelle zu bewerben. Nach einem Examen (das für ihn als Nicht-Volltheologen nötig war), wurde er 1930 Pfarrer in Steinsdorf in Thüringen. Einige Gemeindeglieder beschwerten sich schriftlich über Stellbrinks „herrisches Wesen“ und seine „politisierenden Reden“. Stellbrink ergriff offen Partei für die NSDAP und die Deutschen Christen und vertrat nach Ansicht von Hansjörg Buss ein „völkisch-rassistisches Weltbild“.[1]

Stellbrink gehörte dem stark völkisch geprägten Bund für Deutsche Kirche an, der als „evangelische Bruderschaft mit stark nationalem Charakter“ charakterisiert wird.[2] In einem biografischen Artikel heißt es: „National gesonnen und gesellschaftspolitisch engagiert, hatte S[tellbrink] nach seiner Rückkehr aus Brasilien große Sympathie für Hitler und die NSDAP“.[3] 1933 trat Stellbrink der NSDAP bei.[4]

Im Juni 1934 bewarb er sich erfolgreich als Nachfolger von Hauptpastor Mildenstein für die Pfarrstelle des ersten Bezirks der Lübecker Lutherkirche der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Lübeckischen Staate. Die Lutherkirche galt in dieser Zeit als Hochburg der Deutschen Christen in Lübeck, wie zB dem Pastor und NSDAP-Senator Ulrich Burgstaller, denen sich Stellbrink aber nicht anschloss.

Wandlung und Gegnerschaft zur NSDAP

1934 legte Stellbrink seine Parteiämter nieder; vermutlich veranlassten ihn antikirchliche Strömungen in Partei und Staat sowie ständige Konflikte zwischen Hitler-Jugend und Evangelischer Jugend zu diesem Schritt.[5] 1936 trat sein Sohn aus der HJ aus. 1937 wurde Stellbrink wegen parteischädigender Kritik aus der NSDAP ausgeschlossen; schon vorher war er aus dem „Bund für Deutsche Kirche“ ausgetreten.

Seine ablehnende Haltung gegenüber dem Krieg, in dem ein Pflegesohn Stellbrinks 1940 fiel, verstärkte seine Gegnerschaft zum Regime. Die so genannte Euthanasie, von der er seit Sommer 1941 Kenntnis hatte, lehnte er entschieden ab.[6] Ab 1941 stand er in freundschaftlichem Kontakt mit dem römisch-katholischen Kaplan Johannes Prassek, mit dem er Predigten Clemens August Graf von Galens und Informationen von abgehörten „Feindsendern“ austauschte, die er auch an andere weitergab. Stellbrink schloss sich allerdings nicht der Bekennenden Kirche an, blieb in der Landeskirche isoliert und suchte stattdessen den Kontakt zu den römisch-katholischen Geistlichen der Herz-Jesu-Kirche.

Nach dem schweren Bombenangriff auf Lübeck in der Nacht zum Palmsonntag vom 28. März auf den 29. März 1942 soll Stellbrink in seiner Predigt im Konfirmationsgottesdienst am Palmsonntag unmittelbar danach gesagt haben, dass Gott mit mächtiger Sprache geredet habe.[7] Das wurde in einem Gestapo-Bericht so dargestellt und verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Stadt, dass Stellbrink den Angriff als Gottesgericht gedeutet habe, wodurch die Bevölkerung ... auf das äußerste erregt worden sei.[8]

Prozess und Tod

Kurz darauf, am 7. April, wurde Stellbrink verhaftet. Zusammen mit den römisch-katholischen Geistlichen der Lübecker Herz-Jesu-Gemeinde Eduard Müller, Johannes Prassek und Hermann Lange wurde er Juni 1943 vom Volksgerichtshof der „landesverräterischen Feindbegünstigung“, der „Wehrkraftzersetzung“ sowie wegen Vergehen gegen das Rundfunkgesetz und „Vergehen gegen das Heimtückegesetz“ angeklagt, am 23. Juni zum Tode verurteilt und am 10. November in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg am Holstenglacis mit dem Fallbeil hingerichtet.

Historische Bewertung

Gedenktafel in Wallanlagen beim Untersuchungsgefängnis Hamburg

Stellbrink hatte nach Einschätzung von Hansjörg Buss den Vorstellungen eines „rückwärtsgewandten übersteigerten Nationalismus“ und einer „religiös fundierten und rassisch definierten Volksgemeinschaft“ angehangen.[9] Zweifellos stand Stellbrink der Demokratie ablehnend gegenüber. Zeitgenossen galt er als „schwierig“, als „Wahrheitsfanatiker“, teils auch „als unangenehm empfundene Persönlichkeit“.[10]

Nach 1945 gewährte die Kirchenleitung der Familie Stellbrinks eine Versorgungsrente und widerrief damit posthum die Entlassung Stellbrinks aus dem Dienst der Landeskirche. Am zweiten Jahrestag der Hinrichtung der Lübecker Märtyrer schloss sich mit Senior Pautke der leitende Geistliche der Lübecker Landeskirche der besonders von der römisch-katholischen Kirche getragenen Deutung des Todes der vier Lübecker Geistlichen Prassek, Lange, Müller und Stellbrink als Martyrium an. Diese Würdigung war nicht unumstritten. Aus den Kreisen der Bekennenden Kirche wurde u.a. eingewandt, Stellbrink habe „mit krassen Worten […] das Alte Testament beschimpft“ und sein Leben „nicht im Kampf um das Evangelium“, sondern „im politischen Kampf gegen das Dritte Reich“ verloren.[11] Diese Einwände riefen ihrerseits Widerspruch hervor. 1959 beschloss der Lübecker Kirchenrat ein „alljährliches Gedenken“ aller vier Hingerichteten. 1993 erwirkte der damalige Lübecker Bischof Karl Ludwig Kohlwage zusammen mit dem Rechtsanwalt und ehemaligen Landesjustizminister Heiko Hoffmann anlässlich des 50. Jahrestages der Hinrichtung die förmliche Aufhebung von Stellbrinks Todesurteil.

Das gemeinsame Schicksal Stellbrinks und seiner drei römisch-katholischen Amtskollegen ist für die ökumenischen Beziehungen zwischen der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche von Bedeutung. Das Gedenken an ihren Tod wird seit den 1960er Jahren von einer kritischen Auseinandersetzung mit den Biografien der vier Geistlichen begleitet.[12] Oftmals wird Stellbrinks „gebrochene Biografie“ benannt, meist verbunden mit dem „Interpretationsschema des Geläuterten“. Hansjörg Buss vertritt die Ansicht, „dass eine historisch fundierte und kritische Auseinandersetzung mit Pastor Stellbrink nicht stattgefunden“ habe.[13]

Nach Stellbrink sind Straßen in Hamburg, Lübeck und anderen Orten benannt; sie erinnern an seine Verfolgung durch die nationalsozialistische Terror-Justiz.

Bei der Seligsprechung der drei katholischen Geistlichen der vier Lübecker Märtyrer am 25. Juni 2011 in Lübeck gedachte Kardinal Walter Kasper in seiner Predigt ausdrücklich auch des Protestanten Stellbrink.[14][15]

Literatur

  • Else Pelke: Der Lübecker Christenprozess 1943. Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1961.
  • Rolf Saltzwedel: Die Luthergemeinde in Lübeck während der Zeit des Nationalsozialismus. In: Der Wagen 1995/96 (1995), S. 119–138.
  • Peter Voswinckel: Nach 61 Jahren komplett. Abschiedsbriefe der Vier Lübecker Märtyrer im historischen Kontext. In: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 85 (2005), S. 279–330.
  • Heiko Hoffmann, Karl Ludwig Kohlwage: Karl Friedrich Stellbrink. In: Isabella Spolovnjak-Pridat, Helmut Siepenkort (Hrsg.): Ökumene im Widerstand. Der Lübecker Christenprozeß 1943. Schmidt-Römhild, Lübeck 20063, S. 11–19.
  • Harald Schultze, Andreas Kurschat (Hrsg.): „Ihr Ende schaut an …“ Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2006, S. 27, 36, 74f., 446–448. 20082, S. 478–480.
  • Hansjörg Buss: Ein Märtyrer der evangelischen Kirche. Anmerkungen zu dem Lübecker Pastor Karl Friedrich Stellbrink. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 55 (2007), H.7/8, S. 624–644.
  • Franz Mecklenfeld, Petra Kallies, Regina Pabst (Hrsg): Denn sie waren Freunde Gottes. Dokumentation des Lübecker Märtyrer-Gedenkens 2003 bis 2008. Römisch-Katholische Kirche, Dekanat Lübeck und Evangelisch-Lutherischer Kirchenkreis Lübeck, 2009.
  • Martin Thoemmes: Karl Friedrich Stellbrink. In: Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck, Band 11, Wachholtz Verlag Neumünster 2000, ISBN 3529026409, S. 350–352; aktualisierte Fassung in: Neue Lübecker Lebensläufe. Herausgegeben im Auftrag des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde von Alken Bruns, Neumünster 2009, ISBN 978-3-529-01338-6, S. 569–572.
  • Wolf-Dieter Hauschild: Märtyrergedenken in der evangelischen Kirche. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 120 (2009), S. 323–339.
  • Peter Voswinckel: Abwege des Nationalprotestantismus und die Umkehr des Pastors Karl-Friedrich Stellbrink (1894–1943). Neue Perspektiven der Kirchengeschichtsschreibung durch ökumenische Perspektiven. In: Der Wagen 2010, ISBN 978-3-87302-113-6, S. 43–71.
  • Peter Voswinckel: Geführte Wege. Die Lübecker Märtyrer in Wort und Bild. Butzon & Bercker, Hamburg 2010, ISBN 978-3766613912.

Film

  • Widerstehen im Geiste Christi - Die Lübecker Märtyrer. Dokumentarfilm von Jürgen Hobrecht, Copyright Polis Film, Berlin 2011.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Hansjörg Buss: Ein Märtyrer der evangelischen Kirche … S. 626–628.
  2. Else Pelke: Der Lübecker Christenprozeß 1943. Mainz 1961, S. 187.
  3. Harald Schultze, Andreas Kurschat (Hrsg.): „Ihr Ende schaut an …“. S. 447.
  4. Hansjörg Buss: Ein Märtyrer der evangelischen Kirche … S. 627.
  5. Hansjörg Buss: Ein Märtyrer der evangelischen Kirche … S. 628–637
  6. Harald Schultze, Andreas Kurschat (Hrsg.): „Ihr Ende schaut an …“. S. 447; Hansjörg Buss: Ein Märtyrer der evangelischen Kirche … S. 634.
  7. Der genaue Wortlaut dieser Predigt ist nicht überliefert; diese Darstellung folgt der 1946 aufgeschriebenen Erinnerung der Tochter, siehe Else Pelke (Lit.), S. 176
  8. Peter Voswinckel: Geführte Wege. Die Lübecker Märtyrer in Wort und Bild., Butzon & Bercker / St. Ansgar Verlag, Hamburg 2010 ISBN 978-3-7666-1391-2, S. 118 und 207.
  9. Hansjörg Buss: Ein Märtyrer der evangelischen Kirche … S. 636.
  10. Hansjörg Buss: Ein Märtyrer der evangelischen Kirche … S. 637.
  11. Hansjörg Buss: Ein Märtyrer der evangelischen Kirche … S. 640.
  12. Else Pelke: Der Lübecker Christenprozeß
  13. Hansjörg Buss: Ein Märtyrer der evangelischen Kirche … S. 643.
  14. Tausende bei Seligsprechung von Nazi-Widerständlern in Lübeck. In: Lübecker Nachrichten online vom 25. Juni 2011
  15. Tausende bei Seligsprechung der Märtyrer In: NDR.de, abgerufen am 25. Juni 2011

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