- Karl Retzlaw
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Karl Retzlaw (* 10. Februar 1896 in Schneidemühl; † 20. Juni 1979 in Frankfurt am Main, bis 1953 amtlich: Karl Gröhl) war ein deutscher sozialistischer Politiker und Publizist.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Der aus einer baptistischen Arbeiterfamilie stammende Retzlaw siedelte 1908 nach Berlin über, wo er nach der Absolvierung der Volksschule in einer Bronzegiesserei arbeitete und sich einer sozialistischen Arbeiterjugendgruppe anschloss. Dort engagierte er sich sehr für die Interessen der Arbeiter. 1915, im Alter von 19 Jahren, kam er über Flugblätter mit der „Spartakusgruppe“ in Berührung, für die er sich fortan konspirativ engagierte.
Als Gegner der Burgfriedenspolitik der SPD, welcher er während des Ersten Weltkrieges beigetreten war, schloss er sich 1917 der USPD an. Im Berliner Kabelwerk Cassirer arbeitete er zu dieser Zeit als Werkzeugschleifer und wurde von den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern als Vertrauensmann gewählt.
1918 verweigerte er mit 21 Jahren anlässlich eines Befehls zur Musterung den Kriegsdienst und wurde im gleichen Jahr noch verhaftet, wegen „Nichtbefolgung des Gestellungsbefehls“ zu sechs Monaten Haft verurteilt und in das Militärgefängnis Osowiec in Polen gebracht. Anfang November 1918, wenige Tage vor Ende des Ersten Weltkriegs, wurde Karl Retzlaw entlassen und kam nach Berlin zurück.
Die deutsche Revolution 1918-19
Er nahm an der Novemberrevolution als Mitglied des Spartakusbundes an der Seite von Karl Liebknecht aktiv teil. Anfang 1919 trat Retzlaw der gerade neu gegründeten KPD bei. Nach der Ermordung Liebknechts und Rosa Luxemburgs im Spartakusaufstand kämpfte Retzlaw zusammen mit Leo Jogiches gegen die Berliner Freikorps- und Polizeidiktatur von Gustav Noske, durch welche die SPD-Regierung eine Revolution nach russischen Vorbild mit Gewalt zu unterdrücken suchte. Nach der Ermordung Jogiches in der Niederschlagung der Berliner Märzkämpfe floh Retzlaw aus Berlin nach München.
In München angekommen, suchte er den Kontakt zu Max Levien, dem Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Bayerns. Hier unterstützte Retzlaw die Bildung der Münchner Räterepublik, gegen die nach der Ermordung des ersten Bayrischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner (USPD) an die Macht gekommene Regierung Hoffmann. Nach der Organisation des Generalstreiks vom 7. April 1919 wurde er Kommissar für das Polizeiwesen und Münchner Polizeipräsident. Nach den Erfahrungen mit der Polizeigewalt in Berlin und vor dem Hintergrund der sich formierenden Gegenbewegungen ordnete Retzlaw als Sicherheitsmaßnahme die Vernichtung sämtlicher Polizeiakten an.
In der Illegalität
Nach der Niederschlagung der Räterepublik lebte Retzlaw längere Zeit unter falscher Identität und arbeitete als hauptamtlicher Funktionär der KPD, so als stellvertretender Bezirksleiter in Brandenburg, als Geschäftsführer des Komintern-Verlages Verlagsbuchhandlung Carl Hoym Hamburg und als Leiter des illegalen Apparates der Partei, wobei er mit dem geheimnisumwitterten „Genossen Thomas” zusammenarbeitete, der als Agent der Sowjetunion illegal in Berlin lebte und den Aufbau der Sektion Westeuropa der Komintern organisierte.[1] In dieser Zeit baute er unter der Identität des „Karl Friedberg“ den Nachrichtendienst der KPD aus. Die Befreiung von Kommunisten aus dem Gefängnis und Sabotage bildeten den Schwerpunkt seiner damaligen Arbeit. So versuchte Retzlaw auch erfolglos den seit 1921 einsitzenden Max Hoelz zu befreien. Zwischen 1919 und 1926 unternahm Retzlaw mehrfach auch zusammen mit anderen Kommunisten - Walter Ulbricht, Hermann Duncker oder August Thalheimer - Reisen in die Sowjetunion. Mehrere Besuche auf Einladung des neuen Mitgliedes des neuen Inneren Direktoriums der Sowjetregierung Josef Stalin konnten nur unter hohen persönlichem Risiko unternommen werden, da diese bis 1920 in die Zeit des Russischen Bürgerkrieges fielen.
Im Februar 1926 verhaftet, wurde Retzlaw im Juni 1927 wegen seiner politischen Aktivitäten vom Reichsgericht Leipzig zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt und im Juli 1928 amnestiert.
Retzlaw hatte sich mittlerweile vor dem Hintergrund der Politik der Führungen von KPD und Komintern sowie der Erfahrungen während der Besuche in der Sowjetunion zu einem Kritiker der Linie von Stalin und Ernst Thälmann entwickelt und sympathisierte mit den Positionen Leo Trotzkis. Dennoch fand er nach seiner Haftentlassung eine Anstellung als Geschäftsführer bei dem von Willi Münzenberg geleiteten Neuen Deutschen Verlag.
Exil
Nach der Machtübernahme der NSDAP und dem Reichstagsbrand tauchte Retzlaw zunächst unter und reiste dann im Februar 1933 nach Moskau, um der Kominternführung über die aktuellen Entwicklungen in Deutschland zu berichten. Hierbei warnte er ausdrücklich vor einer Fehleinschätzung der friedlichen Koexistenz Hitler-Deutschlands mit der Sowjetunion; eine Meinung, die er später in einem persönlichem Brief an Stalin wiederholen sollte.
Um einer Verhaftung durch die Nazis zu entgehen, siedelte er nach seinem Aufenthalt in der Sowjetunion in die Schweiz über. Dort traf er mit dem späteren Herausgeber der Frankfurter Rundschau, Karl Gerold, zusammen. Im November 1933 erklärte er dann seinen Austritt aus der KPD und schloss sich den trotzkistischen Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD) an.
1934 siedelte er ins Saarland über, wo er sich intensiv am Kampf gegen den Anschluss des Gebietes an Deutschland beteiligte. Er arbeitete dort als Kultursekretär der saarländischen Sozialdemokraten. Nach der Abstimmungsniederlage flüchtete er im Januar 1935 nach Frankreich. Dort beteiligte er sich an Aktivitäten gegen deutsche Waffenlieferung an Franco während des spanischen Bürgerkrieges. Nach Kriegsbeginn 1939 bis 1940 kurzzeitig interniert, floh er im Sommer 1940 vor der anrückenden Wehrmacht über Südfrankreich nach Lissabon. In einem Zeitungskiosk in Marseille schließlich erfuhr er von der Ermordung Trotzkis.
In Lissabon angekommen, flog ihn der britische Geheimdienst am 9. Oktober 1940 weiter nach Großbritannien. Im britischen Exil gründete er den Bund Deutscher Revolutionärer Sozialisten - BDRS - in der Deutschen Demokratischen sozialistischen Föderation und war in der Fight for Freedom-Gruppe aktiv. In London blieb er über die Kanäle des Britischen Nachrichtendienstes auch mit dem in der Schweiz gebliebenen Karl Gerold in Verbindung. 1946 kehrte Retzlaw ins Saarland zurück und trat der SPD bei, hielt aber freundschaftliche Beziehungen zu seinen Genossen aus der IKD aufrecht.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Retzlaw lebte seit 1950 in der Bundesrepublik. Er arbeitete bis 1963 als Verlagsangestellter für die von Karl Gerold geleitete Frankfurter Rundschau und war dort lange Jahre Betriebsratsvorsitzender. Außerdem war er in der VVN-Abspaltung Bund der Verfolgten des Naziregimes und dem Verband für Freiheit und Menschenwürde aktiv und gründete 1973 gemeinsam mit Augustin Souchy, Peter Bernhardi und Peter Maslowski das linke Diskussionsforum „Arbeitskreis Karl Liebknecht“.
Einzelnachweise
- ↑ Vgl. Alexander Watlin: Die Komintern 1919-1929. Mainz: Decaton-Verlag 1993
Werke (Auswahl)
- Retzlaw, Karl (d.i. Karl Gröhl): Spartacus – Aufstieg und Niedergang. Erinnerungen eines Parteiarbeiters, Frankfurt am Main (Neue Kritik) 1971 (und mehrere folgende Auflagen) ISBN 3-8015-0096-9 (online als PDF)
Literatur
- Jörg Später: Die Kritik des "anderen Deutschland". Otto Lehmann-Rußbüldt, Karl Retzlaw und Hans Jaeger im Londoner Exil. in: Gunther Nickel, Hg.: Literarische und politische Deutschlandkonzepte 1938 - 1949. Wallstein, Göttingen 2004, ISBN 3892447217 S. 163-185
- Jörg Später: Die Kritik des »anderen Deutschland«. in "Jour fixe"-Initiative Berlin (Hg.): Fluchtlinien des Exils. Unrast, Münster 2004 ISBN 3897714310
- Hermann Weber, Andreas Herbst: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945, Berlin 2004, S. 610 f.
Weblinks
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