- Kernfission
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Kernspaltung bezeichnet einen Prozess der Kernphysik, bei dem ein Atomkern unter Energiefreisetzung in zwei oder mehr Bestandteile zerlegt wird. Seltener wird die Kernspaltung auch als Kernfission (v. lat. fissio = das Spalten) bezeichnet — ein Begriff, der nicht mit Kernfusion, dem Verschmelzen zweier Atomkerne, verwechselt werden darf.
Inhaltsverzeichnis
Spontane und induzierte Spaltung
Einige Atomkernarten (Nuklide) spalten sich ohne äußere Einwirkung. Diese spontane Spaltung ist eine Art des radioaktiven Zerfalls. Sie lässt sich quantenmechanisch ähnlich dem Alpha-Zerfall durch den Tunneleffekt erklären.
Praktisch weit wichtiger ist jedoch die induzierte Spaltung, eine Kernreaktion, bei der ein frei herumfliegendes Teilchen, meist ein Neutron, zufälligerweise einen Kern trifft und von diesem absorbiert wird (mit Neutronen kann man nicht “zielen”). Der Kern gewinnt dadurch die Bindungsenergie (und zusätzlich auch eventuelle kinetische Energie) dieses Neutrons, befindet sich also in einem angeregten Zustand und spaltet sich. (Jedoch sind an Stelle der Spaltung auch andere Reaktionsverläufe möglich, z. B. indem der angeregte, nun um ein Neutron reichere, Kern sich durch Emission eines Gammaquants abregt und so in einen stabilen Zustand übergeht.)
Bei beiden Arten der Spaltung können außer den meist 2 Bruchstücken auch einige (typisch 2 oder 3) Neutronen freigesetzt werden. Beide Arten der Spaltung kommen nur bei genügend schweren Nukliden vor, denn nur dann sind die entstehenden neuen Kerne fester gebunden als der ursprüngliche Kern, so dass die Spaltung dem Kern einen “Energievorteil” bringt. Anschaulich lässt sich die Spaltung nach dem Tröpfchenmodell durch Schwingung und Zerreißen des Kerns verstehen: der Kern dehnt sich in die Länge und schnürt sich in der Mitte ein. Die langreichweitige elektrische Abstoßung der Protonen überwiegt dann die anziehende, kurzreichweitige Kernkraft (siehe Atomkern); die Bruchstücke werden folglich auseinander getrieben. Das animierte Bild zeigt, wie der Kern (rot) von einem Neutron (blau) getroffen wird und in zwei Bruchstücke zerfällt, wobei noch einige — im Bild drei — Neutronen frei werden.
Spaltfragmente
Die Spaltung in nur zwei neue Kerne (Spaltfragmente) ist nicht die einzige Möglichkeit, aber die bei weitem häufigste. Es können viele verschiedene Nuklidpaare als Spaltfragmente entstehen. In jedem Fall bleiben aber die vorhandenen Protonen und die vorhandenen Neutronen zahlenmäßig erhalten. Zwei mögliche Fälle der neutroneninduzierten Spaltung von Plutonium 239 sind beispielsweise (das n steht für "Neutron"):
Die Spaltfragmente sind mittelschwere Nuklide, haben aber den relativ hohen Neutronenanteil des ursprünglichen schweren Kerns und deshalb immer einen Neutronenüberschuss. Sie sind instabil gegen β−-Zerfall, aber auch gegen verzögerte Neutronen-Emission (wichtig für die Regelung von Kernreaktoren). Sie durchlaufen meist mehrere Zerfallsstufen bis zu einem stabilen Nuklid. Bei einigen Spaltprodukten hat der letzte dieser Zerfälle eine Halbwertszeit von vielen Jahren.
Warum bei der Spaltung Energie frei wird
Die Bindungsenergie des einzelnen Nukleons ist in den Spaltprodukten höher als im ursprünglichen schweren Kern. Gerade deshalb kann bei der Spaltung Energie freigesetzt werden. Das erscheint nur auf den ersten Blick paradox, denn Bindungsenergie ist, als Energieinhalt des gebundenen Systems betrachtet, negative Energie.
In folgender Erklärung wird zur Vereinfachung angenommen, dass der 235U-Kern ein Neutron aufnimmt und dann in zwei gleiche Bruchstücke der Massenzahl A=118 zerfällt. Zur Berechnung werden der Einfachheit halber mittlere Werte der Bindungsenergie pro Nukleon aus der Grafik verwendet (siehe auch Massendefekt).
- Zunächst stellt man sich vor, statt des Uran-235-Kerns hätte man 235 einzelne Nukleonen (92 Protonen und 143 Neutronen) und würde diese plus das eingefangene Neutron zu einem Kern zusammenbauen. Bei diesem Vorgang würde Energie frei gesetzt werden. Genauso viel Energie würde man benötigen, um den U-236-Kern wieder vollständig in seine Bestandteile zu zerlegen.
- Würde man entsprechend ein Bruchstück zusammenbauen, erhielte man .
- Bei der Spaltung eines Uran-235-Kerns in zwei gleich große Teile muss also die Energiedifferenz frei werden
- Diese Energie wird durch folgenden Mechanismus abgegeben: Beide Bruchstücke besitzen jeweils 46 Protonen, stoßen sich deshalb ab und fliegen mit sehr hoher Geschwindigkeit auseinander. Im umliegenden Material werden sie abgebremst und erzeugen dabei "Reibungs"wärme (genauer: sie übertragen ihre Bewegungsenergie ungeordnet nach und nach auf viele Moleküle des Materials).
Die Energieberechnung bei chemischen Reaktionen wird ganz analog durchgeführt.
Energiebilanz der Kernspaltung
Die bei der Kernspaltung freiwerdende Energie von etwa 200 MeV pro Spaltung verteilt sich auf die Teilchen bzw. Strahlungsarten, die bei der Kernspaltung entstehen. Die Atomkerne werden nicht gleichmäßig gespalten, sondern es entstehen Spaltprodukte mit verschieden Massen, die dann selbst wieder unter Emission von radioaktiver Strahlung in mehreren Stufen weiter zerfallen. Die Tabelle zeigt die durchschnittlichen Energien pro Strahlungsart.
Energieart / Strahlungsart Durchschnittliche Energie kinetische Energie Spaltprodukte 165 MeV Gammastrahlung 7 MeV kinetische Energie der Neutronen 6 MeV Zerfallstufen: kinetische Energie 7 MeV Zerfallstufen: Gammastrahlung 6 MeV Zerfallstufen: Neutrinostrahlung 9 MeV Gesamtenergie pro Spaltung ca. 200 MeV Bei der hier aufgeführten Neutrinostrahlung handelt es sich genau genommen um Elektron-Antineutrinos, die beim Beta-Minus Zerfall der Spaltprodukte entstehen.
Spaltbarkeit
durch Thermische Neutronen
Durch thermische Neutronen sind meistens nur Isotope mit ungerader Neutronenzahl gut spaltbar, da nur diese Kerne durch die Aufnahme eines Neutrons Paarenergie (s. Tröpfchenmodell) hinzugewinnen. ("Gut spaltbar" bedeutet dabei, dass der Wirkungsquerschnitt solcher Kerne für Spaltung hunderte bis tausende Barn beträgt; mit “schlecht spaltbar” sind dementsprechend Spalt-Wirkungsquerschnitte der Größenordnung um 1 Barn oder weniger gemeint.)
Beispiel: Americium hat als 95. Element mit seiner ungeraden Protonenzahl bei ungeraden Nukleonenzahlen eine gerade Zahl von Neutronen, während Plutonium, als 94. Element, mit seiner geraden Protonenzahl bei ungeraden Nukleonenzahlen auch ungerade Neutronenzahlen hat. Deshalb ist Americium 241Am mit thermischen Neutronen schlecht spaltbar (3,1 Barn), im Gegensatz zu Plutonium 241Pu (1010 Barn).
durch schnelle Neutronen
Mit schnellen Neutronen (mit kinetischer Energie im MeV-Bereich) sind auch Nuklide mit gerader Neutronenzahl spaltbar, obwohl sie durch die Aufnahme eines Neutrons keine Paarenergie hinzugewinnen. (Die Wirkungsquerschnitte für die “schnelle Spaltung” erreichen allerdings nicht die hohen Werte mancher “thermischen Spaltungen”, siehe oben.)
Als praktisches Beispiel kann die Dreistufenbombe gelten, in der sehr schnelle Neutronen (über 14 MeV), die bei der Kernfusion erzeugt wurden, in der aus abgereichertem Uran bestehenden Bombenhülle die Uran-238-Kerne spalten und damit die Sprengkraft der Bombe und den Fallout stark erhöhen.
Technische Bedeutung
Technische Bedeutung hat die induzierte Spaltung als Kettenreaktion in Kernreaktoren mit Isotopen der Elemente Uran und Plutonium, und zwar Isotopen mit ungeraden Neutronenzahlen, vor allem Uran-235 und Plutonium-239. Der Grund hierfür ist die Paarenergie oder Paritätsenergie (s. Abschnitt “Spaltbarkeit”).
Der Energiegewinn der Spaltung eines Kerns ist groß, rund 200 MeV (zum Vergleich: Der Energiegewinn bei chemischen Reaktionen wie Verbrennung liegt bei etwa 20 eV pro Molekül). Er tritt hauptsächlich als kinetische Energie der Spaltfragmente auf, zu einem kleineren Teil auch in der Strahlung aus deren radioaktiven Zerfällen. Auch die für die Regelbarkeit von Kernreaktoren entscheidend wichtigen verzögerten Neutronen (s. Kritikalität) werden aus den Spaltfragmenten freigesetzt.
In Reaktoren werden die Bewegungsenergie der Spaltstücke und die Energie der entstehenden Strahlung durch Stöße mit dem Material der Umgebung in Wärme gewandelt. Nur die entstehenden Elektron-Antineutrinos, ein Teil der Gammastrahlung und ein Teil der freien Neutronen entweichen aus der Reaktionszone.
Kritische Masse
Die kleinste Masse eines spaltbaren Materials, in der eine Kettenreaktion aufrechterhalten werden kann, heißt Kritische Masse. Sie hängt ab von der Anwesenheit und Menge einer Moderator-Substanz und von der geometrischen Anordnung. Ein dünnes Blech würde z.B. fast alle Neutronen nach außen verlieren, während innerhalb eines kompakten Objekts mehr Neutronen Gelegenheit haben, die Atomkerne zu treffen. Die kleinste kritische Masse wird in einer kugelförmigen Anordnung erreicht. Auch dann könnte sie aber durch Kompression des Materials noch verringert werden, so dass eine absolute untere Grenze nicht existiert.
Die Geometrieabhängigkeit der kritischen Masse wird ausgenutzt, um beim Herstellen oder Bearbeiten von Kernbrennstoffen die zur Kettenreaktion führende Kritikalität zu vermeiden. So werden etwa chemische Reaktionen in flachen Wannen durchgeführt, in denen das Material über weite Flächen verteilt ist.
Kernwaffen
Die exponentiell anwachsende Kernspaltungs-Kettenreaktion einer prompt überkritischen (s. Kritikalität) Spaltstoffanordnung dient als Energiequelle für “normale” Kernwaffen. Die Energie wird in verschiedenen zerstörenden Formen wie Lichtstrahlung, Hitze usw. freigesetzt.
Bei Wasserstoffbomben dient die Kernspaltung als Zünder für eine Kernfusion, das Verschmelzen von leichten Atomkernen, bei dem zusätzliche Energie freigesetzt wird.
Forschungsgeschichte
Hauptartikel: Entdeckung der Kernspaltung
Seit den Arbeiten von Ernest Rutherford war bekannt, dass Atomkerne durch den Beschuss mit schnellen Teilchen verändert werden können. Mit Entdeckung des Neutrons im Jahre 1932 durch James Chadwick wurde klar, dass es viele Möglichkeiten der Umwandlung von Atomkernen geben musste. Unter Anderem versuchte man, durch Einbringen von Neutronen in schwere Kerne neue, noch schwerere Nuklide herzustellen.
Nach Vermutungen von Enrico Fermi[1] vertrat u.a. Ida Noddack[2] die zutreffende Annahme der Spaltung des neugebildeten Kerns (“Es wäre denkbar, dass bei der Beschießung schwerer Kerne mit Neutronen diese Kerne in mehrere größere Bruchstücke zerfallen, die zwar Isotope bekannter Elemente, aber nicht Nachbarn der bestrahlten Elemente sind.”). Allerdings galten diese Vermutungen 1934 noch als unseriös. Den Deutschen Otto Hahn und Fritz Straßmann gelang 1938 am Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie der Beweis einer induzierten Kernspaltung von Uran durch den chemischen Nachweis eines der Spaltprodukte (radioaktives Barium). Hahns Mitarbeiterin Lise Meitner befand sich zu dem Zeitpunkt in Schweden, da sie als Jüdin von den Nazis verfolgt wurde, war aber an der Idee des Experiments beteiligt. Sie klärte im selben Jahr (gemeinsam mit Otto Frisch) den theoretischen Hintergrund des Experiments. Hahn, Meitner und Straßmann gelten damit als die Entdecker der Spaltbarkeit von schweren Atomkernen per Neutronenbeschuss.
Am 16. Januar 1939 reiste Niels Bohr in die USA, um einige Monate mit Albert Einstein physikalische Probleme zu erörtern. Kurz vor seiner Abreise aus Dänemark berichteten ihm Frisch und Meitner von ihrer Deutung des Hahn-Straßmannschen Versuchsergebnisses. Bohr teilte dies nach seiner Ankunft in den USA seinem früheren Schüler John Archibald Wheeler sowie anderen Interessierten mit. Durch sie verbreitete sich die Neuigkeit unter anderen Physikern, unter ihnen auch Enrico Fermi von der Columbia-Universität. Fermi erkannte die Möglichkeit einer kontrollierten Spaltungs-Kettenreaktion und führte 1942 in Chicago das erste erfolgreiche Reaktorexperiment durch.
Quellen
- ↑ Enrico Fermi: Possible production of element of atomic number higher than 92, Nature 133 (1934), S. 898–899
- ↑ Ida Noddack-Tacke: Über das Element 93, Angewandte Chemie 47 (1934), S. 653–655
Weblinks
- Flash-Animation zur Kernspaltung von U-235 (dwu-Unterrichtsmaterialien)
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