Kleinstkredit

Kleinstkredit

Mikrokredite sind Kleinstkredite von einem Euro bis unter 1.000 Euro an Kleingewerbetreibende überwiegend in Entwicklungsländern. Sie sind neben Mikroversicherungen und micro savings eine wesentliche Mikrofinanz-Dienstleistung. Die Kredite werden in der Regel von spezialisierten Finanzdienstleistern und nichtstaatlichen Organisationen meist zur Förderung der Entwicklung vergeben.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Mikrokredite sind ein Instrument der Entwicklungspolitik und werden häufig auch als erfolgreiche Beispiele im Rahmen des Management-Konzepts "Base of the Pyramid" angeführt. Sie sind jedoch keine neue Erfindung. Schon das vor 150 Jahren entwickelte Raiffeisen-Modell basiert auf dem Selbsthilfe- und Solidaritätsprinzip, nach dem heute viele Mikrofinanzinstitute in den Entwicklungsländern arbeiten. Schon 1976 gab es in Bangladesch ein derartiges Programm, das von Muhammad Yunus initiiert wurde, und aus dem 1983 die Grameen Bank hervorging.

Nach Europa kehrte diese Idee Anfang der 1990er-Jahre zurück, als sich für die ständig steigende Zahl der Existenzgründer aus der Arbeitslosigkeit eine zunehmende Finanzierungslücke zeigte. In den Niederlanden entstand das Modell Tante Agathe zur Aktivierung von Privatkapital für Existenzgründer. In Frankreich wurde 1996 die gemeinnützige Adie gegründet, die inzwischen (März 2007) rund 100 Zweigstellen hat und jährlich über 10 000 Mikrokredite an Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger vergibt. [1]

Im Jahr 2006 erhielten Yunus und die Grameen Bank den Friedensnobelpreis für die Bemühungen um die „wirtschaftliche und soziale Entwicklung von unten“.

1995 gründete die Weltbank die Consultative Group to Assist the Poor (CGAP, „Beratungsgruppe für die Unterstützung der Armen“) mit dem Ziel, 200 Millionen US-Dollar für die Vergabe von Mikrokrediten zu mobilisieren. Ein erster Höhepunkt der Entwicklung war der Microcredit Summit im Jahr 1997.

Die Vereinten Nationen sehen in der Mikrofinanzierung ein wichtiges Instrument zur Erreichung der Millenniumsziele zur Reduktion von Armut. Sie haben 2005 zum Jahr der Mikrokredite ausgerufen.

Seit 2006 gibt es im Internet die Möglichkeit, Mikrokredite direkt an einen selbst ausgesuchten Kreditnehmer in einem Entwicklungsland zu vergeben.[2]

Arbeitsweise

Die Rückzahlungen sollen in einer sozial akzeptablen Weise ermöglicht werden, dafür gibt es spezielle Kredittechnologien:

  • Es wird ein Folgekredit in Aussicht gestellt.
  • Gruppenbildung: Fünf bis sechs Kreditnehmer erhalten abwechselnd einen Kredit und bürgen füreinander.
  • Kundenkontakt: Die Mikrobank prüft das Geschäftsmodell des Kreditnehmers gründlich und passt die Rückzahlungsintervalle und -raten dem Geldfluss des Unternehmens an (wöchentliche oder monatliche Rückzahlung).
  • Fokussierung auf Frauen: Viele Mikrofinanzorganisationen vergeben Kredite nur an Frauen, da diese als kreditwürdiger und verlässlicher empfunden werden.

Zinsen sind in vielen Mikrokredit-Programmen einfache Zinsen (Restwertabschreibung) und keine Zinseszinsen.[3]

Durch Einhaltung dieser Regeln und wachsende Professionalisierung erzielen viele Mikrofinanzinstitute oft Rückzahlungsquoten von 95 bis 100 Prozent. [4] Der effektive Jahreszins für solche Mikrokredite liegt deutlich über dem klassischer Kredite, häufig über 20 % p. a. Dies wird begründet mit den höheren Kosten und der notwendigen intensiven Beratung, die Mikrokredite verursachen.

Refinanzierung

Die Geldmittel für Mikrokredite stammen einerseits aus Spareinlagen der lokalen Bevölkerung (dann handelt es sich um echte Mikrofinanz-Institute), oft aber von internationalen Kapitalgebern. Bei einigen Organisationen, beispielsweise der Opportunity International, stammen die Geldmittel aus Spenden von Privatpersonen. Zudem gibt es einige Kapitalanlageprodukte mit ethischer Ausrichtung, die sich an die Anleger der Ersten Welt richten. Internationale Kapitalgeber sind z. B.:

  • Die Weltbank-Tochter International Finance Corporation (IFC)
  • European Bank for Reconstruction and Development (EBRD)
  • Soros Economic Development Fund (SEDF)
  • die KfW Bankengruppe
  • Opportunity International Deutschland - eine gemeinnützige Stiftung, die ihre Spendengelder zum Aufbau von Mikrofinanzinstitutionen in Entwicklungsländern verwendet
  • Die ökumenische Entwicklungsgenossenschaft Oikocredit vergibt 70 % ihrer Kredite an Mikrofinanzeinrichtungen
  • Der European Fund for Southeast Europe (EFSE) ist der weltweit größte Mikrofinanzfonds und basiert auf einer Public Private Partnership. Investoren sind u.a. die Europäische Kommission, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die Kreditanstalt für Wiederaufbau und Sal. Oppenheim.
  • responsAbility Global Microfinance Fund ist ein in Luxemburg aufgelegter, Privatanlegern zugänglicher Fonds von einem Verbund vorwiegend Schweizer Banken: Credit Suisse Group, Raiffeisenbanken, Baumann & Cie, Alternative Bank Schweiz, Swiss-Re, Andromeda Fund (Niederlande).
  • Vision Microfinance ist ein in Luxemburg aufgelegter Microfinanz-Fonds, wird verwaltet von Absolute Portfolio Management in Wien und enthält überwiegend festverzinsliche Anlagen, meist in der Form von Darlehen an Mikrofinanzinstitute.
  • die ProCredit Holding AG (früher IMI AG) refinanziert die ProCredit Gruppe; Privatanleger können sich durch Erwerb einer Inhaber-Teilschuldverschreibung beteiligen; auch die KfW Bankengruppe ist an der ProCredit Holding AG beteiligt.

Armutsbekämpfung

Die armutsmindernde Wirkung von Mikrokrediten ist durch wissenschaftliche Studien belegt. Arme Kleingewerbetreibende haben in der Regel keinen Zugang zu üblichen Bankkrediten, da sie keine dinglichen Sicherheiten stellen können und der Aufwand pro Kredit klassischen Banken zu hoch erscheint. Infolgedessen bleiben sie oft im informellen Sektor und abhängig von Kreditvermittlern oder gar „Kredithaien“ mit in der Regel höheren Zinssätzen.

Durch Mikrokredite wird die wirtschaftliche Tätigkeit der Kunden erhöht und damit mittelbar auch der Lebensstandard, ablesbar an Marktzugang, organisierter Arbeit, Ansehen und Erhöhung betriebswirtschaftlicher Kompetenz. Wundermittel sind Mikrokredite hingegen nicht, weil sie einen gewissen Grad an Selbständigkeit voraussetzen und damit die Ärmsten der Armen meist nicht erreichen können.

Auch sind Mikrokredite nur ein erster Schritt. In den meisten Fällen sind Mikrokredit-Kunden auch nach Jahren nicht in der Lage, reguläre Sparkonten bei Geschäftsbanken zu eröffnen und so das durch Mikrokredite wirtschaftlich Erreichte zu sichern. Institutionen, die im Sinne eines umfassenderen Mikrofinanz-Ansatzes auch Sparmöglichkeiten (micro savings) und andere Finanzdienstleistungen bieten, gehen hier einen Schritt weiter.[5]

Zunehmend wird das Konzept der Mikrokredite auch auf Industrieländer übertragen. So schlug Hillary Clinton beim Microcredit Summit 1997 vor, Mikrokredite auch zur Armutsbekämpfung in den Slums US-amerikanischer Großstädte einzusetzen.

Kritik

Eine der Initiatorinnen der Mikrokredite, die Grameen Bank, ist dazu übergegangen, drei Arten von Krediten zu vergeben: Unternehmens-Darlehen zu einem Zinssatz von 20 %, Baudarlehen zu 8 % Zinsen und Bildungskredite für die Hochschulausbildung der Kinder von Grameen-Familien (Zinssatz: 5 Prozent). 1983 war die Bank noch vollständig fremdfinanziert [6] und ist heute immer noch abhängig von Entwicklungshilfe.[7] Eine staatliche Subventionierung von Mikrofinanzdienstleistern ist mittlerweile auch in anderen Ländern üblich geworden. [8]

Die Höhe der Zinsrate für Unternehmenskredite ist in der Öffentlichkeit und bei Fachleuten umstritten.[9] [10] Allerdings sind die Kreditbedingungen und Zinsen von entwicklungspolitischen Mikrofinanzinstitutionen meist erheblich günstiger und kalkulierbarer als die herkömmlicher Geldverleiher.[10][11]

Die Ärmsten der Armen kämen als Kreditnehmer nicht mehr in Frage, da es ihnen an Möglichkeiten mangele, Einkommen zu erzielen und Kredite zurückzuzahlen. Die Fokussierung auf die reine Kreditvergabe ohne Ergänzung einer Spar-Möglichkeit führe häufig auch zu einer Schuldenfalle, aus der gerade die weibliche Hauptzielgruppe nur schwer herauskomme.[10]Überdies verändere die Vergabe von Mikrokrediten nicht die wirtschaftlichen Makrostrukturen und fördere auch keine transformativen Rahmenbedingungen.[12]

Mikrokredit in Deutschland

In Deutschland baut das Deutsche Mikrofinanz-Institut (DMI) seit 2005 einen Mikrofinanzsektor auf. Lokale Beratungs- und / oder Finanzierungsinstitutionen (Gründerzentren, zielgruppenspezifische Beratungseinrichtungen, Wirtschaftsförderer, Stadtentwickler, Beteiligungsgesellschaften u.ä.), die eine Mikrokreditorganisation für ihre lokale Wirtschaft aufbauen wollen, werden mit Beratung, Trainings sowie Methoden und Instrumenten zur Kreditbearbeitung und -begleitung unterstützt. Nach einem Akkreditierungsprozess als Mikrofinanzierer empfiehlt das DMI diese Organisationen an einen Haftungsfonds („Mikrofinanzfonds Deutschland“ - Investoren: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Gemeinschaftsbank und Kfw-Bankengruppe mit jeweils 500 000 Euro). Die Mikrofinanzierer treten auf lokaler Ebene als effizienter Zugang zu Mikrokrediten für ExistenzgründerInnen und Kleinstunternehmen auf. Die aktuellen Adressen der Mikrofinanzierer sind auf der Website http://www.mikrofinanz.net unter dem Punkt „Kreditvergabe“ zu finden.

Mikrokredit-Institute

Weltweit wird die Zahl der der Mikrofinanz-Institute (MFI) auf über 70.000 geschätzt. Zwei Organisationen, die sich schwerpunktmäßig im Bereich Mikrokredit engagieren, sind das Deutsche Mikrofinanz Institut und FINCA International (USA).

Für Organisationen, die den umfassenderen Mikrofinanz-Ansatz verfolgen, siehe dort.

Einzelnachweise

  1. Publik-Forum Nr. 5 v. 9. März 2007, S. 20
  2. „Kredit per Mausklick“, Stefan Dietrich, Deutsche Welle 21.07.2007
  3. „Die Grameen-Bank auf einen Blick“, Oktober 2006
  4. Angaben der französischen Agie: Ausfallquote knapp 7%; nach Publik-Forum Nr. 5 v. 9. März 2007
  5. Dirk Steinwand: „Revolution in der Mikrofinanz“, GTZ, April 2004
  6. „Auch arme Menschen sind kreditwürdig“, NZZ, Juni 1995
  7. Mario Müller: „Ein Banker mit Kleingeld“, Frankfurter Rundschau, 14. Oktober 2006
    „Für den Frankfurter Ökonom Harry Schmidt, einen Experten der Mikrofinanzierung, taugt die Grameen Bank aber aus ein anderem Grund nicht als Modell: Sie hänge am Tropf der Entwicklungshilfe und sei nicht darauf angelegt, ganz aus eigenen Mitteln Kredite zu vergeben. „So sollte die Mikrofinanzierung nicht sein“, meint er. Die gute Idee könne auf die Dauer nur funktionieren, wenn die Projekte sich selbst tragen.“
  8. „Ein Banker mit Kleingeld“, Frankfurter Rundschau, 14. Oktober 2006
    „Ob in Asien oder Afrika. Osteuropa oder Südamerika - allerorten startete man entsprechende Projekte. Sie gelten längst als wesentliche Elemente der Entwicklungshilfe und werden von internationalen Organisationen unterstützt.“
  9. Anne Seith: „Nobelpreis-Träger Yunus: Business statt Almosen“, Spiegel Online, 13. Oktober 2006
    „Doch auch der Nobelpreisträger hat Kritiker. Die Zinsen von 20 Prozent für Grameen-Kredite seien zu hoch, sagen sie. Yunus kümmere sich außerdem nicht um die Ärmsten der Armen. Vollkommen unberechtigt ist dieser Vorwurf nicht. Denn die Bank hilft nur Menschen, die arbeiten können. So musste Yunus erste Kundin, Sofia Katun, einem Artikel des Stern von 1995 zufolge später wieder betteln gehen, weil sie zu krank zum Arbeiten war.“
  10. a b c „Mikrofinanzierung: Allheilmittel gegen Armut?“, Eva Terberger, Professorin für BWL, Universität Heidelberg, 3/2002
  11. Sebastian Schwiecker: „The Impact and Outreach of Microfinance Institutions: The Effect of Interest Rates“, Diplomarbeit November 2004
  12. Laxmi Murthy: „Women’s empowerment, or a debt trap?“ infochangeindia.org, 2005

Literatur

  • Shahidur R. Khandker: Fighting Poverty with Microcredit. Experience in Bangladesh. Oxford et al. 1998.
  • Joanna Ledgerwood: Microfinance Handbook: An Institutional and Financial Perspective. 2001, ISBN 0-8213-4306-8.
  • Juliet Hunt, Nalini Kasynathan: Pathways of empowerment? Reflections on microfinance and transformation in gender Relations in South Asia. In: Caroline Sweetman (Hrsg.): Gender, Deveropment and Money. Oxfam 2001, S. 42-52.
  • Naila Kabeer: Money can`t buy me love?: Re-evaluating Gender, Creditaon Empoverment in rural Banglagdesh. IDS Discussion Paper 363, University of Sussex, Sussex 1998.
  • Thorsten Nilges: Zunehmende Verschuldung durch Mikrokredite. Auswertung eines Experiments in Südindien. Duisburger Arbeitspapiere Ostasienwissenschaften Nr. 63, Duisburg 2005.
  • Christian Thiele: Die Zwergkapitalisten von Monte Grande. In: Rheinischer Merkur, Nr. 36, 2006.
  • Deepa Narayan und Patti Tepesch (Hrsg.): Voices of the Poor: From Many Lands. World Bank Publications, New York 2002, 509 S., ISBN 0-19-521603-2
  • Beatriz Armendáriz de Aghion und Jonathan Morduch: The Economics of Microfinance. Cambridge, MIT Press, 2005, 352 S., ISBN 0-262-01216-2 (Aghion gründete eine Mikrofinanzbank in Chiapas, Mexico)
  • VENRO – Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V. (Hrsg.) / Sütterlin, Sabine: Mein Wort zählt. Mikrokredite: Kleines Kapital – große Wirkung. Frankfurt, Brandes-Apsel-Verlag, 2007, 160 S., ISBN 978-3-86099-727-7 Kurzfassung
  • Annette Krauß, Birgit Joußen, Koenrad Verhagen, Finanzsystementwicklung - Spar- und Kreditinstitutionen für die Armen. Bericht der ersten Forschungsphase, hrsg. von der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz, Münster 2001

Weblinks

Organisationen für Mikrokreditfinanzierung
Kritik
Wissenschaftliche Beiträge

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