Klerikalfaschist

Klerikalfaschist
Dieser Artikel oder Abschnitt bedarf einer Überarbeitung. Näheres ist auf der Diskussionsseite angegeben. Hilf mit, ihn zu verbessern, und entferne anschließend diese Markierung.

Klerikalfaschismus (ital.: clerofascismo) bezeichnet die ideologische Nähe und praktische Zusammenarbeit von Christen bzw. Kirchen und Faschisten. Die Kritik bezog sich ursprünglich seit etwa 1930 besonders auf eine Annäherung kirchlicher Amtsträger („Klerus") und konservativ-christlicher Parteien an faschistische Parteien oder Regierungen in manchen Staaten Europas und Lateinamerikas.

Inhaltsverzeichnis

Überblick

Als klerikalfaschistisch werden folgende Gruppierungen und Regimes bezeichnet:


Sonderfall Italien

Obwohl der Begriff Klerofaschismus mutmaßlich aus der italienischen Politik stammt, kann das Regime von Mussolini nicht ohne weiteres dem Klerikalfaschismus zugeordnet werden. Das komplexe Staat-Kirche-Verhältnis im Italien des 19. Jahrhundert erschwert einfache Zuordnungen. Das italienische Königreich, das (ohne allgemeines, gleiches Wahlrecht) eher liberal regiert wurde, stand dem römischen Papsttum seit 1860 feindselig gegenüber. Die Päpste lehnten den italienischen Nationalstaat samt den modernen Staatsideen ab (vgl. Syllabus). Die Regierungsübernahme durch Mussolini 1922 ermöglichte zunächst eine schrittweise Annäherung, die 1929 mit den Lateranverträgen zur gegenseitigen Anerkennung (riconziliazione) von Staat und Kirche führte. Gerade moderne, aufgeschlossene Kurienvertreter meinten mitunter, im neuen Staatsdenken des Faschismus ein zukunftsweisendes Programm erblicken zu können. In dem Maße, indem sich der ital. Faschismus aber totalitären Positionen annäherte, stieß er seitens des Katholizismus auf Kritik. Diese war noch nicht von fundierten demokratischen Überzeugungen getragen, sondern setzte bei der Gewissensfreiheit und den Rechten der Kirche an. Belehrt aus den Erfahrungen des II. Weltkriegs erkannte das Papsttum aber seit 1944 an, dass die Demokratie die vorzugswürdige Regierungsform im Staat sei. Seither ist dem Klerikalfaschismus der ideologische Boden entzogen, insbesondere in Italien (vgl. Democrazia Cristiana). Das klerikal-faschistische Gedankengut ist heute nur noch kennzeichnend für bestimmte Strömungen des Integralismus.

Weimarer Republik und Österreich bis 1933

In der Weimarer Republik verwendete die KPD die Bezeichnung als polemischen Kampfbegriff konkret gegen die Zusammenarbeit der katholischen Zentrumspartei mit rechtsextremen Parteien. Auch in Österreich und einigen romanischen Ländern war der Begriff vor allem gegen katholische Allianzen mit aufstrebenden faschistischen Parteien gerichtet. Mit antisemitischer Propaganda versuchten diese Teile des Bürgertums, die bislang christlich-konservative Parteien wählten, für sich zu gewinnen.

Der christliche Antijudaismus war eine Wurzel des faschistischen Antisemitismus und wichtiges ideologisches Bindeglied zwischen Christentum und Faschismus vor 1933. Seine jahrhundertelange Tradierung durch kirchliche Lehre, Predigt und Volksfrömmigkeit war eine der wesentlichen Vorbedingungen für den Holocaust.

Zeit des Nationalsozialismus

Nach der Machtergreifung versuchten die Faschisten in Österreich verstärkt, einer drohenden Besetzung durch die deutsche NSDAP-Regierung zuvorzukommen, indem sie auch Regierungsmethoden wie die autoritäre Staatsgliederung, Wirtschaftslenkung und Internierung von politischen Gegnern in Konzentrationslagern übernahmen.

Die Bewegung der Deutschen Christen richtete sich besonders im Bereich des Protestantismus gegen die herkömmlichen konfessionellen Strukturen, was nach Hitlers ersten Schritten zur Einbindung dann der Gleichschaltung der ev. Kirchen Auftrieb gab. Sie strebten eine Synthese von evangelischem Christentum mit faschistischer, antisemitischer und rassistischer Ideologie an und eroberten seit Juni 1933 in Teilbereichen der Deutschen Evangelischen Kirche Kirchenleitungsämter.

Den eigentlichen Klerikalfaschismus machen kritische Kirchenhistoriker aber in der fortgesetzten Bereitschaft hochrangiger lutherischer Kirchenführer wie Otto Dibelius, Hans Meiser und Theophil Wurm aus, mit dem NS-Regime zusammenzuarbeiten und sich mit den DC-Kirchenführern zu arrangieren. Da sie die staatliche Judenpolitik prinzipiell bejahten, widersprachen sie weder der allmählichen Entrechtung und Enteignung des Judentums insgesamt noch der Ausgrenzung von getauften Juden aus der Kirche.

Die Katholische Kirche verhielt sich gegenüber dem NS-System zunächst distanziert. Doch am 20. Juli 1933 schloss Papst Pius XI. mit dem NS-Regime das Reichskonkordat ab, in dem die katholische Kirche von Hitler weitreichende Zusagen erhielt, ihre bisherigen Privilegien nicht anzutasten. Hitler sicherte sich mit der Militärseelsorge wertvolle Unterstützung der Kirche für seine Kriegspläne. Nach Vertragsschluss riefen Hirtenbriefe regelmäßig zur Unterstützung Hitlers auf; öffentlicher Widerspruch dagegen hätte sich deshalb gegen Bischöfe und Papst gerichtet. Dies hatte ambivalente Folgen: Ein massenhafter Protest gegen die Verfolgung von Juden und Behinderten blieb unter den Katholiken ebenso aus wie unter den Protestanten. Nur einzelne Bischöfe wie Clemens August Graf von Galen nutzten ihre Position, um – zeitweise erfolgreich – gegen die Euthanasie zu protestieren.

Klerikalfaschistische Tradition führte u.a. dazu, dass der Vatikan ehemaligen Nationalsozialisten nach 1945 zur Flucht vor Strafverfolgung ins Ausland verhalf (siehe z.B. Rattenlinie). In wieweit der Papst diese Praxis kannte und unterstützte, ist umstritten.

Verwandte Begriffsverwendungen seit 1945

Manchmal wird eine Verwandtschaft christlicher Lehren und Organisationsformen mit dem Faschismus, etwa hinsichtlich des Führerprinzips im katholischen Cäsaropapismus oder autoritärer, „sektenartiger“ Strukturen bei Gruppen des christlichen Fundamentalismus heute als christlicher Faschismus bezeichnet.

Die Theologin Dorothee Sölle verwendete den Begriff Christofaschismus zum einen für die „Fernsehreligion“, die mit elektronischen Massenmedien neue Formen der Indoktrination geschaffen habe[1], zum anderen für die fundamentalistische US-amerikanische Rechte und ihre Opposition zur lateinamerikanischen Befreiungstheologie.[2]

In Brasilien unter Getúlio Vargas spaltete Bischof Carlos Duarte Costa die Katholisch-Apostolische Kirche Brasiliens von der Katholischen Kirche ab, der er das Unfehlbarkeitsdogma, den Zölibat, den Gebrauch von Latein in der Liturgie, und den "Klero-Faschismus" mit zu großer Nähe zu Vargas vorwarf.

Nach dem Krieg wurde das Verhältnis von Kirchen und Faschismus neu bewertet. Karlheinz Deschner und andere kritische Forscher der Kirchengeschichte sprechen oft von Klerikalfaschismus, wo religiöse Intoleranz zu besonders augenfälligen Verbrechen gegen die Menschlichkeit führte, wie etwa in Zeiten der Inquisition und der Hexenverfolgungen. [3]

Solche Hinweise auf die geistige Nähe und praktische Solidarität zwischen Christen und Faschisten kann eine konkrete Definition von Faschismus allerdings auch relativieren. Das gilt auch – ungeachtet äußerer Parallelen – für die ahistorische Übertragung des Begriffs auf islamistische Regimes wie den heutigen Iran, der sich als Theokratie versteht (Islamfaschismus).

siehe auch

Einzelbelege

  1. Dorothee Sölle: Elektronische Kirche, in: Junge Kirche 42/1981, S. 249ff
  2. Dorothee Sölle: Das Fenster der Verwundbarkeit, Kreuz-Verlag, 1987, ISBN 3783108438, S. 158
  3. z.B. Karlheinz Deschner in Kriminalgeschichte des Christentums, Kirche und Faschismus, Mit Gott und dem Führer.

Literatur

  • Klaus-Jörg Siegfried: "Klerikalfaschismus". Sozialwissenschaftliche Studien (Herausgeber Peter Lang), Frankfurt am Main, November 1982, ISBN 3921121957
  • Karlheinz Deschner: "Kirche und Faschismus"; Ullstein 1993; ISBN 3811834444

Weblinks

Siehe auch


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Jozef Tiso — (1936) Jozef Tiso (* 13. Oktober 1887 in Nagybiccse, Österreich Ungarn; † 18. April 1947 in Bratislava, Tschechoslowakei) war ein katholischer Priester und tschechoslowakischer beziehungsweise slowakischer Politiker. Ab 1925 war er Abgeordneter… …   Deutsch Wikipedia

  • Leo Gabriel (Philosoph) — Leo Gabriel (* 11. September 1902 in Wien; † 15. Februar 1987 ebenda) war ein österreichischer Philosoph, bekannt durch sein integrativ ganzheitliches Denken und seine Förderung des Dialogs zwischen Christen und Marxisten. Inhaltsverzeichnis 1… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”