Islamfaschismus

Islamfaschismus

Islamfaschismus oder Islamofaschismus ist ein kontroverser Neologismus, der Ähnlichkeiten in Ideologie und Praxis zwischen modernen islamistischen Bewegungen und europäischem Faschismus des 20. Jahrhunderts, bzw. zu neofaschistischen und totalitären Bewegungen der Gegenwart suggeriert. Als islamfaschistische Organisationen wurden unter anderem Al-Qaida, die Taliban, die Muslimbruderschaft, Hamas und Hisbollah bezeichnet. Kritiker des Begriffs sehen in der Verbindung von Islam und Faschismus ein beleidigendes und falsches politisches Schlagwort.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsbeschreibung

Die These vom Erstarken eines „Islamfaschismus“ hat insbesondere nach dem 11. September 2001 Verbreitung gefunden, während der Begriff Islamfaschismus bereits im März 1979 während der islamischen Revolution im Iran von Chomeini-Gegnern verwendet wurde.[1]

Der Begriff soll eine Tendenz innerhalb des politischen Islam benennen, die offen mit faschistischen Ideen sympathisiere oder, ohne Bezug darauf, nach einem Muster agiere, das dem europäischen Faschismus äquivalent erscheine.

Befürworter des Begriffs sehen weitere Merkmale faschistischer Ideologie [2] erfüllt, wie etwa die dem Führerprinzip ähnliche Idolisierung einiger islamischer Führer, eine Märtyrerideologie, die das Individuum der Gemeinschaft opfert, sowie die Notwendigkeit eines „Volksschädlings“ zu propagandistischen Zwecken, den im Falle Al-Qaidas und anderer Dschihadisten stets Israel, die USA und das schon von den Nazis als Kampfbegriff benutzte „Weltjudentum“ darstellten. Als weitere Elemente werden, u.a. von Alan Posener, Rassismus und Antisemitismus genannt.

Verwendet wird der Begriff unter anderem von einigen Intellektuellen z.B. in iranischen Weblogs zur Bezeichnung von totalitären Regimes. Auch der Publizist Christopher Hitchens, der atheistische und religionskritische Positionen vertritt, bezeichnet islamischen Fundamentalismus gerne als „Faschismus" [3] und wird oft als Erfinder des Begriffs „Islamfaschismus“ genannt. Der Islamwissenschaftler Bassam Tibi und die Frauenrechtlerin Ayaan Hirsi Ali nennen den Islamfaschismus eine weitere totalitäre Ideologie, die sich nun ausbreitet, nachdem die Welt den Faschismus und Stalinismus überwunden hat.

Es ist unklar, ob alle Vertreter des Begriffs das gleiche unter dem Begriff Islamfaschismus verstehen: Josef Joffe benutzte anlässlich der Attentate in Madrid vom 11. März 2004 in der ZEIT den Ausdruck Islamo-Faschismus als Beschreibung der Ideologie islamistischer Attentäter, allerdings ohne ihn genauer zu definieren.[4] Der Journalist Hannes Stein kommentierte für Die Welt: „Der islamische Fundamentalismus (...) hatte europäische Lehrmeister. Er wurzelt nicht nur im Koran, sondern auch in der deutschen Volkstumsideologie.[5]

Der Begriff Islamfaschismus wurde am 7. August 2006 auch von George Bush im Hinblick auf Hisbollah und die sie seiner Meinung nach unterstützenden Länder im Libanonkrieg 2006 bei einer Pressekonferenz in Crawford verwendet: „They try to spread their jihadist message -- a message I call, it's totalitarian in nature -- Islamic radicalism, Islamic fascism, they try to spread it as well by taking the attack to those of us who love freedom.[6]

Diskussion des Begriffs

Über die Zeit bis 1945

Die Islamwissenschaftlerin Sonja Hegasy und der Historiker René Wildangel bezeichnen, unter anderem in einem Artikel für die Süddeutsche Zeitung, den Begriff des Islamo-Faschismus als historisch nicht korrekt sowie als „die bisher letzte Wortkreation im Wettrüsten der Antagonismen“, die dazu dient, „eine ganze Religion zu diffamieren“ und unterschwellig einen gesellschaftlichen Konsens zu schaffen, der die Verantwortung für aktuelle Entwicklungen den Muslimen bzw. dem Islam an sich zuordnet. Trotz Armut und Demütigung „à la Versailles“ seien muslimische Gesellschaften nicht in den Faschismus abgeglitten. Der den faschistischen Ideologien häufig innewohnende Antisemitismus ist ihrer Meinung nach ein Import aus dem Europa des 19. Jahrhunderts. Als Beispiel führen sie die Protokolle der Weisen von Zion an, eine antisemitische Fälschung, die bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts von arabischen Christen ins Arabische übersetzt wurden, damals aber keine öffentliche Aufmerksamkeit erlangten. Die „Protokolle“ wurden erst weit verbreitet, so Hegasy und Wildangel, als in den Jahren nach 1948 (Staatsgründung Israels) der Palästinakonflikt eskalierte. Zudem finde die jahrhundertelange Judenfeindschaft in Europa in islamischen Ländern kein vergleichbares Gegenstück, obwohl es im Koran antijudaistische Textstellen gibt, ähnlich wie im Neuen Testament.

Bezüglich des Islamismus stellen sie fest, dass der für faschistische Systeme charakteristische Nationalismus nicht geteilt worden ist, dass der Nationalsozialismus bereits früh von führenden Mitgliedern der 1928 gegründeten Moslembruderschaft, einer islamistischen Gruppe, verurteilt worden ist und dass der antiwestliche, konservative Kurs solcher Gruppierungen mit einer „ausdrücklich anti-imperialistischen Haltung verbunden“ gewesen ist. Sie zitieren dazu Mohammed al-Ghazali, den sie als führendes Mitglied der Moslembruderschaft und „moderat-islamistischen Vordenker“ beschreiben, der mit Bezug auf das faschistische Italien unter Mussolini und das nationalsozialistische Hitler-Deutschland von einem „blinden, chauvinistischen Nationalismus“ sprach, der die „Teilung der Menschen in unverträgliche Rassen“ bewirkt.

Hegasy und Wildangel relativieren auch die Bedeutung, welche die Kollaboration des Großmuftis von Jerusalem und SS-Mitglieds, Mohammed Amin al-Husseini mit den Nazis hatte: Al-Husseini hat in seinem Berliner Exil keineswegs für die gesamte muslimische Welt gesprochen, trotz gegenteiliger Behauptungen der NS-Propaganda. Zudem ist die Tatsache, dass es neben Husseinis Kollaboration auch öffentliche Kritik am Nationalsozialismus gegeben hat, weitgehend unbekannt. „In Ägypten und anderen Ländern, darunter Palästina, Syrien und dem Libanon, wurde besonders im intellektuellen Milieu scharfe Kritik am Nationalsozialismus - und an der Judenverfolgung in Deutschland - geäußert.“ Auch die Weigerung des damaligen marokkanischen Sultans, Mohammed V., dem Drängen des Vichy-Regimes nach Deportation der jüdischen Bürger nachzugeben, sei „in der Erinnerung nicht präsent.“ Unter anderem diese Punkte werden, Hegasy und Wildangel zufolge, bei der Konstruktion eines historischen „Islamo-Faschismus“ ausgeblendet, da sie nicht ins Bild passten.

Hitler befahl am 11. Juni 1941 in Weisung 32: "Vorbereitungen für die Zeit nach Barbarossa" ausdrücklich eine Ausnutzung der arabischen Freiheitsbewegung für die deutschen Kriegsziele im Nahen Osten.[7]. Seine regionalen Generäle Hellmuth Felmy und Walter Warlimont lieferten sich 1955 nach ihrer vorzeitigen Befreiung aus dem Kriegsverbrecher-Gefängnis einen Insider-Streit darüber, woran ihre Umsetzung von Hitlers Direktive gescheitert ist; insbesondere der ideologische Faktor, also der Islam, war umstritten; auch Putschist Grobba beteiligte sich an der Debatte.[8]Gerhard Höpp hat die weitgefassten Ideen aller Beteiligten dazu, also von NS-Ämtern, von NS-Wissenschaftlern jeglicher denkbaren Fachrichtungen und der arabischen Islamfaschisten detailliert aus den Quellen dargestellt [9]

Heinrich Himmler schrieb an den Mufti al-Husseini am 2. November 1943:

„Die nationalsozialistische Bewegung Grossdeutschlands hat seit ihrer Entstehung den Kampf gegen das Weltjudentum auf ihre Fahne geschrieben. Sie hat deshalb schon immer mit besonderer Sympathie den Kampf der freiheitsliebenden Araber, vor allem in Palästina gegen die jüdischen Eindringlinge, verfolgt. Die Erkenntnis dieses Feindes und der gemeinsame Kampf gegen ihn bilden die feste Grundlage des natürlichen Bündnisses zwischen dem nationalsozialistischen Grossdeutschland und den freiheitsliebenden Mohammedanern der ganzen Welt. In diesem Sinne übermittle ich Ihnen am Jahrestag der unseligen Balfour-Deklaration meine herzlichsten Grüße und Wünsche für die glückliche Durchführung Ihres Kampfes bis zum sicheren Endsieg.

Diejenigen, die - wie der Verfasser des in mehrere Sprachen übersetzten Buches Djihad und Judenhass, Matthias Küntzel - die These vertreten, dass der Antisemitismus in der islamischen Welt eher eine Ursache als eine Folge des Nahostkonflikts ist, schaffen laut Hegasy und Wildangel ein „Konstrukt, dessen Durchschlagskraft nicht unterschätzt werden sollte“.[10] Allerdings kritisierte auch Küntzel den Begriff "Islamo-Faschismus", wobei er gleichzeitig auf ideologische Gemeinsamkeiten zwischen Islamismus und Nationalsozialismus hinwies, die er hauptsächlich in der zentralen Rolle sah, die der Antisemitismus in beiden Bewegungen spielte.[11]

Das ebenfalls historisch ausgerichtete Werk von Jeffrey Herf Nazi Propaganda for the Arab world von 2009 geht wie folgt auf eine arabische Faschismusrezeption ein: Bei der Muslimbruderschaft gab es während des Krieges und danach eine gemeinsame Grundlage für NS, Faschismus und Islam, was sich besonders an den gemeinsamen Radiosendungen von Exil-Islamisten und Nazis von Berlin aus zeigte, bei den Sendern „Voice of Free Arabism“ und „Berlin in Arabic“. Ihre Zeitschrift Al Ikhwan Al Muslimin brachte im Februar 1948 einen programmatischen Artikel „Die Juden und der Kommunismus“, der die Nazithese vom jüdischen Bolschewismus verbreitete. Die Niederlage der Nationalsozialisten von 1945 wurde schlicht nicht zur Kenntnis genommen. Einen zweiten Grund, historisch vom Fortleben nazistischer Ideen in Ägypten zu sprechen, sieht Herf in der Beschäftigung des NS-Propagandisten Johann von Leers in Kairoer staatlichen Einrichtungen („Information Departement“) in den 50er Jahren durch eine gezielte Entscheidung Gamal Abdel Nassers. Nassers Sicht auf die Juden, die seiner offiziellen Publikationen und die in einigen anderen arabischen Ländern unterschieden sich nicht von der der Nationalsozialisten: Er wollte Ansichten und Denkweisen über Israel und die Juden fördern, deren Wurzeln in der NS-Ideologie und -Propaganda lagen.[12]

Die deutsche Orientalistik der Zeit bemühte sich um eine weitgehende Synthese von Islam und Nationalsozialismus, was in der Produktion von Schriften gipfelte, die Hitler teils als Vorläufer (Ritter, Knecht, „knight“) im Sinne der islamischen Eschatologie, teils als "Licht des Propheten" (also Mohammeds) hinstellten.[13] In den für Arabien bestimmten Sendungen und Flugschriften, welche vom Mufti oder von Raschid Ali al-Gailani redigiert wurden, weist das Kommen Hitlers auf den bald erwarteten Propheten hin; wie weit man bei solchen theologischen Aussagen gehen kann, beschäftigte monatelang Auswärtiges Amt, Propagandaministerium, RSHA und geneigte Orientalisten. Solche Protagonisten, die altersbedingt bis weit in die Nachkriegszeit die Lehrstühle für Orientalistik, Religionswissenschaft u. ä. besetzten, und dadurch die Richtung solcher Wissenschaften wie die Wahrnehmung von Islam und Orient noch jahrzehntelang prägten, sind z.B. Otto Rössler und Sigrid Hunke.

In der Gegenwart

Der Historiker Moshe Zuckermann kritisiert die aktuelle Verwendung. Der Islamofaschismus „ist ein hanebüchener Ausdruck. Der islamistische Fundamentalismus hat mit Faschismus, betrachtet man die Analysen des Faschismus, die in den 60er Jahren geleistet wurden, gar nichts zu tun. Wenn wir unter Faschismus verstehen, was sich in einer bestimmten Epoche in Italien, Ungarn, Spanien, später dann als Nationalsozialismus in Deutschland in einer radikalisierten Sonderform formierte, so stellt dies etwas ganz anderes dar als die Bewegungen des radikalisierten Islam. Der Islam ist von ganz anderen Momenten angetrieben und hat ganz andere Zielsetzungen. Das hat nichts miteinander zu tun. Man muss schon den Begriff des Faschismus inhaltlich entleeren, um oberflächliche Ähnlichkeiten ausmachen zu können.“

Er weist darauf hin, dass der Faschismus „tendenziell nicht- oder auch antireligiös“ war, während der islamische Fundamentalismus theokratisch ausgerichtet sei. Ein weiterer Widerspruch beider Ideologien sei, dass der Faschismus auf dem Primat des Staates basiere, während dies beim islamischen Fundamentalismus eine „eher untergeordnete Rolle“ spiele und weist weiter auf das Fehlen eines im Nationalsozialismus vorhandenen „monolithischen Volksgenossen“ hin und auf die mangelnde Deckungsgleichheit zwischen den Begriffen der Ummah (= Gemeinschaft) und der Volksgemeinschaft, die in faschistischen Systemen anzutreffen ist. Zuckermann ist infolge dieser Überlegungen der Meinung, dass der Begriff „Islamofaschismus“ eher polemisch als analytisch verwendet wird.[14]

Vertreter des Begriffes

Eine Wesensverwandtschaft zwischen Islam und Faschismus sehen die unter Pseudonym schreibenden Autoren:

Weitere Vertreter sind:

Siehe auch

  • Eberhard von Stohrer, AA-Diplomat, setzte NS und Islam weitgehend gleich ("Islam-Programm")
  • Manuel Ochsenreiter, Chefredakteur von Deutsche Militärzeitschrift, der an einer Zusammenarbeit mit radikalen Islamisten in Deutschland, mit militärisch-politischen Organisationen in Nahost (Hamas, Hisbollah) arbeitet und die historischen NS-Nahost-Aktivitäten begrüßt[19]

Literatur

Weblinks

Quellen

  1. Hans-Peter Drögemüller: Iranisches Tagebuch. 5 Jahre Revolution. Hamburg 1983
  2. Dr. Laurence W. Britt, „Fascism Anyone?“, in Free Inquiry Magazine, Volume 23, Number 2, Ausgabe Frühjahr 2003 [1]
  3. The Independent: Christopher Hitchens: In enemy territory, 22. Sept. 2004
  4. a b Die Offensive des Islamo-Faschismus, Appeasement ist keine Antwort. Die Spanier ziehen die falsche Lehre aus den Anschlägen von Madrid, Josef Joffe, Die Zeit, 18. März 2004
  5. Viva la muerte Hannes Stein, Die Welt, 16. März 2004
  6. President Bush and Secretary of State Rice Discuss the Middle East Crisis, Presseerklärung, whitehouse.gov / Office of the Press Secretary, 7. August 2006
  7. Online
  8. Quellen im Art. Felmy, Weblinks
  9. Online
  10. Sonja Hegasy und René Wildangel, Des Führers Mufti - Der Begriff des Islamo-Faschismus ist historisch nicht korrekt, Süddeutsche Zeitung, 8./9. Mai 2004
  11. Matthias Küntzel, Islamismus, Faschismus und NS [2], März 2005
  12. Herf, aaO, S. 251, 265f. Eig. Übers. aus d. Engl. - Herf hat die Thesen Wildangels von 2004 & 2007 ausweislich von Verweisen und des Lit.verz. zur Kenntnis genommen, ohne darauf inhaltlich einzugehen
  13. bei Höppner, Weblinks, S. 19, Anm. 63, die "Fabel" gegen die Juden mit Hitler als koranische Erlöserfigur in ganzer Länge. Erwin Rommel ist rhum, die Lanze, gegen die Juden
  14. Interview mit Moshe Zuckermann [3], Telepolis, 24. August 2006
  15. Christopher Hitchens: In enemy territory
  16. Bush: Anfang eines Kampfes gegen „islamischen Faschismus“
  17. Die religiösen Faschisten, die mein Land beherrschen
  18. Eure Familien, unsere Familien
  19. Überschwängliche Buchbesprechung durch M. O.: Autobiographie eines Protagonisten des NS-Irak-Putsches 1941 um al-Gailani
  20. Zusammenfassung sowie 14 repräsentative NS-Originalsendungen des Mufti-Senders in Zeesen; Rückübersetzung aus dem Englischen; siehe Herfs Namensartikel
  21. in google Buchsuche lesbar; u.a über Ahmed Rami und Muhsen al-Antabawi
  22. Europäische, insbesondere deutsche Rechtsradikale und Islamismus, historisch und aktuell betrachtet. Die Bindeglieder Antisemitismus und anti-westliches Weltbild. Konvertiten-Portraits. Die NPD und Muslime. Das Scharnier „Muslim-Markt“. Literatur
  23. hier S. 16f.: die US-Amerikaner fassten Ende 1941 die NS-Propaganda in der islamischen Welt in den Printmedien zusammen, Dokument.- Zahlreiche andere Publ. des Autors zum historischen Islamfaschismus in Deutsch, oft online
  24. Der Islam lehnt ebenfalls den Modernismus ab; er ist der Vernunft feindlich gesinnt, auch dem kritischen Denken, er fürchtet Widersprüche, er wehrt sich gegen "Eindringlinge"; und das alles, obwohl die Art und Weise des Ausschlusses im Islam auf der Religion gründet und nicht auf Rasse. Im Original: "Islam also rejects modernism, is hostile to reason, critical thought, fears disagreement, and is terrified of ‘intruders,’ though Islam’s form of exclusion is based on religion and not race." Eig. Übers.

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