Kommissarische Reichsregierung

Kommissarische Reichsregierung

Als Kommissarische Reichsregierung (KRR) oder Exilregierung des Deutschen Reiches bezeichnen sich Gruppen, die behaupten, das Deutsche Reich bestehe fort – aber entgegen der herrschenden Meinung in der Rechtswissenschaft nicht in Form der Bundesrepublik Deutschlandund werde in den Grenzen von 1937 durch sie vertreten. Dahinter stecken teils rechtsextreme, teils finanzielle Absichten und Ziele[1] sowie „ideologisch bedingte Wahnvorstellungen“.[2]

Die „kommissarischen Reichsregierungen“ behaupten, dass zwar das Deutsche Reich völkerrechtlich bis heute fortbestehe, die Bundesrepublik Deutschland hingegen nicht identisch mit diesem sei, sondern völker- und verfassungsrechtlich illegal und de jure nicht existent. Allein das Deutsche Reich bestehe in rechtsgültiger Weise fort und habe eine Regierung in Form einer „Kommissarischen Reichsregierung“, die im Augenblick zwar noch keine faktische Staatsgewalt habe, jedoch rechtsgültig die Regierungs- und Amtsgeschäfte für Deutschland ausführe. In der Regel liegen diesen „Reichsregierungen“ diverse Verschwörungstheorien zugrunde, die mit einem baldigen Zusammenbruch der Bundesrepublik Deutschland rechnen, nach dem die KRRen dann auch faktisch die Regierungsgewalt übernähmen.

Inhaltsverzeichnis

Argumentation

Eine der wichtigsten Argumentationsgrundlagen dieser Gruppierungen ist dabei eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1973 (BVerfGE 36, 1 ff.) – wohlgemerkt lange vor der deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990 und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für Gesamtdeutschland im Hinblick auf die „normative Kraft des Faktischen“ (Jellinek) –, in der es in erster Linie um die Frage der Rechtmäßigkeit des so genannten Grundlagenvertrags zwischen der Bundesrepublik (Westdeutschland) und der DDR ging. Im Rahmen dieser Entscheidung stellte das Bundesverfassungsgericht auch dar, welche völkerrechtlichen Probleme sich nach Ende des Zweiten Weltkrieges durch die Teilung Deutschlands hinsichtlich des deutschen Staates (als Ganzes) aufgetan hatten. Die für die „Reichsregierungen“ wichtigsten Sätze des Urteils lauten dabei:

„Das Grundgesetz – nicht nur eine These der Völkerrechtslehre und der Staatsrechtslehre! – geht davon aus, dass das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die alliierten Okkupationsmächte noch später untergegangen ist; das ergibt sich aus der Präambel, aus Art. 16, Art. 23, Art. 116 und Art. 146 GG. Das entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, an der der Senat festhält. Das Deutsche Reich existiert fort (BVerfGE 2, 266 [277]; 3, 288 [319 f.]; 5, 85 [126]; 6, 309 [336, 363]), besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig. […] Mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht ein neuer westdeutscher Staat gegründet, sondern ein Teil Deutschlands neu organisiert (vgl. Carlo Schmid in der 6. Sitzung des Parlamentarischen Rates – StenBer. S. 70). Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht ‚Rechtsnachfolger‘ des Deutschen Reiches […].“

Die diversen „Reichsregierungen“ sehen sich nun als die laut Bundesverfassungsgericht fehlenden Organe an und behaupten, durch ihre Existenz das Deutsche Reich auf der Grundlage der ihrer Meinung nach noch gültigen Weimarer Verfassung wieder handlungsfähig gemacht zu haben. Zudem stützen sie sich auf die Aussage, die Bundesrepublik Deutschland sei nicht Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches. Daher, so die „Reichsregierungen“, habe sie auch keinerlei Befugnisse, für das Deutsche Reich zu handeln. Bemerkenswert ist, dass der letzte Satz der oben zitierten Passage allerdings noch etwas weitergeht und daher vollständig lautet:

„Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht ‚Rechtsnachfolger‘ des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat ‚Deutsches Reich‘, – in Bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings ‚teilidentisch‘, so dass insoweit die Identität keine Ausschließlichkeit beansprucht.“[3]

(Vgl. hierzu eine weitere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Az.: 2 BvR 373/83 = BVerfGE 77, 137 ff.).[4]

Siehe auch: Rechtslage des Deutschen Reiches nach 1945

Geschichte

Ursprünglich gab es nur eine, die Kommissarische Regierung des Deutschen Reiches von 1985. Gründer war Wolfgang Ebel (* 5. Januar 1939 in Berlin), ein West-Berliner, der bis zum „Reichsbahnerstreik“ 1980 bei der Reichsbahn als Fahrdienstleiter in Berlin-Halensee arbeitete. Diese Gründung erfolgte angeblich im Auftrag des Alliierten Oberkommandos; Ebel bezeichnet sich selbst als „Reichskanzler des Staates Deutsches Reich“. Im Laufe der Zeit zerstritten sich einzelne Mitglieder mit den Repräsentanten ihrer sogenannten Regierung und gründeten eigene KRRen. Die Zahl dieser „Reichsregierungen“ lässt sich nicht mehr näher feststellen, da nicht alle Gruppen, die als solche zu fungieren vorgeben, sich auch so bezeichnen. So gibt es eine Exilregierung, eine Deutsches Reich AG im US-Bundesstaat Nevada, einen Zentralrat und diverse Einzelkämpfer.

Eine Zeit lang gab es sogar einen „Kommissarischen Reichstagspräsidenten“, diverse „Reichsminister“, einen „Reichstag“, „Landesregierungen“ und einige „Behörden“. Es existieren sogar „Reichsgerichte“, die (selbstverständlich folgenlose) Urteile aussprechen.

Die derzeit aktivste Gruppierung unter den diversen „Reichsregierungen“ dürfte die Exilregierung Deutsches Reich sein, die im Vergleich zu den anderen Gruppierungen am deutlichsten mit rechtsextremem Gedankengut kokettiert. Dies umfasst die Ablehnung der Rolle der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg (demzufolge leitet man die eigene Legitimierung nicht mehr vom Alliierten Oberkommando ab), die Ablehnung der in der Verfassung der Weimarer Republik verankerten schwarz-rot-goldenen Flagge und anderer zeitgenössischer Staatssymbole, die zumindest zeitweilige Forderung nach Wiedererrichtung der deutschen Grenzen von 1914 und Nichtanerkennung des Versailler Vertrages. Die selbsternannte „Exilregierung“ wird von den Verfassungsschutzämtern der Länder Niedersachsen und Sachsen-Anhalt beobachtet.

Aktivitäten

Eine Haupttätigkeit der KRRen besteht darin, gestützt auf abstruse Theorien und eine abwegige juristische Argumentation allerlei „offizielle“ Papiere gegen Gebühr auszugeben, wie etwa „Reichsführerscheine“, „Reichsbaugenehmigungen“ oder „Reichsgewerbescheine“, vor allem aber „Reichspersonal-“ oder „-Personenausweise“ (zum Teil auch als „Reichspässe“ bezeichnet).[5] Dabei handelt es sich zwar um einen reinen Fantasiepass, jedoch ist bei „Gebrauch“ je nach Situation eine Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung dennoch möglich.[6][7]

Entsprechend wird dann versucht, die Kfz-Steuer zu hinterziehen oder die Rechtskraft von Bußgeldbescheiden zu bestreiten mit der Begründung, die Bundesrepublik wäre nicht berechtigt, eine Steuer zu erheben oder gemäß Straf- und Bußgeldverfahrensrecht zu ahnden. Eine folgende Vorladung vor Gericht wird verweigert z. B. mit dem jeglicher gesetzlichen und juristischen Grundlage entbehrenden Hinweis, das Grundgesetz wäre vom US-Außenminister James Baker (durch eigenmächtige Streichung eines Artikels) außer Kraft gesetzt worden und jeder Deutsche wäre nur noch Bürger des Deutschen Reiches und nicht der Bundesrepublik Deutschland. In dem konkreten Fall hat das niedersächsische Oberverwaltungsgericht entschieden, die Fahrerlaubnis zu entziehen.[8]

Die Anhängerschaft, die gemeinhin auch als „Reichsideologen“ bezeichnet werden, befindet sich vorwiegend im Umfeld der Verschwörungstheorien und teilweise der rechtsextremen Szene, so ist die selbsternannte Außenministerin der ursprünglichen KRR-Gruppierung Ingrid Schlotterbeck Verlegerin der sich mit parawissenschaftlichen Thematiken beschäftigenden rechtslastigen Zeitschrift Magazin 2000plus. Die Ur-„Reichsregierung“ wurde nach Informationen u. a. der Thüringischen Landeszeitung vom 11. Februar 2004 vom Berliner Landesamt für Verfassungsschutz dem rechtsradikalen Milieu zugerechnet, eine Einschätzung, die der niedersächsische und thüringische Verfassungsschutz auch bezüglich einer anderen Gruppierung, der „Exilregierung“ teilen. Doch gibt es auch Verfassungschutzämter, denen die KRRen allerhöchstens suspekt und nicht beobachtungswürdig erscheinen. So betrachtete man es in Berlin zunächst: Im Tübinger Tagblatt vom 21. Februar 2002 war zu lesen, dass der Berliner Verfassungsschutz „sie nicht für rechtsextremistisch, sondern für »harmlos, weil beknackt«“ halte. Der tatsächliche Einfluss der Gruppierungen im rechtsextremen Milieu wird im Verfassungsschutzbericht 2005 des Landes Niedersachsen als gering eingestuft.

Die „realitätsfernen Verlautbarungen der ‘Exilregierung’“, so urteilt das thüringische Landesamt für Verfassungsschutz, „dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier mit pseudojuristischer Akribie versucht wird, einen gesellschaftlichen Resonanzboden für rechtsextremistisches Gedankengut zu schaffen und teilweise personelle Überschneidungen zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen bestehen“.[9]

Interim Partei Deutschland DAS REICHT! (IPD)

Im 21. Jahrhundert wurde von „Reichsideologen“ die Partei IPD ins Leben gerufen, um ihre Ideologie in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen. Die Interim Partei Deutschland DAS REICHT! (IPD) ist eine bundesweit agierende Partei mit Landesverbänden in Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein.[10] Sie wird vom Verfassungsschutz Schleswig-Holstein als rechtsextrem eingeschätzt.[11][12] Gründer und Vorsitzender bis Anfang 2010 war der Holocaustleugner Edgar Romano Ludovici, der sich mitunter als „Graf von Roit zu Hoya“, Rechtsanwalt, Arzt oder auch als „Erster Bürgermeister des Reichslandes Freistaat Freie und Hansestadt Hamburg“ ausgibt.[13][14][11] Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2009 erreichte die Partei 858 der 1.581.348 abgegebenen gültigen Stimmen.[15]

Während der Weihnachtsfeiertage 2008 wurde bekannt, dass der parteilose Bürgermeister der mecklenburgischen Kleinstadt Warin, Hans-Peter Gossel, von mutmaßlichen Rechtsextremisten bedroht werde und darum unter Polizeischutz gestellt worden sei. Hintergrund sei die Weigerung der Stadtvertretung, einen Hauskauf der IPD ins Grundbuch einzutragen. Stattdessen wolle die Stadt von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen.[16]

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2006, S. 192.
  2. Amtsgericht Duisburg, NJW 2006, S. 3577; Rechtsprechungsdatenbank des Landes Nordrhein-Westfalen, Az.: 46 K 361/04.
  3. BVerfGE 36, 1 – Grundlagenvertrag – Absatz-Nr. 78–79.
  4. Sogenannter Teso-Beschluss von 1987
  5. SternTV: Geschichts-Schwindel – Dubiose Geschäfte mit dem Deutschen Reich
  6. Siehe OLG Celle, NStZ-RR 2008, 76 beim Versuch einer Kontoeröffnung mit einem „Reichspersonalausweis“.
  7. Pressemitteilung der Bundespolizeidirektion Flughafen Frankfurt/Main: „Mit Fantasiepass des ‚Deutschen Reiches‘ nach Beirut?“
  8. VG Braunschweig, Beschluss vom 23. Februar 2007, Az.: 6 B 413/06, bestätigt durch Nds. OVG, Beschluss vom 16. April 2007, Az.: 12 ME 154/07
  9. Verfassungsschutzbericht 2010, Freistaat Thüringen, S. 53 f., hier S. 55.
  10. Bundeswahlleiter über die IPD, Stand 19. Januar 2009, abgerufen am 7. Oktober 2009
  11. a b Register der „KRR“-FAQ
  12. Hamburger Abendblatt vom 23. März 2007: Wie Rechtsextremisten mit E-Mails in Ahrensburg für Unruhe sorgen
  13. Hamburger Abendblatt vom 5. Februar 2007: Rechtsextreme am Waldrand – Großhansdorf: Partei leugnet Legitimität der Bundesrepublik
  14. Hamburger Abendblatt vom 29. Dezember 2008: Das ist die Interim Partei Deutschland
  15. Informationen zur IPD allgemein, Bericht über Zulassung der IPD zur Landtagswahl incl. Ergebnis
  16. Süddeutsche vom 28. Dezember 2008: Gewalt von Rechts: Morddrohungen gegen Bürgermeister.
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