- Lager Rollwald
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Das Strafgefangenenlager Rollwald bestand von 1938 bis Ende des Zweiten Weltkriegs in der damals selbständigen Gemeinde Nieder-Roden, heute Teil der Stadt Rodgau, im ehemaligen Landkreis Dieburg in Hessen. Zwischen 1945 und 1950 waren im Lager zeitweilig entlassene Kriegsgefangene aus den Ostgebieten Europas untergebracht. Die Verwaltung der amerikanischen Besatzungsmacht nutzte das Lager als Archiv für Karteikarten, auf denen deutsche Kriegsgefangene erfasst waren.
Inhaltsverzeichnis
Geographische Lage
Das Areal, auf dem 1938 das Lager Rollwald errichtet wurde, liegt südwestlich des Ortes Nieder-Roden in der Mainebene. Die Bezeichnung Rollwald leitet sich aus einem alten Flurnamen ab. Das Gebiet war waldbestanden und sehr sumpfig. Die Böden hier sind sandig und wenig humös. In drei bis sieben Metern Tiefe verhindert eine etwa ein Meter mächtige Lehmschicht das Abfließen von Niederschlägen über den Boden.
Die alte Reichsstraße 45 führte seit 1889 von Dieburg kommend durch Nieder-Roden, ebenso seit 1896 die Rodgaubahn. Beide Verkehrswege verbanden das Gebiet mit den nördlich von ihm gelegenen Städten Offenbach am Main und Hanau und sind heute noch, mit veränderter Trassenführung, als Bundesstraße 45 und S-Bahn S1 vorhanden.
Teilnehmergesellschaft
Im Frühjahr 1938 wurde die Teilnehmergesellschaft Rodgau gegründet, die es sich als Verband zur Aufgabe gestellt hatte, die Feldbereinigung in fast 40 Gemeinden der Kreise Dieburg und Offenbach nach den Vorstellungen der Landesplanung zu realisieren. Von Anfang an wollte man sich zur Durchführung dieses Vorhabens Strafgefangener aus dem ganzen damaligen Reichsgebiet bedienen, da es ein Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkriegs in Deutschland schon kein überschüssiges Arbeitskräftepotential mehr gab, auf das man hätte zurückgreifen können. Dazu kam, dass für die Arbeiten zur Feldbereinigung keine gelernten Fachkräfte erforderlich waren. Vielmehr konnte jeder dazu herangezogen werden, dem der Umgang mit Schaufel und Spitzhacke beizubringen war.
Die Wahl des Standorts Nieder-Roden für das geplante Strafgefangenenlager erfolgte aufgrund der zentralen Lage zwischen Offenbach und Dieburg und der bereits vorhandenen guten Transportwege.
Bau des Lagers
Auf dem als Fläche für das geplante Lager vorgesehenen 200 Morgen Waldgebiet musste zunächst der Kiefer-, Eichen- und Buchenbestand abgeholzt werden. Der Ertrag aus dem Holzverkauf, es soll sich um 750000 Reichsmark gehandelt haben, kam auf ein Sperrkonto der Gemeinde und verfiel 1948 aufgrund der Währungsreform. Auf dem 250 x 190 Meter großen Kernbereich des gerodeten Geländes baute man eilig 16 große Holzbaracken, später fügte man weitere acht hinzu. In ihnen waren die Unterkunftsräume der Gefangenen sowie Küche, Speisesäle, Krankenrevier und andere Funktionsräume untergebracht, darunter neben der Wache auch eine Bar für das Wachpersonal. In einem Massivbau mit Einzelzellen wurden Lagerstrafen vollzogen. Dem Wachpersonal standen mehrere Einzelhäuser zur Verfügung.
Die Bauarbeiten wurden von 500 Gefangenen durchgeführt. Diese Zahl geht aus einem Rundbrief des Reichsministeriums der Justiz vom 22. Juni 1938 (unterzeichnet vom Ankläger am Volksgerichtshof Roland Freisler) hervor, der an alle Generalstaatsanwälte ging. In diesem Brief wird erwähnt, dass das Lager Rollwald seit April 1938 in Betrieb sei, sich dort um diese Zeit bereits 500 Gefangene befänden und über einen Ausbau zu einer Belegungsfähigkeit für etwa 3500 Gefangene nachgedacht werde.
In dem Rundbrief wird weiterhin davon gesprochen, dass im Lauf des Jahres 1938 noch eine größere Anzahl massiver Wohngebäude für die im Lager tätigen und demnächst zum Einsatz kommenden Vollzugsbeamten erstellt werden solle. Hierfür benötige man Strafgefangene, die von Beruf Bauhandwerker waren oder als Maurerhelfer angelernt werden konnten. Die Rekrutierung dieser insgesamt 280 Leute habe aus 25 Gefängnissen im Reichsgebiet zu erfolgen.
Es ist jedoch nicht bekannt, ob tatsächlich diese Anzahl von Fachleuten ins Lager Rollwald verlegt wurde. Bis 1939 wurden insgesamt 24 Einfamilienhäuser außerhalb des Lagerkerngeländes und ein Schwimmbad auf dem Lagergelände für das Wachpersonal gebaut. Der geplante Belegungsausbau auf Unterkünfte für 3500 Gefangene wurde nicht realisiert.
Struktur und Aufgaben
Beim Lager Rollwald handelte es sich um das Stammlager II des Lagers Rodgau-Dieburg (Stammlager I). Später wurde noch dazugehörig das Stammlager III in Eich bei Alzey speziell nur für männliche polnische Gefangene eingerichtet. Mehr als 20 Außenkommandos waren dem Lagernetz zugeordnet. Diese Außenstellen verteilten sich über den ganzen mittel- und südhessischen Raum bis in das angrenzende Rheinland-Pfalz.
Im 47500 m² großen Kernbereich des Lagers waren 15 Baracken für die Häftlingsunterbringung bestimmt, die zu drei Blocks mit je fünf Baracken angeordnet waren. In jeder Baracke waren 100 Männer untergebracht. Die Baracken hatten Häftlinge im Dieburger Lager I auf einem eigens hergerichteten Zimmermannsplatz angefertigt. Das Lager war durch einen vierfachen, drei Meter hohen Stacheldrahtzaun gesichert.
Ab Kriegsbeginn 1939 befanden sich im Lager Rollwald etwa 1500 Gefangene und 200 Mann Wachpersonal als ständige Belegung. Die inhaftierten Gefangenen stammten aus allen Teilen Deutschlands und der besetzten Gebiete. Aus einer Auskunft des Internationalen Suchdienstes in Arolsen vom Juni 1980 geht hervor, dass es auch Gefangene belgischer, französischer, luxemburgischer und norwegischer Staatsangehörigkeit gegeben hat. Die Gefangenen kamen zum Arbeitseinsatz in Nieder-Roden und seiner näheren und weiteren Umgebung, wohin sie, wenn die Einsatzorte für einen Fußmarsch zu weit waren, mit Lastkraftwagen transportiert wurden. Sie verlegten Drainagerohre, befestigten, begradigten oder veränderten Bach- und Flussufer, legten Wege an und richteten Anbauflächen her.
Auf dem gerodeten Areal des Rollwaldes entstanden auch zwei Erbhöfe mit je 120 Morgen Feld. Hier wurden verschiedene Kunstdünger getestet, die die I.G. Farben kostenlos für Versuchszwecke zur Verfügung stellte. Jenseits der Rodau sollten weitere vier Erbhöfe entstehen, zu deren Errichtung es infolge der Kriegsereignisse nicht mehr kam. Die bereits abgeholzten Flächen wurden nach dem Krieg wieder aufgeforstet.
Führten die Häftlinge zunächst Meliorations- und Siedlungsvorhaben aus, wurden sie ab 1942 insbesondere als Arbeitskräfte in der Rüstungsindustrie eingesetzt.
Inhaftierte
1938 wurde der wegen Homosexualität zu einem Jahr Gefängnis verurteilte Tennisspieler Gottfried von Cramm, ein Mitglied der deutschen Daviscup-Mannschaft, in das Lager Rollwald eingewiesen. Nach einem halben Jahr Haft wurde er wegen guter Führung entlassen. Obwohl ursprünglich nur kriminelle Straftäter im Lager Rollwald inhaftiert werden sollten, wurden nach Kriegsbeginn zunehmend auch politisch Verfolgte hierhin verlegt. Prominentes Beispiel ist der spätere Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag und stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD Fritz Erler (verstorben 1967), der in den Jahren 1940 bis 1941 Gefangener im Lager Rollwald war. Erler war am 15. September 1939 vom Volksgerichtshof Berlin wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Auch der Slawist und Historiker Wolfgang Johannes Leppmann wurde, im Januar 1943 wegen „Rassenschande“ zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt, kurze Zeit im Lager Rollwald inhaftiert. Bereits am 6. Mai desselben Jahres wurde er als „Volljude“ über Darmstadt und Berlin nach Auschwitz deportiert, wo er am 14. September 1943 ermordet wurde.
Lagerfriedhof
Im Standesamtsregister der Stadt Rodgau sind insgesamt 156 Häftlingssterbefälle des Lagers Rollwald erfasst. In den Jahren 1938 bis 1943 gab es die vergleichsweise geringe Zahl von nur neun Toten; sie wurden auf dem Friedhof in Nieder-Roden beigesetzt. Ab 1944 stieg dann aber die Sterblichkeit merkbar an, eine Folge der sich allgemein verschlechternden Ernährungslage im fünften Kriegsjahr. Zudem wurden in größerer Zahl sehr geschwächte alte Leute im Lager Rollwald inhaftiert. So starben in den Jahren 1944 und 1945 147 Lagerinsassen, von denen 110 auf einem neuen Lagerfriedhof beigesetzt wurden, den man südlich vom Lager auf Gemeindegebiet eingerichtet hatte. 37 Leichname wurden an die anatomische Abteilung der Universität Gießen abgegeben oder von Angehörigen zur Bestattung im Heimatort abgeholt.
Nach dem Krieg entbrannte ein heftiger Streit zwischen der Gemeinde Nieder-Roden und dem Landkreis Dieburg über die Übernahme von Unterhaltungskosten für den Lagerfriedhof. Man versuchte vergeblich, ihn der Kriegsgräberfürsorge zu unterstellen, da Nieder-Roden sich nicht als Auftraggeber für den Friedhofneubau sah. Es war aber nicht nachzuweisen, dass hier Inhaftierte bestattet waren, die ausschließlich wegen politischer oder religiöser Gründe verurteilt worden waren. Nur dann hätte die Kriegsgräberfürsorge die Grabpflege übernommen. Nach heutiger Rechtslage wäre eine große Anzahl der damals ergangenen Urteile, die auf nationalsozialistischen Sondergesetzen beruhten, für ungültig zu erklären und die Opfer nicht mehr als „kriminell“ zu verunglimpfen. – Nachdem in der Folgezeit immer mehr Exhumierungen und Überführungen der Toten in ihre Heimat stattfanden, ebnete man nach 1964 schließlich das Gelände ein.
1990 errichtete man auf dem ehemaligen Areal des Lagerfriedhofs eine Gedenkstätte, auf der seither alljährlich eine Gedenkfeier zum Volkstrauertag stattfindet. Die Inschrift auf dem Gedenkstein lautet:
Hier ruhen Menschen,
die in der schweren
Zeit des Nationalsozialismus
im Strafgefangenenlager
Rollwald gefangengehalten
wurden und in den Jahren
1944/45 durch Hunger und
Krankheit einen sinnlosen
Tod erleiden mußten.
Richtet nicht, damit ihr
nicht gerichtet werdet.
Matthäus VII, Vers 1Nutzung nach Kriegsende
Die am 26. März 1945 in Nieder-Roden einziehenden Amerikaner besetzten auch das Lager Rollwald und entließen nach Prüfung jedes Einzelfalls in kurzer Zeit alle Strafgefangenen. Die Baracken dienten nun zur Aufbewahrung von Karteikarten, auf denen die Namen Deutscher, die in alliierte Kriegsgefangenschaft geraten waren, erfasst waren. Unter Aufsicht der Alliierten wurden hier die Karteikarten von entlassenen deutschen Kriegsgefangenen bearbeitet. Das Aufsichtspersonal und ehemalige deutsche Kriegsgefangene, die im Osten beheimatet und mit den Alliierten aus Frankreich mitgekommen waren, bewohnten die von dem Wachpersonal des Strafgefangenenlagers geräumten Einfamilienhäuser. lm Jahre 1950 wurden die Arbeiten der Alliierten in Rollwald beendet und die Wohnhäuser von ihnen freigegeben. Kurz darauf verkaufte die Teilnehmergesellschaft Rodgau diese Häuser an Privatpersonen und auch die beiden Erbhöfe gingen in Privatbesitz über.
Bis auf das massive Arresthaus, das ebenfalls in Privathand ging, wurden alle Gebäude des Kernlagers entfernt. Die Glocke der Lagerkirche bewahrte man auf und versetzte sie 1971 in den Glockenturm der heutigen Rollwälder Heilig-Kreuz-Kapelle. Das Schwimmbecken wurde bis 1950 noch von Amerikanern und Deutschen benutzt, dann im Laufe der Jahre zugeschüttet. Heute steht an dieser Stelle der Rollwälder Kindergarten.
Siehe auch
Literatur
- Lothar Bembenek: Das Strafgefangenenlager Rollwald Nieder-Roden, in: Die Grünen im Landtag (Hessen), Frankfurt am Main, 1984
- Michael Jäger: Ich war schon Mensch zu Mensch, in: Verdrängt und vergessen: Zur Geschichte der Zwangsarbeit in Rodgau, Pfaffenweiler, 1991
- Werner Stolzenburg: Vom Wald zur Siedlung. Entstehung und Leben der Siedlung Rollwald, Frankfurt am Main, 1992
- Heidi Fogel: Das Lager Rollwald. Strafvollzug und Zwangsarbeit 1938 bis 1945, Förderverein für die historische Aufarbeitung der Geschichte des Lagers Rollwald e.V. (Hrsg.), Rodgau, 2004, ISBN 3-00-013586-3
Weblinks
- Förderverein Lager Rollwald
- Biografie von Wolfgang Johannes Leppmann
- Augenzeugenbericht eines Inhaftierten
49.9903058.844981Koordinaten: 49° 59′ 25,1″ N, 8° 50′ 41,9″ ODieser Artikel wurde am 10. Mai 2006 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen. Kategorien:- Wikipedia:Lesenswert
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