Lebensweisheit

Lebensweisheit
Pieter d'Hont, Symbool van wijsheid (1943), Detail, Spinozabrücke (1951), Utrecht

Als Weisheit wird eine transkulturell-zeitlose, universal-menschliche, reale oder ideale, entweder als reifungsbedingt erwerbbar oder aber als göttlich verliehen gedachte exzeptionelle Kompetenz bezeichnet, welche sich durch ungewöhnlich tiefe Einsicht in die Kreisläufe des Lebens, besonderes Wissen, eine herausragende ethisch-moralische Grundhaltung und das damit verbundene Handlungsvermögen auszeichnet.

Es gibt zahllose Definitionen und Konzepte von Weisheit, die sich in der Regel in den Spannungsräumen zwischen Wissen und Intuition, Verstand und Gefühl, Reife und Kindlichkeit, Klugheit und Torheit, weltzugewandter Diesseitigkeit und Transzendenz bewegen. Als Gegenstand wird Weisheit thematisiert von Philosophie und Theologie, den einzelnen Religionen und der Ethnologie, von Wissenssoziologie und Persönlichkeitspsychologie, der Märchen- und Mythenforschung sowie in ihren künstlerischen Gestaltungen durch Kunst, Literatur und Musik.

Inhaltsverzeichnis

Sprachliches

Das nhd. Adjektiv weise mit der sprachlichen Bedeutung 'wissend, klug, lebenserfahren' geht auf mhd. wīs, wīse 'verständig, klug, erfahren, gelehrt, kundig' zurück, welches wiederum vom ahd. wīs / wīsi (8. Jh.) bzw. mnd., asächs. wīs stammt. Das germ. Wort *weis(s)a- leitet sich von der erschlossenen ie. Wurzel *ueid- ab, die mit dem Sinnbezirk 'wissen' zusammenhängt. Die Bedeutung ist wohl 'kundig im Hinblick auf eine Sache; klug, erfahren', wie es sich in aind. vedas- 'Erkenntnis, Einsicht' (vgl. Veda) zeigt. Ursprünglich meinte diese Wortform vor ihrem semantischen Wandel vermutlich zuerst 'sehen' bzw. 'gesehen haben', wie es am Unterschied zwischen dem lat. videre 'sehen' und dem gr. oida 'wissen' zu erkennen ist. Von weise abgeleitet ist das Faktitivum jmd. (unter)weisen in der Bedeutung 'zeigen, führen, belehren'. Das von Substantiv Weisheit als 'Zustand des Weiseseins' (mhd., ahd. wīsheit) lässt sich seit dem 9. Jahrhundert nachweisen. Eng verwandt ist das Wort Witz in der alten Bedeutung 'Klugheit, Schläue' („mit Witz und Tücke“).[1]

Der altgriechische Begriff für Weisheit lautet σοφία, der lateinische sapientia, der arabische hikma.[2]

Philosophie und mittelalterliche Theologie

Das Verhältnis von Philosophie und Weisheit wird dort zum Thema, wo erstere aus der letzteren tatsächlich oder vermeintlich entspringt, sich von älteren oder zeitgleichen Weisheitstraditionen explizit abgrenzt oder aber sich andererseits mit der Weisheit selbst – möglicherweise nur in abgeschwächter Form als das Streben nach dieser als grundsätzlich unerreichbarem Ideal – als identisch erklärt. Die Selbstbenamsung als „Freundin der Weisheit“ ist dabei in der Philosophiegeschichte immer wieder programmatisch ausgelegt worden und war häufig Ausgangspunkt für die Bestimmung ihres eigenen Selbstverständnisses.

Während noch Homer, Pindar oder Heraklit sophia in ihrer ursprünglichen Bedeutung als „Tüchtigkeit in Beziehung auf etwas“ verwendeten, ändert sich dies bei Sokrates, der in seinen Auseinandersetzungen mit in bestimmten Hinsichten sogar besonders ausgezeichnet tüchtigen Gesprächspartnern ihr Versagen im Verständnis allgemeiner Fragen aufwies und der vom Delphischen Orakel aufgrund seines Diktums „ich weiß, dass ich nichts weiß“ als der Weiseste bezeichnet wurde; das von ihm hier zugrundegelegte Motiv einer dem menschlichen Vermögen gemäßen Weisheit im Gegensatz zu einer diese übersteigende, als göttlich verstandenen Weisheit sollte im weiteren den philosophischen und teils auch theologischen Diskurs über die Weisheit im Westen bestimmen.

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Antike

Sie zählt zu den von Platon so genannten vier Kardinaltugenden. Umgangssprachlich wird Weisheit auch als Kurztitel des Buchs der Weisheit bzw. der Weisheit Salomos, eines deuterokanonischen bzw. apokryphen Buchs des Alten Testaments, gebraucht.

Das Kompendium des Katechismus der römisch-katholischen Kirche kennt hier allerdings nur den Begriff Klugheit.

Philosophische Betrachtungen

Sie ist eher als ein Ziel zu definieren, das wir suchen sollen. Sie fragt nach dem (letzten) Grund, nach dem Sinn. Wissen und Weisheit sind verwandt, ohne dass die Summe allen Wissens Weisheit ergibt, denn die hängt als eine Tugend mit den anderen Tugenden eng zusammen. Weisheit ist Wissen um wesentliche Wahrheiten sowie dementsprechend zu leben (Wahrhaftigkeit). Viel (Halb)Wissen verschüttet oft Weisheit, die Unerforschbares und Ruhe, sowie ein Maßhalten einschließt. So ist es weise, eher wenig zu reden. Weisheit schließt das Wissen um die Vorläufigkeit und die Grenzen allen Wissens ein und geht damit über bloßes Faktenwissen hinaus. Weisheit ist weder speicherbar noch programmierbar. Weisheit schließt auch Liebe zur Welt ein und ist darauf gerichtet, Gutes zu bewirken.

Religionen

Definition des Hl. Augustinus

„Denn Weisheit ist letztlich nichts anderes als das Maß unseres Geistes, wodurch dieser im Gleichgewicht gehalten wird, damit er weder ins Übermaß ausschweife, noch in die Unzulänglichkeit falle. Verschwendung, Machtgier, Hochmut und ähnliches, womit ungefestigte und hilflose Menschen glauben, sich Lust und Macht verschaffen zu können, lassen ihn maßlos aufblähen. Habgier, Furcht, Trauer, Neid und anderes, was ins Unglück führt – wie die Unglücklichen selbst gestehen – engen ihn ein. Hat der Geist jedoch Weisheit gefunden, hält dann den Blick fest auf sie gerichtet… dann brauchte er weder Unmaß, noch Mangel, noch Unglück zu fürchten. Dann hat er sein Maß, nämlich die Weisheit und ist immer glücklich.“

Augustinus: Über das Glück 4,35

Weisheit in Buddhismus und Hinduismus

Buddhismus bezeichnet Weisheit mit dem Begriff Sunyata (sanskrit): die Erkenntnis, dass alle erscheinenden Phänomene leer von einem eigenständigen ihnen innewohnenden Sein sind. Die Realisation von Sunyata in der Wahrnehmung von Phänomenen und Selbst ist daher eine grundlegende Erfahrung bei der Erlangung der Erleuchtung. Im Hinduismus heißen Weisheit und Wissen Vidya (sanskrit). Es geht zuletzt auch im Yoga darum, den Dualismus aufzulösen, zunächst die Gedanken zu stoppen, im Moment zu sein, wobei die Yoga-Asanas eine jahrtausendealte Unterstützung sind, die auch heutzutage sehr viele Buddhisten ergänzend praktizieren.

Konfuzianismus und Daoismus

Auch im Konfuzianismus und im Daoismus sowie in der chinesischen Philosophie hat die Weisheit einen großen Stellenwert. Im Konfuzianismus und in der chinesischen Philosophie ist sie, ähnlich wie die Menschlichkeit, die Ehrfurcht und die Umgangsformen, eine der Kardinaltugenden. Daher betont der Konfuzianismus die Bedeutung der Erziehung, des Lernens und der Bildung. Der Daoismus legt Wert auf ein Leben in Harmonie mit der Natur und dem Kosmos (siehe auch: Yin und Yang, Wu wei).

Weisheit und Weise in Märchen und Mythos

Die Weisheit begegnet in Märchen und Mythos vor allem als Archetypus der weisen alten Frau und des weisen alten Mannes. Typische klassische Fälle von weisen Frauen sind etwa Frau Holle, aber auch jene aus den Märchen "Die Gänsehirtin am Brunnen", "Die Nixe am Teich" oder des Teufels Großmutter aus "Der Teufel mit den drei goldenen Haaren". Beispiele für diese Archetypen in der modernen Populärkultur wären etwa Galadriel oder Das Orakel, auf der männlichen Seite z.B. Gandalf der Weisse (!) oder Meister Yoda.

In manchen Kulturkreisen wird die Weisheit als eigene Göttin oder auch als eine weibliche Seite Gottes verehrt. So kennt etwa das biblische Judentum die Chokmáh als göttliche Weisheit. Im Griechischen wird diese als Sophia übersetzt und besonders in den orthodoxen Kirchen verehrt (Hagia Sophia).

Literatur

  • Andreas Speer: Weisheit. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 12, Sp. 371–397.
  • Aleida Assmann (Hrsg.): Weisheit. Tagung des Arbeitskreises „Archäologie der literarischen Kommunikation“, Bad Homburg, Februar 1988. Fink, München 1991, ISBN 3-7705-2655-4 (Archäologie der literarischen Kommunikation 3)
  • Philosophie und Weisheit. Hrsg. von Willi Oelmüller. Mit Beitr. von Gerd B. Achenbach u.a. Kolloquium zur Gegenwartsphilosophie, Bad Homburg, 24.–26.5.1988. Schöningh, Paderborn u.a. 1989, ISBN 3-506-99397-6 (Kolloquien zur Gegenwartsphilosophie 12) (UTB 1555)
  • Josef Pieper: Suche nach der Weisheit: 4 Vorlesungen. Mit einem Nachwort von T. S. Eliot. St.-Benno-Verlag, Leipzig 1987, ISBN 3-7462-0153-5
  • Horst Dietrich Preuß: Einführung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur. Kohlhammer, Stuttgart u.a. 1987, ISBN 3-17-009590-0 (UTB 383)
  • Thomas Langenkamp: Wissenssoziologische Aspekte weisheitlichen Denkens. Diss. Bonn 1998.
  • Stephen G. Holliday und Michael J. Chandler: Wisdom. Explorations in adult competence. Karger, Basel u.a. 1986, ISBN 3-8055-4283-6 (Contributions to human development 17)
  • Alter und Weisheit im Märchen. Forschungsberichte aus der Welt der Märchen. Im Auftr. der Europäischen Märchengesellschaft hrsg. von Ursula Heindrichs und Heinz-Albert Heindrichs. Diederichs, München 2000, ISBN 3-89631-403-3 (Veröffentlichungen der Europäischen Märchengesellschaft 25)
  • Ingrid Riedel: Die weise Frau in Märchen und Mythen. Ein Archetyp im Märchen. 2. Auflage, dtv, München 1997, ISBN 3-423-35098-9 (Dialog und Praxis) (dtv 35098)
  • Karin Johanna Heerlein: Sophia-Sapientia. Ikonographische Studien zum Bild der göttlichen Weisheit im Mittelalter. Diss. München [1997], 2000.
Populäres
  • Gert Scobel: Weisheit − Über das, was uns fehlt. DuMont Buchverlag, Köln 2008. ISBN 978-3-8321-8016-4
  • Raimon Panikkar: Einführung in die Weisheit. Herder, Freiburg, ISBN 3-451-05256-3 (Herder Spektrum 5256) Neuauflagen.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Kluge, Pfeiffer
  2. Speer, Sp. 371

Weblinks

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