- Appendicitis
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Klassifikation nach ICD-10 K35-K38 Krankheiten der Appendix ICD-10 online (WHO-Version 2006) Unter einer Appendizitis wird eine Entzündung des Wurmfortsatzes des Blinddarms verstanden. Im deutschen Sprachraum wird dieses Krankheitsbild medizinisch nicht korrekt als Blinddarmentzündung bezeichnet, im Mittelalter auch die Seitenkrankheit genannt.[1] Ist tatsächlich der Blinddarm (das Caecum) entzündet, wird in der Fachsprache von einer Typhlitis gesprochen.
Der Verlauf der Erkrankung kann von einer leichten Reizung über die schwere Entzündung bis hin zum Wanddurchbruch (Perforation in die freie Bauchhöhle) und damit zu einer Peritonitis führen.
Inhaltsverzeichnis
Anatomie, Ursachen, Häufigkeit
Der Blinddarm ist der „blinde“ Anfangsteil des im rechten Unterbauch aufsteigenden Dickdarms (Colon ascendens). Am Blinddarm befindet sich ein Anhängsel, der so genannte Wurmfortsatz (Appendix vermiformis). Der Wurmfortsatz enthält viele Lymphfollikel und kann sich durch Infektion mit Krankheitserregern, öfter jedoch durch Verlegung zum Beispiel mit Kotsteinen oder Fremdkörpern, wie Kirschkernen, seltener Kernen von Weintrauben oder Melonen, entzünden. Ein Wurmbefall (Spulwürmer oder Oxyuren) des Darms ist manchmal damit assoziiert.
Die Appendizitis ist die häufigste Ursache für das akute Abdomen und tritt in westlichen Ländern mit einer Häufigkeit von etwa 100 Fällen pro 100.000 Einwohner pro Jahr auf. Das Risiko im Laufe des Lebens an einer Appendizitis zu erkranken (Life-time-risk) liegt bei etwa 7-8 %.
Der Häufigkeitsgipfel der Appendizitis liegt zwischen dem 9. und 14. Lebensjahr. Kleinkinder erkranken seltener, haben aber eher oligosymptomatische, atypische Verläufe, so dass die Erkrankung gefährlicher ist. Bei Kindern über 2 Jahren ist die Appendizitis die häufigste Ursache des akuten Abdomens.
Beschwerden
Hauptsymptom ist der klinische Symptomwechsel: Meist sind Schmerzen in der Gegend des Bauchnabels sowie in der Magengegend spürbar, die sich innerhalb weniger Stunden in den rechten Unterbauch verlagern. Häufig leiden die Patienten unter Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen und bekommen in fortgeschrittenen Stadien eine Darmlähmung (paralytischer Ileus). Die Körpertemperatur kann auf bis zu 39 °C ansteigen (Fieber) mit entsprechend beschleunigtem Puls (Tachykardie). Durch eine Verlagerung des Wurmfortsatzes kann es bei Schwangeren zu Schmerzen im rechten Ober- oder Mittelbauch kommen. Bei älteren Patienten sind die Beschwerden nicht so deutlich ausgeprägt, sodass die Symptome nicht so leicht zugeordnet werden können (sog. Altersappendizitis). Die Symptome einer akuten Appendizitis sind nicht immer typisch, sodass die Diagnosestellung schwierig sein kann.
Diagnostik
Die Diagnose der Blinddarmentzündung wird im Rahmen der ärztlichen Untersuchung gestellt. Es gibt keinen Beweis dafür, dass eine Appendizitis vorliegt. Allerdings ist bei einem typischen Befund im Ultraschall die Diagnose mittlerweile sicher, da sich die Ultraschallauflösung in den letzten Jahren stark verbessert hat. Der Ausschluss einer Appendizitis bei überblähtem Darm oder bei adipösen Patienten ist jedoch oft schwierig. Auch die Computertomographie kann hilfreich sein, insbesondere wenn der betroffene Patient sehr dick oder dessen Darm überbläht ist und dessen Bauch deswegen im Ultraschall und mittels Tastbefund schlecht beurteilbar ist.
Die Diagnose Wurmfortsatzentzündung erhärtet sich durch klinische Befunde:
- Erhebung der Vorgeschichte und körperliche Untersuchung des Patienten mit Abtasten von dessen Bauch
- Die Palpation des Unterbauchs McBurney-Punkt, Lanz-Punkt, retrogrades Darmausstreichen in Richtung Appendix (sog. Rovsing-Zeichen)
- Kontralateraler Loslassschmerz (Blumberg-Zeichen): Hierbei wird auf der Körpergegenseite (kontralateral, also links) ein manueller Druck auf den Unterbauch ausgeübt und plötzlich wieder losgelassen. Im positiven Fall stellt sich daraufhin rechts ein Schmerz ein.
- Psoas-Dehnungsschmerz (das Bein wird im Hüftgelenk gegen einen Widerstand gebeugt, wenn dabei Schmerzen im Unterbauch auftreten, ist der Test positiv)
- Douglas-Schmerz (Schmerzen bei digital-rektaler Untersuchung)
- Temperaturmessung
- Blutuntersuchung eventuell auch Urinuntersuchung
- Laboruntersuchung des Blutes (Leukozytose, Erhöhung des CRP u. a.)
- Bildgebung
- Ultraschalluntersuchung des Bauchraumes (Kokardenformation, tubuläre Struktur, Abszess, Ausschluss anderer Erkrankungen. Eine gesunde Appendix ist sonografisch nicht darstellbar.
- Computertomographie (CT)
- evtl. Röntgen des Abdomens im Stehen,
- bei Frauen immer gynäkologische Untersuchung
Am wichtigsten sind dabei die Anamnese, die Laboruntersuchungen (Leukozyten, CRP), der Ultraschall und bei untersuchungstechnischen Schwierigkeiten das CT. Die früher übliche Temperaturdifferenzmessung Achselhöhle-Mastdarm (0,5 - 1°C) wird heute kaum mehr durchgeführt.
- Bei der Anamnese ist die Verlagerung des Schmerzes vom mittigen Oberbauch in den rechten Unterbauch und das Aufhören des anfangs periumbilikalen (bauchnabelnahen) oder epigastrischen (magennahen)Schmerzes möglich.
- Das plötzliche Auftreten eines schmerzfreien Intervalles mit anschließenden massiven Schmerzen im ganzen Bauchraum spricht für einen Durchbruch (eine Perforation) der Appendizitis.
Auch bei einer klinisch typischen Appendizitis ist heute vor der Operation immer eine Ultraschalluntersuchung anzustreben, um andere Erkrankungen mit gleicher Symptomatik wie beispielsweise eine akute Ileitis (beispielsweise bei Morbus Crohn) auszuschließen.
Trotz vieler technischer Errungenschaften in der Medizin ist jedoch nach wie vor die exakte Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) sowie der klinische Befund des Bauches durch einen erfahrenen Untersucher sehr wichtig. Die letzte Entscheidung zur Operation und deren Zeitpunkt bezüglich der Dringlichkeit wird vom Chirurgen gefällt.
Differenzialdiagnosen
Die folgende Liste der möglichen anderen Diagnosen, die sich hinter einer vermuteten Blinddarmentzündung verbergen können (Differenzialdiagnose), ist lang. Durch technische Untersuchungsmöglichkeiten und klinische Verlaufsuntersuchungen lassen sich diese Möglichkeiten meist auf wenige Krankheiten reduzieren.
Gastrointestinale Differenzialdiagnosen
- Cholezystitis
- Morbus Crohn
- rechtsseitige Divertikulitis
- Meckel-Divertikel
- Zwölffingerdarmgeschwür
- Gastroenteritis
- Enterokolitiden
- Darmverschluss
- Tumorerkrankungen
- Pankreatitis mit Exsudatstraße in Richtung rechter Unterbauch
- Darmperforation
- Volvulus
- unspezifische Bauchschmerzen (Reizdarm)
Gynäkologische und urologische Differenzialdiagnosen
- Tubargravidität
- Endometriose
- Ovarialtorsion
- Adnexitis
- Ruptur einer Ovarialzyste
- Harnleiterstein
- Pyelonephritis
- Hodentorsion
- Blasenentzündung
- perinephritischer (nierennaher) Abszess
- Ovarialvenenthrombose
Pulmologische Differenzialdiagnosen
- Pleuritis
- basale Pneumonie
- Lungeninfarkt
Systemische Differenzialdiagnosen
- Ketoazidose bei Diabetes mellitus
- Porphyrien
- Purpura Schönlein-Henoch
Differenzialdiagnosen bei Kindern
- Gastroenteritis
- rechtsbasale Pneumonie
- Harnwegsinfekte
- Obstipation
- stielgedrehte Ovarialzyste bei Mädchen
- Zöliakie
- Meckel-Divertikel
Behandlung
Besteht der Verdacht auf Blinddarmentzündung, ist die Appendektomie als operative Maßnahme angezeigt. Dabei sollte möglichst früh (innerhalb von etwa 48 Stunden) operiert werden. Die Appendektomie kann offen chirurgisch durch den sog. Unterbauchwechselschnitt durchgeführt werden oder laparoskopisch mit Hilfe einer ins Abdomen eingeführten Kamera und weiteren Arbeitszugängen.
Ein Abwarten mit konservativer Behandlung (Bettruhe, Antibiose, Nahrungskarenz und ständige ärztliche Kontrolle) ist prinzipiell möglich, doch sollte sie nur in Betracht gezogen werden, wenn eine sofortige Operation nicht möglich ist. Aufgrund der in der medizinischen Tradition verankerten chirurgischen Behandlung (Appendektomie) existieren kaum Studien über die Vor- oder Nachteile einer konservativen (also nichtoperativen) Behandlung.
Die Prognose (Aussicht auf Heilung) der Erkrankung ist gut. Die Letalität (Sterblichkeit) des Eingriffs liegt bei nichtperforierter Appendizitis unter 0,001 % und ist damit sehr gering. Bei Durchbrüchen der Entzündung in die freie Bauchhöhle (Perforation) liegt sie allerdings bei etwa 1 %.
Komplikationen
- Konglomerattumor
- perityphlitischer Abszess
- Perforation mit Peritonitis (etwa 5 - 10 % der operierten Fälle)
- Douglas-Abszess
Geschichte der Erkrankung
Bis ins Jahr 1900 wurde die Blinddarmentzündung konservativ behandelt, allerdings bei echter Appendizitis mit schlechtem Ergebnis. Ein prominenter Fall war der englische König Eduard VII., der 1901 den Thron bestieg und kurz vor seiner Krönung eine schwere Blinddarmentzündung nur mit Mühe überlebte.
Der Arzt William W. Grant führte am 4. Januar 1885 in den USA die erste Appendektomie an der 22-jährigen Patientin Mary Gartside durch.[2] Einer der ersten deutschen Chirurgen, der sich für die operative Entfernung des entzündeten Wurmfortsatzes einsetzte, war der gebürtige Mecklenburger Bernhard Riedel. Dieser studierte Medizin in Jena und Rostock, habilitierte in Göttingen und wurde 1888 Ordinarius und Direktor der Chirurgischen Klinik in Jena. Gleichzeitig mit dem Amerikaner McBurney erarbeitete Riedel den Wechselschnitt als Operationstechnik. McBurney veröffentlichte 1889 vor der New York Surgical Society seinen klassischen Bericht über frühzeitiges operatives Eingreifen bei der Appendizitis. Er beschrieb die Stelle des stärksten Schmerzes im rechten Unterbauch, die seither als McBurney-Punkt bekannt ist. Nach den ersten chirurgischen Erfolgen bei der Blinddarmentzündung wurde die Krankheit für mehrere Jahrzehnte eine rein chirurgische Angelegenheit. Der Chirurg diagnostizierte sie und operierte sie. Dies führte zu einer relativ hohen Zahl von Blinddarmoperationen. Ein Meilenstein in der chirurgischen Technik war die Einführung und Verbreitung der laparoskopischen Appendektomie in den Jahren 1980 bis 1990.
Mit der Verfeinerung der bildgebenden Diagnostik des Ultraschalls und des CTs sowie der Erweiterung der Entzündungsdiagnostik im Blut mittels CRP und Leukozyten wanderte die Indikationsstellung zur Appendektomie wieder etwas zurück in die Innere Medizin und die Zahl der unnötigen Blinddarmoperationen ging zurück. Heute wird nur etwa jeder zehnte Patient mit Verdacht auf Blinddarmentzündung operiert. Erstaunlich in der medizinischen Geschichte der Blinddarmentzündung ist die geringe Erfahrung mit der antibiotischen Therapie dieser Erkrankung. Auch im Vergleich operative Therapie gegen eine operative Therapie plus Antibiotikagabe gibt es kaum verwertbare vergleichende Untersuchungen.
Trivia
Eines der berühmtesten Todesopfer der Appendizitis war Reichspräsident Friedrich Ebert von der SPD.
Siehe auch
- Blinddarm
- Appendix vermiformis (Wurmfortsatz des Blinddarms)
- McBurney-Punkt
- CRP
- Appendektomie
- Bauchchirurgie
Literatur
- C. McBurney: Experience with early operative interference in cases of disease of the vermiform appendix.
- New York Medical Journal, 1889, 50: 676-684. PMID 4893208
- http://appendicitis.researchtoday.net/
- Englischsprachige Zeitschrift über die Krankheit und ihr Umfeld
- Appendicitis: A Medical Dictionary, Bibliography, and Annotated Research Guide to Internet References (Paperback)
- by Icon Health Publications
- ein englischsprachiges Buch über die Erkrankung.
Weblinks
- Audio-Beitrag zur Appendizitis
- E-Learning-Kurs zum Thema Appendizitis mit Abbildungen und Videos (Charité Berlin)
- Ultraschallbild der Appendizitis
Einzelnachweise
- ↑ http://www.herrmann-gruenstadt.de/MIC.htm nach N. Gordon: Der Medicus
- ↑ Annalen.net - Das Historische Datum - 4. Januar - ein Service von DEMO-ART.com
Bitte beachte den Hinweis zu Gesundheitsthemen! - Erhebung der Vorgeschichte und körperliche Untersuchung des Patienten mit Abtasten von dessen Bauch
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