Max Liebermann von Sonnenberg

Max Liebermann von Sonnenberg
Max Liebermann von Sonnenberg,
Reichstagshandbuch 1907
Max Liebermann von Sonnenberg

Max Liebermann von Sonnenberg (* 21. August 1848 in Weißwasser, Landkreis Tuchel, Westpreußen; † 17. November 1911 in Berlin) war ein deutscher Offizier, Parteigründer, Abgeordneter zum Reichstag und antisemitischer Publizist im deutschen Kaiserreich.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Liebermann von Sonnenberg stammte aus einer preußischen Offiziersfamilie und trat 1866 wie schon sein Vater in die preußische Armee ein. Als Premierleutnant nahm er am Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 teil, erlitt schwere Kriegsverletzungen und wurde mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Liebermann verstand es, sein Image als Kriegsheld für seine politische Karriere nutzbar zu machen.

„Berliner Bewegung“ und Antisemitenpetition

Berliner Bewegung“: Mitte Otto Glagau; im Uhrzeigersinn Adolf König, Bernhard Förster, Max Liebermann von Sonnenberg, Theodor Fritsch, Paul Förster und Otto Böckel, ca. 1880

Im Kaiserreich betätigte sich Liebermann politisch in der völkischen Bewegung, nahm auch an den „Internationalen Antijüdischen Kongressen“ teil. Gemeinsam mit den Agitatoren der „Berliner Bewegung“ Paul und Bernhard Förster sowie Ernst Henrici initiierte er eine „Antisemitenpetition“, die die Juden der wirtschaftlichen, sozialen und rassischen Unterwanderung des deutschen Volkskörpers bezichtigte. Die vier Forderungen der Petition gestalteten sich im Vergleich zur allgemeinen Agitation der „Berliner Bewegung“ eher moderat:

1. Einschränkung der Einwanderung von Ostjuden aus Österreich-Ungarn und Rußland.
2. Ausschluß der Juden von allen obrigkeitlichen Stellungen, insbesondere vom Richteramt.
3. Verbot der Anstellung jüdischer Lehrer an Volksschulen und enge Begrenzung ihrer Einstellung an allen übrigen Schulen.
4. Wiederaufnahme der amtlichen Statistik über die jüdische Bevölkerung.

Die Petition wurde von ca. 250.000 Bürgern unterzeichnet und verschaffte Liebermann deutschlandweite Popularität. Er übergab die Petition 1881 dem Kanzleramt, allerdings ignorierte Reichskanzler Otto von Bismarck sie.

Im selben Jahr gründete Liebermann gemeinsam mit Bernhard Förster den Deutschen Volksverein und die antisemitisch ausgerichtete Deutsche Volkszeitung, deren Chefredakteur er von 1885 bis 1887 war.

1884 verließ er die preußische Armee und widmete sich nun ganz der Arbeit als Schriftsteller und politischer Publizist. 1894 übernahm er Theodor Fritschs Antisemitische Correspondenz, die er als Deutschsoziale Blätter in eine Parteizeitung umwandelte. In ihren Beiträgen wurden die Juden für die Wirtschaftskrisen und sozialen Gegensätze der deutschen Industrialisierung verantwortlich gemacht. Rassentheoretische Ansätze spielten in den Publikationen eine zunehmende Rolle. Sonnenbergs Antisemitismus kann als mittlere Position zwischen Adolf Stoeckers christlich-sozialer Judenfeindschaft und dem antikonservativen Flügel der Bewegung um Otto Böckel und Oswald Zimmermann gelten.

Parteipolitiker

1889 erreichte Sonnenberg die Vereinigung diverser antisemitischer Gruppierungen zur Antisemitischen Deutschsozialen Partei. Für diese zog er 1890 in den deutschen Reichstag ein, dessen Mitglied er bis 1911 blieb. Im hessischen Wahlkreis Fritzlar-Homberg-Ziegenhain wurde er stets mit großer Mehrheit wiedergewählt. 1894 vereinte er seine Partei mit der von Otto Böckel gegründeten Deutschen Reformpartei zur Deutschsozialen Reformpartei (DSRP). Ihr Programm sah vor, die rechtliche Gleichberechtigung der in Deutschland lebenden Juden rückgängig zu machen, und sprach zudem von einer „Endlösung der Judenfrage“ und der „Vernichtung des Judenvolks“. Außerdem vertrat die DSRP Forderungen nach Sozialreformen zugunsten des Mittelstands und der Landwirtschaft. 1900 spaltete sich die Partei nach heftigen Flügelkämpfen wieder. Liebermann konnte die Zusammenlegung von Reichstagsfraktion und Parteiführung, die ihm uneingeschränkte Kontrolle über die Partei gegeben hätte, nicht durchsetzen. Damit wurde er wieder Vorsitzender der Deutschsozialen Partei. Unabhängig von den parteipolitischen Querelen galt Liebermann in der Öffentlichkeit als charismatischer Redner und führender Kopf des Antisemitismus.

Nach schwachen Wahlergebnissen 1898 und 1903 führte Liebermann seine Partei in eine engere Verbindung mit der Deutschkonservativen Partei und dem Bund der Landwirte. 1903 gründete Liebermann die Wirtschaftliche Vereinigung als Fraktionsgemeinschaft von Deutschsozialen, Christlichsozialen, Bund der Landwirte und Bayrischem Bauernbund. Die Fraktion setzte sich für Sonderzölle auf englische Waren ein. Sie sollten die Konkurrenzfähigkeit deutscher Firmen schützen, die von einer Pleitewelle bedroht waren. Dafür machten Liebermann und die Klientel seiner Partei den „Manchesterliberalismus“ im Bunde mit den Juden als angeblichen Drahtziehern verantwortlich. Die Landwirtschaft sollte mit hohen Schutzzöllen gegen den Preisverfall auf dem globalisierten Agrarmarkt geschützt werden.

Insgesamt trat jedoch Liebermanns Antisemitismus zunehmend hinter die Propagierung einer deutschen Kolonial- und Weltmachtpolitik zurück. Ab 1905 unterstützte er den Flottenbau im Wilhelminischen Reich, propagierte einen Krieg gegen England und warnte vor dem englischen Parlamentarismus, den er als „Zersetzung“ des Patriotismus und der militärischen Stärke Deutschlands verstand. 1908 griff er im Rahmen der Daily-Telegraph-Affäre den englischen Kolonialminister Arthur Neville Chamberlain öffentlich an und warf ihm vor, die deutsche Monarchie zu untergraben. Liebermanns Äußerungen trugen zu einem negativen Deutschlandbild in der englischen Öffentlichkeit erheblich bei.

In München veröffentlichte Sonnenberg im Sommer 1911 seine Memoiren Aus der Glückszeit meines Lebens. Erinnerungen aus dem großen deutschen Kriege 1870/71 und starb wenige Monate später am 17. November im Alter von 63 Jahren in Berlin.

Werke

  • Rheinreise. Ein Cyclus lyrischer Gedichte, 1878
  • Gedichte, 1879
  • Die Judenfrage und der Synagogenbrand in Neustettin, 1883
  • Die Judenfrage und der Synagogenbrand in Neustettin. Rede (nach dem Stenogramm), gehalten am 25. October 1883 in der großen Volksversammlung auf dem Berliner Bock, 1883
  • Die Schädigung des deutschen Nationalgeistes durch die jüdische Nation. Vortrag, 1892
  • Die Bauernwürger. Eine Geschichte mit 12 Bildern aus dem Leben, 1894
  • Aus der Glückszeit meines Lebens. Erinnerungen aus dem großen deutschen Kriege 1870/71, 1911
als Herausgeber
  • Beiträge zur Geschichte der antisemitischen Bewegung vom Jahre 1880-1885 bestehend in Reden, Broschüren, Gedichten, 1885

Literatur

  • Richard S. Levy: The Downfall of the antisemitic parties in Imperial Germany. Yale Univ. Press, New Haven u.a. 1975. (= Yale historical publications; Miscellany; 106) ISBN 0-300-01803-7
  • Thomas Weidemann: Politischer Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich. Der Reichstagsabgeordnete Max Liebermann von Sonnenberg und der nordhessische Wahlkreis Fritzlar-Homberg-Ziegenhain. In: Heimatvertriebene Nachbarn. Beiträge zur Geschichte der Juden im Kreis Ziegenhain, hrsg. v. Hartwig Bambey. Verl. Stadtgesch. Arbeitskreis u.a., Schwalmstadt-Treysa 1993, S. 113-184. ISBN 3-924296-07-3
  • Thomas Weidemann: Hessentag vor 100 Jahren. In: Hessisch-Niedersächsische Allgemeine vom 31. Mai 2008.
  • Thomas Weidemann: 1908- großes "hessisches Volksfest" in Treysa. In: Schwälmer Jahrbuch 2009. S. 165ff. Hrsg. Schwälmer Heimatbund 2008.
  • Ferdinand Werner: Liebermann v. Sonnenberg. In: Deutscher Aufstieg. Bilder aus der Vergangenheit und Gegenwart der rechtsstehenden Parteien, hrsg. v. Hans von Arnim u. Georg von Below. Schneider, Berlin u.a. 1925. S. 315-321.

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Max Liebermann von Sonnenberg — (top row on the left) and other contemporary anti Semites Max Liebermann von Sonnenberg (21 August 1848 17 November 1911) was a German officer who became noted as an anti Semitic politician and publisher. He was part of a wider campaign against… …   Wikipedia

  • Liebermann von Sonnenberg — Liebermann von Sonnenberg, Max, Politiker, geb. 21. Aug. 1848 in Weißwasser (Kreis Tuchel), trat 1866 in das 3. preuß. Grenadierregiment ein, ward im Kriege 1870/71 zweimal verwundet, besuchte 1872–75 die Kriegsakademie, nahm 1880 als… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Liebermann von Sonnenberg — Liebermann von Sonnenberg, Max, Parlamentarier, geb. 21. Aug. 1848 in Bielscastruga (Westpreußen), 1866 80 Offizier, 1889 Mitbegründer der Deutsch sozialen antisemit. Partei, seit 1890 Mitglied des Reichstags …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Liebermann — ist der Familienname folgender Personen: Bruno Franz Leopold Liebermann (1759–1844), katholischer Theologe Carl Liebermann (auch Karl Theodor Liebermann; 1842–1914), deutscher Chemiker Doris Liebermann (* 1953), deutsche Journalistin Ernst… …   Deutsch Wikipedia

  • Sonnenberg — ist der Name folgender geografischer Objekte: Deutschland in Baden Württemberg ein Ortsteil von Pforzheim Sonnenberg (Stuttgart), Stadtteil im Stuttgarter Stadtbezirk Möhringen Sonnenberg (Uttenweiler), Ortsteil der Gemeinde Uttenweiler,… …   Deutsch Wikipedia

  • Antisemitische Deutschsoziale Partei — Die Deutschsoziale Partei (DSP, auch: Antisemitische Deutschsoziale Partei) war eine antisemitische Partei im deutschen Kaiserreich. Sie ging 1889 auf dem Bochumer Kongress unter der Regie von Max Liebermann von Sonnenberg und Theodor Fritsch aus …   Deutsch Wikipedia

  • Deutsch-Soziale Partei — Die Deutschsoziale Partei (DSP, auch: Antisemitische Deutschsoziale Partei) war eine antisemitische Partei im deutschen Kaiserreich. Sie ging 1889 auf dem Bochumer Kongress unter der Regie von Max Liebermann von Sonnenberg und Theodor Fritsch aus …   Deutsch Wikipedia

  • Liste der Biografien/Lie — Biografien: A B C D E F G H I J K L M N O P Q …   Deutsch Wikipedia

  • Berliner Invalidenfriedhof — Der Invalidenfriedhof Grabdenkmal Gerhard von Scharnhorst im Jahr 1925 Der Invalidenfriedhof ist ein historischer Friedhof und eine Gedenkstätte im Ortsteil …   Deutsch Wikipedia

  • Deutsch-Soziale Reformpartei — Die Deutschsoziale Reformpartei (DSRP) war eine Partei im deutschen Kaiserreich, die zwischen 1894 und 1900 als Zusammenschluss der Deutschsozialen Partei und der Deutschen Reformpartei bestand. Inhaltsverzeichnis 1 Zusammenschluss 2 Vereinigung… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”