- Moondog
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Moondog (* 26. Mai 1916 als Louis Thomas Hardin in Marysville, Kansas; † 8. September 1999 in Münster) war ein US-amerikanischer Komponist und Musiker.
Inhaltsverzeichnis
Jugend
Louis Thomas Hardin verlebte seine Jugend in verschiedenen Teilen des Mittleren Westens. Im Alter von sechzehn Jahren verlor er das Augenlicht bei einer Explosion, als er mit einer Dynamitkapsel hantierte, die bei einer Überschwemmung zwischen Eisenbahngleise angespült wurde.[1]
Auf einer Blindenschule in Iowa kam er mit klassischer Musik in Berührung und erhielt seine erste musikalische Ausbildung. Er lernte Violine, Viola, Piano, Orgel, Chorgesang und Harmonielehre und studierte autodidaktisch weiter, indem er las, was ihm zum Thema Musik in Blindenschrift zugänglich war. Gleichzeitig trommelte er weiter. Seine Gehörbildung perfektionierte er so, dass er musikalische Ideen direkt aus dem Kopf in Blindenschrift umsetzen konnte. So gut wie alle seine Kompositionen entstanden ohne Instrument. Den Namen „Moondog“ legte er sich 1947 zu, nach seinem Blindenhund, der, so Hardin, „mehr als jeder andere Hund, den ich kannte, den Mond anheulte“.
New York
1943 zog es Hardin in den „Big Apple“, wo er ein „street life“ als dichtender und musizierender Clochard führte. Bis in die frühen 1970er Jahre war er meistens an der Ecke 6th Avenue/54th Street anzutreffen, trug kleine Gedichte und Kompositionen zur Trommel oder auf einer Zither vor und verkaufte sie an Passanten. Fasziniert von der Lektüre der Edda, legte er sich eine Wikingerkluft zu. Alte Fotos zeigen den Verehrer nordischer Mythologie mit wallendem Bart, weitem Umhang, langem Speer und gehörntem Helm. Von manchen Passanten wohl als exzentrischer Sonderling oder gar als Scharlatan beargwöhnt, von zahlreichen Künstlern aber hoch geachtet, wurde Moondog bald zu einer Art Institution im Straßenbild von Manhattan. Zu den schönsten Anekdoten, die um ihn kursieren, gehört wohl jene, wonach das Hilton-Hotel in der „New York Times“ Anzeigen schaltete, in denen es seine Adresse mit „gegenüber von Moondog“ angab.
Anerkennung
Wenn Hardin auch die Straße zu seinem Zuhause machte, war er kein sozial isolierter Stadtstreicher. Auf der Straße lernte er Musiker der New Yorker Philharmoniker kennen, die ihn ihrem Dirigenten Artur Rodziński vorstellten. Der lud ihn ein, den Orchesterproben in der Carnegie Hall beizuwohnen, wo Moondog dann jahrelang ein und aus ging und viel über Orchestrierung lernte. Er machte die Bekanntschaft von Arturo Toscanini, Igor Strawinski und Leonard Bernstein. Nach Rodzinskis Weggang 1947 war der skurrile Wahlwikinger in der Carnegie Hall nicht mehr ganz so gern gesehen. An seinen Straßenecken traf er mit Charlie Parker zusammen, der ihm vorschlug: „You and I should make a record together“ – ein Vorhaben, das durch Parkers plötzlichen Tod vereitelt wurde.
Mit Julie Andrews veröffentlichte Moondog 1955 bei Angel Records eine sehr erfolgreiche Platte mit Kinderliedern. Mit Charles Mingus bestritt er ein Konzert im Whitney Museum, mit Allen Ginsberg eine Dichterlesung. Janis Joplin nahm 1968 sein Madrigal All Is Loneliness auf. „Damit machte sie es kaputt“, meinte Moondog später. Bei den Labels Mars, Prestige und Epic waren bereits Platten mit seiner Musik erschienen, als er in den späten 1960er-Jahren zwei Alben für CBS einspielte.
Deutschland
Dann plötzlich war Moondog aus New Yorks Straßen verschwunden. Als er nicht wieder auftauchte, hielten ihn manche für tot. In einer TV-Talkshow bedauerte Paul Simon, eines seiner großen musikalischen Vorbilder, Moondog, sei verstorben. Doch tatsächlich war Moondog auf Vermittlung eines Freundes, des Organisten Paul Jordan, 1974 vom Hessischen Rundfunk zu zwei Konzerten nach Frankfurt eingeladen worden und einfach in Deutschland geblieben.
In Hamburg, Hannover und wenig später in Recklinghausen setzte er zunächst sein Straßenmusikleben fort, trommelte in den Fußgängerzonen und verkaufte seine Gedichte, bis er von der Studentin Ilona Goebel angesprochen und, zunächst nur für ein paar Tage, ins elterliche Haus nach Oer-Erkenschwick eingeladen wurde. „Mein elf Jahre alter Bruder“ erzählte sie, „wollte ihn zu Weihnachten zum Essen nach Hause einladen, weil er ihm so leid tat. Aber keiner aus der Familie traute sich, ihn zu fragen. Und dann sah ich eine Platte mit seiner Musik – Orchesterstücke, gespielt von 45 Musikern, mit einer Menge Solisten. Die kaufte ich. Als ich seine Musik zum ersten Mal hörte, war ich ergriffen. Ich konnte nicht glauben, dass jemand, der solche Musik schreiben kann, so leben muss wie er. Da lud ich ihn nach Hause ein.“
Management
Ilona Sommer redete ihm die Wikingerkluft aus und brachte ihn auf den Geschmack an einem mehr bürgerlichen Leben. Sie gab ihr Studium auf, nahm Moondog in ihre Obhut und machte das Haus zur kreativen Stätte zum Komponieren für Louis Hardin. Sie lernte, seine Kompositionen aus der Blinden- in normale Notenschrift zu übertragen und begleitete Moondog fortan bei all seinen Konzertauftritten. Sie gründete den Musikverlag Managarm, in dem heute die meisten Moondog-Werke verlegt sind. Nach seinem letzten Willen wird das Gesamtwerk Louis Hardins heute von Ilona Sommer bzw. ihrem Managarm Musikverlag betreut und verwaltet.
ROOF Music brachte auf seinem Label Kopf-Records in den späten 1970er Jahren drei Moondog-LPs heraus. Danach wurde es in puncto Veröffentlichungen still um den Ex-Wikinger. Er komponierte allerdings unermüdlich weiter, so dass sein Werk auf 50 Sinfonien und zahllose kleinere Stücke anwuchs.
1989, anderthalb Jahrzehnte nach seinem Weggang, erlebte Moondog in New York ein vielbeachtetes Comeback. So plötzlich, wie er damals verschwunden war, tauchte er wieder aus der Versenkung auf, wenn auch nur für wenige Tage. Das zehnte New Music America Festival hatte ihn eingeladen, einige seiner Kompositionen aufzuführen. Bei dem Konzert, das am 16. November unter dem Motto Meet The Moderns in der Brooklyn Academy of Music stattfand, standen u. a. auch Uraufführungen symphonischer Werke von Butch Morris und John Zorn auf dem Programm. In einer Folge von musikalischen Widmungen an Musiker, die er einst kannte (Benny Goodman, Lester Young, Charlie Parker, Artur Rodziński), sowie an die Städte New York und Paris dirigierte Moondog selbst das Philharmonische Kammerorchester Brooklyn.
Selbstverständnis
Als ebenso ungewöhnlich wie seine Musik wurde dabei sein Dirigierstil aufgenommen. Moondog spielte nicht die traditionelle Rolle der dirigierenden Autoritätsfigur, sondern saß seitlich des Orchesters und gab auf einer Pauke den Beat vor. In einem Interview nahm er dazu Stellung: „Ich verstehe mich als Erster unter Gleichen. Es gibt quasi 40 Dirigenten, und jeder ist sowohl für seinen eigenen Part verantwortlich als auch für die gesamte Aufführung. Orchestermusiker reagieren durchaus positiv auf diese Idee. In meiner Musik gibt es keine Taktwechsel. Wenn ich in 4/4 anfange, höre ich auch in 4/4 auf. Sie brauchen bloß gerade durchzuzählen. Nur wenn unbedingt nötig, gebe ich mal einen Wink mit der Hand. Aber durchweg will ich, wenn sie einmal angefangen haben, gar nicht, dass sie mich ansehen. Sie sollen sich auf ihren Part konzentrieren.“
Medienecho
Das Medienecho auf Moondogs Rückkehr war überschwänglich. Die „New York Times“ etwa und „People Magazine“ begrüßten ihn in ausführlichen Beiträgen; zahlreiche Zeitungen hoben ihn per Foto aus dem restlichen Programmangebot hervor. Und in einer Rezension des Konzertes in „New Yorks Newsday“ hieß es: „Nur neun kurze Nummern des blinden, gabelbärtigen Moondog machten den Abend lebendig. Für den 75-Jährigen könnte das New Yorker Comeback erst den Anfang einer neuen Karriere bedeuten.“ CBS und ROOF Music wiederveröffentlichten seine früheren Platten als CDs.
Der Pop-Chansonnier Stephan Eicher zog ihn bei seinem Album „My Place“ für ein Instrumentalarrangement des „Guggisbergliedes“ heran, und Musiker der Guildhall School of Music führten anlässlich Moondogs 75. Geburtstages im Mai in London und Dartington eine Reihe seiner Saxophonwerke auf.
Im Januar 1992 führte das American Ballet Theatre Orchesterwerke Moondogs in Hollywood, Washington (Kennedy Center) und in der New Yorker Metropolitan Opera auf.
Spätwerk
1992 legte der unermüdlich Schaffende wieder ein Album vor: „Sax Pax For a Sax“, eingespielt im englischen Bath mit dem London Saxophonic Ensemble, das in Großbritannien und in Deutschland wahre Begeisterungsstürme auslöste, u. a. auf der Documenta in Kassel, beim „Stuttgarter Jazzgipfel“ und beim „Moers New Jazz Festival 1994“. Bei der Produktion waren neben David Lord als Produzent (u. a. Peter Gabriel) mit Danny Thompson und Peter Hammill weitere Größen der englischen Musikwelt beteiligt. 1997 wurde das Album „Sax Pax For a Sax“ in den USA veröffentlicht (Atlantic Records).
Zwei Jahre später starb Moondog in Münster an Herzversagen. Begraben ist er auf dem Zentralfriedhof Münster. Sein Grabmal wurde von dem Künstler Ernst Fuchs nach der Totenmaske gestaltet.
Stil, Kompositionstechnik
Moondog sah sich als Klassizist. Sein kompositorisches Ideal ist der Kontrapunkt, was aber auch moderne Musiker jedweder Couleur (E, U oder Jazz) nicht davon abhält, von ihm beeindruckt zu sein. Von Philip Glass freilich fühlt Hardin sich nur halbrichtig verstanden, wenn der ihn als „the leader of the pack“ bezeichnet; Glass selbst, aber auch Steve Reich und Terry Riley seien von Moondog beeinflusst. Tatsächlich arbeitet Moondog, ähnlich wie die Minimalisten, mit repetitiven Patterns, doch folgt er stets den Gesetzen des Kontrapunkts. Ein wenig schelmisch erhob er deren Einhaltung gar zum Nonplusultra der Musik überhaupt, während ihm die Tendenzen der Neuen Musik zur Atonalität und zur Elektronik ein kompositorisches Gräuel waren. Doch ging Moondog, nicht ohne augenzwinkernde Übertreibung, auch mit seinen klassischen Vorbildern streng ins Gericht. Mit geradezu diebischem Spaß „überführt“ er selbst Bach oder Palestrina der Abweichung von den Kontrapunktregeln.
Und doch klingt seine Musik nicht eben klassisch. Klassische Techniken führen bei ihm zu einem unklassischen Resultat. Der Meister des Kontrapunkts komponierte so konsequent konservativ, dass es schon fast wieder revolutionär wirkt. In der formalen Strenge fand er seine musikalische Freiheit. Einen Hinweis zum Verständnis dieses scheinbaren Widerspruchs gibt Moondog selbst: „Mir kommt es so vor, als ob ich mit einem Fuß in Amerika und mit dem anderen in Europa stehe, oder mit dem einen in der Gegenwart und mit dem anderen in der Vergangenheit. Rhythmisch könnte man mich der Gegenwart, ja, der Avantgarde zurechnen; melodisch und harmonisch stehe ich dagegen sehr weit in der Vergangenheit.“
Ob Songs oder Orchesterstücke, Kanons oder Madrigale, Werke für Orgel oder für Kammerensemble – fast immer ist seine Musik mit eigentümlichen Perkussionsrhythmen unterlegt, die Moondog selbst durchweg auf einer dreieckigen Trommel – der „Trimba“ – schlug. Bisweilen entsteht sogar ein zwar eher „zickiger“ als swingender, aber doch immerhin entfernt jazz-ähnlicher Beat. Tatsächlich bezieht Moondog sich auf traditionelle indianische Rhythmen, wie er sie als Kind in den Indianerreservaten von Wyoming kennenlernte, wohin ihn sein wanderpredigender Vater bei Missionsbesuchen gelegentlich mitnahm. Er erzählte gern davon, wie er auf Häuptling Yellow Calfs Schoß sitzen und die große Sonnentanztrommel schlagen durfte.
Die Vorliebe für Perkussion ließ ihn nicht wieder los. Die „Indian Beats“ wurden zu einer Art Herzschlag in Moondogs Musik. Originalklang und Rhythmus der Trimba vermittelt heute der schwedische Percussionist und Moondogschüler Stefan Lakatos, der Bau und Spiel dieses einzigartigen Instruments von seinem langjährigen Freund Louis Hardin erlernte. Im Februar 2006 veröffentlichte die Bochumer Harfenistin Xenia Narati ihre Solo-CD „Moondog Sharp Harp“, auf welcher sie sechs Kompositionen Moondogs als Ersteinspielungen zu Gehör bringt.
Verschiedenes
In Österreich ist zumindest ein Musikstück von Moondog recht bekannt – es handelt sich um Bird's Lament (auf diversen Compilations auch als „Lament I“ benannt), das als Titelmusik zur ehemaligen ORF-Sendung Trailer mit Frank Hoffmann zu hören war.
Durch die Disco-tauglichen Remixe „Get a move on“ des englischen DJ Mr. Scruff und „Night at the dogs“ vom ebenfalls englischen DJ Jesse Rose wurde Bird's Lament auch auf den Tanzflächen wiederentdeckt.
Die US-amerikanische Band Moondogg um die Sängerin Elizabeth Westwood benannte sich nach Moondog.
Diskographie
- Moondog and His Friends, Epic, 1953
- Moondog, Prestige, 1956
- More Moondog, Prestige, 1956
- The Story of Moondog, Prestige, 1957
- Tell It Again (with Julie Andrews), Angel/Capital, 1957 (Reissue: Poppy Disc, 2009)
- Moondog, Columbia, 1969
- Moondog 2, Columbia, 1971
- Moondog in Europe, Kopf, 1977 (Reissue: Roof Music, 1999)
- H'art Songs, Kopf, 1978 (Reissue: Roof Music, 1999)
- Moondog: Instrumental Music by Louis Hardin, Musical Heritage Society, 1978
- A New Sound of an Old Instrument, Kopf, 1979 (Reissue: Roof Music, 1999)
- Facets, Managarm, 1981
- Bracelli, Kakaphone, 1986
- Moondog. Sis (Sony BMG), Sis (Sony BMG) 1995
- Elpmas, Kopf Records & Roof Music, 1991, KD 123314
- The German Years (1977–1999), ROOF Music, 2004, RD 2433221
- Rare Material, ROOF Music, 2006, RD 2633272
- Moondog: Pastoral Suite; Surf Session. Moondog's Corner, 2005
- Sax Pax for a Sax. Megaphon, 2007
- Viking on Sixth Avenue. Honest Jon, 2005
Literatur
- Robert Scotto: Moondog, The viking of 6th Avenue. The authorized biography. Process Media, Port Townsend 2007, ISBN 978-0-9760822-8-6.
Weblinks
- Werke von und über Moondog im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- [1] Moondogs Musikverlag
- Plattenfirma „Roof“ von Moondog
- Robert Scotto
- Interview with Moondog, Mai 1998
- Moondog Interpretin Xenia Narati (Harfe)
- Stefan Lakatos, Moondog-Interpret (Trimba-Percussion)
- WDR 5 in ZeitZeichen, gesendet zum 10. Todestag am 8. September 2009
Einzelnachweise
- ↑ Künstlerseite bei ROOF Music. Abgerufen am 29. Januar 2011.
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