Nikolaikirche (Berlin)

Nikolaikirche (Berlin)
Nikolaikirche vom Fernsehturm aus gesehen.

Die Nikolaikirche ist die älteste Kirche Berlins und steht unter Denkmalschutz. Sie befindet sich in Berlin-Mitte im Nikolaiviertel zwischen Spandauer Straße, Rathausstraße, Spree und Mühlendamm. Die Nikolaikirche ist heute ein zur Stiftung Stadtmuseum Berlin gehörendes Museum, in dem auch regelmäßig Konzerte stattfinden.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Kirche im Nikolaiviertel 1827
Die Ruine nach dem Einsturz im Jahr 1949, aufgenommen 1951
Blick in das Hauptschiff

Die Nikolaikirche wurde als dreischiffige, kreuzförmige Feldsteinbasilika um 1230 bis nach 1250 gebaut. Ihren Namen hat sie von dem Heiligen Nikolaus von Myra. Das Nikolaipatrozinium deutet darauf hin, dass sie die Kirche einer Kaufmannssiedlung war. Als ältestes Bauwerk Berlins bildete sie mit dem Molkenmarkt den Kern der im Aufbau befindlichen Handelsstadt Berlin, während auf der gegenüberliegenden Spreeseite die Siedlung Cölln um die Petrikirche heranwuchs.

Im 13. Jahrhundert wurde sie zu einer gotischen Hallenkirche umgebaut und erst um 1400 in den heutigen Grundformen vollendet.[1] Im Jahre 1452 stiftete der Küchenmeister Zeuschel der Nikolaigemeinde die Marienkapelle,[2] die auch außen am Bauwerk erkennbar ist – die roten Backsteine bilden einen deutlichen Kontrast zum Grau des Turmes. 1461 stiftete die Berliner Bäcker-Innung, die zu den wohlhabenden Viergewerken gehörte, der Nikolaikirche einen Altar mitsamt einer jährlichen Rente für die Besoldung eines Altaristen. Das Langhaus des Hauptschiffes erhielt erst um 1500 sein heutiges Aussehen.

Eine besondere Bedeutung hat die Nikolaikirche als Wirkungsstätte und Ort der Zusammenarbeit des bedeutenden protestantischen Kirchenlieddichters Paul Gerhardt, der hier von 1657 bis 1667 als Pfarrer tätig war, und des Kirchenliedkomponisten Johann Crüger, 1622 bis 1662 Kantor an St. Nikolai. Auf Propst Lilie zu Dienstzeiten Gerhardts folgte 1667 der Orientalist Andreas Müller. Der lutherische Theologe und bedeutende Pietist Philipp Jacob Spener war von 1691 bis zu seinem Tode 1705 Propst an St. Nikolai.

Am 30. Oktober 1817, am Vortag des 300. Jahrestags der Reformation, wurde in der Nikolaikirche mit einem gemeinsamen Abendmahl von Lutheranern und Reformierten die Kirchenunion in Preußen vollzogen und so die Kirche der Altpreußischen Union geschaffen [3].

Die unsymmetrische Einturmfassade des gotischen Baus prägte bis ins 19. Jahrhundert das Bild der Stadt Berlin. Im Zuge einer umfassenden Restaurierung 1876/78 wurde durch Hermann Blankenstein jedoch eine neugotische Doppelturmfassade errichtet.

Von 1913 bis 1922 war Dr. Wilhelm Ludwig Georg Wessel, dessen Sohn Horst Wessel später eine der bekanntesten Figuren der Nationalsozialisten in Deutschland wurde, der Pfarrer. Die Familie Wessel lebte in der benachbarten Jüdenstraße.

Im November 1938 wurde die Kirche von der evangelischen Kirche für die regelmäßige Nutzung aufgegeben, außer Gottesdienst gestellt und in das Eigentum des nationalsozialistisch beherrschten Deutschen Reichs gegeben[4]. 1939 fand in der Nikolaikirche zum 400sten Jubiläum des Übertritts zur Reformation in Brandenburg ein vorerst letzter Gottesdienst statt. Die Kirche sollte im Rahmen eines Projekts für das ganze umgebende Viertel als Zentrum des mittelalterlichen Berlin restauriert und regotisiert werden.

Im Zweiten Weltkrieg büßte die Kirche 1944 infolge von Bombenangriffen Blankensteins Turmspitzen, das Dach und einen Teil der Gewölbe im Chorbereich ein. Weitere Schäden richteten bei Kriegsende ein Brand im Innern sowie danach jahrelange Witterungseinflüsse und Raubzüge von Buntmetalldieben an, jedoch konnten zahlreiche Inventarstücke gerettet werden.[5] In die Marienkirche kamen sechszehn Gemälde und der romanische Kelch der Nikolaikirche. Weil die stark beschädigte Kirche ohne Notdach geblieben war, stürzten im Jahre 1949 alle Gewölbe mitsamt der nördlichen Pfeilerreihe ein. Erst seit 1957 schützten Vermauerungen die Epitaphe, andere kamen 1965 in die Ost-Berliner Staatlichen Museen und 1968/69 in das Märkische Museum.[6] Turmstumpf und Umfassungsmauern der Nikolaikirche standen einige Jahrzehnte nahezu allein auf einer großen abgeräumten Freifläche. Auf den vielfach befürchteten Abriss der Ruine verzichtete die DDR-Regierung endgültig im Jahre 1978 durch die Planung des späteren Nikolaiviertels.[7]

Im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau des Nikolaiviertels und den Vorbereitungen auf die 750-Jahr-Feier Berlins wurde die Nikolaikirche von 1980 bis 1983 nach alten Zeichnungen und Plänen mit neuen Turmhelmen vollständig wiederaufgebaut. Heute dient sie als Museum und Konzertraum. Ihre problematische Akustik schränkt die Bandbreite des musikalischen Programms indes erheblich ein. Hörenswert ist auch das aus 41 Glocken bestehende Glockenspiel, das beim Wiederaufbau im Turm installiert wurde. Es sind in ihrem Inneren noch Überreste von Gruften und Grabstätten früher einflussreicher Familien erhalten.

Nutzungen

Nach einer umfassenden zweijährigen Sanierung wurde die Nikolaikirche am 21. März 2010 mit einem Festprogramm wiedereröffnet. In den Kirchenhauptraum wurde die restaurierte Kanzel der nicht wiederaufgebauten Franziskaner-Klosterkirche eingebaut und einige Barockfiguren des ursprünglichen Altars aufgestellt.[8] Der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit eröffnete eine neue Dauerausstellung, die die Entstehung und Nutzung des Gotteshauses in den vergangenen 800 Jahren nachzeichnet. Dazu kommen Ausstellungsbereiche zu den mit der Kirche verbundenen Persönlichkeiten.

Die Nikolaikirche war auch Ort bedeutender politischer Ereignisse: 1539 trat hier der Rat von Berlin und Cölln geschlossen zum Luthertum über, 1809 wurde die erste Stadtverordnetenversammlung hier vereidigt und im Januar 1991 fand hier die konstituierende Sitzung des neu gewählten (nun) Gesamtberliner Abgeordnetenhauses statt.[2]

Archäologische Grabungen

Zwischen 1956 und 1958 und anlässlich des Wiederaufbaus zwischen 1980 und 1983 fanden umfangreiche archäologische Ausgrabungen zur Erforschung der Baugeschichte der Nikolaikirche statt. Dabei konnten die Reste einer spätromanischen dreischiffigen Basilika sowie einer frühgotischen Hallenkirche identifiziert werden. Unter diesen Überresten fanden die Archäologen Gräber eines älteren Friedhofs mit einer geschätzten Zahl von 120-150 Bestattungen. Der Friedhof wurde auf das Ende des 12. bis Anfang des 13. Jahrhundert datiert und befand sich auf der Anhöhe einer Talsandinsel der Spree.[9]

Architektur

Die Westfassade mit den neuen Turmspitzen

Außenbereich

Die Außenfassade in ihrem derzeitigen Aussehen verdeutlicht die verschiedenen Bauperioden dieses Kirchengebäudes. Die Westfassade wird dominiert von einem massiven Westbau aus grau-braun-violetten Feldsteinen im Turmsockel, der in vier Geschossen abgestuft ist. Er ist der älteste Teil des Gotteshauses und gehörte zu einer spätromanischen Basilika als erstem Steinbau an dieser Stelle (1. Hälfte des 13. Jahrhunderts). Um 1270 wurde das Langhaus durch eine gotische Halle ersetzt. Nach dem Stadtbrand von 1379 fand bis um 1470 ein umfassender Neubau als spätgotische Hallenkirche statt, unter Beibehaltung des Westbaus. Die daneben im Jahr 1452 etwas zurückgesetzt angebaute Marienkapelle besteht aus roten Backsteinen mit einem Staffelgiebel. Das fünfjochige Langhaus erhielt einen neuartigen Hallenumgangschor. Zeitgleich erhielt das sakrale Bauwerk die zweigeschossige Liebfrauenkapelle und die Chornordkapelle für Sakristei und die Kirchenbibliothek.[1][10]

Innenbereich

Das Kircheninnere ist im Westbereich in drei Jochen überwölbt, die bei den späteren baulichen Änderungen dem aktuellen Zeitgeschmack gotisch bzw. barock angepasst wurden. Der Chor ist als Umgangsbereich mit Randkapellen gestaltet worden. Das Hauptschiff wird von Strebepfeilern getragen. – Vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg bestimmten Kreuzrippengewölbe auf Bündelpfeilern den Innenraum.[1]

Türme

Zunächst – wie oben bereits dargestellt – hatte die Kirche bis zum Jahr 1880 nur einen Turm. Der dann über dem Sockel aufgemauerte neue Turm mit gleichhohen Doppelspitzen verbesserte das Berliner Stadtbild enorm; er war für Jahrhunderte gedacht.
Bei den Endkämpfen des Zweiten Weltkriegs wurde er jedoch zerstört. Erst als die Stadtväter die 750-Jahr-Feier der Stadtgründung für das Jahr 1987 vorbereiteten, wurde eine Rekonstruktion des Turmes mit den charakteristischen Doppelspitzen beschlossen. Sie wurden nach alten Vorlagen möglichst detailgetreu nachgebildet und auf einem Betonsockel auf dem Erdboden fertig montiert. Sie erhielten auf ihren Montagesockeln auch schon zwei Drittel der Eindeckung über einer Spezialstahlkonstruktion und eine Kupferhaut. Eine Spitze bekam eine Nachbildung des historischen Berliner Stadtwappens als Wetterfahne auf seinen Turmhelm, die andere eine vergoldete Kugel, die als Blitzableiter ausgelegt ist. Für das Aufsetzen der neuen, 53 Tonnen schweren Turmspitzen hatten Baufachleute auf den stabilisierten Turmfragmenten zuvor einen Stahlbetonringanker aufgebracht. Ein Mobilkran des VEB Industriemontagen Merseburg hob die fertigen Spitzen am frühen Morgen des 20. August 1982 in luftige Höhe und setzte sie dann millimetergenau auf dem Ringanker ab, wo sie dauerhaft verschraubt wurden. Die Luftfahrt je einer Spitze dauerte 35 Minuten. Nur wenige Zschauer konnten das Ereignis unmittelbar beobachten, weil es nicht medienwirksam angekündigt worden war.[11]

Orgel

Orgel der Nikolaikirche

Die heute im Gotteshaus installierte Orgel wurde 1997 von der Orgelbaufirma Jehmlich (Dresden) erbaut. Das Instrument hat 44 Register (Schleifladen) auf drei Manualen und Pedal. Die Spieltrakturen sind mechanisch, die Registertrakturen elektrisch.[12]

I Hauptwerk C–g33

1. Prinzipal 16′
2. Quintade 16′
3. Prinzipal 8′
4. Spitzflöte 8′
5. Salicional 8′
6. Oktave 4′
7. Flûte d’amour 4′
8. Quinte 22/3
9. Oktave 2′
10. Mixtur V
11. Scharff IV
12. Cornett III-V 8′
13. Trompete 16′
14. Trompete 8′
Zimbelstern
II Schwellwerk C–g3
15. Bordun 16′
16. Flötenprinzipal 8′
17. Doppelflöte 8′
18. Viola da Gamba 8′
19. Flötenschwebung (ab c0) 8′
20. Weitoktave 4′
21. Koppelflöte 4′
22. Nasat 22/3
23. Nachthorn 2′
24. Terz 13/5
25. Spitzquinte 11/3
26. Mixtur V-VI 2′
27. Holzfagott 16′
28. Cor anglais 8′
Tremulant
III Positiv C–g3
29. Holzgedackt 8′
30. Prinzipal 4′
31. Rohrflöte 4′
32. Prinzipal 2′
33. Sifflöte 1′
34. Zimbel II-III
35. Schalmeiregal 8′
Tremulant
Pedal C–f1
36. Prinzipal 16′
37. Subbass 16′
38. Oktavbass 8′
39. Gedackt 8′
40. Ital. Prinzipal 4′
41. Hintersatz V 51/3
42. Fagott 32′
43. Posaune 16′
44. Bombarde 8′

Hinweisschilder an der Kirche

Literatur

  • Ernst Badstübner: Berlin Nikolaikirche. E. A. Seemann, Leipzig 1991. ISBN 3-363-00485-0.
  • Ernst Badstübner: Nikolaikirche – Nikolaiviertel – Berlin. Schnell & Steiner, Regensburg 1999. ISBN 3-7954-6173-8 (formal falsche ISBN).
  • Matthias Barth: Romanik und Gotik in Brandenburg und Berlin – Architektur und Baudekor des Mittelalters. Bergstadtverlag, Würzburg 2009
  • A. Haupt: Die neue Orgel der St. Nicolai-Kirche in Berlin. In: Caecilia. Band 26 (1847), Heft 103, S. 143–149 (digizeitschriften.de)
  • Märkisches Museum Berlin (Hrsg.): Grabmalskunst aus vier Jahrhunderten. Epitaphien und Grabdenkmäler in der Nikolaikirche zu Berlin. Katalog der Sepulkralplastik. Bearbeitet von Knut Brehm in Zusammenarbeit von Donata Kleber, Hans-Joachim Veigel und Uwe Winkler, Märkisches Museum und Argon Verlag, Berlin 1994, ISBN 3-87024-270-1.
  • Berlin. Sakrale Orte. Grebennikov Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-941784-09-3.
  • Albrecht Henkys: Die Berliner Nikolaikirche. Gotteshaus – Denkmal – Museum. Verlag M, Berlin 2010, ISBN 978-3-9812257-6-1.

Weblinks

 Commons: Nikolaikirche, Berlin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c Die Bau- und Kunstdenkmale der DDR, Berlin, I; Hrsg. Institut für Denkmalpflege im Henschelverlag, Berlin 1984; S.61 ff
  2. a b Berlin. Sakrale Orte; S. 11
  3. Jahreskalender auf www.luise-berlin.de; 30. Oktober
  4. "Ergänzende Informationen zur Instandsetzung der Nikolaikirche" der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 19. März 2010
  5. Götz Eckardt (Hrsg.): Schicksale deutscher Baudenkmale im zweiten Weltkrieg. Eine Dokumentation der Schäden und Totalverluste auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik. Band 1. Berlin - Hauptstadt der DDR, Bezirke Rostock, Schwerin, Neubrandenburg, Potsdam, Frankfurt/Oder, Cottbus, Magdeburg, Henschelverlag, Berlin 1980, S. 10f., dort auch Angaben zum Verbleib des geborgenen Inventars
  6. Knut Brehm: Die Grabplastik der Nikolaikirche, in: Märkisches Museum Berlin (Hrsg.): Grabmalskunst aus vier Jahrhunderten (siehe Literaturliste), S. 8–10
  7. Zu den Abrissgefahren und Planungen siehe Benedikt Goebel: Der Umbau Alt-Berlins zum modernen Stadtzentrum. Planungs-, Bau- und Besitzgeschichte des historischen Berliner Stadtkerns im 19. und 20. Jahrhundert, Verlagshaus Braun, Berlin 2003, ISBN 3-935455-31-3, S.297–303
  8. Bericht in der Abendschau des rbb vom 21. März 2010; abgerufen am 21. März 2010
  9. Bodendenkmal: Nikolaikirche, Reste verschiedener Bauphasen, Friedhof
  10. Marcus Cante u. a.: Berlin und seine Bauten, Bd. VI Sakralbauten. Berlin 1997, S. 332 und 345f.
  11. Heinz Knobloch: Neue Spitzen in Berlin. (Reihe Mit beiden Augen) in: Wochenpost Nr. 36/1982, S. 22
  12. Jehmlich Orgelbau
52.51683333333313.40745

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