Ludwig Wessel

Ludwig Wessel

Wilhelm Ludwig Georg Wessel (* 15. Juli 1879 in Hessisch Oldendorf; † 9. Mai 1922[1]) war ein evangelischer Pfarrer und Vater des SA-Sturmführers Horst Wessel.

Inhaltsverzeichnis

Lebenslauf

Ludwig Wessel wurde 1879 als Kind des Bahnhofswirts Georg Wessel in Hessisch Oldendorf geboren. Nach Abschluss des Gymnasiums in Hameln studierte er Theologie an den Universitäten Erlangen, Berlin und Bonn. Während seines Vikariates promovierte er 1904 an der Universität Erlangen zum Doktor der Philosophie. Nach seiner Ordination - ebenfalls 1904 - wirkte er zunächst für die Evangelische Landeskirche der älteren Provinzen Preußens (Kirchenprovinz Westfalen) als Hilfsprediger in Dortmund und Dorstfeld, anschließend von 1906 bis 1908 als Pastor in der Bielefelder Pauluskirche. Im Oktober 1907 gebar seine Frau Margarete ihr erstes Kind, den Sohn Horst Wessel. Der Ehe entsprangen später noch zwei weitere Kinder: Werner Wessel (* 27. August 1910; † 22. Dezember 1929) und die Tochter Ingeborg Wessel. Der Historiker Daniel Siemens nennt das Verhältnis des jungen Horst Wessel zu seinem Vater „schwierig“.[2]

Im Februar 1908 wurde Ludwig Wessel zum Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde in Mülheim an der Ruhr (rheinische Kirchenprovinz) berufen, wo er bis November 1913 tätig war und sich insbesondere um die Neugestaltung der Petrikirche verdient machte. Danach wirkte Ludwig Wessel an der Berliner Nikolaikirche (Kirchenprovinz Mark Brandenburg). Die Familie Wessel lebte in der benachbarten Jüdenstraße. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 zog er als erster freiwilliger Feldgeistlicher der deutschen Armee mit ins Feld. Als Gouvernementspfarrer leistete er im ersten Kriegsjahr in Belgien seinen Militärdienst. Dann folgte die Versetzung ins litauische Kowno, wo sich das Hauptquartier des Generalfeldmarschalls Paul von Hindenburg befand.[1]

Seine Kriegsreden widmete er den Generälen Hindenburg und Ludendorff.[3] Mit scharfer Rhetorik wurde Wessel schnell bekannt. Laut dem Historiker Manfred Gailus seien seine Reden als „rassisch grundierter, aggressiver Pangermanismus“ einzuordnen.[4] Sein Talent als Redner machte ihn bald zum begehrten Frontprediger, der auch bei Vortragsreisen eingesetzt wurde.[1]

Demgegenüber sieht Oberkirchenrat Karl Dienst in Wessel einen linksliberalen Pfarrer, der erst „später von den Nationalsozialisten zum 'deutschnationalen Pastor' umstilisiert“ worden sei.[5]

Bei Kriegsende kehrte Ludwig Wessel nach Berlin zurück. Nach der Novemberrevolution und dem damit verbundenen Ende des bisherigen Systems der Staatskirchen regelte die Weimarer Nationalversammlung in der Weimarer Reichsverfassung das Verhältnis von Kirchen und Staat neu. Die Übergangsregierung wollte Wessel am 5. Dezember 1918 zum Vertreter für evangelisch-kirchliche Angelegenheiten und zum Nachfolger des kurz zuvor verstorbenen Probstes der Petrikirche, Gustav Kawerau, ernennen.[6] Der neue Kultusminister Adolph Hoffmann hatte von Wessel zuvor eine Loyalitätserklärung für die sozialistische Regierung eingefordert. Der altpreußische Evangelische Oberkirchenrat protestierte sofort gegen die Ernennung, in der man eine unzulässige Einmischung in innerkirchliche Angelegenheiten sah.[6] Nachdem Hoffmann als Minister schnell zurücktrat, verzichtete auch Wessel kurz darauf auf seine Beauftragung und wirkte von da an bis zu seinem Tod 1922 wieder in der Nikolaikirche.[6] Gottfried Traub, der selbst wiederholt durch Differenzen mit der Kirchenleitung auffiel, nannte Wessels Verhalten in diesen Tagen „unwürdig“ und sah rückblickend in einer Disziplinierung die „richtige Antwort“.[6][3]

Grab von Ludwig Wessel und seinem Sohn Horst Wessel auf dem St.-Nikolai-Friedhof

Laut Aussagen seiner Tochter Ingeborg Wessel lehnte Ludwig Wessel das neue System der Weimarer Republik ab[7] und blieb ein treuer Anhänger des Deutschen Kaiserreiches. Da Ingeborg Wessel und ihre Mutter in der Zeit des Nationalsozialismus den Kult um Horst Wessel auch aus ökonomischen Motiven mit immer neuen Informationen befeuerten[8], sind ihre Aussagen auch in anderen Fragen als nur bedingt verlässlich eingestuft worden.[9]

Ludwig Wessel starb 1922 überraschend an den Folgen einer Operation und wurde auf dem St.-Marien- und St.-Nikolai-Friedhof I beigesetzt. Nach dem Tod seines Sohnes 1930 wurde dieser ebenfalls in das Grab seines Vaters gebettet. Anlässlich des 70. Todestages von Horst Wessel im Jahre 2000 kam es zu einer Grabschändung, bei der angeblich der Totenschädel Horst Wessels ausgegraben und in die Spree geworfen wurde. Es blieb ungeklärt, ob dabei tatsächlich das Grab des Sohnes oder versehentlich das des Vaters Ludwig Wessel geschändet wurde. Die Täter konnten nicht ermittelt werden.

Literatur

  • Vaterstädtische Blätter (Beilage zum Generalanzeiger für Mülheim/Ruhr und Umgebung) v. 6. November 1932.
  • Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte, Band 78 (1985), S. 126-134.
  • Manfred Gailus: Vom Feldgeistlichen des Ersten Weltkriegs zum politischen Prediger des Bürgerkriegs. Kontinuitäten in der Berliner Pfarrerfamilie Wessel, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 50 (2002), S. 773-803.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c Das Lied, das aus dem Pfarrhaus kam, Artikel bei zeit.de, abgerufen am 17. Mai 2010
  2. Horst Wessel: Vom Pastorensohn zum SA-Schläger, Artikel auf focus.de, abgerufen am 17. Mai 2010
  3. a b Die deutschen Landeskirchen im 19. und 20. Jahrhundert, von Karl Kupisch, abgerufen am 17. Mai 2010
  4. NS-Mythos Horst Wessel. Der Sänger des Herrenvolkes, Artikel auf sueddeutsche.de vom Oktober 2008, abgerufen am 17. Mai 2010
  5. Kirche - Schule - Religionsunterricht: Untersuchung im Anschluss an die Kirchenkampfdokument der EKHN von Karl Dienst
  6. a b c d Die Vorgeschichte der Trennung von Staat und Kirche in der Weimarer Verfassung von 1919. Eine Untersuchung über das Verhältnis von Staat und Kirche in Preussen seit der Reichsgründung von 1871, von Sun-Ryol Kim
  7. Twisted cross: the German Christian movement in the Third Reich, von Doris L. Bergen
  8. Vom Straßenschläger zum NS-Idol, abgerufen am 17. Mai 2010
  9. Personifizierte Ideologie. Internationale Beziehungen. Theorie und Geschichte, Band 5 von Heiko Luckey

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