Paul Rohrbach

Paul Rohrbach

Karl Albert Paul Rohrbach (* 29. Juni 1869 in Irgen bei Goldingen in Kurland, damals Russisches Kaiserreich, heute Lettland; † 19. Juli 1956 in Langenburg in Württemberg) war evangelischer Theologe, politischer Publizist, Kolonialbeamter und Reiseschriftsteller.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Familie und Ausbildung

Rohrbachs Eltern waren Friedrich Albert Rohrbach, Gutspächter und Gemeindebeamter, und Emilie, geb. Kogge. Er studierte in Dorpat, wo er Mitglied des Corps Neobaltia war, Geschichte und in Berlin Geschichte, Geographie, Volkswirtschaft und Theologie. Im August 1891 promovierte er in Berlin.

Anschließend studierte er bis 1898 Theologie in Berlin und Straßburg. Im gleichen Jahr heiratete er die Lehrerin Clara Müller. Ihr Sohn Hans Rohrbach wurde ein bekannter Mathematiker. Er unternahm zahlreiche Reisen, etwa 1896/97 nach Russland, Turkestan und Armenien, 1898 nach Palästina, 1900 nach Turkestan, Armenien, Mesopotamien und Persien. Insbesondere die Palästinareise bewirkte in seinem theologischen Denken den Wechsel von einem statisch-passiven, geschichtlich geprägten hin zu einem dynamischen, sozial- und weltpolitisch ausgerichteten Christentum.

1901 veröffentlichte er sein theologisches Hauptwerk Im Lande Jahwes und Jesu, in dem er eine Lehre vom Gottesreich auf Erden vertrat. Die daraufhin entstehenden wissenschaftlichen Differenzen mit seinem akademischen Lehrer Adolf von Harnack führten zum Ende seiner theologischen Karriere.

Politik

Rohrbach verband den Fortschrittsoptimismus seiner Zeit mit deutschem Nationalismus und einem protestantisch gefärbten Kulturchauvinismus zu einem „ethischen Imperialismus“ als Maxime der deutschen Außenpolitik. Diese Idee propagierte er als Publizist in zahlreichen Buchveröffentlichungen, Zeitschriftenartikeln und Leitartikeln in führenden deutschen Tageszeitungen. In der Berichterstattung auf dem Gebiet der Kolonial- und Außenpolitik hatte Rohrbach in der Zeit von etwa 1900 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges eine bedeutende Stellung inne.

Von 1903 bis 1906 war Rohrbach im Kolonialdienst in Deutsch-Südwestafrika als Ansiedlungskommissar und Wirtschaftssachverständiger tätig.[1] Anschließend kehrte er nach Berlin zurück und wurde Dozent für Kolonialwirtschaft an der dortigen Handelshochschule.

Erster Weltkrieg

Von 1914 bis 1918 war er Mitarbeiter im Reichsmarineamt, dann im Auswärtigen Amt, wo er sich als Wortführer einer antirussischen Politik hervortat. Rohrbach war gemeinsam mit Theodor Schiemann der führende Kopf der „Osteuropäischen Schule“ die im Ersten Weltkrieg durch die „Randstaatenpolitik“, eine Auflösung des multinationalen Russlands anstrebte.[2] Baltendeutsche Publizisten wie Rohrbach beeinflussten die überwiegend antirussisch und ukrainophil eingestellte öffentliche Meinung in Deutschland nachhaltig und begünstigten dadurch die Politik der deutschen Regierung der Revolutionierung oder „Befreiung“ der Ukraine.[3]

Trotz ihrer Germanisierungstendenzen, durch Russlanddeutsche im Baltikum, waren die „Osteuropäer“ Rohrbachs und Schiemanns erbitterte Gegner der Alldeutschen und gehörten zu deren schärfsten propagandistischen Gegnern. Sie wollten im Gegensatz zur alldeutschen „Herrenvolkattitüde“, den osteuropäischen „Randvölkern“ Autonomie gewähren.[4] Aber auch Rohrbach plante ein „subgermanisches Gebiet“ rund um die Ostsee. Das Baltikum könne leicht durch Erhöhung der Einwohnerzahl von 6 Millionen auf 10–15 Millionen germanisiert werden.[5] Die russische Februarrevolution 1917 brachte der „Schiemannschule“ und den ukrainischen Publizisten erheblichen Aufwind, weil ihre Pläne realer wurden. Sie versuchten mehr Einfluss auf die zivile und militärische Führung des Reiches zu gewinnen.[6]

Nach dem Ersten Weltkrieg

Nach dem Ersten Weltkrieg engagierte sich Rohrbach weiterhin für großdeutsch-nationale und koloniale Interessen:

Rohrbach hatte auch in der Weimarer Republik großen Einfluss auf die politische Meinungsbildung in der Außenpolitik, die insbesondere in der Herausgabe einer Leitartikel-Korrespondenz an führende Tageszeitungen begründet war.

Die Stellung Rohrbachs zum Nationalsozialismus war ablehnend, obwohl er teilweise in außenpolitischen Fragen ähnliche Auffassungen vertrat. Nach dem Mord von Potempa wandte sich Rohrbach endgültig von der NSDAP ab, da deren offene Billigung von Gewalttaten mit seiner protestantischen Ethik nicht zu vereinbaren war. In der Zeit des Nationalsozialismus zog Rohrbach sich von seiner aktiven politisch-publizistischen Tätigkeit weitgehend zurück und beschränkte sich auf unverfängliche Publikationen zum Kolonialgedanken und Reiseberichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte er zurückgezogen in Langenburg.

Für sein beharrliches Eintreten für eine unabhängige Ukraine wurde er 1949 mit der Ehrendoktorwürde der Ukrainischen Freien Universität München ausgezeichnet und 1952 zum Ehrenpräsidenten der Deutsch-ukrainischen Gesellschaft ernannt. Außerdem hatte er zusammen mit Johannes Lepsius und Avetik Issahakyan 1914 die Deutsch-Armenische Gesellschaft (DAG) in Berlin mit dem Ziel der Unabhängigkeit und Autonomie des armenischen Volkes gegründet.

Werke (Auswahl)

Rohrbachs Veröffentlichungen, vor allem Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, sind sehr zahlreich: Insgesamt lassen sich rund 2500 Titel nachweisen.

  • Das 'Größere Deutschland' in Moral und Politik I und II. In: Mitteilungen des Evangelisch-sozialen Kongresses, Februar 1900, 9. Folge, Nr. 1, 2-4 und März 1900, 9. Folge, Nr. 2, 14-16. (Programmatischer Artikel für eine deutsche Weltmachtpolitik.)
  • Deutschland unter den Weltvölkern. Materialien zur auswärtigen Politik. Berlin-Schöneberg 1903, 5. Aufl. 1921. (Ein grundlegendes Werk des liberalen Imperialismus.)
  • Aus Südwest-Afrikas schweren Tagen,(Blätter von Arbeit und Abschied). Berlin 1909, Wilhelm Weicher GmbH. (Tagebuchartige Aufzeichnung seiner Erlebnisse kurz vor, während und nach dem Hereroaufstand 1903-1906).
  • Der deutsche Gedanke in der Welt. Düsseldorf/Leipzig o.J. (1912), 3. Aufl. 1914, Neubearbeitung 1920, Neubearbeitung 1940, 3. Aufl. 1942. (Rohrbachs Hauptwerk, in dem er für einen deutschen Kulturimperialismus eintritt.)
  • Das Größere Deutschland, Wochenschrift, gegründet 1914, ab 1916 unter dem Titel Deutsche Politik.
  • Der Deutsche Gedanke, Zeitschrift, gegründet 1924.
  • Um des Teufels Handschrift. Zwei Menschenalter erlebter Weltgeschichte. Verlag Dulk, Hamburg 1953. (Autobiografie)

Einzelnachweise

  1. Paul Rohrbach über den wirtschaftlichen Schaden des Hererokrieges für die Kolonie Deutschsüdwestafrika Freiburger Zeitung, 20. August 1904.
  2. Oleh S. Fedyshyn: Germany's Drive to the East and the Ukrainian Revolution 1917-1918. New Brunswick/New Jersey 1971, S. 21ff.
  3. Peter Borowsky: Deutsche Ukrainepolitik 1918 unter besonderer Berücksichtigung der Wirtschaftsfragen. Lübeck/Hamburg 1970, S. 16 und 292.
  4. Oleh S. Fedyshyn: Germany's Drive to the East and the Ukrainian Revolution 1917-1918. New Brunswick/New Jersey 1971, S. 25f.
  5. Fritz Klein, Willibald Gutsche, Joachim Petzold (Hrsg.): Deutschland im ersten Weltkrieg. Band 2: Januar 1915 bis Oktober 1917. Berlin/DDR 1970, S. 186.
  6. Oleh S. Fedyshyn: Germany's Drive to the East and the Ukrainian Revolution 1917-1918. New Brunswick/New Jersey 1971, S. 42.

Literatur

  • Josef Anker: Rohrbach, Paul Carl Albert. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005, S. 5 f.
  • Horst Bieber: Paul Rohrbach. Ein konservativer Publizist und Kritiker der Weimarer Republik. Verlag Dokumentation, München 1971, ISBN 3-7940-2516-4.
  • Walter Mogk: Paul Rohrbach und das „Größere Deutschland“. Ethischer Imperialismus im Wilhelminischen Zeitalter. Ein Beitrag zur Geschichte des Kulturprotestantismus. Goldmann, München 1972, ISBN 3-442-80008-0.

Weblinks


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