Paul Schiemann

Paul Schiemann

Paul Schiemann (lettisch Pauls Šīmanis; * 17. Märzjul./ 29. März 1876greg. in Mitau; † 23. Juni 1944 in Riga) war ein deutschbaltischer Politiker.

Inhaltsverzeichnis

Vor dem Ersten Weltkrieg

Paul Schiemann wurde als Neffe Theodor Schiemanns 1876 in einer deutschbaltischen Familie geboren. Nach dem Schulbesuch in Deutschland nahm er das Studium an der Universität Dorpat auf, setzte dieses aber nach der Russifizierung des akademischen Lebens in Deutschland fort. Nach dem Abschluss seiner Rechtsstudien kehrte er ins Baltikum zurück, um in Reval Theaterkritiker zu werden, bevor sich 1907 die Chance bot, als Kritiker bei der Rigaischen Rundschau zu arbeiten. Dort stieg er schnell auf Grund seines Talents auf, das er dazu nutzte, sich gegen die konservativen Stände (v. a. die Ritterschaften) zu wenden. So war seine Hoffnung bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, dass keine Macht triumphieren möge. Nur in der Demokratisierung sah er eine Option für die Zukunft. Allerdings warnte er – wegen der Vorgänge in Russland – 1917 vor einer proletarischen Revolution, die nur zu Anarchie führen würde. Zur selben Zeit schloss er sich der Deutschbaltischen Demokratischen Partei an.

Minderheitenpolitiker

Gegen Ende des Kriegs befand sich Schiemann in Berlin, wo die Bekanntschaft mit einer Reihe von Persönlichkeiten des liberalen Bürgertums wie Max Weber, Friedrich Naumann, Theodor Heuss oder Hans Delbrück machte. Seinen Aufenthalt nutzte er dazu, sich bei der deutschen Regierung für die Unterstützung der Demokratie in Lettland und Estland einzusetzen. Wieder in Lettland beteiligte er sich am Nationalkomitee unter Kārlis Ulmanis, was letztlich seinen Eintritt in die nationale Politik bedeutete. Neben seiner Tätigkeit bei der Rigaischen Rundschau, als deren Herausgeber er von 1919 bis 1933 fungierte, engagierte er sich nun immer stärker im politischen Deutschbaltentum. So steht er einer Liste vor, mit der die deutschbaltischen Parteien gemeinsam zu Wahlen antreten.

Bei aller Kritik am Kommunismus, so lehnte er sich in der Frage der Nationalitätenpolitik den Ideen österreichischer Marxisten wie Karl Renner und Otto Bauer an. Zugleich fand er in diesem Bereich ein Betätigungsfeld, dass für ihn in den folgenden Jahren zur Passion werden sollte. Die Nachkriegszeit warf eine Reihe von Problemen auf, von denen das Zusammenleben der Nationen in den neu geschaffenen Staaten eines war. Darin sah auch Schiemann eine Gefährdung für die Zukunft und entwickelte daraus seine Theorie der „anationalen Staaten“. Er forderte die Überwindung der Nationalstaaten und die Etablierung von Nationalitätenstaaten, eben jenen „anationalen Staaten“. Diese Idee stellte er auf den neu gegründeten Europäischen Nationalitätenkongress vor, der von 1925 bis 1938 jährlich tagte. Angeregt durch die Verträge von Locarno und die Friedenspolitik Stresemanns sah Schiemann eine Möglichkeit, Interessen der Minderheiten durchzusetzen. Doch währte diese Zuversicht nicht lange, nachdem sich in Europa immer mehr autoritäre und faschistische Regime an die Macht kamen. Bereits 1924 hatte Schiemann vor einem Sieg der völkischen Bewegung in Deutschland gewarnt, der das Ende der Deutschtums im Baltikum bedeuten würde; eine Voraussage, die schließlich eintrat. Zeitgleich mit dem Erstarken des Nationalsozialismus trat auch ein Umschwung bei den Auslandsdeutschen weg vom Geiste der Kooperation ein. Aber nicht nur von dieser Seite geriet Schiemann in die Defensive, sondern auch direkt durch Hitlers Machtergreifung. Als 1933 er wegen einer Krankheit in Österreich Erholung suchte, nahm er das zum Anlass sich aus der vom Auswärtigen Amt unterstützten Rigaischen Rundschau zurückzuziehen. Nach der Aufgabe seines Parlamentsmandats wurde er auf dem Nationalitätenkongress auch innerhalb der deutschen Volksgruppen isoliert, deren Verband 1938 Konrad Henlein übernahm.

Wieder in Lettland

Gezeichnet von Krankheit beschloss er, die direkte Konfrontation mit den Nazis zu meiden, und kehrte nach dem „Anschluss“ Österreichs heim nach Lettland. Als auch hier Hitlers Expansionspolitik Wirkung zeigte und 1939 auch die deutsche Bevölkerung umgesiedelt wurde, weigerte er sich standhaft, seine Heimat zu verlassen. Ein letzter Versuch in der Politik Fuß zu fassen scheiterte an den Letten und schließlich am Einmarsch der Sowjetunion 1940. Während der deutschen Besatzung zeigte er ein letztes Mal Zivilcourage und versteckte eine Jüdin, die spätere Filmsoziologin Valentīna Freimane.[1] Entkräftet starb der Minderheitenpolitiker kurz vor der Rückkehr der Roten Armee in Riga.

Einzelnachweise

  1. John Hiden: Defender of minorities. Paul Schiemann 1876–1944. Hurst, London 2004, ISBN 1-85065-751-3, S. 244f.

Literatur

Weblinks


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