Repräsentativität

Repräsentativität

Als Repräsentativität versteht man in der Empirie die Eigenschaft von Erhebungen, dass diese Aussagen über eine Grundgesamtheit zulassen. Häufig sind damit Zufallsstichproben oder Quotenstichproben gemeint.[1] Der Ausdruck „repräsentative Stichprobe” ist kein Fachbegriff. In der Praxis sind jedoch Zufallsstichproben oder Quotenstichproben nur schwer zu erreichen. Markt- oder Meinungsforschungsinstitute geben oft an, ihre Ergebnisse auf repräsentative Umfragen zu stützen.

Inhaltsverzeichnis

Empirie

Für beispielsweise die Analyse von Sozialstruktur oder die Prognose von Wählerverhalten sind sogenannte „repräsentative” Stichproben zumindest für die konkrete Fragestellung von Bedeutung. Es kann also durchaus vorkommen, dass bei der Auswertung einer repräsentativen Erhebung über ihren ursprünglichen Zweck hinaus, z. B. bei nicht vorgesehener kleiner räumlichen Differenzierung, nur eine unbefriedigende Genauigkeit erreicht wird. Wichtig sind sie in der Praxis außerdem für die Schätzung von Verteilungen (z. B. Anteils- oder Mittelwerte). Für die Prüfung von Zusammenhangshypothesen ist Repräsentativität nicht von zentraler Bedeutung. Hier sind Designs der Varianzkontrolle und die Ausschaltung von Störfaktoren wichtiger.

Für die empirische Wissenschaft ist die Angabe folgender Charakteristika der Stichprobentechnik und Erhebungsmethode wichtig:

  • Angabe der Stichprobentechnik (des Auswahlverfahrens)
    • Zufallsstichprobe: dann auch Ausschöpfungsquote
    • oder Quotenstichprobe: dann auch die Quotenmerkmale
  • Zahl der realisierten Elemente (nach Abzug von Verweigerung (Non response))
  • Die Erhebungsmethode (telefonisch, persönlich)
  • Gewichtungsverfahren
  • Es sollte ein Vergleich zwischen Theorie und Praxis stattfinden, z. B. durch Überprüfung der Interviewer

Wichtig ist, dass sich die Einschlusswahrscheinlichkeit eines Elements angeben lässt. Eine Aussage über die Genauigkeit der Erhebung ist hilfreich. Ob eine genügende Genauigkeit erreicht worden ist, kann oft mit einem Vergleich zwischen den geschätzten Werten und aus anderen Quellen bekannten Werten beurteilt werden. Auf die Befragung von Personen bezogen bedeutet das z. B., dass die Schätzungen von Altersstruktur, Bildungsniveau, Familienstand o. Ä. den Ergebnissen der amtlichen Veröffentlichungen entsprechen.

Repräsentative Umfrage

Eine repräsentative Umfrage wird zur Ermittlung der öffentlichen Meinung durchgeführt. Meist erfolgt dies durch spezialisierte Meinungsforschungsinstitute im Auftrag von Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie von Zeitungsverlagen.

Kennzeichen

Ein wichtiges Kennzeichen von repräsentativen Umfragen ist die Auswahl einer repräsentativen Untermenge (Stichprobe) der zu untersuchenden Bevölkerungsgruppe (der sog. Grundgesamtheit). Diese Untermenge sollte eine gleiche Verteilung der befragten "Repräsentanten" aufweisen (z.B. Befragung verschiedener Altersklassen dieser Bevölkerungsgruppe und gleiche Verteilung der Geschlechter ...). Damit erspart man sich die Befragung aller Personen dieser Bevölkerungsgruppe. Die Größe der Untermenge korreliert mit der Genauigkeit des Ergebnisses. Je größer die Untermenge ist, desto geringer ist die zu erwartende Abweichung zur Realität. Dieser Zusammenhang ist allerdings nur dann gegeben, wenn die der Umfrage zugrundeliegende Stichprobe eine Repräsentativität überhaupt zulässt. Ein Fehler im Stichprobenverfahren wird daher nicht durch eine besonders große Stichprobe ausgeglichen, wie der historische Beispielfall des Literary Digest Desasters zeigt: Im Jahre 1936 gelang es dem US-Magazin The Literary Digest trotz einer enorm großen (aber fehlerhaft gezogenen) Stichprobe (2,5 Millionen Probanden) nicht, den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl zwischen Alfred Landon und Franklin D. Roosevelt korrekt vorherzusagen. George Gallup, dem späteren Gründer der Gallup Organization gelang es dagegen, mit einer nur 50,000 Probanden umfassenden Stichprobe den Sieg Roosevelts vorherzusagen.

Bedeutung

Die Repräsentativität einer Umfrage ist dann von Bedeutung, wenn das Forschungsziel den Rückschluss von den untersuchten Einheiten auf ein größeres Ganzes erforderlich macht, was nicht bei allen Untersuchungen der Fall ist. So lassen sich Unterschiede in der Beurteilung verschiedener Produkte für die qualitative Marktforschung auch anhand einer nicht-repräsentativen Gelegenheitsstichprobe aufdecken, bei der gerade verfügbare Personen willkürlich um Teilnahme gebeten werden. Bei derartigen Stichproben ist zu beachten, dass die erhobenen Daten nicht mit den Methoden der Inferenzstatistik untersucht werden können, da deren Anwendung das Vorliegen einer Zufallsstichprobe voraussetzt.

Beispiele

Vor und während Parlamentswahlen werden gerne Wahlprognosen erstellt. Die dabei ermittelten Werte stimmen häufig erstaunlich gut mit dem tatsächlichen endgültigen Wahlergebnis überein. In Deutschland werden während der gesamten Legislaturperiode in regelmäßigen Abständen der sog. Deutschland-Trend in der ARD sowie das Politbarometer im ZDF ausgestrahlt. Dem liegt jeweils eine eigene repräsentative Umfrage zur Entwicklung der Wählermeinung zugrunde. Die ermittelten Werte sollen die Zufriedenheit der Wähler mit der aktuellen Politik der Regierungsparteien darstellen.

An der Qualität von Prognosen gibt es jedoch Zweifel.[2] Z.B. bei der Bundestagswahl 2005 zeigen sich erheblich Differenzen zwischen den Prognosen und dem Wahlergebnis.[3]

Institut Allensbach Emnid Forsa GMS Forsch'gr.
Wahlen
Infratest
dimap
Mittelwert Wahlergebnis
Veröffentlichung 16.09.2005 13.09.2005 16.09.2005 09.09.2005 12.09.2005 08.09.2005 18.09.2005
CDU/CSU 41,5% 42,0% 41–43% 41% 42% 41,0% 41,6% 35,2%
SPD 32,5% 33,5% 32–34% 34% 33% 34,0% 33,3% 34,2%
GRÜNE 7,0% 7,0% 6–7% 7% 8% 7,0% 7,1% 8,1%
FDP 8,0% 6,5% 7–8% 7% 7% 6,5% 7,1% 9,8%
Die Linke/PDS 8,5% 8,0% 7–8% 8% 7% 8,5% 7,9% 8,7%
Sonstige 2,5% 3,0% k.A. 3% 3% 3,0% 3,0% 3,9%
Gesamtsumme
Abs. Fehler
12,5% 13,5% 12-21% 11,5% 13,5% 11,5% 12,7%

Tatsächlich kann man schon erhebliche Differenzen zwischen den Erhebungsdaten und den veröffentlichten Prognosedaten nachweisen.[4]

Zufallsstichprobe vs. „repräsentative“ Stichprobe

In der Statistik spielt die „repräsentative“ Stichprobe im Gegensatz zur Zufallsstichprobe im Rahmen der Stichprobentheorie keine Rolle. Dies hat im Wesentlichen zwei Gründe:

  1. In der empirischen Forschung ist der Begriff der Repräsentativität nicht eindeutig definiert.[5]
  2. Das Konzept der „repräsentativen“ Stichprobe unterscheidet sich deutlich von dem Konzept einer Zufallsstichprobe.[6]

P. von der Lippe und A. Kladroba[6] fassen das inituitive Konzept der Repräsentativtität wie folgt zusammen:

Die gängige Vorstellung von Repräsentativität lässt sich wohl am besten folgendermaßen beschreiben: Die Auswahl einer Teilgesamtheit ist so vorzunehmen, dass „aus dem Ergebnis der Teilerhebung möglichst exakt und sicher auf die Verhältnisse der Gesamtmasse geschlossen werden kann.“ Dies ist dann der Fall, „wenn sie [die Teilerhebung] in der Verteilung aller interessierenden Merkmale der Gesamtmasse entspricht, d. h. ein zwar verkleinertes, aber sonst wirklichkeitsgetreues Abbild der Gesamtheit darstellt.“ (Berekoven u. a. (1999), S. 50[7]).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im allgemeinen Sprachgebrauch Repräsentativität einer Teilgesamtheit dann vorliegt, wenn sie in bestimmten Merkmalen eine ähnliche Struktur aufweist wie die Grundgesamtheit. Daraus wird gefolgert, dass man dann – und für viele Autoren (z. B. Zentes 1996, S. 383[8]) nur dann – von der Teil- auf die Grundgesamtheit schließen kann.

Folgendes Beispiel beleuchtet den Unterschied: Nehmen wir an, wir wüssten, dass in der Grundgesamtheit die Anzahl von Männern und Frauen gleich groß ist. Wenn wir eine Stichprobe vom Umfang 100 ziehen, dann muss jede repräsentative Stichprobe genau 50 Männer und 50 Frauen enthalten. Mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitstheorie können wir berechnen, dass im Mittel nur knapp 8 % der einfachen Zufallsstichproben genau 50 Männer und Frauen enthalten. Daraus folgt:

  1. Zieht man viele Zufallsstichproben, so sind die meisten Zufallsstichproben nicht repräsentativ.
  2. Zieht man viele „repräsentative“ Stichproben, so muss jede Stichprobe genau 50 Männer und 50 Frauen enthalten. Damit sind diese Stichproben nicht zufällig, d.h. auch keine Zufallsstichproben.

Ein noch gravierenderes Problem ist, dass das Auswahlverfahren für die „repräsentative“ Stichprobe, im Gegensatz zur Zufallsauswahl, die Eigenschaften der Stichprobenelemente zur Auswahl nutzt. Möchte man z. B. den Intelligenzquotienten oder das Wahlverhalten einer Analyse unterziehen, dann müsste eine „repräsentative“ Stichprobe repräsentativ bzgl. aller Parameter der Grundgesamtheit sein, die diese gewünschte Variable (z.B. bevorzugte Partei, Intelligenzquotient) beeinflussen. Diese Parameter (z.B. sozio-demographische und psychographische Persönlichkeitsmerkmale) sind in ihrer Verteilung und Relevanz für die gesuchte Variable oft nicht bekannt. Deshalb sind sogenannte "Quotenstichproben", die für bestimmte Parameter repräsentativ sein wollen, kritisch zu sehen. In der Praxis wird meist auch nur für ein Teil der erhobenen Merkmale (z. B. Alter, Geschlecht, Studiengang) Repräsentativität eingefordert; meist für Variablen die leicht und fehlerfrei zu erheben sind. Und für den Teil, für den die Repräsentativität nicht eingefordert wird, ist nicht klar, ob die „repräsentative“ Stichprobe ein Abbild der Grundgesamtheit ist.

Trotz aller vorgenannten Probleme können „repräsentative“ Stichproben mit Verfahren der Statistik analysiert werden. Verfahren der deskriptiven Statistik können bedenkenlos angewendet werden. Problematisch sind die Verfahren der Inferenzstatistik (Konfidenzintervalle, Test, etc.).

Um Rückschlüsse von einer „repräsentativen“ Stichprobe auf die Grundgesamtheit zu ziehen, bedarf es anderer Verfahren als der wahrscheinlichkeitsbasierten induktiven Statistik, z. B. die Replizierbarbeit der Untersuchungsergebnisse in verschiedenen Erhebungsdesigns.[9]

Statistik

Unter sonst gleichen Bedingungen wirkt sich ein größerer Stichprobenumfang positiv auf die sog. „Repräsentativität“ aus. Die Statistik geht in der Regel von einer einfachen Zufallsstichprobe aus, das Urnenmodell, bei dem alle Einschlusswahrscheinlichkeiten gleich sind. Eine Erhebung ist immer repräsentativ, wenn sie auf einer idealen und vollständig ausgeschöpften Zufallsstichprobe basiert.

Nach dem Gesetz der großen Zahlen lässt sich die Genauigkeit einer Erhebung erhöhen, wenn die Zahl der Elemente einer Stichprobe, die Stichprobengröße, erhöht wird. Die Festlegung der Genauigkeit der Erhebung muss dem Zweck der Erhebung entsprechen. Der Stichprobenplan, welcher auch die Größe festlegt, muss dann unter Berücksichtigung der Variabilität in der Grundgesamtheit und der erwarteten Antwortausfälle erstellt werden.

Praxis

Deutsche Marktforschungsunternehmen arbeiten bei ihren Studien häufig mit einer mehrfach geschichteten Zufallsauswahl nach dem ADM-Mastersample des Arbeitskreises Deutscher Marktforschungsunternehmen.

In der Praxis werden oft komplexe Stichprobenpläne angewandt. Es ist fast nie möglich, eine Erhebung genau nach den theoretischen Vorgaben durchzuführen. Beispielsweise gibt es in der Praxis fast immer Einheiten, bei denen keine Daten gesammelt werden können (Antwortausfälle).

Probleme

  • Internet: Große Probleme bestehen bei Erhebungen im Internet, da die Grundgesamtheit hier oft nicht abgegrenzt werden kann (wenn man darunter alle Internetnutzer versteht), und da zudem bei der Verwendung passiver Auswahlverfahren das Problem der Selbstselektivität auftritt. Zudem ist die Identität der Teilnehmer meist nicht zweifelsfrei überprüfbar, so dass auf Grund der geringen Kosten für den Teilnehmer in großem Maße Mehrfachabstimmungen möglich sind. Dies gilt allerdings nur teilweise, da es auch Internet-Abstimmungen gibt, die technisch derart eingestellt sind, dass nur eine einmalige Abstimmung pro Person möglich ist.
  • Telefon: Etwas einfacher ist es bei der Stichprobenziehung über das Telefonbuch, weil man, zumindest in Deutschland, davon ausgehen darf, dass nahezu jeder Haushalt über eine Telefonanschluss verfügt. Somit ist (nahezu) jedes Element der Grundgesamtheit medial erreichbar. Das Problem der nicht eingetragenen Nummern versucht man durch die computergestützte zufällige Erzeugung von Telefonnummern (Random Digit Dialing, RDD) zu mildern. Das Problem der Mehrfach-Erreichbarkeit von Personen ist schon schwieriger zu lösen, weil es oft schwierig ist, festzustellen über wie viele Nummern eine Person erreichbar ist.
  • Mobiltelefone: Das in Zukunft sicher zunehmende Problem der Personen, die nur über ein Mobiltelefon erreichbar sind, ist zwar erkannt, aber methodisch noch nicht überzeugend gelöst, weil sich nur sehr wenige Personen in Verzeichnisse eintragen lassen. Diese Elemente der Grundgesamtheit könnten zwar prinzipiell durch zufallsgesteuertes Anrufen aller denkbaren Mobiltelefonie-Nummern erreicht werden; bei diesem Vorgehen ist der Kosten- und Zeitaufwand allerdings sehr hoch.

Siehe auch

Literatur

  • A. Diekmann: Empirische Sozialforschung. ISBN 3-499-55551-4, S. 368ff (ISBN 978-3-499-55678-4, 08/2007, S. 430).
  • P. Hartmann: Wie repräsentativ sind Bevölkerungsumfragen? Ein Vergleich des Allbus und des Mikrozensus., in: Zuma-Nachrichten 26 (1990), S. 7–30.
  • J. Koch: Marktforschung - Begriffe und Methoden, München 1997.
  • G. Rothe, M. Wiedenbeck: Stichprobengewichtung: Ist Repräsentativität machbar?, in: ZUMA-Nachrichten. 21 1987, S. 43–58.
  • R. Schnell: Die Homogenität sozialer Kategorien als Voraussetzung für „Repräsentativität“ und Gewichtungsverfahren., in: Zeitschrift für Soziologie 22 1993, S. 16–32.
  • S. Schumann: Repräsentative Umfrage. Praxisorientierte Einführung in empirische Methoden und statistische Analyseverfahren, 5., korrigierte Auflage, München 2011, ISBN 978-3-486-70242-2.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Diekmann, Andreas (2002): Empirische Sozialforschung, S. 368
  2. Fritz Ulmer (1994) Der Dreh mit den Prozentzahlen
  3. Wahlen, Wahlrecht und Wahlsysteme (Hrsg.): Sonntagsfrage Bundestagswahl 2005. (http://www.wahlrecht.de/umfragen/archiv/2005.htm, abgerufen am 22. Oktober 2011).
  4. Jochen Groß: Die Prognose von Wahlergebnissen: Ansätze und empirische Leistungsfähigkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 15. April 2010, ISBN 978-3531172736, S. 162ff.
  5. Mimi.hu. Kun-Pál Gábor, abgerufen am 29. März 2009.
  6. a b Peter von der Lippe, Andreas Kladroba: Repräsentativität von Stichproben. In: Marketing. 2002, ZFP 24, S. 139–145
  7. Ludwig Berekoven, Werner Eckert, Peter Ellenrieder: Marktforschung: Methodische Grundlagen und praktische Anwendung. 8. Auflage. Wiesbaden 1999.
  8. J. Zentes: Grundbegriffe des Marketing. 4. Auflage. Stuttgart 1996.
  9. J. Bortz: Statistik: Für Human- und Sozialwissenschaftler. Springer Lehrbuch, 2006.

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