Sergiu Celibidache

Sergiu Celibidache
Sergiu Celibidache als Lehrer; 1984

Sergiu Celibidache [ˈserdʒʲu tʃelibiˈdake] (* 28. Junijul./ 11. Juli 1912greg. in Roman, Region Moldau, Rumänien; † 14. August 1996 in La Neuville-sur-Essonne bei Paris) war ein rumänischer Dirigent und Musiklehrer mit Berliner Pass, nach der Wiedervereinigung mit deutschem Pass.

Inhaltsverzeichnis

Biographie

Ausbildung und erstes Engagement

Sergiu Celibidache als Dirigent der Berliner Philharmoniker 1946

Celibidache war der Sohn eines Kavallerieoffiziers griechischer Herkunft, sein Geburtsname lautete Celebidachi. Jedoch waren irrtümlicherweise von den deutschen Behörden zwei Buchstaben ausgetauscht worden, und er führte fortan den „falschen“ Namen sein Leben lang weiter.

Celibidache studierte zunächst in Bukarest, dann in Berlin, Philosophie, Mathematik und Musik (Komposition bei Heinz Tiessen, Kontrapunkt bei Hugo Distler, Dirigieren bei Walter Gmeindl an der Staatlichen Hochschule für Musik Berlin und Philosophie bei Eduard Spranger), wo er schließlich eine Dissertation über Josquin Desprez vorlegte, aber kriegsbedingt nicht promoviert wurde. Von 1945 bis 1952 leitete er als Nachfolger Wilhelm Furtwänglers ad interim die Berliner Philharmoniker. Als es um die offizielle Nachfolge des Chefdirigenten ging, entschieden sich die Berliner Philharmoniker für Herbert von Karajan. Es kam zum Bruch mit Celibidache. Erst nach 40 Jahren, am 31. März 1992, dirigierte er - auf bittende Einladung des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker - mit Anton Bruckners 7. Sinfonie wieder die Berliner Philharmoniker. Auch danach blieb sein Verhältnis zu diesem Orchester schwierig, er hatte auf 6 Proben bestanden und zeigte sich danach enttäuscht.

Philharmonie im Gasteig

Von Südamerika nach München

Nach seinem Bruch mit den Berliner Philharmonikern arbeitete Celibidache mit einer ganzen Reihe von Orchestern in Südamerika, in Stockholm, Kopenhagen, Italien und Paris. Von 1972 bis 1977 übernahm er die Leitung des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart. Von 1979 bis zu seinem Tod war Celibidache Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker, mit denen er international große Erfolge erzielte, insbesondere mit Werken Anton Bruckners, die er auch in der Stiftskirche St. Florian (Bruckners Grab) bei Linz spielte. In München eröffnete er 1985 den neuen Konzertsaal Gasteig und wurde dort liebevoll „Celi“ genannt.

Interpretationen

Anders als Herbert von Karajan lehnte er die Musik-Vermarktung per Schallplatte oder CD ab und fühlte sich als Antipode zu Karajan. Seine Erklärung für diese Einstellung war philosophisch: Musik sei keine Konserve, die man festhalten könne, sie lebe im Augenblick der Entstehung, quasi „in statu nascendi“. Musik sei auch an den speziellen Raum ihrer Aufführung (etwa an einen speziellen Konzertsaal) gebunden, der Reichtum der Musik, der sich nur im Raum entfalten könne, werde durch jegliche Aufnahme und Lautsprecher-Wiedergabe beschnitten. Er lehnte daher Aufnahmen ab, so dass die ersten CDs (Konzertmitschnitte) erst nach seinem Tod veröffentlicht wurden. Der Penguin Guide schreibt zu Celibidaches Bruckner-Mitschnitten aus dieser Zeit: „… für andere stellen [seine] Exzentrizitäten ein unüberwindliches Hindernis zwischen dem Komponisten und dem Hörer dar … Diese Einspielungen sind schwierig einzuschätzen: für Celibidache-Anhänger sind sie drei Sterne wert, … , andere, verärgert über seine begräbnishaften Tempi, würden nicht einen einzigen vergeben!“. [1]

Celibidache entwickelte im Kielwasser des Buches "Die Grundlagen der Musik im menschlichen Bewusstsein" von Ernest Ansermet eine Phänomenologie der Musik.

In den letzten Jahren war Celibidache bekannt für seine langsamen Tempi. Nach seiner Auffassung ließ die Interpretation der von ihm dirigierten Werke keine selbstherrlichen, harten und unbegründeten Effekte in der Musik zu. Er hatte ein großes Publikum weltweit, die Reaktionen auf seinen Dirigierstil waren jedoch zwiespältig und reichten von enthusiastischen Jubelstürmen bis hin zu verständnisloser Kritik. Einer seiner schärfsten Kritiker war der bekannte Münchner Musikkritiker Joachim Kaiser. Dieser warf ihm mangelnde Innenspannung in seinen Interpretationen vor. Celibidache war für seine vielen Proben berüchtigt. Deshalb konnte es auch vorkommen, dass die Interpretation schon bei den Proben ihren Höhepunkt und Transzendenz erreichte, und während des Konzerts, aufgrund der starren vorherigen Festlegung der Orchesterstimmen und Phrasierungen durch Celibidache mit wenig Spontaneität und somit eher spannungsarm erklang.

Auf die Frage, was ist eigentlich ein Dirigent? antwortete er einmal: Jeder Dirigent ist ein verkappter Diktator, der sich glücklicherweise mit der Musik begnügt.[2]

Als Lehrer

Außer der Arbeit von Ernest Ansermet und von Edmund Husserl spielte der Unterricht von Heinz Tiessen und fernöstliche Weisheitslehren wie Zen-Buddhismus eine große Rolle für Celibidache. Er war Anhänger des indischen Gurus Sathya Sai Baba und versuchte, seine daraus gewonnene Erkenntnis und sein spirituelles Bewusstsein direkt in das Musizieren einzubringen und an seine Schüler zu vermitteln. Er hatte die Absicht, jegliches Ego des Interpreten aus den Werken zu verbannen und allein die Musik klingen zu lassen. Er wehrte sich auch gegen den Begriff „Interpretation“, da dieser Begriff ja wieder die Individualität und somit das Ego des Dirigenten impliziere, und das hatte seiner Meinung nach im organischen Werdeprozess des Werkes nichts verloren. Somit erklangen unter seiner Stabführung vielgespielte Werke, allen voran die Sinfonien von Johannes Brahms und Anton Bruckner auf eine völlig neue und transzendente Weise.

Celibidache war ein begnadeter Lehrer und unterrichtete in Seminaren und Kursen an den Universitäten Trier, Mainz, München und Paris, sowie in seinem Domizil. Er arbeitete mit Studentenorchestern und der Orchesterakademie Schleswig-Holstein. Sein Unterricht war kostenlos. Bereits zur Zeit seiner Berliner Tätigkeit war er von 1946 bis 1949 Dozent am Internationalen Musikinstitut Berlin (einem der Vorgänger der Universität der Künste Berlin) und unterrichtete etwa fünf Studenten. Ein bekannter Schüler aus dieser Zeit ist Carl August Bünte. Ein weiterer bekannter Schüler von Sergiu ist der rumänische Musiker Cristian Mandeal gewesen.

Ehrungen und letzte Jahre

1953 (und noch einmal 1988) wurde Celibidache mit dem Deutschen Kritikerpreis ausgezeichnet, 1970 mit dem internationalen Léonie-Sonning-Musikpreis. Am 28. November 1954 erhielt er das Bundesverdienstkreuz für seine „Verdienste beim Wiederaufbau des Berliner Philharmonischen Orchesters nach dem Krieg“, 1992 folgte das Große Verdienstkreuz mit Stern. Im gleichen Jahr wurde Sergiu Celibidache mit der Ehrenbürgerschaft der Stadt München ausgezeichnet. Oft wird behauptet, dass er diese Ehre als erster Ausländer erhielt – tatsächlich besaß Celibidache zu dieser Zeit schon die deutsche Staatsbürgerschaft. Allerdings besaß er aus Verbundenheit zu Berlin, wo er von 1936 bis 1954 lebte, bis zur Wiedervereinigung lediglich den „behelfsmäßigen West-Berliner Personalausweis“.

Celibidache starb in seiner alten Mühle in der Gemeinde La Neuville-sur-Essonne in der Nähe von Paris, wo er mit seiner Frau Iona, einer rumänischen Malerin, lebte. Er ist auf dem kleinen Friedhof des Dorfes begraben. Er hinterließ einen Sohn, Serge Ioan Celibidachi (*1968).

Am 23. Dezember 1999 wurde die Sergiu-Celibidache-Stiftung gegründet, die sich dem Aufbau eines musikalischen Archivs, insbesondere der Kompositionen von Sergiu Celibidache, widmet. Im Oktober 2002 fand in München das 1. Sergiu Celibidache Festival statt, im Jahre 2004, ebenfalls in München, das 2. Festival. Veranstaltungsort für das 3. Sergiu Celibidache Festival 2006 war Iași in Rumänien.

Literatur

  • Sergiu Celibidache: Über musikalische Phänomenologie. Ein Vortrag und weitere Materialien. Wißner, Augsburg 2008, ISBN 978-3-89639-641-9
  • Klaus Weiler: Celibidache – Musiker und Philosoph. Eine Annäherung. Wißner, Augsburg 2008, ISBN 978-3-89639-642-6
  • Klaus Umbach: Celibidache – der andere Maestro. Piper, München 1995, ISBN 3-492-03719-4
  • Konrad Rufus Müller, Harald Eggebrecht, Wolfgang Schreiber: Sergiu Celibidache. Lübbe, Bergisch-Gladbach 1992, ISBN 3-7857-0650-2
  • Annemarie Kleinert: Berliner Philharmoniker von Karajan bis Rattle. Jaron, Berlin 2005, ISBN 3-89773-131-2, S. 1–189 (online)
  • Klaus Lang: "Lieber Herr Celibidache..." - Wilhelm Furtwängler und sein Statthalter. Ein Philharmonischer Konflikt in der Berliner Nachkriegszeit, M&T Edition Musik & Theater, Zürich, 1994, ISBN 3-7265-6016-5

Weblinks

 Commons: Sergiu Celibidache – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Penguin Guide to Compact Discs, London 2001, p. 293; übersetzt
  2. Die Zeit, Zeit Geschichte Nr. 1 2008, Seite 46

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