- St.-Nikolai-Kirche (Hamburg)
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Die ehemalige Hauptkirche St. Nikolai in Hamburg ist eine Kirchenruine, ein Mahnmal und eine bedeutende architektonische Sehenswürdigkeit der Stadt. Wenn in Hamburg von „der Nikolaikirche“ die Rede ist, so ist in der Regel das hier beschriebene Gebäude gemeint und nicht die neue Hauptkirche St. Nikolai, die im Stadtteil Harvestehude steht.
Inhaltsverzeichnis
Allgemeines
Der heutige Zustand der Nikolaikirche ist das Ergebnis von Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg, des weitgehenden Abrisses im Jahre 1951 sowie von Sanierungsarbeiten in den 1990er Jahren. Verantwortlich für die Wiederherstellung der Ruine als Mahnmal ist der 1987 gegründete Förderkreis Rettet die Nikolaikirche e.V., der bei seiner Arbeit von der Stadt Hamburg, der Kirchengemeinde St. Nikolai und verschiedenen Firmensponsoren und privaten Spendern unterstützt wird. Der Verein besorgt die Erhaltung der Bausubstanz, die Bergung aufgefundener Trümmerteile und die Ausrichtung von Veranstaltungen und Ausstellungen in der Nikolaikirche und in einem Dokumentationszentrum, das in der Krypta angelegt wurde.
Geschichte
Ältere Bauwerke
Mit der Gründung der Nikolaisiedlung und der Anlage eines Alsterhafens im 12. Jahrhundert errichtete man eine Kapelle auf dem Gebiet des heutigen Hopfenmarktes, die dem heiligen Nikolaus, dem Schutzpatron der Schifffahrt, geweiht war. Auf diese Weise wurde nach dem Hamburger Dom die zweite Kirche im entstehenden Hamburg errichtet – zunächst als Holzgebäude.
Im Jahre 1353 (kurz nach dem Wüten des Schwarzen Todes) wurde mit einem gemauerten Neubau begonnen. Es handelte sich um eine dreischiffige Hallenkirche im typisch norddeutschen Stil der sogenannten Backsteingotik. (Einen Eindruck von diesem Baustil vermittelt heute noch die Petrikirche, die aus derselben Zeit stammt und nach ihrer Zerstörung beim Hamburger Brand 1842 in Anlehnung an das alte Aussehen wiederaufgebaut wurde.) Dieses Gebäude hatte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Bestand, wurde aber immer wieder verändert und erweitert – und musste auch mehrfach schweren Zerstörungen standhalten. 1589 brannte der erst 1517 errichtete, 153 Meter hohe Turm ab; der neu errichtete Turm stürzte 1644 nach einem starken Sturm ein.[1] Ihren letzten Turm erhielt die alte Nikolaikirche 1657 von dem Architekten Peter Marquardt. Der sogenannte Marquardt-Turm war 122 Meter hoch und galt mit seinen charakteristischen Kuppeln als Wahrzeichen der Stadt und besonderer Schmuck ihrer Silhouette. Am 6. August 1767 wurde der Turm durch einen Blitzschlag schwer beschädigt.[2]
Als Mittelpunkt eines der vier Hamburger Kirchspiele war die Nikolaikirche in alle theologischen Auseinandersetzungen involviert, die in der Stadt ausgetragen wurden, insbesondere die Reformation. Nachdem 1524 der Pfarrer Henning Kissenbrügge zurückgetreten war, wählten die Bürger Johannes Bugenhagen als Pfarrer, einen profilierten Reformer und Vertrauten Martin Luthers – ein Vorgang, der damals eigentlich nicht vorgesehen war. Der konservative Rat der Stadt konnte seine Berufung jedoch zunächst unterbinden, indem er Kissenbrügge zum Bleiben bewegte, nicht aber die allgemeine Entwicklung aufhalten, in deren Zuge lutherische Pfarrer in Hamburg gewählt wurden – in St. Nikolai nach Kissenbrügges endgültigem Weggang der Magdeburger Johann Zegenhagen. Die Reformation vollzog sich friedlich, und 1528 erschien Bugenhagen in Hamburg und wurde Prediger in St. Nikolai. Vor allem gab er der Stadt Hamburg eine Kirchenordnung, welche Organisation, Finanzen und sonstige Angelegenheiten (wie zum Beispiel den Schulbetrieb) der Kirchen regelte. Diese Kirchenordnung hatte 200 Jahre Bestand.
Das Ende der alten Nikolaikirche kam im Mai 1842, als sie als erstes großes, öffentliches Gebäude den Flammen des Großen Brands von Hamburg zum Opfer fiel. Die Zerstörung der Nikolaikirche wird von Chronisten als besonders bewegendes Ereignis beschrieben, das die Hamburger Bürger tief erschütterte und ihnen erstmals das Ausmaß der Brandkatastrophe vor Augen führte, deren schlimmste Verwüstungen der Stadt zu diesem Zeitpunkt noch bevorstanden. Der Hauptgottesdienst hatte am Morgen des 5. Mai noch in der Kirche abgehalten werden können, den Mittagsgottesdienst musste der Kandidat Wendt, der für den Pastor Carl Mönckeberg eingesprungen war, abbrechen – er endete mit einer Fürbitte für den Erhalt der Kirche. Offenbar rechnete man nicht recht mit dem Verlust der Kirche – Kunstschätze wurden kaum gerettet.
Um etwa 4 Uhr nachmittags ergriff das Feuer den Turm. Trotz verzweifelter Anstrengungen gelang es nicht, den Turmbrand einzudämmen, da die unzulängliche Löschtechnik es nicht ermöglichte, Wasser in ausreichender Menge auf den Turm zu befördern. Schließlich stürzte er ein und übertrug die Flammen auf das Kirchenschiff, welches vollständig niederbrannte.
Gotischer Neubau
Bereits kurz nach dem Ende des Hamburger Brandes entstand der Entschluss, die Kirche neu aufzubauen. 1843 wurde eine sogenannte "Schilling-Sammlung" als Spendenaktion begonnen, und 1844 schrieb die Kirchenbaukommission einen Architekturwettbewerb aus, den der in Altona geborene Architekt Gottfried Semper mit dem Entwurf eines romanischen Kuppelbaus gewann. Dieser Entwurf wurde jedoch nicht in die Tat umgesetzt. Zum einen mag die Kommission zu dieser Entscheidung die Überlegung bewegt haben, dass ein solches Gebäude sich in das Hamburger Stadtbild nicht gut einfügen würde, zum anderen war 1842 mit dem Weiterbau des mittelalterlichen Kölner Doms begonnen worden, und die neue Wertschätzung des gotischen Baustils ergriff auch Hamburg, das noch im Jahre 1805 seine mittelalterliche Domkirche abgerissen hatte. Man ließ daher von dem englischen Architekten George Gilbert Scott, der sich in England bereits einen Namen bei der Restaurierung mittelalterlicher Kirchen erworben hatte und als Kenner und Verfechter des gotischen Baustils galt, einen neuen Entwurf anfertigen.
Scotts Entwurf hatte ein 86 Meter langes, dreischiffiges Langhaus, dessen Gewölbe bis zu 28 Meter hoch war, dazu ein einschiffiges Querhaus. Die Architektur ist stark von der französischen Gotik beeinflusst, ebenso von der englischen. Typisch deutsch ist der spitze, durchbrochene Turmhelm. Außergewöhnlich war das umfangreiche, in Sandstein gehauene Skulpturenprogramm im Innenraum, in Pinakeln und auf dem Turm.
Der neue Kirchenbau entstand ein kleines Stück südöstlich vom alten Standort, etwa auf dem Platz, wo einmal die Neue Burg gestanden hat. Der Baubeginn war 1846, und am 27. September 1863 waren die Bauarbeiten soweit abgeschlossen, dass die Kirche eingeweiht werden konnte. Der Bau des 147,3 m hohen Turms wurde erst 1874 beendet. Damit war die Nikolaikirche bis zur Vollendung der Kathedrale von Rouen im Jahre 1877 das höchste Bauwerk der Welt. Nach dem Fernsehturm ist der Nikolaiturm noch heute das zweithöchste Gebäude Hamburgs, der dritthöchste Kirchturm in Deutschland und der fünfthöchste der Erde.
Zweiter Weltkrieg
Als höchste Erhebung der Stadt diente der Turm der Nikolaikirche den Piloten der alliierten Luftwaffen als Ziel- und Orientierungspunkt bei allen Luftangriffen auf Hamburg. Am 28. Juli 1943 wurde die Kirche durch Fliegerbomben schwer beschädigt. Das Dach stürzte ein, wodurch das Innere des Kirchenschiffs schwere Schäden erlitt. Die Wände waren ebenfalls betroffen und bekamen Risse, blieben aber weitgehend stehen; ebenso der Turm.
Nachkriegszeit
Die tragende Struktur der neugotischen Konstruktion war im Krieg weitgehend intakt geblieben und die Bausubstanz war allgemein in einem Zustand, der einen Wiederaufbau realistisch erscheinen ließ. Dennoch entschloss man sich, das Kirchenschiff abzureißen und nur den Turm stehenzulassen. Dazu trugen zum einen finanzielle Erwägungen bei, zum anderen hatte die Kirchengemeinde St. Nikolai sich entschieden, ihren angestammten Bereich, in dem sich inzwischen kaum noch Wohnungen befanden, zu verlassen und ein neues Kirchengebäude im Wohnviertel Harvestehude zu errichten. 1951 wurde das Kirchenschiff abgebrochen; die Trümmer wurden zum Teil zur Uferbefestigung an der Unterelbe benutzt.
Der Abriss des wertvollen neugotischen Baudenkmals stieß in der Bevölkerung zwar auf Bedauern, erregte aber auch nicht in besonderem Maße die Gemüter in der Stadt, die damals gerade wieder den Weg zu einem geordneten Leben finden mussten und wichtigere Aufgaben vor sich gesehen haben mögen als die Restaurierung zerstörter Kirchen. Anders als die im Krieg ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogene Michaeliskirche galt die Nikolaikirche auch nicht als bedeutendes Hamburger Wahrzeichen.
Der Turm und einige Mauerreste blieben stehen und wurden zum Mahnmal gegen den Krieg umgewidmet. Um dies zu bekräftigen war eine von Oskar Kokoschka geschaffenen Ecce Homo-Plastik im unteren, zugänglichen Teil des Turmes angebracht. Doch über Jahrzehnte blieb der Zustand von Turm und Ruine relativ ungepflegt und ohne besondere Gestaltung. Sie waren dem allmählichen Verfall ausgesetzt. Dieses Missstandes nahm sich seit 1987 der Förderkreis Rettet die Nikolaikirche e.V. an, der die erhaltene Bausubstanz sanierte und eine sogenannte Begegnungsstätte (ein Raum für Veranstaltungen und Ausstellungen) in der Krypta einrichtete. Der Verein versucht zudem, die 1951 fortgeschafften Trümmer wiederaufzufinden; so wurden beispielsweise im November 2000 einige Trümmerteile aus der Haseldorfer Binnenelbe gehoben. Ein Wiederaufbau nach dem Vorbild der Frauenkirche in Dresden ist aber nicht vorgesehen.
Seit dem 1. September 2005 ist es möglich, mit einem Aufzug im Inneren des Turmes auf eine 75,3 Meter hoch gelegene Aussichtsplattform zu fahren, von der man einen guten Ausblick über Hamburg und insbesondere die nahegelegene Speicherstadt hat. Dem Einbau des Aufzuges musste die Kokoschka-Plastik weichen.
Neuanfang in Harvestehude
Nachdem sich schon vor dem zweiten Weltkrieg die Wohnbevölkerung in der Hamburger Innenstadt verringert hatte, setzte sich dieser Trend nach dem Kriege fort. Dies führte zu der Überlegung, eine der vier altstädtischen Hauptkirchengemeinden aus der City zu verlegen. 1962 konnte der Kirchenneubau, die „neue“ St.-Nikolai-Kirche in Hamburg-Harvestehude, als ein Rundbau mit freistehendem Glockenturm, eingeweiht werden.
Skulptur „Prüfung“
Auf dem Gelände des ehemaligen Kirchenschiffes befindet sich die von der Hamburger Künstlerin Edith Breckwoldt für die Gedenkstätte Sandbostel (Niedersachsen) geschaffene Skulptur "Prüfung".
In Sandbostel war bis 1945 eines der größten Gefangenenlager der Nationalsozialisten. Mehr als 50.000 Menschen aus vielen Ländern fanden hier den Tod. Der Sockel der Skulptur ist gestaltet aus Originalsteinen der Gefangenenbaracken, die von Schülern aus Sandbostel auf dem Lagergelände gesammelt wurden. Sandbostel war auch die letzte Station von ca. 10.000 KZ-Häftlingen aus Hamburg-Neuengamme.
Literatur
- Eberhard Petzold, Sylvester M. Robert: Mahnmal St. Nikolai. Historika Photoverlag, Hamburg 1995, ISBN 3-929307-24-3.
- Johann Albert Heinrich Reimarus: Die Ursache vom Einschlag des Blitzes. Langensalza 1769, S. 4ff. (Online-Version bei Wikisource) – Dieses Werk gibt anlässlich der Untersuchung der Folgen eines Blitzeinschlags einen Einblick in die Bauweise des Turms von St. Nikolai.
Weblinks
- Förderkreis Rettet die Nikolaikirche e.V.
- Kantorei der Hauptkirche St. Nikolai am Klosterstern
- Historische Bilder und aktuelle Fotos der St. Nikolaikirche
Anmerkungen
- ↑ Eine Beschreibung des Unglücks und seiner Folgen liefert in einer Anmerkung Reimarus (1769), S. 12.
- ↑ Vgl. Reimarus (1769), S. 4ff.
53.54759.9905555555555Koordinaten: 53° 32′ 51″ N, 9° 59′ 26″ O
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