- St. Ursula (Kalscheuren)
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Die ehemalige Pfarrkirche Sankt Ursula ist ein denkmalgeschützter Bau in Hürth-Kalscheuren in Nordrhein-Westfalen im Erzbistum Köln, der im Juni 2006 profaniert und an einen Bauunternehmer verkauft wurde. Um St. Ursula herum entstand das Wohnviertel Carrée Campanile; der Kirchenbau selbst wurde im Herbst 2010 an die Jablonka Galerie weiterverkauft, die ihn als Ausstellungsraum nutzt. Der Bau wird im Einvernehmen mit dem Architekten nun Böhm Chapel heißen.
Inhaltsverzeichnis
Kurze Baubeschreibung
Außenansicht
In den Jahren 1954–56 schuf der Kölner Architekt und Pritzker-Preisträger Gottfried Böhm nach Vorentwürfen seines Vaters, Dominikus Böhm, die Zentralbaukirche mit sechs Konchen unter einem von schlanken, vorgestellten Pfeilern getragenen Kuppeldach. Die Konchen sind durch hohe Fenster mit netzförmigen Strukturen verbunden. Die Fenster symbolisieren das Menschenfischernetz.
Campanile
Neben der Kirche ragt ein schlanker Campanile empor. Er trug fünf Glocken in der Schlagtonfolge h1–d2–e2–g2–a2; sie wurden 1958 von Wolfgang Hausen-Mabilon gegossen. Am 25. Mai 2006 um 19:40 Uhr läuteten zum letzten Mal alle Glocken. Anschließend wurde das Glockengeläut an die katholische Kirchengemeinde St. Marien in Elmshorn verkauft. Dort läutet es seit Ostern 2009. Die Galerie Jablonka hat ein neues sechsstimmiges Glockenspiel bei der österreichischen Glockengießerei Grassmayr in Auftrag gegeben. Dieses wurde im November 2010 eingeweiht.
Ursprüngliche Innenausstattung
Im Inneren des Gotteshauses waren in den Konchen symbolhaft die Sakramente Taufe, Beichte, Ehe, Krankensalbung, Priesterweihe und Kommunion (Altar) dargestellt. In der Mitte des Raumes schwebte über dem Grundstein, einem Mühlstein aus der Region, die Firmung darstellend, eine Taube als Symbol für den Heiligen Geist mit dem Ewigen Licht.
Die Taube, der Taufsteindeckel, die Plastik „Christus am Ölberg“ am Behältnis für die Krankenöle und die bronzene Kommunionsbank mit Darstellung der Zwölf Apostel stammen von Elmar Hillebrand. Altartisch, Marienaltar, Taufbecken, Beichtstuhl und die Stele zur Aufbewahrung der heiligen Öle sind nach Plänen von Gottfried Böhm in einheitlichem Stil aus italienischem Marmor gearbeitet. Die Marienstatue eines unbekannten Künstlers stammt aus dem Jahre 1725. Der moderne Kreuzweg wurde von Egino Weinert geschaffen. Das lebensgroße Engelspaar, das eine Silbermonstranz mit einer Kreuzreliquie trägt, gestaltete der Bildhauer Witte 1960.
Bedeutung
Architekten und Bauherr nahmen bei dieser Rundkirche die Ergebnisse des zweiten Vatikanischen Konzils vorweg. Sie sei, so die ehemalige Kölner Stadtkonservatorin und Professorin der Kunstgeschichte an der Universität Bonn, Hiltrud Kier, von ihrer kirchlichen Bedeutung her mit der romanischen Kölner Kirche St. Maria im Kapitol zu vergleichen.
Das Bauwerk wurde im März 1993 aufgrund seiner „künstlerischen, architekturgeschichtlichen wie auch städtebaulichen Akzente“ mit seinem äußeren Erscheinungsbild sowie mit seiner Innenausstattung unter Denkmalschutz gestellt. Ihm wird eine besondere architekturgeschichtliche Bedeutung für das gesamte Rheinland zugesprochen.
Profanierung und Umnutzung
Im Jahre 2002 wurde die Kirchengemeinde St. Ursula mit den Pfarrgemeinden St. Severin und St. Joseph zu der neuen Pfarrgemeinde „Zu den Heiligen Severin, Joseph und Ursula“ zusammengefasst. Die Pfarrkirche wurde am 29. Juni 2006, ihrem 50. Weihetag, infolge des Sparkonzeptes „Zukunft heute“ des Erzbistums Köln profaniert und anschließend an die Bernd Reiter Gruppe verkauft.
Der Rheinische Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz hat die Kirche am 14. März 2006 zum „Denkmal des Monats“ erklärt. Der Architekturhistoriker Helmut Fußbroich bezeichnete die Kirche bei diesem Anlass als eine der „schönsten Kirchen, die nach 1945 gebaut wurden, nicht nur in Kalscheuren oder in Köln, sondern in ganz Deutschland“.
Kurz vor der Profanierung gründete sich der „Kirch- und Denkmalschutzverein St. Ursula Kalscheuren“, der die Kirche zu liturgischen Zwecken erhalten wollte, was jedoch nicht gelang. Nach dem Abschiedsgottesdienst am 25. Mai 2006 mit rund 350 Besuchern wurde die Kirche am 29. Juni 2006 vom stellvertretenden Generalvikar Hans-Josef Radermacher profaniert.
Erster Kompromissvorschlag um den Denkmalschutz
Im Oktober 2006 hatten sich die Untere Denkmalbehörde (Stadt Hürth), das Rheinische Amt für Denkmalpflege (Landschaftsverband Rheinland) sowie Vertreter der katholischen Kirche und der Käufer der Kirche über die noch offene denkmalschutzrechtliche Frage der Entfernung der geschützten Innenausstattung auf folgenden Kompromiss geeinigt:
Altar und Taufbecken (Bestandteile des Sakramentenensembles) werden aus dem Kirchenraum entfernt und in eine andere Kirche verbracht. Dort werden sie wieder unter Schutz gestellt, allerdings als sogenannte mobile Denkmale. In der ehemaligen Pfarrkirche St. Ursula sollen an ihre Stelle originalgetreue Kopien aufgestellt werden. Im Original erhalten bleiben die Taube/Ewigkeitsampel, der Schrein für die heiligen Öle, die Kommunionbank, der Deckel des Taufbeckens und die Kirchenbänke. Marienaltar (gleichzeitig Darstellung des Ehesakramentes), Tabernakel, Lesepult, Orgel, Kreuzweg, Engel- und Ursulafigur werden ersatzlos entfernt.
Zwischenzeitlich war aus Kirchenkreisen (PGR, KV) zu vernehmen, dass doch alle oben genannten Gegenstände aus St. Ursula entfernt und nicht durch Dupliken ersetzt werden sollten (Altar, Taufbecken, Tabernakel, Taube-Ewigeslicht, Kommunionbänke, Schreintür für die heiligen Öle, Marienaltar, Beichtstuhl). Einzige Ausnahme: Die Kirchenbänke, diese standen zur freien Verfügung.
Kommt ein Kompromiss zustande, bleiben die im Vorfeld aufgekommenen rechtlichen Fragen zur Reichweite und Abgrenzung von Kirchenrecht und Denkmalschutzrecht ungeklärt, so auch die Frage, ob in einer Profanierung eine genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung im Sinne des Denkmalschutzrechts liegt und ob der Profanierung ein förmlicher Antrag bei der Denkmalbehörde hätte vorausgehen müssen.
Kommt der Kompromiss nicht zustande, muss die Untere Denkmalbehörde (Stadt Hürth) im Benehmen mit dem Rheinischen Amt für Denkmalpflege (LVR) über den umfassenden Antrag der Kirche entscheiden. Kommt es über den Antrag zwischen den beiden Behörden nicht zum Benehmen, d. h. sind sie unterschiedlicher Auffassung, wäre die Oberste Denkmalbehörde (Bauministerium NRW) anzurufen. Sind sie sich einig und lehnen den Antrag ab, so könnte gegen die Entscheidung Widerspruch eingelegt werden, über den dann die Kreisverwaltung des Erftkreises entscheiden müsste. Gegen deren Entscheidung könnte vor dem Verwaltungsgericht Köln geklagt werden. Einigen sich die Behörden hingegen, dem Antrag statt zu geben, würde der Denkmalschutz insofern aufgehoben und die o. g. Gegenstände könnten entfernt werden.
Denkmalschützer und Theologen haben auf einer Veranstaltung des Architekturforums Rheinland am 5. Februar 2007 im Domforum in Köln nochmals die Bedeutung dieses einzigartigen Kulturdenkmals St. Ursula anhand von Bildern und Deutungen dargestellt. Es bestand Einigkeit, dass sich die Bedeutung dieses Bauwerkes gerade aus der Gestaltung des Innenraumes erschließt und dass der Kirchenbau aus diesem Grunde möglichst in Gänze erhalten bleiben sollte.
Der oben beschriebene Kompromiss ist nicht zustande gekommen.
Verwaltungsgerichtliches Verfahren
Die Kirchengemeinde hat daraufhin einen Antrag auf Entnahme der strittigen Gegenstände bei der unteren Denkmalbehörde, der Stadt Hürth, gestellt. Diese hat den Antrag abgelehnt. Gegen diese Entscheidung hat die Kirchengemeinde Widerspruch eingelegt. Diesem hat die Stadt nicht abgeholfen. Der Erftkreis als obere Denkmalbehörde hat die Entscheidung der Stadt bestätigt. Im Frühjahr 2008 hat die Kirchengemeinde hiergegen Klage beim Verwaltungsgericht Köln eingereicht. In dem denkmalrechtlichen Verfahren geht es um die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit Belange der Religionsausübung oder der Verwaltung von Kirchenvermögen Eingriffe in ein einzigartiges Denkmal und Zeitzeugnis zulassen.
Geplanter Anbau
Der erste Eigentümer des profanierten Gebäudes, Bernd Reiter, hatte einen Antrag gestellt, einen rechteckigen Bau (16 m x 8 m x 3,95 m) auf der laut Bebauungsplan einzig als unbebaut ausgewiesenen Seite des Kirchengebäudes zu errichten und diesen über einen circa 7 m langen oberirdischen Tunnelgang mit dem Kirchengebäude zu verbinden. Hierzu soll die Konche, in der sich der Altar befindet, aufgehauen werden. Der Anbau sollte als Stuhllager und Maske/Umkleide dienen.
Die zuständige Genehmigungsbehörde, die Stadt Hürth, hat dem Antrag ohne Beteiligung der politischen Gremien und ohne Einholung einer gesonderten denkmalrechtlichen Genehmigung durch eine umfassende Baugenehmigung und Befreiung vom Bebauungsplan stattgegeben. Sie wertet die Angelegenheit als Geschäft der laufenden Verwaltung. Zu dem Anbau habe es keine Alternative gegeben. Einen Zusammenhang zu der noch ausstehenden Klärung der denkmalrechtlichen Fragen hinsichtlich der Innenausstattung der Kirche sieht sie nicht. Kulturpolitiker und der Kirch- und Denkmalschutzverein haben das Vorgehen der Stadt heftig kritisiert. Nach dem Übergang auf die Galerie scheint ein solcher Plan nicht weiter verfolgt zu werden.
Böhm Chapel - Nutzung als Galerie
Der aktuelle Eigentümer, die Jablonka Galerie, legt Wert darauf, dass das Gebäude nunmehr keine Kirche mehr sei, gelegentliche Andachten - wie ursprünglich angefragt - werde es deshalb nicht geben. Alle kultischen Gegenstände wurden entfernt, auch das Altarpodest und die Empore wurden abgebaut. Dennoch wurden in den Turm neue Glocken gehängt (und die nachträglich angebrachten Schallluken entfernt). Das unmittelbare Umfeld des Gebäudes wurde neu wieder symmetrisch gestaltet. Es sind etwa zwei Ausstellungen pro Jahr geplant [1]. Die erste mit Bildern von Terry Winters wurde am 21. November 2010 eröffnet und wurde bis 27. März 2011 gezeigt.[2] Es folgten Ausstellungen mit Sherrie Levine[3] und Eric Fischl.
Zur Eröffnung der umstrukturierten Böhm Chapel erschienen am 21. November 2010 bei strahlendem Sonnenschein zahlreiche Gäste, darunter Gottfried Böhm. Um 12 Uhr bat Rafael Jablonka die Gäste in die von Piet Blanckaert neu gestaltete Gartenanlage. Dort wurde das sechsstimmige Glockenspiel im Campanile aus der österreichischen Glockengießerei Grassmayr eingeweiht. Es wurde ein Stück aus den „Metamorphoses“ des amerikanischen Komponisten Philip Glass gespielt.
Die Böhm Chapel ist der Kunst der Gegenwart gewidmet. Die Ausstellung ist samstags und sonntags von 11 bis 14 Uhr geöffnet.
Literatur
- Albert Gerhards: St. Ursula in Hürth Kalscheuren - Pfarrkirche-Profanierung-Umnutzung, Fakten und Fragen, Dokumentation unter Mithilfe von Julia Niemann, LIT Verlag, Münster 2009 ISBN 978-3-8258-1911-8 Google Books, Auszug online
- Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz (Hg.): Stadt Hürth von Manfred Faust, 3. völlig neu bearbeitete Auflage, 1993, Rheinische Kunststätten, Heft 36, ISBN 3-88094-726-0. RK-Heft Nr. 36 (1. Aufl. Heft 3-4, 1968, 2. 1981)
Einzelnachweise
- ↑ Birgit Lehmann: Kirche wird Kunstraum, Kölner Stadtanzeiger, Rhein-Erft, vom 28. Oktober 2010, S. 36
- ↑ FAZ vom 24. Dezember 2010, Seite 42: Fünf Bilder und kein Halleluja
- ↑ Die Böhm Chapel in Hürth in Scala WDR5
Weblinks
Commons: Sankt Ursula (Hürth) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Hürther Kirche steht zum Verkauf Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ zu dem Streit um St.Ursula und die Reaktion von Bernd Reiter
- Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ zu den Auseinandersetzungen um die Profanierung von St. Ursula
- Hier stirbt etwas Heiliges – der „Kölner Stadt-Anzeiger“ zum letzten Sonntagsgottesdienst in St. Ursula
- Die Glocken sind verstummt − die „Kölnische Rundschau“ berichtet von der Profanierungszeremonie
- Ungeliebt und abgerissen – „koelnarchitektur.de“ zur Zukunft von Kirchengebäuden, mit Bildern von St. Ursula
- Verkauf der Glocken nach Elmshorn
- Jablonka Galerie Böhm Chapel
50.8773333333336.9065694444444Koordinaten: 50° 52′ 38″ N, 6° 54′ 24″ OKategorien:- Kirchengebäude in Hürth
- Profaniertes Kirchengebäude
- Ursulakirche
- Gottfried Böhm
- Dominikus Böhm
- Baudenkmal in Hürth
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