Stedten an der Gera

Stedten an der Gera
Stedten an der Gera
Landeshauptstadt Erfurt
Koordinaten: 50° 56′ N, 10° 59′ O50.92833333333310.9825212Koordinaten: 50° 55′ 42″ N, 10° 58′ 57″ O
Höhe: 212–227 m ü. NN
Eingemeindung: 1. Juli 1950
Eingemeindet nach: Erfurt
Postleitzahl: 99094
Vorwahl: 0361
Karte

Lage von Stedten an der Gera in Erfurt

Stedten an der Gera ist ein Teil des Ortsteils Bischleben-Stedten der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt.

Inhaltsverzeichnis

Geografie

Stedten liegt im Südwesten der Stadt, eingebettet in die Ausläufer des Fahnerschen Höhenzuges und des Steigerwaldes im Tal der Gera.

Geschichte

Bereits 1290 wird Stedten in einer Urkunde als Besitz Rüdiger von Stedins erwähnt. 1400 ging Stedten an Rudolf von Ziegler, einen Lehensmann der Grafen von Gleichen. Im Jahre 1613 gehörte Stedten zum Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen, das Lehen hatte zu dieser Zeit eine Familie von Grieben inne. 1667 wechselte der Ort zum Herzogtum Sachsen-Gotha, dem es bis 1918 angehörte. Zwischen 1667 und 1735 gehörte Stedten der Familie von Fensterer, Grabplatten der Fensterer befinden sich noch heute in der Bischlebener Kirche.

St.-Elisabeth-Kirche in Stedten (Lage→50.92812783805610.981666445833)
Schloss und Gut Stedten in 1930er Jahren
Schloss Stedten vor dem Abriss 1948

Im Jahre 1735 erwarb der aus dem Württembergischen stammende Hofmarschall und Staatsminister Christoph Dietrich Keller das Rittergut. 1737, im Jahr seiner Adelserhebung, ließ er ein barockes Schloss und 1745 eine Kirche erbauen. Das Schloss hatte einen Vorgängerbau in Form einer Wasserburg, dafür sprechen die Lage im Auenbereich der Gera sowie überlieferte Zeichnungen. Das Barock-Schloss war ein großer zweigeschossiger Putzbau mit einem hohen Mittelrisalit. Es wurde auf der Hofseite durch das Hauptportal, einen Balkon und ein Wappen architektonisch betont. Den großen Saal zierte eine Stuckdecke mit einem monumentalen Gemälde, schöne Möbel und Ölgemälde die anderen Räume. Die kleine barocke Kirche am Fuße des Stedtener Wäldchens überstand, im Gegensatz zum Schloss, die sowjetische Besatzungszeit unbeschadet. Der Sohn Christoph Dietrich von Kellers wurde 1789 in den Grafenstand erhoben, seine Familie unterhielt mit Wieland und Goethe freundschaftliche Beziehungen. Aus dieser Zeit ist bekannt, dass sich Schloss Stedten zu einem Ort der Musen entwickelte. Graf Dorotheus Christoph von Keller schickte drei seiner Söhne auf russischer Seite gegen Napoleon ins Feld, einer von ihnen trug 1817 die schwarz-rot-goldene Fahne der Burschenschaften zum Wartburgfest.

1844 begann der Bau der Thüringer Eisenbahn von Erfurt nach Gotha, die sich auch durch die Gemarkung Stedten zog. Stedten erhielt gemeinsam mit Bischleben einen Bahnhof und Gustav Graf von Keller wurde erster Thüringer Eisenbahndirektor. 1848 vertrat er Erfurt auf der Frankfurter Nationalversammlung. Auf Grund seiner Verpflichtungen im Dienste des Kaisers Wilhelm II. verpachtete dessen Sohn, Friedrich Wilhelm Graf von Keller, 1901 das Rittergut an einen Amtmann Beck († 1931). 1913 erwarb der Erfurter Kaufmann Tettenborn gräfliche Flächen entlang der Geratal-Straße zum Zwecke der Wohnbebauung; mit dieser wurde auf Grund des Ersten Weltkrieges und der sich anschließenden Wirtschaftskrise jedoch erst Ende der 1930er Jahre begonnen.

Der Sohn Friedrich Wilhelm Graf von Kellers, Alexander, der letzte männliche Erbe, fiel mit 17 Jahren im Ersten Weltkrieg. Sein Onkel Franz Graf von Keller übernahm nach dem Tode des alten Grafen 1938 Schloss und Rittergut. Die ledige Tochter des Grafen Friedrich Wilhelm von Keller, Lolo, unterhielt im Schloss weiterhin die 1925 gegründete Ländliche Haushaltungsschule des Reifensteiner Verbandes. Ihre Schwester Marie war in den umliegenden Orten als couragierte Krankenpflegerin bekannt. Die Familie nahm schon während des Zweiten Weltkriegs Ausgebombte und Flüchtlinge im Schloss und Gut auf.

Zum 9. April 1923 wurde das bis dahin selbstständige Stedten der Gemeinde Bischleben zugeschlagen, letztere blieb beim Landkreis Gotha, ehe sie am 1. Juli 1950 zur Stadt Erfurt kam.[1]

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, den das Dorf Stedten baulich unbeschadet überstand, wurden durch die Verordnung der Landesverwaltung Thüringen vom 10. September 1945 zur Bodenreform auch in Stedten die Grafen von Keller entschädigungslos enteignet und vertrieben, der Grundbesitz aufgeteilt, die Gutsgebäude abgetragen, das Schloss Stedten 1948/1949 abgerissen und gesprengt. Grundlage für den letztgenannten Vorgang war der berüchtigte sowjetische Befehl 209 zur Beseitigung deutscher Adelssitze. Teile des Baumaterials wurden zum Bau von Umsiedlerhäusern verwendet, andere als Füllmaterial der Dammbewehrung an der Bischlebener Mühle. Wertvolle Kulturgüter, Gemälde, Bibliothek und Archiv (reichte bis ins 16. Jahrhundert zurück) gingen in unbekannten Besitz über oder wurden zerstört. Im ehemaligen Parkgelände des Herrenhauses stehen heute die genannten Umsiedlerhäuser und ein Gewerbebetrieb.

Stedten hat sich seit 1990 zu einem Ortsteil mit hohem Wohn- und Erholungswert entwickelt, eine überdimensionierte Bebauung konnte auf Grund von Einschränkungen im Zusammenhang mit einer Trinkwasserschutzzone verhindert werden. Sehenswert ist die erwähnte barocke Kirche, die seit 1976 im Besitz der katholischen Gemeinde ist. Der benachbarte Friedhof ist letzte Ruhestätte der Grafen von Keller und dürfte einer der ältesten seiner Art in Thüringen sein. Auch das Margarethe-Reichardt-Haus lohnt einen Besuch. In diesem Haus, welches nach Vorentwürfen des Bauhauskünstlers Konrad Püschel entstand, lebte und wirkte die ebenfalls der Bauhausschule entstammende Teppichwebmeisterin Margarethe Reichardt. Heute beherbergt dieses Haus ein städtisches Museum.

Sehenswürdigkeiten

  • Dorfkirche und alter Kirchhof mit historischen Grabanlagen
  • Alte Eiche (Naturdenkmal) und davorstehender Gedenkstein mit entfernter Tafel

Gedenktafel

Erinnerungstafel der Begegnungsstätte

2011 erinnert eine Gedenktafel am früheren Eingang zum Schloss- und Gutsbereich: „Begegnungsstätte Goethe und Wieland. Sie waren Freunde der Familie Keller und gingen im Schloss Stedten ein und aus. Silvester 1775 hat Goethe hier seinen Urfaust vorgetragen. Bürger- und Traditionsverein Bischleben-Stedten e.V.“

Einzelnachweise

  1. Gemeinden 1994 und ihre Veränderungen seit 01.01.1948 in den neuen Ländern, Verlag Metzler-Poeschel, Stuttgart, 1995, ISBN 3-8246-0321-7, Herausgeber: Statistisches Bundesamt

Literatur

  • Johannes Biereye: "Schloss Stedten". In: Erfurter Burgenwelt, 1932
  • Hans-Peter Brachmanski: Chronik von Schloss Stedten bei Erfurt. Ereignisse und Erinnerungen. Erfurt 2004
  • Hans-Peter Brachmanski: Kirche in Stedten- Zur 260-jährigen Wiederkehr ihrer Einweihung 1745-2005. Erfurt 2005.
  • Hans-Peter Brachmanski: "Medaillen zum Schloss Stedten, dessen Besucher und Bewohner." in: NNB.Numismatisches Nachrichtenblatt
  • Hans-Peter Brachmanski: 160 Jahre Erfurter Eisenbahn. Zum 110. Todestag Gustav Ludwig Emil Graf von Keller. Erster Eisenbahndirektor. Mit zahlreichen bisher unbekannten persönlichen Dokumenten" desselben. Erfurt 2007
  • Hans-Peter Brachmanski: Erfurter Dörfer. Pressebeiträge aus den Jahren 1992-2005. TLZ. BdV. NNB. BdV. Schlesische Nachrichten.
  • Hans-Peter Brachmanski und Waltraud Loos: Stadtbote Erfurt - Periodika zum Schloss Stedten. Insgesamt 5 Publikationen, Erfurt 2009, 2010 und 2011.
  • Thomas Bienert: Das Schicksal geschundener und ausgelöschter Adelssitze in Thüringen. Thüringer Allgemeine, 2006
  • Harald Hübner: Wasserburg und Festung Stedten. In: Stadt und Geschichte - Zeitschrift für Erfurt, Nr. 36, 2007

Weblinks

 Commons: Stedten an der Gera – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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