Steuerwagen

Steuerwagen
Steuerwagen Bybdzf 482.1 Bauart Wittenberge (IGA-Sonderbeklebung)
Steuerwagen Bauart Karlsruhe in Nienburg/Weser
CityShuttle-Wendezug der ÖBB
Steuerwagen eines ICE 2 im Bahnhof Köln/Bonn Flughafen
Doppelstocksteuerwagen
Steuerwagen der metronom in Hamburg-Harburg
IC-Steuerwagen (Bpmbdzf) im Regionalverkehrsanstrich für RE Nürnberg-München

Ein Steuerwagen ist ein Reisezugwagen mit Führerstand, von dem aus die im Zug schiebende Lokomotive beziehungsweise der Triebwagen oder Triebkopf gesteuert werden kann. Der Steuerwagen selbst muss keinen Antrieb besitzen.

Mit Steuerwagen kann der Einsatz von Reisezügen rationeller gestaltet werden, da die Lokomotive an den Endbahnhöfen nicht mehr (von einem Zugende an das andere) umgesetzt werden muss, was eine gewisse Infrastruktur vor Ort (Weichenverbindungen), Personal (Rangierer) und auch ausreichende Zeit voraussetzt und daher kostenintensiv ist. Ein mit Steuerwagen fahrender Zug (Wendezug) kann hingegen in kurzer Zeit die Fahrtrichtung ändern, indem der Lokführer einfach den Führerstand wechselt.

Steuerwagen werden nach dem Bauart-Bezeichnungssystem für Reisezugwagen in Deutschland mit dem Gattungsbuchstaben „f“ (Führerstand) bezeichnet. In der Schweiz ist der Buchstabe „t“ als Kennzeichen gebräuchlich.

Inhaltsverzeichnis

Entwicklung

Man unterscheidet die direkte Wendezugsteuerung, bei der alle Funktionen (Antrieb und Bremse) vom Steuerwagen aus betätigt werden, und die indirekte Wendezugsteuerung, bei der von einem so genannten Wendezugbefehlswagen aus die Steuerbefehle des Lokführers dabei mit einem den Maschinentelegrafen auf Schiffen ähnlichen Gerät an die Lok signalisiert werden, wo sie der reglerberechtigte Heizer umgehend quittieren und ausführen muss. Die Zugbremse wird aber auch bei der indirekten Steuerung vom Führerstand des Wendezugbefehlswagens aus betätigt. Ein Pionier der Wendezugbeförderung war die Lübeck-Büchener Eisenbahn, bei der bereits 1936 zweiteilige Doppelstockzüge mit einer direkten Wendezugsteuerung ausgerüstet waren, der Dampfregler der Lok wurde dabei durch einen Elektromotor bewegt. Versuche mit Steuerwagen und für den Wendezugbetrieb umgerüsteten Dampfloks wurden auch von der damaligen Deutschen Reichsbahn (DRG) durchgeführt, nachdem man ebenfalls 1936 nachgewiesen hatte, dass sich das Fahrverhalten eines geschobenen Zuges von dem eines gezogenen praktisch nicht unterscheidet.

Die Deutschen Bundesbahn entschied sich 1951 für die indirekte Wendezugsteuerung im Dampfbetrieb, da ohnehin der Heizer zur Bedienung des Feuers und außerdem zum Erkennen von für den Dampflokbetrieb typischen Störungen auf der Lok verbleiben musste. Durch eine druckluftbetätigte Reglerschließvorrichtung wurde beim Einleiten einer Bremsung durch den im Wendezugbefehlswagen sitzenden Lokführer bei geschobenem Zug die Dampfzufuhr zum Lokomotivtriebwerk abgesperrt, so dass keine Antriebskraft mehr auf die Räder wirken konnte, die eine Bremsung verzögern könnte. Umgerüstet wurden hierzu Dampfloks der Baureihen 78, 38.10, 65 und 23[1].

Vielversprechender erschienen die Versuche mit Elektrolokomotiven (damals auf einer umgebauten Lok des Typs E 04), da hier der Lokführer die Lok direkt ansteuern konnte. Durch den Zweiten Weltkrieg konnte das Versuchsprogramm trotz guter Erfolge nicht abgeschlossen werden. Erst nach dem Krieg konnte sich der Wendezugbetrieb – zunächst im Bereich der Deutschen Bundesbahn – langsam durchsetzen, als Loks und Wagen mit entsprechender serienmäßiger Ausrüstung zur Verfügung standen.

Signalübertragung

Konventionelle Wendezugsteuerung (KWS)

Die Signalübertragung erfolgt in Deutschland analog über ein 36-poliges (Deutsche Bundesbahn) oder 34-poliges (ehem. Deutsche Reichsbahn) Wendezugsteuerkabel. Die Leitungen übertragen einzelne Steuerbefehle an die zu steuernde Lok und geben Statusmeldungen zurück. Außerdem werden analoge Werte, wie z. B. Motorstrom und Fahrdrahtspannung oder der Sollwert für die dynamische Bremse übertragen. Steuerwagen mit konventioneller Steuerung sind nur für den Betrieb mit Dampf-. Diesel- oder Ellok nutzbar, ein Wechsel der Traktionsart erfordert eine Umrüstung des Führerstandes in der Werkstatt, ausgenommen der „Wittenberger Kopf“, bei dem das Umstellen eines Schalters genügt.

Zeitmultiplexe Wendezugsteuerung (ZWS)

Bereits 1978 bekam die konventionelle Wendezugsteuerung Konkurrenz: Die in diesem Jahr entwickelten S-Bahn-Wendezüge aus x-Wagen zusammen mit Lokomotiven der Baureihe 111 nutzten zur Datenübertragung zwischen Lok und Steuerwagen die zeitmultiplexe Wendezugsteuerung, bei der Befehle, Meldungen und Werte digital übertragen werden. Die Signalisierung der ZWS geschieht über zwei Adern des an jedem Fahrzeug vorhandenen UIC-Kabels (UIC 568). Eine heute gängigere Bezeichnung ist IS-Leitung („Informations- und Steuerleitung“). Zwischen Lok und Steuerwagen werden 80-Bit-Datagramme mit Hilfe von Modems übertragen. Die Loks senden ein Datagramm mit ihrer Baureihenkennung, weil der Steuerwagen auf unterschiedliche Loks unterschiedlich reagieren muss.

Eine größere, über den S-Bahn-Betrieb der Ballungsräume hinausgehende Verbreitung stellte sich erst ab 1992 mit der Ablieferung der neuen Doppelstockwagen ein. Die Bauart DABgbuzf 760 erhielt als Übergangslösung sowohl die 34polige als auch die zeitmultiplexe Steuerung. Seither wurden die Einsatzfelder kontinuierlich erweitert. Neubeschaffte Loks und Steuerwagen werden seither generell mit der ZWS ausgerüstet, zahlreiche ältere Lokomotiven und auch Steuerwagen bekamen die ZWS nachgerüstet. Mit Ausnahme einiger weniger Doppelstocksteuerwagen der Reichsbahn-Bauart sowie der mit Steuerwagen Bauart Karlsruhe geführter Wendezüge hat die ZWS die KWS komplett verdrängt.

Eine Variante der ZWS ist die zeitmultiplexe Doppeltraktionssteuerung (ZDS), welche nach dem gleichen Prinzip funktioniert und die Doppeltraktion zweier Lokomotiven über das UIC-Kabel ermöglicht. Daraus wurde inzwischen die zeitmultiplexe Mehrfachtraktionssteuerung entwickelt (ZMS), welche auch Kombinationen aus mehr als zwei Lokomotiven sowie die Steuerung von mehr als einer Lokomotive vom Steuerwagen aus ermöglicht. Ihr Verbreitungsgrad ist bisher jedoch noch recht gering.

Wendezugsteuerung über WTB

Die in Österreich eingesetzten Steuerwagen der Baureihen 80-33 und 80-73, sowie die Railjet-Steuerwagen übertragen die Daten zwischen Lok und Steuerabteil über den Zugbus – WTB.

Einschränkungen

Die Länge von geschobenen Zügen war ursprünglich aus Gründen der Seitenführungsdynamik auf 10 Wagen beschränkt, und es durften nicht mehr als 120 km/h, seit 1980 140 km/h, gefahren werden. Dies war kein Problem, da Wendezüge zunächst ausschließlich Nahverkehrszüge waren, die selten länger als 6 Wagen waren.

Nur wenn der Wagenzug über einen Wire Train Bus verfügt, ist vom Steuerwagen aus ein Zugriff auf die Diagnosefunktionen moderner Lokomotiven möglich. Dies erschwert die Bedienung der Lokomotiven vor allem im Störungsfall.[2]

Steuerwagen des Fernverkehrs in Deutschland

IC-Steuerwagen in Bremen
MET Steuerwagen BA116.8

Erst seit 1995 gibt es in Deutschland auch Fernverkehrszüge mit IR/IC Steuerwagen, die bis zu 14 Wagen lang sein können und 200 km/h erreichen. 1999 wurden die Steuerwagen des Metropolitan Express Train fertiggestellt und zugelassen. Diese siebenteiligen Hochgeschwindigkeitswagenzuggarnituren dürfen bis zu 220 km/h schnell fahren. Eine Sonderstellung nimmt der ICE 2 ein, der dank einer Sondergenehmigung des Eisenbahn-Bundesamtes auf den Neubaustrecken mit Steuerwagen voraus bis zu 250 km/h fahren darf. Hier hatte man anfangs große Probleme mit Seitenwind, der bei langsameren Wendezügen normalerweise keine Schwierigkeiten bereitet oder zumindest durch Erhöhung der Achslast beherrschbar ist, bei hohen Geschwindigkeiten jedoch zu gefährlichen Schwingungen des Wagenkastens führen kann. Aus diesem Grund musste die Strecke Hannover–Berlin beispielsweise mit Windwarnanlagen, die den ICE 2 bei böig auftretendem Seitenwind automatisch auf 200 km/h herunterbremsen, Windschutzwänden und Windschutzwällen ausgerüstet werden.

Steuerwagen außerhalb Deutschlands

Österreich

Railjet Steuerwagen

In Österreich waren Steuerwagen bis in die frühen 1990er Jahre nur als Bestandteile von mehrteiligen Triebzügen üblich. Mit der Umstellung stark ausgelasteter Regionalverbindungen auf Wendezüge entstanden auch die erforderlichen Steuerwagen: erst für die „City Shuttle“-Doppelstockwagen, danach auch solche, die zu den weit verbreiteten (eingeschossigen) Bmpz-Wagen passten. Außer den neu gebauten E-Loks der Baureihen 1014, 1016/1116/1216 und 2016, die bereits im Auslieferungszustand wendezugfähig waren, wurden die Reihen 1042 und 1044 nachträglich für den Wendezugbetrieb adaptiert und in 1142 beziehungsweise 1144 umgezeichnet. Im Fernverkehr kommen in wenigen Zügen deutsche IC/IR Steuerwagen zum Einsatz, die erst 2007 eine Zulassung zum selbstständigen Steuern für das Streckennetz der ÖBB erhalten haben. Fernverkehrssteuerwagen der ÖBB kommen ab Dezember 2008 in Form der Railjet – Züge erstmalig fahrplanmäßig öffentlich in Österreich zum Einsatz.

Schweiz

SBB Intercity Neigezug Steuerwagen

Klassisches Land der Steuerwagen ist die Schweiz. Im Zusammenhang mit der frühen Elektrifizierung kam sehr bald der Gedanke auf, Züge von einem zuerst als Zugführungswagen bezeichneten Eisenbahnwagen aus zu steuern, um an den Endbahnhöfen die zeitaufwendigen Wendemanöver wie zum Beispiel das Umstellen der Lokomotive ans andere Zugende zu eliminieren. Anders als im restlichen deutschen Sprachraum werden in der Schweiz solche Züge als Pendelzüge bezeichnet. Die Steuerung wird dabei als Vielfachsteuerung bezeichnet.

M6 Steuerwagen der SNCB/NMBS (Belgien)

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Jürgen Ebel: Die Neubau-Dampflokomotiven der Deutschen Bundesbahn Bd. 1: Technik und Geschichte der Schlepptenderloks BR 23 und 10; 1984; ISBN 978-3170073579
  2. Baur, Karl G.: Baureihe 101, S. 134, ISBN 3-932785-43-6

Literatur

Weblinks

 Commons: Driving railway carriages of Germany – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
 Commons: Driving trailers of Switzerland – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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