Stiftskloster Gottes Gnade bei Calbe

Stiftskloster Gottes Gnade bei Calbe

Das Stiftskloster Gottes Gnade ist ein ehemaliges Prämonstratenser-Kloster bei Calbe (Saale) in Sachsen-Anhalt.

Inhaltsverzeichnis

Gründung

Geschichte der Stadt Calbe

Um die Kolonisierung des Slawenlandes intensiver voranzutreiben, erwirkte der Begründer des Prämonstratenser-Ordens und Erzbischof von Magdeburg Norbert von Xanten (um 10801134) auf Drängen des ihm verbundenen Königs Lothar III. den Bau eines prämonstratensischen Stiftes namens „Gratia Dei“ (Gottes Gnade) auf einem Hügel östlich an der Saale nahe bei Calbe. Die Magdeburger Erzbischöfe besaßen in Calbe eine „Curia“ als gern besuchten Nebensitz. Als Vermögensstifter konnte Norbert Otto von Reveningen (Röblingen am See) und Krottorf gewinnen. Die Grundsteinlegung erfolgte 1131, und bald schon zogen die ersten 22 (Regular-)Kanoniker sowie 19 Laienbrüder (Konversen), für wenige Jahre auch 17 streng abgeschiedene Konversinnen, dort ein. Die Stiftsanlage entstand dort, wo sich heute der Kern des dörflichen Ortsteiles Gottesgnaden befindet.

Aufbruchzeit und Krise

Erzbischof Norbert von Xanten starb, während die ersten Stiftsbauten errichtet wurden, schwer krank drei Jahre später. Als Propst hatte er vorher einen jungen französischen Mitstreiter, Emelrich, eingesetzt, der jedoch schon ein paar Monate später vom Papst auf einen Missionsposten nach Palästina berufen wurde. Der neu beauftragte Vorsteher namens Evermod von Cambrai, ebenfalls ein junger Franzose, ging so eifrig und streng vor, dass es unter Stiftsherren und Konversen zu einem Aufruhr kam, Otto aus seinem eigenen Stift wutentbrannt austrat und in die Welt zurückkehrte. Nach seinem Tod wurde seine Leiche jedoch nach „Gratia Dei“ überführt und ehrenvoll bestattet. Es sieht so aus, als ob hinter der Stiftsrevolte der Konflikt zwischen den welfisch gesinnten Anhängern Norberts und der staufisch eingestellten Konvents-Mehrheit steckte. Erst nachdem man den radikal-ungestümen Vorsteher weggelobt hatte und später der staufisch gesinnte, umsichtige Kanoniker Gunther zum Propst gewählt worden war, kehrten Ruhe und Frieden ein, und es ging mit „Gratia Dei“ kulturell und wirtschaftlich aufwärts.

Blütezeit

Hospitalkirche Gottesgnaden

Starke staufische Politiker, wie Erzbischof Wichmann von Seeburg, die Markgrafen Konrad von Wettin und Albrecht der Bär sowie die Staufer-Kaiser selbst, stellten das bedeutende Stiftskloster, das seinen Einflussbereich durch Gründung immer neuer Tochterklöster ausdehnte, unter ihren Schutz. Das Stift wurde unter den Schutz der Jungfrau Maria und des Heiligen Victor sowie der anderen Thebäischen Märtyrer gestellt. 1164 konnte auf dem höchsten Punkt des Hügels eine prächtige romanische Basilika mit zwei gewaltigen Türmen und sechs Glocken von Erzbischof Wichmann geweiht werden. Daneben standen Wirtschafts- und Wohngebäude sowie sakrale Bauten wie der Kreuzgang und die Kapellen. Das Stifts-Hospital außerhalb der Mauern erhielt 1207 ein von einem Prior gestiftetes eigenes Kirchlein. Die kleine, der Jungfrau Maria und dem Evangelisten Johannes geweihte Kirche ist heute das einzige Sakral-Gebäude, das von der einst imposanten Anlage erhalten geblieben ist. Seit dem 14. Jahrhundert, vielleicht schon früher, existierte in Gottesgnaden eine klösterliche Schule. Bald hatte „Gratia Dei“ eine Reihe von Tochterstiften, sodass die Zweige bis ins Baltikum und nach Palästina reichten. Die Prämonstratenser von „Gottes Gnade“ bei Calbe waren europaweit berühmt.

Stagnation

Inzwischen konnte das Stift sich weitgehend von landesherrlicher Bevormundung befreien und trat sogar als Geld- und Grundstücksverleih-Institut für Adlige und Bürger auf. Die großen Kolonisationserfolge des Stiftes aus der Pionierzeit gehörten aber im 15. Jahrhundert schon einer ruhmreichen Vergangenheit an. Das Stift Gottesgnaden hatte sich den Ruf einer Heil- und Bildungsstätte, aber auch eines „Bankhauses“ erworben.

Niedergang und Zerstörung

Der gesellschaftliche Umbruch und die Nachwuchssorgen ließen die riesige Anlage Ende des 15./Anfang des 16. Jahrhunderts bald verfallen. „Gratia Dei“ wurde 1524 beschädigt, als es zu Tumulten und Unruhen kam. Während sich in der Stadt Calbe die evangelische Lehre bereits 1542 durchgesetzt hatte, blieb das Stift noch 11 Jahre länger römisch-katholisch. Im Schmalkaldischen Krieg (1546/47) wurde die Anlage hart attackiert, und die Kleinodien wurden geraubt. 1553 bekam „Gottes Gnade“ einen ersten und einzigen evangelischen Propst. Zeitweise war die Stiftsanlage nur von drei geistlichen Insassen bewohnt. Im ständig wechselnden Hin und Her der Besetzungen während des Dreißigjährigen Krieges wurden die große, kahl geplünderte Basilika und die Wirtschaftsgebäude stark ruiniert. Vor dem Abzug der Schweden ließ Feldmarschall Banér 1636 nicht nur die Stiftsanlage, sondern auch gleich noch die Brücke über die Saale niederbrennen.

Das Ende des Stiftes

Das Vorhaben, aus den Resten der Anlage eine Landesschule zu machen, für die 1653 schon eine Schulordnung ausgearbeitet worden war, scheiterte, wie Hävecker betonte, an den Politikern. Als 1695 am Mönchsheger eine neue Saale-Schleuse gebaut wurde, kam der Befehl König Friedrichs I., die Basilika-Ruine von Osten her abzutragen und die Steinquader, aber auch die Skulpturen zum Schleusenbau zu verwenden. 1726 wurde die Kirche restlos abgetragen, um die Steine für einen geplanten Kanal-Bau von Calbe nach Schönebeck-Frohse zu verwenden. Als das Projekt scheiterte, wurden die Steine für verschiedene Zwecke verkauft. Heute findet man noch ab und zu steinerne Relikte der einst stolzen Basilika. Die große Glocke der Stifts-Kirche wurde zum Guss zweier Glocken für das Gotteshaus der böhmisch-reformierten Gemeinde in Berlin verwendet, von denen eine noch existiert.

Domänenzeit

Gebäude der ehemaligen Domäne Gottesgnaden

Nach 1680 war der wieder aufgebaute Wirtschaftstrakt des ehemaligen Stiftes in eine preußische Staatsdomäne umgewandelt worden, und als solche blieb er, stark verändert, bis zur Bodenreform nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bestehen. In der DDR wurde die Domäne Teil einer LPG.

Heute

Teile des Turmes der vor den Resten der östlichen Stiftsmauern stehenden Hospitalkirche (s. oben) sind noch romanisch erhalten. Im Innern der 1710 großenteils gotisch umgebauten und erweiterten kleinen Kirche sind die Grabsteine Johann de Puscos, des letzten katholischen und des ersten und einzigen evangelischen Propstes von „Gratia Dei“, Lambert Werner, sehenswert.

Quellen

  • Chronicon Gratae Dei, in: Winter, Franz, Die Prämonstratenser des zwölften Jahrhunderts, Berlin 1865.
  • Leuckfeld, Johann Georg, Antiquitates Praemonstratenses oder Historische Nachricht von zweyen ehmals berühmten Praemonstratenser-Clöstern S. Marien in Magdeburg, und Gottes=Gnade bey Calbe, Magdeburg/Leipzig 1721.
  • Mülverstedt, George Albert von (Hrsg.), Regesta Archiepiscopatus Magdeburgensis. Sammlung von Auszügen aus Urkunden und Annalisten zur Geschichte des Erzstifts und Herzogthums Magdeburg, 3 Bde. und Registerbd., Magdeburg 1876–1899.

Literatur

  • Dietrich, Max, Calbenser Ruhestätten, (Calbe) 1894.
  • Hävecker, Johann Heinrich, Chronica und Beschreibung der Städte Calbe, Acken und Wantzleben Wie auch des Closters Gottes Gnade ..., Halberstadt 1720.
  • Hertel, Gustav, Geschichte der Stadt Calbe an der Saale, Berlin/Leipzig 1904.
  • Derselbe, Die Gründung des Klosters Gottesgnaden [Fundatio monasterii Gratiae-Dei], Leipzig 1895, in: Die Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit. 2. Gesamtausgabe XII. Jh. Bd. 16 (= Bd. 64).
  • Reccius, Adolf, Chronik der Heimat (Urkundliche Nachrichten über die Geschichte der Kreisstadt Calbe und ihrer näheren Umgebung), Calbe/Saale 1936.
  • Trotz, Andreas, Spätmittelalterliche Wüstungen im ehemaligen Land Jüterbog (Versuch einer interdisziplinären Lokalisierung früherwähnter Orte des 12. Jahrhunderts), in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte (hsg. von Escher, Felix und Henning, Eckart), Bd. 54.
  • Steinmetz, Dieter H., Das Stiftskloster „Gottes Gnade“, in: „Calbenser Blatt“ 1 - 3/2006
  • Derselbe, Stiftskloster Gottes Gnade startete mit Hindernissen, in: "Schönebecker Volksstimme" vom 24. April 2006.
  • Derselbe, Auf historischer Spurensuche – Ein Stadtrundgang in Calbe an der Saale (siehe Weblinks).
  • Derselbe, Geschichte der Stadt Calbe an der Saale (Ein Abriss – von den Anfängen bis 1918) (siehe Weblinks).
  • Derselbe, Vom Königshof Caluo 936 bis zur Kreisstadt Calbe 1919 - Geschichte einer mitteldeutschen Stadt von den Anfängen bis zur Gründung der Weimarer Republik, Magdeburg/Calbe/S. 2010.

Weblinks

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