- Vor Sonnenuntergang
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Das am 16. Februar 1932 am Deutschen Theater in Berlin uraufgeführte naturalistische Schauspiel „Vor Sonnenuntergang“ von Gerhart Hauptmann beschreibt den Lebenswandel des 70-jährigen, einflussreichen Geheimrats Matthias Clausen, der seine verbleibenden Jahre auf seine Liebesbeziehung mit der jungen Inken Peters konzentrieren möchte. Das intrigante Agieren seiner Angehörigen durchkreuzt diesen Plan jedoch und treibt ihn in den Selbstmord.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
1. Akt und Vorgeschichte
Dem Geheimrat kommt zu Beginn des Schauspiels an seinem 70. Geburtstag die Ehrenbürgerschaft der nicht näher bezeichneten Stadt zuteil. Inzwischen hat er den Tod seiner Ehefrau weitgehend überwunden, zumal sich seine Tochter Bettina in besonderer Weise um ihn gekümmert hat. Auch Sanitätsrat Dr. Steynitz und Privatsekretär Wuttke sind bei seiner Genesung behilflich gewesen. Im ersten Akt kristallisieren sich ferner erste Differenzen zwischen ihm und seinem Schwiegersohn Erich Klamroth heraus, der die Geschäftsleitung seiner Betriebe innehat. Matthias kündigt seinem alten Freund Geiger an, mit Inken Peters ein neues Leben beginnen zu wollen: Ich jedenfalls bin entschlossen, das Seil zu kappen, das mich an mein altes Schiff bindet und an seinen alten Kurs gebunden hält. Ich kann nur so oder gar nicht leben. (S. 34, Ullstein, 2003)
2. Akt
Der Justizrat Hanfeldt versucht im zweiten Akt durch Bestechung, Paula Clothilde, die Ehefrau von Clausens Sohn Wolfgang, dagegen mit erpresserischen Postkarten, Inken mit ihrer Familie zum Wegzug zu bringen, da diese nicht toleriert und als Erbschleicherin angesehen wird. Zudem diene das Paar schon großen Teilen der Bevölkerung als Belustigung und Tratschobjekt. Auch Clausen sieht zunächst in einer Trennung die Lösung des Konflikts. Doch dann schenkt er seiner deutlich jüngeren Freundin einen Ring seiner verstorbenen Frau, den er als Zeichen des ewigen Zusammenhalts sieht.
3. Akt
Die Situation eskaliert , als Matthias Clausen seine Partnerin zum gemeinsamen Familienfrühstück lädt. Er kündigt an, abzudanken, um mit seiner Freundin in ein Schweizer Schloss zu ziehen. Schwiegersohn Erich und sein Sohn Wolfgang stellen die Zurechnungsfähigkeit des Vaters in Frage und sehen in der späten Information über seine Pläne ein Vertrauensmangel. Clausen schickt daraufhin die versammelte Gesellschaft wutentbrannt hinaus – Ich lasse mir nicht das Lebenslicht ausblasen (S. 80). Inken selbst ist schon freiwillig dem Tumult entronnen.
4. Akt
In der retardierenden Phase des Schauspiels kommt Geiger seinem Freund zur Hilfe, um von Dr. Steynitz zu erfahren, dass dieser mit seinen Kindern gebrochen, Erich entlassen und Inken in seinem Haus aufgenommen hat. Auf Druck von Erich, Paula und Wolfgang haben die Geschwister – mit Ausnahme von Clausens Sohn Egmont – einen Entmündigungsantrag gestellt, weil sie in Clausens Plänen, zu heiraten, sein Unternehmen zu verkaufen und ein Anwesen zu erwerben, eine Verschwendung ihres Erbes sehen. Durch das Gericht ermächtigt, ist Klamroth wieder Direktor der Betriebe geworden. Clausen verleugnet seine Kinder, sieht in Wolfgang einen Mörder und zerstört Fotoaufzeichnungen von ihnen und seiner verstorbenen Frau. Dann erleidet er einen Schwächeanfall.
5. Akt
Abends flüchtet er sich in Frau Peters’ Haus. Der Pfleger des Entmündigungsverfahrens, Justizrat Hanefeldt, leitet bereits aufgrund von Suizidgefahr eine Zwangseinweisung in die psychiatrische Anstalt in die Wege. Der Ehrenbürger Clausen kommt Inkens vehementen Forderungen, rasch in die Schweiz in das neu erworbene Schloss zu fliehen, nicht nach. Wenig später vergiftet sich Clausen und stirbt. Sarkastisch urteilt Geiger, nun hätten die Erben ihr Ziel erreicht.
Figurenübersicht
Bewertung
Das Schauspiel überzeugt von einem fortgeschrittenen Können des Dramaturgen. Vor allem die Darstellung der Affekte kommt dem Ideal des Naturalismus, also die möglichst wahre und detailgetreue Abbildung der Umwelt, sehr nahe. Die Figuren sind in sich nicht die typischen Gegenspieler, sondern handeln in ihren Gesichtspunkten – wie es Hanfeldt am Ende des Stücks beteuert – als ihrem Pflichtgefühl heraus. Bettinas Motive sind vor allem Eifersucht auf Inken, da sie fürchtet, ihre außergewöhnliche Bedeutung und Rolle als Ersatzehefrau zu verlieren. Erich Klamroth dagegen geht es um Machtinteressen. Der Philosophieprofessor Wolfgang sieht seine Rechtfertigung in der Vernunft, doch hat er mit allen anderen gemein, die scheinbar sich zu verselbstständigte Entwicklung nicht mehr verstehen zu können. Eigene Schuldgefühle projiziert er auf angebliches Wirken des Schicksals (Wie es bis dahin hat kommen können, weiß ich selber nicht, S. 100). Auch die Ausgestaltung der Figur Matthias Clausen fällt vielseitig und unberechenbar aus. Einerseits hat er den Mut, sich über alle bisherigen Konventionen hinwegzusetzen und nimmt in Kauf, den Ruf als angesehener Ehrenbürgers zu verlieren. Anderseits nutzt er am Ende nicht die Chance, Geigers Loyalität und Inkens Drängen zur Flucht nachzukommen, sondern reflektiert über sich selbst nach: Ich sehe dich an – ich suche es – aber ich kann es vorerst nicht finden. Ich schleppe eben eine tote Seele in einem lebendigen Rumpf herum … der geachtetste Mann der Welt (…) ist nur noch Speichel, den man mit dem Fuß vertritt (S. 118 / 121).
Für die heutige Zeit kann das Schauspiel als Warnung wirken, dass gute Absichten alleine nicht ausreichen, um auch Gutes zu bewirken, sondern eher unbewusste eigene Interessen durchzusetzen versuchen. Bevormundung ist keine Art von Hilfe, sondern schränkt die Freiheit von Menschen ein und kann – wie das Stück zu zeigen versucht– zu verheerenden Folgen führen.
Verfilmungen
Spielfilm
- 1956: Regie: Gottfried Reinhardt, mit Hans Albers, Annemarie Düringer, Martin Held, Claus Biederstaedt, Hannelore Schroth, Erich Schellow, Maria Becker, Hans Nielsen
Fernsehspiele
- 1962: Regie: Karl-Heinz Stroux, mit Ernst Deutsch, Ingrid Ernest, Gerda Maurus, Eva Böttcher, Sybille Schneider, Hans Wyprächtiger
- 1970; Regie: Oswald Döpke, mit Werner Hinz, Cordula Trantow, Doris Schade, Herbert Fleischmann, Anneli Granget, Günter Strack, Luitgard Im, Konrad Georg
- 2000: Regie: Dagmar Damek, mit: Harald Juhnke, Julia Stemberger, Claudine Wilde, Jörg Schüttauf, Susanna Simon, Holger Mahlich, Matthias Fuchs, Erika Skrotzki
Hörspielbearbeitungen
- 1960: Regie: Walter Knaus, mit: Kurt Ehrhardt, Jürgen Göslar, Peter Fricke, Waltraud Schmahl, Gisela Zoch, Alfred Schieske, Eva Ingeborg Scholz, Kurt Lieck
- 1963: Regie: Heinz-Günter Stamm, mit: Heinz Hilpert, Martin Benrath, Gisela Uhlen, Angela Sallocker, Ilse Lore Eberhardt, Benno Sterzenbach, Thomas Braut, Ernst Walter Mitulski, Gert Westphal, Fritz Rasp
- 1985: Bearbeitung: Ulrich Griebel, Regie: Walter Niklaus, mit: Günter Grabbert, Friedhelm Eberle, Jörg Lichtenstein, Regina Jeske, Marylu Poolman, Ursula Werner, Carla Valerius, Peter Sodann, Lutz Riemann, Horst Schönemann, Hilmar Eichhorn, Ellen Hellwig, Gert Gütschow, Wolf Goette
Kategorien:- Literarisches Werk
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