Václav Havel

Václav Havel
Václav Havel (2000)
Václav Havel und Karol Sidon

Václav Havel [ˈvaːtslaf ˈhavɛl] (* 5. Oktober 1936 in Prag) ist ein tschechischer Schriftsteller und Politiker, der während der kommunistischen Herrschaft einer der führenden Regimekritiker der Tschechoslowakei war. Nach der Samtenen Revolution, an der er wesentlich beteiligt war, war er von 1989 bis 1992 Präsident der Tschechoslowakei. Von 1993 bis 2003 war er Präsident der Tschechischen Republik. Er ist Ehrenmitglied im Club of Rome.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Havel entstammt einer einflussreichen Prager Großbürgerfamilie. Sein Vater, der ebenfalls Václav hieß, ließ u.a. den berühmten Lucerna-Vergnügungskomplex in der Nähe des Prager Wenzelsplatzes, sein Onkel die Prager Filmstudios Barrandov erbauen.

Mit Beginn der kommunistischen Regierung im Februar 1948 wurde die Familie enteignet. Der junge Václav durfte nach Beendigung der Schulpflicht 1951 keine weiterführende Schule besuchen. Er arbeitete als Assistent in einem Chemielabor und schloss seine sekundäre Ausbildung in einer Abendschule ab. Nebenbei arbeitete er als Taxifahrer, um sich die Abendschule zu finanzieren.

Aus politischen Gründen an keiner geisteswissenschaftlichen Fakultät zugelassen, begann er 1954 ein Wirtschaftsstudium, das er aber nach zwei Jahren abbrach.

Nach zwei Jahren Militärdienst wurde er Bühnentechniker in zwei kleinen Prager Theatern, dem Divadlo ABC und dem Divadlo na zábradlí (Theater am Geländer). In letzterem wurden auch seine ersten Stücke wie etwa Das Gartenfest aufgeführt. Seit seinem 20. Lebensjahr schrieb Havel Artikel für Literatur- und Theaterzeitschriften. Seine in der Tradition des absurden Theaters stehenden Stücke und seine Artikel prägten die Atmosphäre, die 1968 zum Prager Frühling führte, entscheidend mit. Berühmte Theaterstücke Havels aus dieser Zeit sind etwa Das Memorandum (1965) oder Erschwerte Möglichkeit der Konzentration (1968), das aus der Abschlussarbeit seines Fernstudiums an der Theaterfakultät in den Jahren 1962–1966 hervorgegangen war. 1967 auf dem IV. Schriftstellerkongress in Prag erregt Havel erstmals politisch Aufsehen, als er die Zensur und die Absurdität des Machtapparates der kommunistischen Partei öffentlich kritisierte.

In der Zeit der sogenannten „Normalisierung“ nach der Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Truppen des Warschauer Pakts trat Havel immer wieder öffentlich gegen das Regime unter Präsident Gustáv Husák auf und war 1977 einer der drei Hauptinitiatoren der Charta 77.

In dieser Zeit wurde Havel dreimal verhaftet und verbrachte insgesamt etwa fünf Jahre im Gefängnis. Literarisches Zeugnis dieser Zeit sind die Briefe an Olga, also an seine Frau Olga Šplíchalová, die er 1956 kennengelernt und 1964 geheiratet hatte und die bis zu ihrem Tod 1996 seine Gefährtin war. Havels Gefängnisstrafen wurden erst 1983 nach internationalen Protesten ausgesetzt, als Havel erkrankte und daraufhin in ein öffentliches Krankenhaus entlassen wurde.

Nach 1968 hatte Havel in der Tschechoslowakei Aufführungs- und Publikationsverbot. Seine Werke wurden in dieser Zeit aber fast vollständig im Rowohlt-Verlag in Deutschland publiziert. Am 15. Januar 1989, dem 20. Jahrestag der Selbstverbrennung von Jan Palach, wollte Havel an einer Gedenkveranstaltung teilnehmen, wurde verhaftet und am 21. Februar wegen „Rowdytums“ als Wiederholungstäter zu 9 Monaten verschärfter Haft verurteilt. Als er dann den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in Frankfurt am Main entgegennehmen sollte, durfte er nicht ausreisen. Der Schauspieler Maximilian Schell verlas seine vorbereitete Rede.

Havel war eine der zentralen Figuren in der zunächst hauptsächlich von Studenten und Künstlern getragenen Samtenen Revolution. Schon zuvor hatte er in den 1980er Jahren, als das politische Klima etwas liberaler wurde, die Petition „Einige Sätze“ (Několik vět) mitinitiiert. Nun wurde er zum führenden Vertreter des während der Revolution (am 19. November 1989) gegründeten Bürgerforums Občanské fórum (OF). Der Umbruch war praktisch besiegelt, als Havel als Kandidat des Bürgerforums am 29. Dezember 1989 von den – bis dahin kommunistischen – Vertretern der Föderalversammlung zum Präsidenten der Tschechoslowakei gewählt wurde. In dieser Funktion führte er das Land am 5. Juli 1990 zu freien Wahlen. Das neue Parlament bestätigte ihn als Präsident.

In den nächsten Präsidentenwahlen am 3. Juli 1992 bekam Havel von den Abgeordneten nicht mehr genügend Stimmen und trat zurück, obwohl er nach damaliger Verfassung das Amt noch drei Monate nach dem Ende seiner Amtszeit hätte ausüben können. Der Grund dafür war vor allem, dass er sich für eine Beibehaltung des gemeinsamen Staates und gegen Nationalismus ausgesprochen hatte (es fehlten ihm vor allem Stimmen der slowakischen Abgeordneten).

Nach der Trennung von Tschechischer und Slowakischer Republik im Januar 1993 wurde Havel am 26. Januar 1993 mit großer Mehrheit zum Präsidenten der Tschechischen Republik gewählt. Am 20. Januar 1998 wurde er in seinem Amt bestätigt; seine zweite Amtszeit endete am 2. Februar 2003.

1997 heiratete er die Schauspielerin Dagmar Veškrnová.

Auszeichnungen

Am 15. Oktober 1989 erhielt Havel in Abwesenheit den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Eine Teilnahme an der Feierstunde in der Frankfurter Paulskirche war für ihn nicht möglich, da ihm die Ausreise verwehrt wurde. Stattdessen hat er seinen Freund Maximilian Schell gebeten, die von ihm verfasste Rede vorzutragen. 1990 erhielt er den Preis Das politische Buch von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ebenfalls 1990 wurde Havel in der Schweiz mit dem Gottlieb-Duttweiler-Preis für seine politische Arbeit gewürdigt, die Laudatio von Friedrich Dürrenmatt kurz vor dessen Tod erregte die Schweiz nachhaltig [1]. Im Jahr 1991 wurde Havel mit dem internationalen Karlspreis zu Aachen „in Würdigung seines Einsatzes für den Geist der Freiheit und die Verwirklichung des Friedens in seinem Land und in ganz Europa“ geehrt [2]. 1993 verlieh ihm die Theodor-Heuss-Stiftung den Theodor-Heuss-Preis in Anerkennung seines demokratischen Engagements und seiner Zivilcourage. 1998 erhielt Havel den Westfälischen Friedenspreis. 2000 wurde Havel mit dem französischen Prix mondial Cino Del Duca geehrt. 2002 wurde er für sein literarisches Lebenswerk mit dem Hans-Sahl-Preis ausgezeichnet. 2003 bekam Havel den Hanno R. Ellenbogen Citizenship Award in Prag und das Großkreuz mit Halskette des tschechischen Ordens des Weißen Löwen. 2004 wurde Havel mit der Freiheitsmedaille („The Presidential Medal of Freedom“), die höchste zivile Auszeichnung in den USA, und dem Light of Truth Award ausgezeichnet. 2005 erhielt er das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst und 2006 den Brückenpreis der Stadt Regensburg.

Im September 2008 bekam er auf Grund seiner Verdienste um die deutsche Einheit den Point Alpha Preis. Laudator war zuvor der ehemalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher.

Havel wurde mehrere Male, das letzte Mal 2004, für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

2009 erhielt Havel den mit 10.000 Euro dotierten Internationalen Demokratiepreis der Stadt Bonn[3], den Quadriga-Preis, sowie die Goldene Henne, die erneut seine Verdienste um die deutsche Einheit würdigte.

2010 wurde Havel mit dem Prager Franz-Kafka-Literaturpreis ausgezeichnet.

Havels Weltsicht

Bestimmendes Thema in Havels dramatischem wie essayistischem Werk ist die Entfremdung des heutigen Menschen von der sogenannten Lebenswelt. Diese wurde dadurch hervorgerufen, dass in der aufgeklärten Gesellschaft die Wissenschaft die Position der obersten Instanz, die zuvor dem unbekannten Höheren (Gott o.ä.) vorbehalten war, eingenommen hat. Diese Entfremdung sieht Havel als Ursache der Probleme der heutigen Menschheit, sowohl der Umweltzerstörung, die durch die von der Wissenschaft ermöglichte Technisierung der Ökonomie hervorgerufen wurde, also auch der ehemaligen kommunistischen Diktaturen, denen die Vorstellung einer wissenschaftlich organisierten Gesellschaft (wissenschaftlicher Sozialismus) zugrunde liegt. Das Leben in den kommunistischen Diktaturen sah Havel als Extremform der Entfremdung an. Davon zeugt seiner Meinung nach deren auf Lügen aufgebaute Gesellschaft, in denen Worte ihren Sinn verlieren (so etwa das im Ostblock inflationär gebrauchte Wort Frieden[4], das hier eigentlich nur die Bewahrung des Status quo und somit die Aufrechterhaltung des Regimes bedeutete). In seinen Theaterstücken zeigt Havel die Absurdität dieser Situation. In seinen Essays ist durchgängig das Thema der Entfremdung in der von der Wissenschaft beherrschten Welt zu erkennen. Beeinflusst wurde Havel in dieser Vorstellung dem eigenen Bekunden nach von dem tschechischen Philosophen Václav Bělohradský.

Werk (Auswahl)

  • Die Vanek-Trilogie. Audienz, Vernissage, Protest. Versuchung. Sanierung. 1989. 281 Seiten, ISBN 3-499-12737-7
  • Briefe an Olga. Betrachtungen aus dem Gefängnis. 1989, ISBN 3-499-12732-6
  • Moral in Zeiten der Globalisierung. 1998, ISBN 3-499-22382-1
  • Fernverhör. 1990. 279 Seiten, ISBN 3-499-12859-4
  • Die Gauneroper. Das Berghotel. Erschwerte Möglichkeit der Konzentration. Der Fehler. Theaterstücke. ISBN 3-499-12880-2
  • Fassen Sie sich bitte kurz. Gedanken und Erinnerungen zu Fragen von Karel Hvízd'ala. Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg 2007. 416 S, ISBN 3-498-02990-8 (Autobiographie 1990–2003)
  • Odcházení (= Abgang), Theaterstück, Uraufführung am 22. Mai 2008 im Divadlo Archa in Prag, deutschsprachige Uraufführung am 25. April 2009 am Theater Aachen.
  • Fünfzehn Stimmungen. Briefe aus dem Gefängnis mit Photographien des Magnum Reporters Erich Lessing. Verlag Thomas Reche, Neumarkt i.d.Opf. 2011, 88 S. ISBN 978-3-929566-99-4

Siehe auch

Literatur

  • Fouzieh Melanie Alamir: Der Präsident Václav Havel. Seine politische Rolle im Spannungsfeld zwischen Verfassungsbestimmungen und politischer Kräftefiguration von 1990 bis 2003. Miles, Potsdam 2003, ISBN 3-00-012533-7 (Zugleich Dissertation an der Universität der Bundeswehr Hamburg 2003 - hergestellt „on demand“).
  • Walter Falk: Václav Havels geistiger Weg. In: Stimmen der Zeit. Band 218, Herder, Freiburg im Breisgau 5. Mai 2000, S. 315-326 (Inhalt).
  • Walter Falk: Václav Havels. Briefe aus dem Gefängnis. Wo der Mensch zu Hause ist – ein Dialog. Werner Imhof, Taunusstein 1994, ISBN 3930573008.
  • Jiří Gruša, Václav Havel: Die Macht der Mächtigen oder Die Macht der Machtlosen? / Moc mocných aneb Moc bezmocných?. Wieser, Klagenfurt 2006 (übersetzt von Christa Rothmeier), ISBN 978-3-85129-601-3 (Text deutsch und tschechisch).
  • Václav Havel, Karel Hvížďala: Fassen Sie sich bitte kurz. Gedanken und Erinnerungen zu Fragen von Karel Hvížďala. 2. Auflage. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2007 (Originaltitel: Prosím stručně, übersetzt von Joachim Bruss), ISBN 978-3-498-02990-6.
  • John Keane: Václav Havel. Droemer, München 2000, ISBN 3-426-27192-3.
  • Matthias Wanitschke, Guido Erbrich: „... auf die innere Stimme hören“. Die Frage nach Gott und dem Sinn des Lebens im Werk von Václav Havel. In: Erfurter Theologische Schriften. Band 23, Benno, Leipzig 1994, ISBN 3-7462-1056-9.

Mitgliedschaften

Weblinks

 Commons: Václav Havel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Friedrich Dürrenmatt: Die Schweiz - ein Gefängnis. Rede auf Václav Havel, mit einem Gespräch des Autors mit Michael Haller sowie einer Rede von Adolf Ogi, Diogenes-Taschenbuch 22 952, Zürich 1997, ISBN 3-257-22952-6.
  2. http://www.karlspreis.de/index.php?id=12&doc=33
  3. [1]
  4. Havel: „Anatomie einer Zurückhaltung.“ (1985, aus dem Tschechischen von Joachim Bruss) In: Dazwischen. Ostmitteleuropäische Reflexionen. Hg. F. Herterich / C. Semler, edition suhrkamp, 1989, S. 34-64, bes. Abschnitt II

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