Walther von Unruh

Walther von Unruh

Walther Rudolf Moritz von Unruh (* 30. Dezember 1877 auf Gut Klein Tillendorf, Landkreis Fraustadt, Provinz Posen; † 16. September 1956 in Bad Berneck im Fichtelgebirge, Landkreis Bayreuth) war ein deutscher Offizier, zuletzt General der Infanterie im Zweiten Weltkrieg.

Inhaltsverzeichnis

Familie

Er entstammte dem Adelsgeschlecht der von Unruh und war der Sohn des preußischen Strafanstaltsdirektors Rudolf von Unruh (1847-1903) und der Amalie von Schweinichen (1849-1938).

Unruh heiratete in erster Ehe am 11. Oktober 1902 in Görlitz Maria Lüders (* 28. November 1879 in Görlitz; † 2. September 1942 in Regensburg), die Tochter des Ingenieurs und königlich preußischen Majors der Landwehr Richard Lüders und der Maria von Stremayr. Aus dieser Ehe stammt Tochter Marga-Maria.

In zweiter Ehe heiratete er am 28. Oktober 1952 in Heidenheim an der Brenz Charlotte Schneck (* 6. Juli 1917 in Stuttgart-Zuffenhausen), die Tochter des Ratsschreibers Wilhelm Schneck und der Martha Belser.

Militärischer Werdegang

Nach einer klassischen Offizierslaufbahn nahm Unruh als Generalstabsoffizier von 1914 bis 1918 am Ersten Weltkrieg teil. Im Range eines Majors wurde ihm am 21. April 1918 der Orden Pour le Mérite verliehen.

1919 fungierte er als Generalstabsoffizier jener Reichswehrtruppen, welche die Münchner Räterepublik niederschlugen. Unruh blieb auch im 100.000-Mann-Heer der Weimarer Republik Offizier und ging 1927 als Oberst in Pension. Zuvor hatte er vom 1. Dezember 1926 bis 28. Februar 1927 noch als Kommandeur des 6. Infanterie-Regiments Dienst getan. 1938 erfolgte seine Reaktivierung im Range eines Generalleutnants. Mitte der dreißiger Jahre hatte er als Funktionär des zwischen 1935 und 1938 existierenden Soldatenbundes gewirkt. Anliegen des Bundes war es, die Wehrfähigkeit der aus dem aktiven Dienst in den sogenannten „Beurlaubtenstand“ tretenden Armeeangehörigen zu sichern beziehungsweise noch zu steigern.

Im Juli 1941 wurde von Unruh zum Generalleutnant befördert und als Stadtkommandant nach Brest geschickt, wo er bis September des selben Jahres blieb, als er als Kommandant des Rückwärtigen Armee-Gebiets in Smolensk für die Moskau-Front wurde.

Die „Unruh-Kommission“

Aufgrund der immensen personellen Verluste der deutschen Wehrmacht nach Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion am 22. Juni 1941 ergab sich schon bald die Notwendigkeit, neue Personalressourcen zu erschließen. Während einer Lagebesprechung mit Franz Halder, dem Generalstabschef des Heeres äußerte Adolf Hitler am 19. April 1942, dass man energisch gegen das Drückebergertum in der Etappe der besetzten Gebiete vorgehen müsse. Diese an sich marginale Aussage nahmen die Militärs zum Anlass, nur wenige Tage später den Generalleutnant Walther von Unruh, zu diesem Zeitpunkt Kommandant des rückwärtigen Armeegebietes 559 der 4. Armee im Bereich der Heeresgruppe Mitte, in das Führerhauptquartier nach Rastenburg zu schicken. Ohne ihn persönlich gesprochen zu haben, ernannte Hitler ihn am 4. Mai 1942 zum Kommandeur eines eigens einzurichtenden Stabes z.b.V. („zur besonderen Verwendung“) im Oberkommando der Wehrmacht (OKW). Zunächst waren seine Kompetenzen auf die Durchforstung abkömmlichen Personals in Wehrmachtsdienststellen und nur regional auf die Reichskommissariate Ostland und Ukraine beschränkt; später wurden die Vollmachten regional ausgedehnt. Nach Auffassung des Propagandaministers Joseph Goebbels war von Unruh der ideale Mann für diese Aufgabe, da er nicht nur Militär, sondern auch überzeugter Nationalsozialist sei. Unterstützt wurde von Unruh auch von der Partei-Kanzlei Martin Bormanns; sein Vertreter im Amt war der Stellvertretende Gauleiter von Oberschlesien und frühere Reichsamtsleiter Albert Hoffmann.

Am 22. November 1942, zufällig dem Tag der Einschließung der 6. Armee bei Stalingrad, wurde Unruh dann zum „Sonderbeauftragten für die Überprüfung des zweckmäßigen Kriegseinsatzes“ nicht nur in der Wehrmacht, sondern ebenso in Partei und Staatsverwaltung ernannt. In der Folgezeit bemühte sich Unruh mit bescheidenem Erfolg, Personal für die Fronttruppen freizusetzen, wobei er sich endlose Auseinandersetzungen mit den jeweiligen Behörden um beinahe jeden einzelnen Mann lieferte. Dieser Aktivität verdankte er den Spitznamen „General Heldenklau“.

Angesichts der immer weiter wachsenden Personenverluste der Wehrmacht musste der Erfolg Unruhs von Beginn an fragwürdig erscheinen. Dies gilt umso mehr, als die Staats- und Parteidienststellen die durch die Freistellung ihres Personals zum Kriegsdienst gerissenen Lücken vornehmlich durch die Beschäftigung von Frauen oder auch Angehörige von Hitler-Jugend und BDM zu schließen versuchten. Damit aber gerieten sie in Konflikt mit Rüstungsminister Albert Speer, der mittels der gleichen Personengruppen die Personalausfälle in der Rüstungsindustrie auszugleichen suchte. Letztlich verliefen sich also die Bemühungen des Generals im polykratischen Kompetenzgerangel des bereits in Auflösung befindlichen „Führerstaates“.

Lebensweg nach 1945

Von Juli 1945 bis Juli 1947 befand von Unruh sich in US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft. 1947 verfasste er für die Historical Division der US-amerikanischen Armee einen Erinnerungsbericht über seine Tätigkeit bei der Organisation des „totalen Krieges“.

In diesem Pamphlet legitimierte er den Zweiten Weltkrieg mit der „zunehmende[n] Volksvermehrung“ [1] und argumentierte indirekt für eine Wiederbewaffnung für einen neuen Krieg gegen die UdSSR – diesmal auf Seite der USA. Unruh stellt sich als von der Bevölkerung geliebter Wohltäter im besetzten Brest dar, dessen Ortskommandant er vom 30. Juli 1941 bis zum Übergang der Stadt in den Zuständigkeitsbereich der Zivilverwaltung am 2. September 1941 war. Zugleich ist der Text mit antisemitischen Seitenhieben gespickt.

1948 wurde Unruh zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt; 1950 wurde das Urteil jedoch wieder aufgehoben.

Auszeichnungen

Literatur

  • Ernst Klee: Walther von Unruh. Eintrag in ders.: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Aktualisierte Ausgabe. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16048-0, S. 636–637.
  • Bernhard R. Kroener: „General Heldenklau.“ Die „Unruh-Kommission“ im Strudel polykratischer Desorganisation (1942-1944). In: Ernst Willi Hansen, Gerhard Schreiber, Bernd Wegner (Hrsg.): Politischer Wandel, organisierte Gewalt und nationale Sicherheit. Beiträge zur neueren Geschichte Deutschlands und Frankreichs. Festschrift für Klaus-Jürgen Müller. R. Oldenbourg, München 1995, ISBN 3-486-56063-8, S. 269–285.
  • Martin Moll (Hg.): „Führer-Erlasse“ 1939 - 1945. Edition sämtlicher überlieferter, nicht im Reichsgesetzblatt abgedruckter, von Hitler während des Zweiten Weltkrieges schriftlich erteilter Direktiven aus den Bereichen Staat, Partei, Wirtschaft, Besatzungspolitik und Militärverwaltung. Stuttgart 1997, ISBN 3-515-06873-2.
  • Dieter Rebentisch: Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945. Steiner Vlg., Stuttgart 1989, ISBN 3515051414.
  • Genealogisches Handbuch des Adels, Adelige Häuser Band A XIX, Seite 485, Band 66 der Gesamtreihe, C. A. Starke Verlag, Limburg (Lahn) 1977.

Einzelnachweise

  1. General der Infanterie a.D. Walter von Unruh: Beitrag zur Kriegsgeschichte. „Ostfeldzug.“ Hisorical Divisions Headquarters. United States Army, Europe. (1947) S. ii.
  2. a b c d e f g h i j k l m n o Rangliste des Deutschen Reichsheeres, Hrsg.: Reichswehrministerium, Mittler & Sohn Verlag, Berlin 1925, S.116

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