Zwangsadoption

Zwangsadoption

Zwangsadoptionen sind Mittel des staatlichen Eingriffs in das Familienleben. Aus verschiedenen politischen Gründen agiert der Staatsapparat mit der Herausnahme von Kindern aus den Herkunftsfamilien und der Fremdplatzierung in Pflegefamilien.

Der Gedanke einer Umerziehung der betroffenen Kinder - sei es aus rassisch/kulturellen oder politischen Motiven - spielt bei der Zwangsadoption eine Rolle. Bei der Durchführung von Zwangsadoptionen handelt es sich um den Missbrauch von staatlicher Gewalt gegenüber dem Bürger. Kennzeichnend für Zwangsadoptionen sind der gezielte Einsatz seelischer Grausamkeiten und psychischer Gewalt gegenüber betroffenen Kindern und Eltern mit der Trennung der bestehenden familiären Bindungen und der anschließenden Ungewissheit über das Schicksal der Familienangehörigen. Bei den rassisch/kulturell motivierten Zwangsadoptionen tritt bei den Kindern zusätzlich zur elterlichen Entfremdung das beabsichtigte Phänomen der kulturellen Entfremdung bei Sprache, Sitten, Glauben und Geschichtsinterpretation auf.

Zwangsadoptionen sind bekannt aus der Zeit des Nationalsozialismus, aus der Geschichte der DDR, aus der Schweiz, aus Australien, Argentinien (siehe Desaparecidos), Kanada und den USA.

Inhaltsverzeichnis

Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus

In Deutschland wurden unter der Ideologie des Nationalsozialismus aus den besetzten Gebieten zur „Eindeutschung rassisch wertvoller Kinder“ aus Frankreich, den Benelux-Staaten, Dänemark und Polen ausgewählte Kinder nach Deutschland entführt und in Pflegefamilien oder in Heime der sogenannten Lebensborn-Organisation platziert. Klassifiziert wurden die Jungen und Mädchen nach sogenannten Ariertabellen der SS. Diese Art der Zwangsadoptionen im Nationalsozialismus haben rassen- und demografiepolitische Hintergründe.

Bei der grenzüberschreitenden Verbringung von Kindern in das Großdeutsche Reich handelt es sich um die Tatbestände von internationaler Kindesentführung, die später in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen eine Verurteilung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit finden.

Literatur

  • Der Spiegel (1997): Kinder für Führer und Stasi, Nr. 25, S. 72–73

Zwangsadoption in der DDR

Zwangsadoptionen waren ein Mittel des staatlichen Eingriffs in das Familienleben als Machtinstrument der DDR. Sie wurden hauptsächlich gegen Familien eingesetzt, die ihre Kinder vernachlässigt haben, aber auch gegen die Familien von Republikflüchtigen und gegen die Familien von politisch andersdenkenden Menschen. Als Gründe für die staatliche Kindesentziehung galten versuchte Republikflucht, staatsfeindliche Hetze oder auch Ausreiseanträge. Dazu wurden Kinder aus ihren Herkunftsfamilien herausgenommen und in Heime oder in Pflegefamilien gegeben. Zwangsadoptionen waren somit ein staatliches Mittel der Repression und Vergeltung. Die DDR-Zwangsadoption wird auch als staatlich organisierter Kindesraub bezeichnet.

1975 wurde der Spiegel-Korrespondent Jörg R. Mettke in Ost-Berlin nach dem Erscheinen von Artikeln zu Zwangsadoptionen in den Heften 51[1] und 52[2] aus der DDR ausgewiesen.

Nach der Wende berichteten Betroffene und Opfer des SED-Regimes, wie sie versucht haben, wieder zueinander zu finden.

Bis zum 3. Oktober 1991 galt im Einigungsvertrag mit Beginn der Deutschen Wiedervereinigung eine einjährige Antragsfrist zum Rückgängigmachen der Zwangsadoptionen. Zur Abwicklung dieser Vorfälle wurde eine Clearingstelle beim Berliner Senat eingerichtet.

Der Deutsche Bundestag wird 1997 vom Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR im Bezug auf Zwangsadoptionen wie folgt unterrichtet:

Im Zusammenhang mit Familienzusammenführungen sind auch zahlreiche Unterlagen über „Zwangsadoptionen“ erschlossen worden. Dabei geht es vor allem um Kinder, deren Eltern in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt sind und die danach öffentlichkeitswirksam eine Übersiedlung ihrer Kinder erreichen wollten.[3]

Adoptionen gegen den Elternwillen in der Bundesrepublik

In der Bundesrepublik Deutschland kann der Wille eines Elternteiles im Bezug auf die Zustimmung zu einer Kindesadoption ersetzt werden. Von Zwangsadoption wird in diesem Falle nicht gesprochen. Voraussetzung sind ein zu erwartendes familiäres Verhältnis zwischen dem Kind und seinen Adoptiveltern und die Annahme des hiermit einhergehenden Kindeswohls. Solchen Adoptionen sind aufgrund der grundrechtlichen Regelung aus Artikel 6 des Grundgesetzes besondere Grenzen gesetzt. [4]

Siehe auch

Fall Görgülü

Literatur

  • Ines Veith: Gebt mir meine Kinder zurück. Zwangsadoptionen in der ehemaligen DDR. (Schicksale und Horizonte), Goldmann, 1991 ISBN 3-442-12388-7
  • Fiebig, Elke: Die rechtliche Bewältigung politisch motivierter Sorgerechtsentziehungen und Zwangsadoptionen. Zentralblatt für Jugendrecht, Jg. 82, 1995, Nr. 1, S. 16-20
  • Raack, Wolfgang: Der Einigungsvertrag und die sog. Zwangsadoption in der ehemaligen DDR. Zentralblatt für Jugendrecht, Jg. 78, 1991, Nr. 9, S. 449-451

Zeitungsartikel

  • "Zwangsadoptionen pervers." Kohl dringt auf Suche nach Verantwortlichen der Ex-DDR. Frankfurter Rundschau, Nr. 119, 25. Mai 1991, S. 1
  • Freigekaufte Eltern, entfremdete Kinder. Frankfurter Rundschau, Nr. 119, 25. Mai 1991, S. 3
  • Zwangsadoption in der ehemaligen DDR. Die Tageszeitung, Nr. 3412, 24. Mai 1991, S. 6
  • DDR-Regierung veranlaßte Zwangsadoption von Kindern. Der Tagesspiegel, Nr. 13879, 24. Mai 1991, S. 1
  • Inhumanität. Die Aufdeckung von Zwangsadoptionen in der DDR. Die Tageszeitung, Nr. 3413, 25. Mai 1991, S. 10
  • Strafanträge gegen Margot Honecker. Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Zwangsadoptionen nicht von sich aus. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 120, 27. Mai 1991, S. 6
  • Zwangsadoption - sogar noch nach der Wende. Welt, Nr. 121, 28. Mai 1991, S. 3
  • Ostdeutscher Amtsleiter angezeigt. Erster Strafantrag wegen Zwangsadoption in der DDR. Süddeutsche Zeitung, Nr. 121, 28. Mai 1991, S. 2
  • Der Raub der Kinder und die Höllenqualen der Mütter. Welt, Nr. 122, 29. Mai 1991, S. 2
  • Lebenswege - vom Staat für immer getrennt. Zwangsadoptionen in der DDR: "Wie wenn man gegen eine Mauer rennt". Süddeutsche Zeitung, Nr. 128, 6. Juni 1991, S. 3
  • Zwangsadoptionen auf Weisung Frau Honeckers. Frankfurter Rundschau, Nr. 128, 6. Juni 1991, S. 28
  • Mit Hilfe des Asozialen-Paragraphen Eltern die Kinder Entzogen. Der Tagesspiegel, Nr. 13890, 6. Juni 1991, S. 9
  • Meister im Weggucken. Aktenfunde bestätigen was Ost- wie West-Politiker jahrzehntelang geleugnet haben. Der Spiegel, Nr. 23, 3. Juni 1991, S. 112 u.113
  • Sieben Zwangsadoptionen aus politischen Gründen: Direkte Weisung Margot Honeckers bisher nicht gefunden. Berliner Zeitung, Nr. 46, 24. Februar 1993, S. 15
  • Politische Zwangsadoption. Frankfurter Rundschau, Nr. 224, 26. September 1991, S. 4
  • Zwangsadoptionen seltener als befürchtet. In sieben Fällen politische Motive. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 48, 26. Februar 1993, S. 4
  • Nach 20 Jahren: Mutter findet Tochter wieder. Nach Zwangsadoption 1984 gab es jetzt ein Familien-Happyend in Jena. Berliner Kurier, 8. März 2004.
  • DDR-Regime raubte ihr die Kinder. Jahrelang musste eine Mutter warten, bis Honecker ihre Töchter gehen ließ. Berliner Morgenpost, S. 20, 4. Oktober 2006.
  • Verharmlosung der DDR hat System. Ehemalige Funktionäre und PDS-Mitglieder fordern den Bundestag auf, öffentlich das SED-Unrecht als geringfügig einzustufen. Berliner Morgenpost, Die Welt, 7. Dezember 2006.

Filmische Aufarbeitung

  • Geraubte Kinder – Zwangsadoptionen in der DDR. Film von Mica Stobwasser und Natascha Tillmann (2001)
  • Mütter ohne Kinder – Kindesraub in der DDR, MDR, Ein Fall für Escher, Sendung vom 25. Dezember 2003.[5]
  • Die Mauer - Berlin '61. WDR-Fernsehfilm aus 2006, Regie: Hartmut Schoen, Schauspieler u.a. Heino Ferch, Inka Friedrich, Frederick Lau, Iris Berben.
  • Rabeneltern. Film von Hans-Dieter Rutsch, begleitende Dokumentation zum Fernsehfilm "Die Mauer - Berlin 61".
  • Die Frau vom Checkpoint Charlie, Fernsehfilm 2007
  • Jenseits der Mauer, Fernsehfilm 2009 mit Katja Flint und Edgar Selge
  • Trennung von Staats wegen, ARD-Dokumentation 2009

Weblinks

Schweiz

Von 1926 bis 1972 wurden von Schweizer Behörden etwa 2000 vorwiegend jenische Kinder zwangsweise von ihren Eltern getrennt und in Pflegefamilien, Heimen oder als Verdingkinder untergebracht. Zweck war es, alle Kinder aus fahrenden Familien zu sesshaften Bürgern zu erziehen und somit die traditionelle Lebensweise der Jenischen und anderer Fahrender in der Schweiz mittelfristig auszumerzen. Eine besondere Rolle spielte dabei das Hilfswerk Kinder der Landstrasse, das im genannten Zeitraum allein über 600 Pflegschaften übernahm. Den Betroffenen wurden unterdessen Entschädigungen gezahlt, doch erfolgte bisher keine juristische Aufarbeitung der Aktion.

Literatur

Filmische Aufarbeitung

Weblinks

Australien

Die Zwangsadoptionen in Australien haben rassen- und demografiepolitische Hintergründe. Seit Anfang des 20 Jahrhunderts wurden Aborigines-Kinder zwangsweise ihren Eltern weggenommen, in Pflegefamilien platziert und in Missionsschulen zu „weißen Werten“ umerzogen. Offiziell sollte es sich dabei nur um Mischlingskinder handeln. Diese Ereignisse und diese Kinder werden mit dem Schlagwort „Stolen Generation“ bezeichnet. Zwangsadoptionen sind hier Bestandteil der staatlichen Assimilierungspolitik.

Filmische Aufarbeitung

  • Long Walk Home. Originaltitel: Rabbit-Proof Fence. Filmdrama aus dem Jahr 2002 basierend auf dem Buch Follow the rabbit-proof fence von Doris Pilkington.

Weblinks

USA und Kanada

Die Zwangsadoptionen in Kanada in den USA haben rassen- und demografiepolitische Hintergründe. Von 1879 bis 1970 wurden Kinder auf Anordnung der US-Regierung und der kanadischen Regierung aus indianischen Herkunftsfamilien herausgenommen und in Pflegefamilien zwangsadoptiert oder in Umerziehungsheime gesteckt. Diese Vorgänge wurden unter anderem als „kultureller Völkermord“ bezeichnet. Zwangsadoptionen sind hier Bestandteil der staatlichen Assimilierungspolitik.

Filmische Aufarbeitung

  • Foster Child. Film von Gil Cardinal, 1987
  • Wir sind Indianer / Voyage en mémoires indiennes. Dokumentarfilm von Jo Béranger und Doris Buttingnol (2001)

Siehe auch

Weblinks

Argentinien

In Argentinien waren Zwangsadoptionen durch staatlichen Eingriff ein Mittel in das Familienleben politische Gegner zu zerstören. Zur Zeit der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 wurden Kinder der verschwundenen und inhaftierten Regimegegner und Kritiker ihren Eltern weggenommen und zur Adoption freigegeben.

Filmische Aufarbeitung

  • 1998 Por esos ojos (Mit diesen Augen). Film von Gonzalo Arijon, Uruguay
  • 2001 Vidas Privadas. Film von Fito Páez mit Cecilia Roth
  • 2001 Mariana - geraubt und adoptiert Gestohlene Kindheit. Ein Film von Gonzalo Arijon und Virginia M. Vargas

Literatur

Argentinien: Das gestohlene Mädchen. Wer ist Claudia Poblete? - GEO Nr. 9/07

Weblinks

Spanien

In Spanien soll es zur Zeit der Franco-Diktatur etwa 300.000 sogenannte irreguläre Adoptionen gegeben haben.[6]

Quellen

  1. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41343377.html
  2. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41376612.html
  3. Deutscher Bundestag: Drucksache 13/8442 vom 29. Oktober 1997. Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Dritter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik – 1997. Teilbestand Zentrale Koordinierungsgruppe, Übersiedlung in die Bundesrepublik und das Ausland (ZKG).
  4. Zwangsadoption in rechtstipps.net
  5. „Mütter ohne Kinder – Kindesraub in der DDR.“
  6. „Die "geraubten Kinder" in Spanien fordern Aufklärung“

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