- Lebensborn
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Der Lebensborn e. V. war im nationalsozialistischen Deutschen Reich ein von der SS getragener, staatlich geförderter Verein, dessen Ziel es war, auf der Grundlage der nationalsozialistischen Rassenhygiene und Gesundheitsideologie die Erhöhung der Geburtenrate „arischer“ Kinder auch aus außerehelichen Beziehungen herbeizuführen. Dies sollte durch anonyme Entbindungen und Vermittlung der Kinder zur Adoption – bevorzugt an Familien von SS-Angehörigen – erreicht werden.
Der Lebensborn war daneben mitverantwortlich für die Verschleppung von Kindern in den von Deutschland besetzten Gebieten. Falls diese im Sinne der NS-Rassenideologie als „arisch“ galten, wurden sie unter Verschleierung ihrer Identität in Lebensborn-Heimen im Deutschen Reich untergebracht. Das letztendliche Ziel war die Adoption durch parteitreue deutsche Familien. So wurden von den 98 Vollwaisen infolge des Lidice-Massakers 13 für den Lebensborn selektiert, während die anderen ins Vernichtungslager Kulmhof deportiert und dort vergast wurden.[1]
Ideologische Grundlagen
Der Name leitet sich von dem nur noch in Ortsnamen und in der Dichtkunst erhaltenen, sehr alten deutschen Wort „Born“ für „Brunnen, Quelle“ ab;[2] er bedeutet daher etwa „Lebensbrunnen“ oder „Lebensquelle“.
Der „Lebensborn e. V.“ war ein Projekt Heinrich Himmlers, das sich vor allem an den beiden wichtigsten bevölkerungspolitischen Grundsätzen des Nationalsozialismus orientierte:
- Rettung der „nordischen Rasse“ vor dem (angeblich) durch Geburtendefizite bedingten drohenden Untergang mittels Steigerung der Geburtenrate
- Qualitative Verbesserung des Nachwuchses unter „Zuchtkriterien“ im Sinne der nationalsozialistischen Rassenhygiene („Euthanasie“, Zwangssterilisation, Heiratsverbote etc.)
- Mit dem Ziel der Züchtung des „Adels der Zukunft“[3]
Der „Lebensborn e. V.“ war um die Umsetzung dieser Grundsätze im Bereich der Mütterfürsorge bemüht, was durch Einrichten von Heimen für die anonyme Entbindung geschah. Das offizielle zentrale Anliegen war die Vermeidung von Abtreibungen und damit die Erhöhung der Geburtenrate, jedoch keineswegs im Sinne einer humanistischen Moral, sondern im Sinne der „neuen Moral“ einer aktiven, rassistisch bestimmten nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik. Entsprechend der nationalsozialistischen Rassenhygiene wurden in den Heimen zumindest anfänglich nur ledige Mütter aufgenommen, die selbst und bezüglich ihres Nachwuchses den strengen „rassenhygienischen“ Ansprüchen von SS-Bewerbern entsprachen.
Geschichte und Organisation
Geburtenrate und NS-Maßnahmen
Nach dem Ersten Weltkrieg war, bedingt durch den Frauenüberschuss von 2 Millionen, die Geburtenrate in Deutschland stark gesunken. In keinem anderen Industrieland gab es einen vergleichbaren Einbruch in der Geburtenstatistik.
Allerdings hatte sich der Frauenüberschuss nach Erhebungen des Statistischen Reichsamtes bis 1933 ausgeglichen.[4]
Der „Reichsführer-SS“ und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler legte unter Missachtung dieser Daten nach Erhebungen des „Hauptamtes für Volksgesundheit“ andere Zahlen vor und bezog sich hauptsächlich auf die damals bei Strafe verbotenen Schwangerschaftsabbrüche, die zu einem Geburtenrückgang führten. In einem Brief an Wilhelm Keitel aus dem Jahre 1940 schätzte er die Zahl der jährlichen Abtreibungen auf bis zu 600.000, die dem Deutschen Reich als Nachwuchs verloren gingen. Ebenso seien „jährlich Hunderttausende wertvoller Mädchen und Frauen Opfer heimlicher, häufig steril machender Abtreibung. … Das Ziel, jedoch, deutsches Blut zu schützen, ist auf das Höchste verpflichtend.“[5]
Um Anreize für mehr Geburten zu bieten, gründete die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt zunächst im März 1934 das „Hilfswerk Mutter und Kind“, das mehr als die Hälfte des gesamten Spendenaufkommens des Winterhilfswerks erhielt. Das „Deutsche Institut für Jugendhilfe e. V.“ betreute uneheliche Kinder, deren Väter die Alimente verweigerten. Eheschließungen wurden mit Darlehen in Form von Bedarfsdeckungsscheinen für Möbel und Hausrat bis zu 1.000 RM gefördert.
Auch die Einrichtung des „Lebensborn e. V.“ als konkurrierende SS-eigene, Himmler direkt unterstellte Organisation sollte die Geburtenrate steigern und ledige Mütter zum Austragen der Kinder bewegen. Himmler rechtfertigte in seinem Brief an Keitel die Existenz von Lebensborn und forderte eine finanzielle Unterstützung durch die Wehrmacht. So würden „allein durch diese bevölkerungspolitische Maßnahme in 18 bis 20 Jahren 18 bis 20 Regimenter mehr marschieren.“[5]
Vereinsgründung und Satzung
Der Verein Lebensborn e. V. wurde am 12. Dezember 1935 auf Veranlassung Himmlers in Berlin gegründet, der darin von Verschuer beraten wurde. Die Organisation war als eingetragener Verein rechtlich selbständig, um als juristische Person Eigentumsrechte an Heimen usw. erwerben und auch Nicht-SS-Angehörigen den Beitritt ermöglichen zu können. Organisatorisch blieb der Verein jedoch der SS unterstellt. Himmler war Präsident. Finanziert wurde die Organisation durch Zwangsbeiträge der SS-Angehörigen. Kinderlose hatten die höchste Abgabe zu entrichten, ab vier Kindern (ehelich oder unehelich) endete die Beitragspflicht. Diese Maßnahme sollte SS-Angehörige anregen, ihren „völkischen Verpflichtungen“ bezüglich Nachwuchsförderung nachzukommen.
Am 15. August 1936 eröffnete der Lebensborn e. V. sein erstes Heim „Hochland“ in Steinhöring bei Ebersberg in Oberbayern. Das Heim verfügte anfangs über 30 Betten für Mütter und 55 für Kinder. Bis 1940 verdoppelte sich die Bettenzahl.
Geschäftsführer des Lebensborn e. V. war zunächst SS-Sturmbannführer Guntram Pflaum und ab dem 15. Mai 1940 bis Kriegsende SS-Standartenführer Max Sollmann; ärztlicher Leiter war von Anfang an SS-Oberführer Dr. med. Gregor Ebner.
Aufnahmebedingungen
Frauen, die sich um Aufnahme bewarben, sollten laut Satzung des Lebensborn e. V. „in rassischer und erbbiologischer Hinsicht alle Bedingungen erfüllen, die in der Schutzstaffel allgemein gelten“. Entsprechend mussten die Frauen die gleichen Anforderungen erfüllen wie jeder SS-Bewerber bei der Aufnahme in die SS und bei der Heirat:
- Vorzulegen war der „Große Abstammungsnachweis“, umgangssprachlich „Ariernachweis“, mit dem Nachweis der Vorfahren bis zum 1. Januar 1800, wie es für die NSDAP und ihre Untergliederungen galt.
- Ein „Erbgesundheitsbogen“ mit Angaben über mögliche erbliche Belastungen in der Familie war auszufüllen.
- Ein „ärztlicher Untersuchungsbogen“ zum Nachweis der Gesundheit und zur „rassischen Beurteilung“ fasste die Untersuchungen durch SS-Ärzte, später wegen Ärztemangels auch durch andere zugelassene Ärzte, zusammen.
- Die Bewerberin musste einen Fragebogen zur Person, mit Fragen nach Beruf, Krankenversicherung, Parteizugehörigkeit, Heiratsabsicht usw., ausfüllen, dazu einen handgeschriebenen Lebenslauf mit Lichtbildern vorlegen.
- Unverheiratete werdende Mütter hatten außerdem eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, dass der angegebene Mann der Vater des Kindes sei.
Sämtliche Unterlagen musste gleichfalls der werdende Vater einreichen. Ausgenommen waren SS-Angehörige nur, wenn die Heiratsgenehmigung für die Mutter bereits vom Rasse- und Siedlungshauptamt erteilt worden war.
Im Laufe des Krieges wurden die Aufnahmekriterien reduziert, so dass schließlich etwa 75% der Anträge bewilligt wurden. Da die Heime abgeschieden lagen und daher nicht bombardiert wurden, ließen dort auch viele Ehefrauen von SS-Mitgliedern entbinden.
Betreuung in den Heimen
Als SS-eigene Organisation konnte der Lebensborn Entbindungen geheimhalten. Eigene Standesämter und polizeiliche Meldeämter in den Lebensborn-Heimen durften eine erfolgte Geburt nicht an die Heimatgemeinde der ledigen Mutter weitermelden.
War die Aufnahme bewilligt, konnte die Frau die Zeit der Schwangerschaft, auf Wunsch auch weit entfernt vom Heimatort, bis einige Wochen nach der Geburt des Kindes in einem Heim des „Lebensborn e. V.“ zubringen. Bei ledigen Müttern übernahm der „Lebensborn e. V.“ die Vormundschaft. Die Neugeborenen wurden in einem eigenen Zeremoniell mit einer Mischung aus pseudochristlichen, nationalsozialistischen und germanischen Riten unter Auflegung eines silbernen SS-Dolches unter der Hakenkreuzfahne „getauft“. Als Geschenk erhielten sie einen im KZ Dachau gefertigten Kerzenleuchter.[6]
Die Lebensborn-Heime waren während des Krieges beliebt, weil sie meist außerhalb von Bomberangriffen bedrohter Gebiete lagen und besser versorgt wurden. Dank guter ärztlicher Betreuung meldeten sich immer mehr Ehefrauen von SS-Führern in den Heimen nur für die Entbindung an. Gegen Kriegsende lebten dort etwa gleich viele ledige Mütter wie Frauen von SS-Angehörigen. Zwischen den beiden Gruppen kam es verschiedentlich zu erheblichen Spannungen.
Kinderverschleppung
Infolge des Krieges wuchs die „arische Elite“ nur mäßig. Daher befahl Himmler, jedes „arisch“ aussehende, blonde und blauäugige Kind in den besetzten Gebieten wie Polen, Frankreich und Jugoslawien zwecks „Eindeutschung“ zu entführen. Diese Kinder wurden vom Lebensborn aufgenommen und an verschiedene Pflegestellen oder zur Adoption vermittelt. Sie erhielten einen neuen Namen und durften nur noch deutsch sprechen, um ihre Muttersprache zu vergessen. Falls sie nicht den Kriterien nach den „Ariertabellen“ entsprachen, wurden sie in ein Vernichtungslager abgeschoben.[6]
Während der Besetzung Jugoslawiens wurden Kinder slowenischer Widerstandskämpfer unter anderem nach Saldenburg, Kastl (Lauterachtal) und Neustift bei Vilshofen (Gemeinde Ortenburg) verschleppt. Diese Kinder wurden unter Zwang von ihren Familien getrennt und aus Slowenien über Bayern (Franken) verteilt. Diese Maßnahme diente nicht nur als Vergeltung, sondern auch dazu, die Lebensborn-Heime mit „arisierbaren“ Kindern aufzufüllen.[7][8]
Lebensborn-Heime
Viele Lebensborn-Heime wurden in enteigneten jüdischen Anwesen eingerichtet. Manche kamen auch als Schenkungen zum Verein.
Heime in Deutschland in den Grenzen von 1937
- „Pommern“ in Bad Polzin, heute Polen, (1938 – Februar 1945) – 60 M / 75 K
- „Hochland“ in Steinhöring bei Ebersberg (1936 – April 1945) – bei Einrichtung: 50 Betten für Mütter (M) und 109 für Kinder (K)
- „Harz“ in Wernigerode (Harz) (1937) – 41 M / 48 K
- „Kurmark“ in Klosterheide (Mark) (1937) – 23 M / 86 K
- „Friesland“ auf dem Gut Hohehorst in Löhnhorst (heute Schwanewede im Landkreis Osterholz) bei Bremen (1937 – Januar 1941) 34 M / 45 K
- Kinderheim „Taunus“ in Wiesbaden (1939 – März 1945) – 55 K
- „Kriegsmütterheim“ in Stettin, heute Polen (1940)
- Kinderheim „Sonnenwiese“ in Kohren-Sahlis bei Leipzig (1942) – 170 K
- „Schwarzwald“ in Nordrach (Baden) (1942)
- Kinderheime „Franken“ I und II in Schalkhausen bei Bocksberg (Kreis Ansbach) (1944)
- Villa der Familie Mann in München, Poschinger Straße (Zentrale des „Lebensborn“ von Dezember 1937 bis Dezember 1938)
Bis zum 31. Dezember 1939 wurden in den Heimen etwa 770 nichteheliche Kinder geboren, davon befanden sich noch 354 in Lebensborn-Heimen.
Heime im Gebiet des heutigen Österreichs
- Heim „Ostmark“, später unbenannt in Heim „Wienerwald“ in Feichtenbach, einer Katastralgemeinde von Pernitz (Niederösterreich) – 49 M / 83 K, in dem im April 1938 „arisierten“ ehemaligen Sanatorium Wienerwald
- „Alpenland“ im Schloss Oberweis bei Gmunden (Oberösterreich) (1943)
- Ein ehemaliges Kinderheim in Neulengbach bei St. Pölten (Niederösterreich), das jedoch nie als Lebensborn-Heim genutzt, sondern an die Wehrmacht weitervermietet wurde
Heim im Gebiet des heutigen Polens
- „Heimstätt“ in Smoszewo/Regierungsbezirk Zichenau (April–Juli 1944) – 22 Holzhäuser für ledige Mütter
Luxemburg
- Kinderheim „Moselland“ in Bofferdingen bei Luxemburg (Sommer 1943 – September 1944)
Belgien
- „Ardennen“ in Wegimont bei Lüttich (1943 – September 1944) – 30 M
Aufnahme fanden, dem Militärverwaltungschef Belgien/Nordfrankreich zufolge, „werdende Mütter sog. germanischen Blutes…, die von reichsdeutschen Wehrmachtsangehörigen oder fremdländischen Angehörigen deutscher Hilfsorganisationen (Waffen-SS, Wallonische (SS-) Legion, Flämische SS, NSKK und dgl.), die sog. germanischen Blutes sind“ ein Kind erwarteten. Stillschweigend war der Lebensborn in Belgien offenbar dazu übergangen, auch rein ausländische Kinder zu betreuen, deren Mütter und Väter keine deutschen Staatsangehörigen waren.
Frankreich
Niederlande
- „Gelderland“ in Nimwegen – 60 M / 100 K (Heim nicht mehr in Betrieb genommen)
Norwegen
- „Heim Geilo“ (1942) – 60 M / 20 K
- Kinderheim „Godthaab“ bei Oslo (1942) – 165 K (im Oktober 1943 mit 250 Kindern zwischen 3 Monaten und 4 Jahren belegt)
- „Heim Hurdalsverk“ (1942) – 40 M / 80 K
- „Heim Klekken“ (1942)
- „Heim Bergen“ in Hop bei Bergen (1943) – 20 M / 6 K
- Kinderheim „Stalheim“ (1943) – 100 K
- „Stadtheim Oslo“ (1943) – 20 M / 6 K
- „Stadtheim Trondheim“ (1943) – 30 M / 10 K
- „Heim Os“ bei Bergen – 80 K (Heim nicht mehr in Betrieb genommen)
Im Laufe des Kriegs wurden insgesamt 200-250 norwegische Kinder in fünf Lufttransporten in die Heime Kohren-Sahlis, Hohehorst und Bad Polzin gebracht. Sie wurden entweder von ihren Vätern aufgenommen oder kamen in Pflege, mit dem Ziel einer späteren Adoption.
Bis zum 30. September 1944 wurden 6.584 Norwegerinnen, manche Quellen sprechen von etwa 8.000 Norwegerinnen,[9] in die dortigen völlig überbelegten Lebensborn-Entbindungsheime aufgenommen. Bis zum Ende der deutschen Besatzung wurden in den Heimen ungefähr 12.000 Kinder geboren.[6] Die Frauen wurden nach Kriegsende mit der offiziellen Begründung, man wolle mögliche Geschlechtskrankheiten eindämmen, zuerst interniert.[9] Für die spätere Diskriminierung dieser tyskerbarna („Deutschenkinder“) und ihrer Mütter, die man abwertend als tyskertøser (etwa: „Deutschenflittchen”) bezeichnete, entschuldigte sich der norwegische Ministerpräsident Kjell Magne Bondevik im Jahre 1998.
Geburtenstatistik (außer Norwegen)
- 31. Dezember 1939 1.571 (Lebendgeburten insgesamt) – davon ungefähr 770 unehelich geborene Kinder
- 31. Dezember 1940 2.400
- 1. April 1942 3.477
- 30. September 1943 5.000
- 11. Mai 1945 insgesamt 7.000–8.000 – davon knapp 5.000 unehelich geborene Kinder
- 11. Mai 1945 Heim „Hochland“ insgesamt 1.438
Prozess gegen das SS-Rasse- und Siedlungshauptamt
In Steinhöring, dem ersten Lebensborn-Heim, endete auch das Projekt Lebensborn. Als die amerikanischen Truppen anrückten, verbrannten die Angestellten die Originalpapiere und ließen die aus allen Heimen hierher evakuierten Kinder zurück. Bei vielen Kindern konnte die Identität nicht geklärt werden.
Im Nürnberger Justizgebäude wurde vor einem US-Militärgericht im Rahmen des so genannten RuSHA-Prozesses vom 1. Juli 1947 bis 10. März 1948 gegen 14 Beschuldigte verschiedener SS-Hauptämter verhandelt, darunter auch gegen vier ehemalige führende Funktionäre des Lebensborn e. V.. In den Anklagepunkten, die sich auf ihre Tätigkeit im Lebensborn begründeten, wurden alle Angeklagten freigesprochen. Ihre aktive Rolle bei der Verschleppung und Zwangsadoptionen von etwa 250 osteuropäischen Kindern,[10]ebenso wie ihre Beteiligung an der Tötung behinderter Kinder wurde erst später bekannt.[11]
In der Urteilsbegründung hieß es unter anderem:
„Aus dem Beweismaterial geht klar hervor, daß der Verein Lebensborn, der bereits lange vor dem Krieg bestand, eine Wohlfahrtseinrichtung und in erster Linie ein Entbindungsheim war. Von Anfang an galt seine Fürsorge den Müttern, den verheirateten sowohl wie den unverheirateten, sowie den ehelichen und unehelichen Kindern. Der Anklagevertretung ist es nicht gelungen, mit der erforderlichen Gewißheit die Teilnahme des Lebensborn und der mit ihm in Verbindung stehenden Angeklagten an dem von den Nationalsozialisten durchgeführten Programm der Entführung zu beweisen […] Der Lebensborn hat im allgemeinen keine ausländischen Kinder ausgewählt und überprüft. In allen Fällen, in denen ausländische Kinder von anderen Organisationen nach einer Auswahl und Überprüfung an den Lebensborn überstellt worden waren, wurden die Kinder bestens versorgt und niemals in irgendeiner Weise schlecht behandelt. Aus dem Beweismaterial geht klar hervor, daß der Lebensborn unter den zahlreichen Organisationen in Deutschland, die sich mit ausländischen nach Deutschland verbrachten Kindern befassten, die einzige Stelle war, die alles tat, was in ihrer Macht stand, um den Kindern eine angemessene Fürsorge zuteil werden zu lassen und die rechtlichen Interessen der unter seine Obhut gestellten Kinder zu wahren.“
Wahrnehmung in der Öffentlichkeit
Da die deutschen Lebensborn-Heime streng abgeschottet waren, entstanden bereits in der NS-Zeit Gerüchte über den Lebensborn als Ort des Lasters, über Paarungszwang und Pornographie. Nach dem Untergang der Nazidiktatur wurden in Büchern und einigen Filmen (u. a. „Lebensborn“, BRD 1961, „Pramen Života/Der Lebensborn“, Tschechien 2000) die Gerüchte von den „Zuchtfarmen der SS“ weiter tradiert, wonach sich „fanatische BDM-Mädchen“ von „reinrassigen SS-Zuchtbullen“ hätten begatten lassen, um „reinrassigen“ Nachwuchs zu zeugen.
Zwar erwiesen sich die Gerüchte, die Lebensborn-Heime seien SS-Bordelle gewesen, als haltlos, nicht aber die Tatsache, dass dort ledige Mütter Aufnahme fanden, die „den Zuchtkriterien der SS entsprachen“[12] und meist ein Kind von einem SS-Mann erwarteten. Verheiratete Mitglieder der SS wurden geradezu aufgefordert, ihrer „völkischen Verpflichtung“ nachzukommen und auch außerehelichen Kontakt mit hoch gewachsenen blonden „arischen“ Frauen zu pflegen, um erbgesunde Kinder zu zeugen, im Sinne der Zucht einer „Herrenrasse“. Sobald sie sich als Vater bekannt hatten und vier eheliche oder uneheliche Kinder gezeugt hatten, wurden sie vom finanziellen Beitrag für Lebensborn befreit.[6] Die Schwangeren hatten in diesen Heimen Privilegien, konnten anonym gebären und anschließend das Kind adoptieren lassen. Es wurde auch weiterhin für die Frauen gesorgt, die häufig in einem Lebensborn-Kinderheim als Pflegepersonal blieben. Dies galt jedoch nicht, wenn sie ein behindertes Kind zur Welt gebracht hatten. Diese Kinder wurden als „lebensunwert“ in Tötungsanstalten ermordet, und die Mütter verloren alle Privilegien.[11] Denn natürlich kamen in den Lebensborn-Heimen auch behinderte Kinder zur Welt, die in der Geburtenstatistik zumeist nicht genannt wurden. Oftmals genügte eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, damit sie aus den Heimen entfernt wurden. Das einzige bekannte Dokument dazu lieferte der Heimleiter des Heimes Wienerwald, Dr. Norbert Schwab. Er schreibt von einer Überstellung eines behinderten Mädchens in die Reichsanstalt Am Spiegelgrund, die „im Sinne einer Ausmerze tätig“ sei.
Selbsthilfegruppen der Kriegs- und Lebensborn-Kinder
Viele Kinder deutscher Soldaten sowie die Kinder aus Lebensborn-Heimen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in den befreiten Staaten gemieden oder im Unklaren über ihre Herkunft gelassen. Auch in Deutschland wurden solche Informationen über Lebensborn-Kinder verschleiert. Die Kindergeneration hat deshalb Selbsthilfegruppen zur Aufklärung ihres Schicksals in Norwegen, Dänemark und Deutschland gebildet (siehe Weblinks). Erhalten gebliebene Akten und Dokumente des Lebensborn werden vom Internationalen Suchdienst verwaltet.
Ausstellung
Dokumentations- und Lernort Baracke Wilhelmine in Schwanewede-Neuenkirchen mit einer Sonderausstellung zum Thema „Lebensborn“ und zum Lebensborn-Heim in Schwanewede-Löhnhorst.[13]
Siehe auch
- Ulrich Greifelt (dort Verweis auf seinen Erlass zum Raub polnischer Kinder)
- Erziehung im Nationalsozialismus
- Willibald Hentschel
Literatur
- Fachliteratur oder Dokumentarberichte
- Kjersti Ericsson, Eva Simonsen (Hrsg.): Children of World War II: the hidden enemy legacy. Erstausg., Berg, Oxford u. a. 2005, ISBN 1-84520-207-4. (engl.; Aufsatzsammlung; mehrere Beiträge zum Thema „Lebensborn“)
- Gisela Heidenreich: Das endlose Jahr. Die langsame Entdeckung der eigenen Biographie. Ein Lebensbornschicksal. 4. Aufl., Scherz, Bern 2002, ISBN 3-502-18315-5; & Fischer-TB, Frankfurt 2004, Reihe Tabu 160278, ISBN 3-596-16028-6. (Die berührende Spurensuche eines „Lebensbornkindes“ in historischem Kontext.)
- Volker Koop: Dem Führer ein Kind schenken. Die SS-Organisation „Lebensborn“ e. V.. Böhlau, Köln 2007 ISBN 978-3-412-21606-1
- Annegret Lamey: Kind unbekannter Herkunft: Die Geschichte des Lebensbornkindes Hannes Dollinger Wißner, Augsburg 2008, ISBN 978-3-89639-644-0
- Georg Lilienthal: Der „Lebensborn e.V." Ein Instrument nationalsozialistischer Rassenpolitik. Neuausg., Fischer-TB, Frankfurt 2003, ISBN 3-596-15711-0. (Standardwerk, Ersterscheinungsjahr 1985)
- Kåre Olsen: „Vater: Deutscher.“ Das Schicksal der norwegischen Lebensbornkinder und ihrer Mütter von 1940 bis heute. Campus, Frankfurt 2002, ISBN 3-593-37002-6
- Dorothee Schmitz-Köster: Deutsche Mutter, bist Du bereit… Alltag im Lebensborn. 5. Aufl., Aufbau-Taschenbuch-Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-7466-8094-8. (Einfühlsame Zeitzeugeninterviews mit ehemaligen Lebensbornmüttern und -kindern, Schwestern, Hebammen und Heimleitern.)[11]
- dies.: Kind L 364. Eine Lebensborn-Familiengeschichte. 2.Aufl., Rowohlt-Berlin, Berlin 2007, ISBN 978-3-87134-564-7 (Familiengeschichte über das Verschweigen, politische Irrwege, über Profiteure und deren Opfer, über Massenmörder, die gleichzeitig liebevolle Väter sein können.)
- dies.: Deutsche Mutter, bist Du bereit … Der Lebensborn und seine Kinder. Erweiterte Neuauflage, Aufbau-Taschenbuch-Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-7466-7085-0. (Erweitert durch Lebensbornkinder-Biografien, Namen und Fakten zu „Heim Friesland“)
- Claudia Sandke: Der Lebensborn e.V. Eine Darstellung der Aktivisten des Lebensborn e.V. im Kontext der nationalsozialistischen Rassenideologie. 2008.
- Thomas Bryant: Himmlers Kinder. Zur Geschichte der SS-Organisation "Lebensborn e.V." 1935-1945. Marix Verlag, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-86539-265-7.
- Belletristik
- Rebecca Abe: Das Gedächtnis der Lüge, Skalding, Ebersdorf 2008, ISBN 978-3-940695-02-4
- Will Berthold: Lebensborn. Roman aus Deutschlands dunkler Zeit, Piper, München 1958
- Nancy Huston: Lignes de faille, Actes Sud, Arles & Leméac, Montreal 2007, ISBN 978-2-7427-6936-0,
- deutsch Ein winziger Makel. Roman, Rowohlt, Reinbek 2008, ISBN 978-3-498-02992-0; TB ebd. 2009 ISBN 3-499-24990-1
- Judith Kuckart: Die schöne Frau. Roman, Fischer, Frankfurt 1994, ISBN 3-10-041216-8
- Sara Young: My Enemy’s Cradle. Houghton Mifflin Harcourt, Orlando (Florida) 2008 ISBN 0-15-101537-6 HC & Harvest, Paperback, 2008 ISBN 0-15-603433-6 (englisch)
- Ein lange gehütetes Geheimnis – Nun endlich wird das Schicksal der Lebensbornkinder und ihrer Mütter zum Thema. In: Die Zeit, Nr. 51/2002
Filme
- Geheimsache Lebensborn, Dokumentarfilm 2003. Regie: Beate Thalberg. Film über das bis dahin nicht untersuchte, einzige Lebensborn-Heim in Österreich im ehemaligen Sanatorium Wienerwald Pernitz. ORF/Cultfilm[14]
Weblinks
Commons: Lebensborn – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Allgemein
- SS-Befehl für die gesamte SS und Polizei vom 28. Oktober 1939 – auch „Zuchtbefehl“ genannt
- Artikel zum Lebensborn e. V. auf Shoa.de mit Literaturangaben
- Kalenderblatt Deutschlandradio
- Sie ist meine Mutter – Film in der ARD am 21. Februar 2007
- Artikel der BBC
- Die Kinderraub-Maschine der Nazis auf spiegel.de
- Else Oventrop – Oberschwester im „Lebensborn e. V.“ einschl. Link zur kpl. Satzung
- Selbsthilfevereine
- Lebensspuren e. V., Breite Straße 95, 38855 Wernigerode, Deutschland
- Baracke Wilhelmine, Hospitalstraße 122, 28790 Schwanewede, Deutschland
- (dk/de) Verein der dänischen Kriegskinder (inkl. Lebensborn-Kinder)
- (no/de) Verband der norwegischen Kriegs- und Lebensborn-Kinder
Einzelnachweise
- ↑ Koop, a. a. O., S. 155–159.
- ↑ Born im Wiktionary
- ↑ Lilienthal 2003, Seite 47; Statuten des Lebensborn e. V., Präambel
- ↑ Koop, a. a. O., S. 24.
- ↑ a b Koop. a. a. O., S. 28.
- ↑ a b c d Rebecca Abe: „Der Lebensborn e. V.“ auf Shoa.de
- ↑ Brez staršev, večino so Nemci pobili, in brez doma („Ohne Eltern, die meisten wurden von den Deutschen getötet, und ohne Zuhause“), Wochenzeitung Dolenjski list, Novo mesto, Slowenien, 24. Januar 2008.
- ↑ Europäisch-Ungarisches Gymnasium KASTL Klosterburg Details
- ↑ a b Eva Simonsen: Into the open – or hidden away? – The construction of war children as a social category in post-war Norway and Germany. In: NORDEUROPAforum (2006:2), S. 25–49 unter edoc.hu-berlin.de (PDF)
- ↑ dradio.de, Kalenderblatt
- ↑ a b c Irene Bazinger, Rezension, Kinderproduktion nach dem deutschen Reinheitsgebot – nadir.org
- ↑ Eva-Maria Götz, in: dradio.de, Kalenderblatt vom 15. August 2006
- ↑ Sonderausstellung Lebensborn
- ↑ Lebensborn Feichtenbach, Besprechung des Films.
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