- Burchardiflut
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Die Burchardiflut oder Zweite Grote Mandränke war eine verheerende Sturmflut, die in der Nacht vom 11. auf den 12. Oktober 1634 die Nordseeküste zwischen Ribe und Brunsbüttel verwüstete. Ihr fielen zwischen 8.000 und 15.000 Menschen zum Opfer. Die schwersten Schäden entstanden im Bereich Nordfrieslands, wo Wasser und Wind insbesondere Eiderstedt verheerten und große Teile der Insel Alt-Nordstrand für immer im Meer versanken.
Inhaltsverzeichnis
Vorgeschichte
Die Burchardiflut traf die schleswig-holsteinische Küste in einer Zeit ökonomischer Schwäche. Eine Pestepidemie, die zahlreiche Einwohner das Leben gekostet hatte, war 1603 über das Land gezogen. Die Flut fiel in die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs, von dem auch die schleswig-holsteinische Küste nicht verschont blieb. Insbesondere auf Alt-Nordstrand (auch Strand genannt) war es in den Jahren 1628/1629 zu Kämpfen zwischen den Einwohnern Strands und den Truppen des schleswig-holsteinisch-gottorfschen Herzogs Friedrich III. gekommen. Die Nordstrander wehrten sich gegen herzögliche Eingriffe in ihre Wehrverfassung und gegen die Zwangseinquartierung von Soldaten. Unterstützt von einem dänischen Flottenkommando schlugen sie zuerst sowohl ein kaiserliches als auch ein herzögliches Heer zurück, um 1629 doch besiegt zu werden. Die Insel und demzufolge auch die Instandhaltung der Küstenschutzanlagen litt unter diesen Kämpfen.
Die Burchardiflut ist nur die letzte in einer Reihe von Sturmfluten, die in diesen Jahren die schleswig-holsteinische Küste trafen. Bereits 1625 hatten große Eisschollen während der sogenannten Eisflut Schäden an den Deichen hinterlassen.[1] Die Chroniken berichten in den Jahren vor 1634 von diversen Sommerfluten; die Tatsache, dass selbst im Sommer die Deiche nicht mehr hielten, weist auf ihren damals schlechten Erhaltungszustand hin, den die jeweiligen Flutschäden noch vergrößerten.
Verlauf
Nachdem in den Tagen vor der Flut ruhiges Wetter geherrscht hatte, zog am 11. Oktober ein kräftiger Sturm aus Osten herauf, der sich im Laufe des Abends nach Südwest drehte und sich immer weiter zu einem Orkan aus Nordwest entwickelte. Wahrscheinlich handelte es sich hierbei um ein Sturmtief des Jütland-Typs, das auf kleinem Raum und für relativ kurze Zeit sehr hohe Windgeschwindigkeiten erreicht. Der ausführlichste Augenzeugenbericht stammt vom niederländischen Wasserbauingenieur Jan Adriaanszoon Leeghwater, der beauftragt war, einen Teil der Dagebüller Bucht vom Meer zu gewinnen. Er schildert[2]:
- gegen den Abend [hat] sich ein großer Sturm und Unwetter von Südwest her aus der See erhoben […] Da begann der Wind aus dem Westen so heftig zu wehen, daß kein Schlaf in unsere Augen kam. Als wir ungefähr eine Stunde auf dem Bett gelegen hatten, sagte mein Sohn zu mir „Vater, ich fühle das Wasser auf mein Angesicht tropfen“. Die Wogen sprangen am Seedeich in die Höhe auf das Dach des Hauses. Es war ganz gefährlich anzuhören.
Leeghwater und sein Sohn flüchteten über den Deich in das höher gelegene Herrenhaus, während das Wasser bereits ungefähr die Höhe der Deichkrone erreicht hatte. Im Haus befanden sich zu dem Zeitpunkt 38 Personen, davon 20 Flüchtlinge aus niedrig gelegeneren Gegenden. Er fährt fort:
- Der Wind drehte sich ein wenig nach Nordwesten und wehte platt gegen das Herrenhaus, so hart und steif, wie ich's in meinem Leben nicht gesehen habe. An einer starken Tür, die an der Westseite stand, sprangen die Riegel aus dem Pfosten von den Meereswogen, so daß das Wasser das Feuer auslöschte und so hoch auf den Flur kam, daß es über meine Kniestiefel hinweglief, ungefähr 13 Fuß höher als das Maifeld des alten Landes […] Am Nordende des Herrenhauses, welches dicht am Seetief stand, spülte die Erde unter dem Haus weg […] Infolgedessen barst das Haus, die Diele und der Boden auseinander […] Es schien nicht anders als solle das Herrenhaus mit allen, die darin waren, vom Deich abspülen. Des Morgens […] da waren alle Zelte und Hütten weggespült, die auf dem ganzen Werk waren, sechs- oder siebenunddreißig an der Zahl, mit allen Menschen, die darin waren. […] Große Seeschiffe waren auf dem hohen Deich stehengeblieben, wie ich selber gesehen habe. Mehrere Schiffe standen in Husum auf der hohen Straße. Ich bin auch den Strand allda geritten, da hab ich wunderliche Dinge gesehen, viele verschiedene tote Tiere, Balken von Häusern, zertrümmerte Wagen und eine ganze Menge Holz, Heu, Stroh und Stoppeln. Auch habe ich dabei so manche Menschen gesehen, die ertrunken waren.
Der Augenzeuge Peter Sax aus Koldenbüttel auf Eiderstedt beschrieb das Szenario:
- […]um sechs Uhr am abend fing Gott der Herr aus dem Osten mit Wind und Regen zu wettern, um sieben wendete er den Wind nach dem Südwesten und ließ ihn so stark wehen, daß fast kein Menschen gehen oder stehen konnte, um acht und neun waren alle Deiche schon zerschlagen […] Gott der Herr ließ donnern, regnen, hageln, blitzen und den Wind so kräftig wehen, daß die Grundfeste der Erde sich bewegten […] um zehn Uhr war alles geschehen.[3]
Im Zusammenspiel mit einer halben Springflut drückte der Wind das Wasser mit einer solchen Gewalt gegen die Küste, dass gegen zehn Uhr abends der erste Deich im Kirchspiel Stintebüll auf Alt-Nordstrand brach. Das Wasser erreichte etwa zwei Stunden nach Mitternacht seinen Höchststand. Zeitgenössische Berichte sprechen für das Festland von etwa 4 Metern über dem mittleren Tidehochwasser. Der höchste Stand der jemals wissenschaftlich gemessenen Sturmflut, war derjenige von 1976, die in Husum die Marke von 4,11 Meter über dem mittleren Tidehochwasser erreichte.
Das Wasser stieg so hoch, dass nicht nur zahlreiche weitere Deiche brachen, sondern auch Häuser in der flachen Marsch und selbst auf Warften überflutet wurden. Häuser stürzten ein, in anderen brachen durch außer Kontrolle geratenes Feuer Brände aus.
Direkte Folgen
Die Deiche brachen in dieser Nacht an mehreren hundert Stellen. Schätzungen zu den gesamten Opferzahlen schwanken zwischen 8.000 und 15.000. Davon sind 8.000 einheimische Opfer durch zeitgenössische Quellen und den Vergleich mit Einwohnerregistern gesichert. Die tatsächliche Zahl liegt wahrscheinlich weit höher, da laut Anton Heimreichs Nordfriesischer Chronik zu dieser Zeit „viele fremde Drescher und Arbeitsleute im Lande gewesen, von deren Anzahl man so eben keine Gewissheit hat haben können.“[4]
Allein auf Strand kamen durch die 44 Deichbrüche mindestens 6.123 Menschen um, das entsprach etwa zwei Drittel der Inselbevölkerung. Darüber hinaus ertranken 50.000 Stück Vieh. Das Wasser zerstörte 1.300 Häuser und 30 Mühlen; alle 21 Kirchen auf Strand wurden schwer beschädigt, 17 davon völlig zerstört. Fast der gesamte frisch abgeerntete Jahresertrag der Felder ging verloren. Die Insel Strand wurde in die Inseln (Neu)-Nordstrand und Pellworm sowie die Halligen Südfall und Nordstrandischmoor zerrissen, die Halligen Nübbel und Nieland versanken im Meer.
Auf Eiderstedt starben laut Anton Heimreichs Nordfriesischer Chronik 2.107 Menschen, 12.802 Stück Vieh ertranken, 664 Häuser wurden durch die Flut zerstört. Anton Heimreich zählte für Dithmarschen 383 Tote, die sich auf das Kirchspiel Busen (heute Büsum) und die Gebiete entlang der Eidermündung konzentrierten, wo 168 Menschen starben, 1360 Stück Vieh verloren gingen und 102 Häuser „weggetrieben“ wurden. Zahlreiche Menschen kamen in den Marschgebieten an der Küste ums Leben, selbst küstenfernere Orte wie Bargum, Breklum, Almdorf oder Bohmstedt blieben nicht ohne Opfer. Sogar in Hamburg brachen noch Deiche in Hammerbrook und auf Wilhelmsburg. In Niedersachsen brach der Deich in Hove auf 900 Metern.
Das ehrgeizige Werk der Gottorfer Herzöge, die Dagebüller Bucht durch einen einzigen Damm einzudeichen, das nach zehnjähriger Arbeit auf einem guten Weg schien, scheiterte durch die Flut endgültig. Die Halligen Dagebüll und Fahretoft erlitten große Verluste an Land und Leben. In Ockholm wurde die Kirche zerstört, der Seedeich musste landeinwärts verlegt werden.
Langfristige Folgen
Die Flut wirkte insbesondere auf Alt-Nordstrand verheerend, da dort große Teile des Landes unterhalb des Meeresspiegels lagen. In den Wochen und Monaten nach der Flut lief das Wasser nicht wieder ab. Der Gezeitenstrom sorgte dafür, dass sich die Deichbrüche im Laufe der Zeit immer weiter vergrößerten, die Strömung teilweise ganze Deichstrecken komplett wegriss. So kam es auch, dass zahlreiche Landflächen, die direkt nach der Flut noch bewirtschaftet wurden, aufgegeben werden mussten, da sie sich gegen das immer wieder eindringende Wasser nicht halten ließen. Salzwasser überspülte immer wieder die Felder, so dass die Nordstrander diese nicht mehr zur Landwirtschaft nutzen konnten.
M. Löbedanz, der Pfarrer von Gaikebüll, beschrieb die Situation auf Strand nach der Flut:
- Wüste liegen mehr denn die halben Wohnstädte, unnd sind die Häuser weggeschölet (weggespült); Wüste stehen die übrigen Häuser, unnd sind Fenstere, Thüren und Wende zerbrochen: Wüste stehen ganze Kirchspielen, unnd sind in etlichen wenig Haußwirthe mehr übrigen: Wüste stehen die Gotteshäuser, unnd sind weder Prediger noch Haußwirthe viel vorhanden, die diesselben Besuchen. [5]
Kulturell ging die Alt-Nordstrander Variante des Friesischen verloren. Die Opferzahl war zu groß, zudem zogen viele ehemalige Inselbewohner gegen den Befehl des Herzogs Friedrich III. auf das Festland oder die höher gelegene Hallig Nordstrandischmoor, um sich dort ein Leben zu sichern.
Auf Pellworm gelang es schon 1637, 1.800 Hektar Land wieder einzudeichen. In Nordstrand dagegen lebten die zurückgebliebenen Bauern in den Jahren nach der Flut als Halligbauern auf Warften, waren aber kaum in der Lage, ihre Felder zu bestellen, geschweige denn, trotz mehrerer Befehle des Herzogs, die Deiche wiederaufzubauen. Nach Nordstrander Deichrecht verwirkten diejenigen das Recht an Land, die nicht in der Lage waren, es gegen die See zu sichern. Schließlich setzte der Herzog das friesische Gesetz „De nich will dieken, de mutt wieken“, entschieden um, enteignete die ursprünglichen Einwohner und lockte mit einem Oktroy, der den Geldgebern des Deichbaus Landbesitz sowie weitreichende Privilegien wie die Gerichts- und Polizeihoheit in den gewonnenen Kögen versprach, ausländische Investoren wie den niederländischen Unternehmer Quirinus Indervelden an, der, finanziert mit niederländischem Geld und mit Hilfe gelernter Arbeiter aus Brabant, 1654 den ersten Deich um Alterkoog errichten konnte. 1657 folgte Osterkoog, 1663 Trindermarschkoog. Von der Siedlung der Niederländer zeugt noch heute die alt-katholische Gemeinde. Den katholischen Niederländern war erlaubt worden, ihre Religion im lutherischen Dänemark zu behalten und eine eigene Kirche zu errichten. Bis 1870 hielten die Pfarrer dort die Predigt noch in Niederländisch.
Durch zusätzlichen Landgewinn in den folgenden Jahrhunderten haben beide Inseln zusammen etwa 9.000 Hektar Fläche: etwa ein Drittel des Gebiets von Alt-Nordstrand. Zwischen den Inseln bildete sich der Norderhever, ein Gezeitenstrom, der sich in den letzten 370 Jahren bis zu 30 Meter tief in das Watt grub und immer wieder droht, die Inselsockel der beiden Inseln anzugreifen.
Rezeption
Die Menschen der Zeit konnten sich die Flut oft nur als besondere Strafe Gottes vorstellen. Am weitesten ging dabei die evangelische Schwärmerin und Dichterin Anna Ovena Hoyer, die die Burchardiflut als Anfang der nahenden Apokalypse deutete.
Siehe auch
Literatur
- Marie Luisa Allemeyer: „In diesser erschrecklichen unerhörten Wasserfluth, kan man keine naturlichen Ursachen suchen“. Die Burchardi-Flut des Jahres 1634 an der Nordseeküste, in: Gerrit Jasper Schenk (Hrsg.): Katastrophen. Vom Untergang Pompejis bis zum Klimawandel, Ostfildern 2009, S. 93-108.
- Boy Hinrichs: Anna Ovena Hoyer und ihre beiden Sturmflutlieder, in: Nordfriesisches Jahrbuch, n.F. 21 (1985), 195-221
- Boy Hinrichs: Die Landverderbliche Sündenflut. Erlebnis und Darstellung einer Katastrophe in: Hinrichs (Hrsg.): Flutkatastrophe 1634
- Boy Hinrichs: Flutkastrophe 1634. Natur Geschichte Dichtung. Neumünster 1991 (2. Aufl.) Karl Wachholtz Verlag. ISBN 3-529-06185-9
- Manfred Jakubowski-Tiessen, „Erschreckliche und unerhörte Wasserflut“ Wahrnehmung und Deutung der Flutkatastrophe von 1634, in: Manfred Jakubowski-Tiessen u. Hartmut Lehmann (Hrsg.), Um Himmels Willen. Religion in Katastrophenzeiten, Göttingen 2003, S. 179-200.
- Guntram Riecken: Die Flutkatastrophe am 11. Oktober 1634 − Ursachen, Schäden und Auswirkungen auf die Küstengestalt Nordfrieslands, in: Hinrichs (Hrsg.): Flutkatastrophe 1634 S. 11-64
- Albert E. Panten: Das Leben in Nordfriesland um 1600 am Beispiel Nordstrands in: Hinrichs (Hrsg.): Flutkatastrophe 1634 S. 65-80
Weblinks
- Seite der Universität Kiel zur Geschichte Pellworms
- Text einer zeitgenössischen Flugschrift zum Thema
- Karten der wechselnden Küstenlinien in Schleswig-Holstein 900-2000
Einzelnachweise
- ↑ Fritz-Ferdinand Zitscher; Andreas Reinhardt (Hrsg.): Die erschreckliche Wasser-Fluth 1634. Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum 1984, ISBN 3-88042-257-5, Der Einfluß der Sturmfluten auf die historische Entwicklung des nordfriesischen Lebensraumes, S. 169.
- ↑ zit. n. Riecken: 11ff.
- ↑ zit. n. Rieckmer: 35
- ↑ zit. n. Riecken: 42
- ↑ Rolf Kuschert: Die frühe Neuzeit, in: Nordfriisk Instituut (Hrsg.) Geschichte Nordfrieslands, Heide Boyens & Co 1995. ISBN 3-8042-0759-6
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