Kurt Lindner (Jagdwissenschaftler)

Kurt Lindner (Jagdwissenschaftler)

Kurt Lindner jr. (* 27. November 1906 in Sondershausen; † 17. November 1987 in Bamberg) war ein deutscher Unternehmer und Jagdwissenschaftler. Mehrere seiner Veröffentlichungen sind Standardwerke der Jagdliteratur. Bekannt war auch die von ihm zusammengetragene „Bibliotheca Tiliana“, eine rund 12.000 Bände umfassende Fachbibliothek aus Jagd- und Forstbüchern, die nach seinem Tod versteigert und deshalb wieder zerstreut wurde.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Kurt Lindner kam 1906 als Sohn des Unternehmers Kurt Lindner im thüringischen Sondershausen zur Welt. Sein Vater leitete dort die Porzellanfabrik für elektrisches Zubehör (heute ELSO). In seiner Heimatstadt besuchte Lindner das humanistische Gymnasium. Bereits seit dieser Zeit war er als der Älteste seiner Geschwister für die Firmennachfolge auserkoren, die er später auch antrat. Um sich auf diese Aufgabe vorzubereiten, nahm er ein Studium der Nationalökonomie auf. Während seiner Studienjahre in München, Frankfurt am Main, London und Berlin war er aber auch in den Fächern Philosophie und Geschichte eingeschrieben. Darüber hinaus bildete er sich in Vorlesungen der Forst- und Jagdwissenschaften, darunter bei Professor Max Endres in München, weiter.

Denn die Jagd war die größte Leidenschaft Kurt Lindners – er selbst nannte sie einmal seine wahre „Geliebte“. Schon als kleines Kind hatte er seinen Vater bei der Jagd begleitet und diese Betätigung lieben gelernt. Seine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Jagd begann, als er als Siebzehnjähriger die Jagdakten des kleinen Duodezfürstentums Schwarzburg-Sondershausen untersuchen durfte. Das Ergebnis war die 1924 erschienene Arbeit Beiträge zur Jagdgeschichte Schwarzburg-Sondershausens.

Nach seinem Studium promovierte Lindner 1929 im Alter von knapp 23 Jahren mit der Untersuchung Die Realkreditversorgung der mittleren und kleinen Industrie nach der Währungserneuerung an der Universität Jena summa cum laude zum Dr. rer. pol.. Danach trat er in den väterlichen Betrieb ein, der jedoch nach Ende des Zweiten Weltkriegs unterging: Am 11. März 1946 wurde der gesamte Betrieb durch die sowjetische Besatzungsmacht demontiert und in mehr als 90 Eisenbahn-Waggons mit Werkzeugmaschinen in den Osten verbracht. Im Jahr 1948 folgte dann die Enteignung des Werkes seines Vaters einschließlich seines ganzen Privatvermögens. Die Familie Lindner zog mittellos nach Eggolsheim bei Forchheim, wo seit 1938 ein Zweigbetrieb existierte. Sohn Kurt Lindner baute nun dort zusammen mit seinem Bruder eine elektrotechnische Fabrik auf. Diese florierte bald, so dass ein Zweigwerk in Griechenland errichtet werden konnte. Bekannt waren unter anderem die 1955 von Wilhelm Wagenfeld für Lindner entworfenen „Wagenfeld-Leuchten“. Als erfolgreicher Unternehmer wurde Kurt Lindner in zahlreiche Wirtschaftsgremien berufen. So war er Vorstandsmitglied des Zentralverbandes der deutschen Elektroindustrie und hatte jahrelang einen Sitz im Aufsichtsrat der Hannover Messe AG, war auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender.

Seine Einkünfte ermöglichten es Lindner, über die Jahre eine umfangreiche Privatbibliothek zusammenzutragen, die er „Bibliotheca Tiliana“ nannte. Sie enthielt am Ende rund 12.000 Bücher und Handschriften aus mehreren Jahrhunderten, die alle mit der Jagd in Verbindung standen, und war damit eine der weltweit umfangreichsten Bibliotheken zu diesem Themenkomplex. Mit dem Büchersammeln hatte Lindner bereits während seiner Studienzeit begonnen, in der schon einige Tausend Bände zusammengekommen waren. Ein Großteil dieser ersten Bibliothek war jedoch in den Nachkriegswirren nach Russland verschleppt worden. Die spätere Sammlung stellte Lindner dann 1977 mit der Ausstellung „Bibliotheca Tiliana – Alte Jagdbücher aus aller Welt“ in der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel auch der Öffentlichkeit vor. Da sich nach Lindners Tod im Jahr 1987 nach vielerlei Bemühungen auf Dauer keine Institution fand, die die umfangreiche Sammlung komplett ankaufen wollte, wurde sie schließlich im Jahr 2003 öffentlich versteigert. Ein Großteil der Bücher ist seither in alle Winde zerstreut.

Kurt Lindner war jedoch nicht nur Buchliebhaber, sondern nutzte seine Sammlung für umfangreiche jagdhistorische Studien. Seine ursprünglich auf sechs Bände angelegte Geschichte des Weidwerks konnte Lindner allerdings nur zum Teil verwirklichen. Bereits 1937 veröffentlichte er als Band I Die Jagd in der Vorzeit und ließ 1940 mit Die Jagd im frühen Mittelalter Band II folgen. Beide Publikationen sind Standardwerke der Jagdliteratur. Während Band I bei Prähistorikern gute Aufnahme fand und auch ins Französische übersetzt wurde, lag die Bedeutung des zweiten Bandes vor allem in der erstmaligen Klärung manch rechtlicher Zusammenhänge, der Beleuchtung des Begriffes „forestis“ sowie der systematischen Fundierung weiter Teile der Jagdtechnik. Das für die Veröffentlichung als dritter Band vorgesehene Manuskript Die Geschichte der Falknerei gelangte 1943 jedoch wegen der Papierknappheit nicht mehr in den Druck und wurde – ebenso wie die schon in weiten Teilen vorhandenen Manuskripte für die Bände IV bis VI – in den Wirren der Nachkriegszeit zusammen mit dem Großteil der Bücher Lindners nach Russland verschleppt, wo es seither als verschollen gilt. Lindner selbst unternahm in späteren Jahren keine Versuche mehr, seine Geschichte des Weidwerks in umfangreichen Gesamtbetrachtungen fortzusetzen.

Seit 1954 erschienen seine jagdhistorischen Untersuchungen in der von ihm herausgegebenen Reihe Quellen und Studien zur Geschichte der Jagd. Es war Lindner, der mit diesen Bänden bisher unaufgearbeitete Quellen aus der Antike, dem Mittelalter und den ersten neuzeitlichen Jahrhunderten der Wissenschaft, aber auch einer interessierten Leserschaft, zugänglich gemacht hat. Lindners Veröffentlichungen erschienen seit 1937 zumeist bei dem wissenschaftlichen Fachverlag Walter de Gruyter.

Aufgrund seiner bedeutenden jagdwissenschaftlichen Leistungen verlieh ihm die Forstliche Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen 1964 die Ehrendoktorwürde (Dr. forest. hc.). 1980 war Lindner zudem Honorarprofessor für Jagdkunde an der Forstlichen Fakultät in Göttingen.

Kurt Lindner starb am 17. November 1987 in Bamberg.

Ehrungen

  • 1964: Ehrendoktorwürde der Georg-August-Universität Göttingen
  • 1970: DJV-Kulturpreis für sein literarisches Schaffen auf dem Gebiet der Jagdgeschichte und Jagdkultur

Ihm zu Ehren ist das „Kurt-Lindner-Haus“ in Wolfenbüttel benannt, das seit 1988 der „Gesellschaft der Freunde der Herzog-August-Bibliothek“ – deren erster Präsident Lindner gewesen war – gehört.

Schriften (Auswahl)

Eigene Werke

  • Beiträge zur Jagdgeschichte Schwarzburg-Sondershausens, Sondershausens 1924
  • Die Realkreditversorgung der mittleren und kleinen Industrie nach der Währungserneuerung, Dissertation, Jena 1929
  • Die Jagd der Vorzeit, (Geschichte des Weidwerks, Band I), Berlin und Leipzig 1937
  • Die Jagd im frühen Mittelalter, (Geschichte des Weidwerks, Band II), Berlin 1940
  • Die deutsche Habichtslehre. Das Beizbüchlein und seine Quellen, (Quellen und Studien zur Geschichte der Jagd, Band 2), Berlin 1955
  • Deutsche Jagdtraktate des 15. und 16. Jahrhunderts, 2 Bände, de Gruyter, Berlin 1959
  • Deutsche Jagdschriftsteller. Biographische und bibliographische Studien, Band 1,(Quellen und Studien zur Geschichte der Jagd, Band 9), Berlin 1964
  • Beiträge zu Vogelfang und Falknerei im Altertum, (Quellen und Studien zur Geschichte der Jagd, Band 12), Berlin und New York 1973, ISBN 3-11-004560-5
  • Geschichte und Systematik der Wolfs- und Fuchsangeln, (Institutionen för Allmän och Jämförande Etnografi vid Uppsala Universitet, Band 3), Uppsala 1975
  • Bibliographie der deutschen und der niederländischen Jagdliteratur von 1480–1850, Berlin und New York 1976, ISBN 3-11-006640-8
  • Jagd. Verteidigung einer Definition, (Homo venator, Band 1), Bonn 1978, ISBN 3-7749-1606-3
  • Weidgerecht. Herkunft, Geschichte und Inhalt, (Homo venator, Band 2), Bonn 1979, ISBN 3-7749-1691-8
  • Jagdwissenschaft. Standort und System einer Disziplin, (Homo venator, Band 5), Bonn 1982, ISBN 3-7749-1910-0

Als Herausgeber (und oft auch Übersetzer)

  • Guicennas: De arte bersandi. Ein Traktat des 13. Jahrhunderts über die Jagd auf Rotwild, (Quellen und Studien zur Geschichte der Jagd, Band 1), Berlin 1954 (Lateinisch und deutsch)
  • Die Lehre von den Zeichen des Hirsches, (Quellen und Studien zur Geschichte der Jagd, Band 3), Berlin 1956
  • Petrus de Crescentiis: Das Jagdbuch des Petrus de Crescentiis. In deutschen Übersetzungen des 14. und 15. Jahrhunderts (OT: Ruralia commoda), (Quellen und Studien zur Geschichte der Jagd, Band 4), Berlin 1957
  • Albertus Magnus: Von Falken, Hunden und Pferden. Deutsche Albertus-Magnus-Übersetzung aus der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts (OT: Liber de animalibus), 2 Bände, Berlin 1962
  • Ein Ansbacher Beizbüchlein aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, (Quellen und Studien zur Geschichte der Jagd, Band 11), Berlin 1967

Literatur

  • Sigrid Schwenk, Gunnar Tilander, Carl Arnold Willemsen [Hrsgg.]: Et multum et multa. Beiträge zur Literatur, Geschichte und Kultur der Jagd. Festschrift Kurt Lindner. Berlin, New York 1971, ISBN 3-11-004034-4.
  • Zoltán Rozsnyay, Frank Kropp: Kurt Lindner. In Zoltán Rozsnyay, Frank Kropp: Niedersächsische Forstliche Biographie. Ein Quellenband. Aus dem Walde (1998): Mitteilungen aus der Niedersächsischen Landesforstverwaltung (Heft 51). Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (MELF), Wolfenbüttel 1998, S. 302–304
  • Kurt Lindner, Helmar Härtel: Alte Jagdbücher aus aller Welt: Bibliotheca Tiliana. Ausstellung aus der Bibliothek Kurt Lindner in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel vom 12. November 1977 – 28. Februar 1978. Ausstellungskatalog. Herzog-August-Bibliothek, Wolfenbüttel 1977.
  • Buch- und Kunstauktionshaus F. Zisska & R. Kistner: Auktionskatalog Jagdbibliothek Prof. Dr. h.c. Dr. Kurt Lindner. Freiwillige Versteigerung 6. – 7. Mai 2003. Buch- und Kunstauktionshaus Zisska und Kistner, München 2003.
  • Die Bibliotheca Tiliana ist Geschichte. In: Zeitschrift für Jagdwissenschaft. 49, Number 3, September 2003.

Weblinks


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