- Eisenbahnunfall von Peraliya
-
Der Eisenbahnunfall von Peraliya ereignete sich am 26. Dezember 2004 in der Südprovinz und an der Südwestküste Sri Lankas. Der durch das Seebeben im Indischen Ozean ausgelöste Tsunami überflutete die Gleise und riss einen Zug von den Schienen. Durch die kontinentübergreifenden Verwüstungen der Flutwelle erlangte der Vorfall wenig eigenständige Aufmerksamkeit, obwohl es sich mit weit mehr als 1000 Opfern um den schwersten Eisenbahnunfall der Geschichte handelt.
Der Wiederaufbau des betroffenen Streckenabschnittes erfolgte äußerst rasch. Heute verkehrt dort die Eisenbahn wieder regelmäßig, auch mit einigen in den Unfall verwickelten Wagen.
Inhaltsverzeichnis
Unfallsverlauf
Beim verunglückten Zug handelte es sich um den als Samudra Devi (de.: Königin des Meeres) titulierten Expresszug Nr. 50, der regelmäßig Vavuniya im Norden der Insel mit Matara an der Südspitze verbindet. Als wichtigste Zwischenstationen fungieren die Landeshauptstadt Colombo sowie die Küstenstadt Galle. Die Fahrstrecke verläuft über weite Strecken an der sri-lankischen Westküste entlang und zählte zu den beliebtesten Touristenverbindungen. Außerplanmäßig wurde der Zug von einer leistungsstärkeren Diesellokomotive vom Typ M2 anstelle der vorgesehenen M7 geführt. Ohne anzuhalten durchfuhr die Königin des Meeres um 9:20 Uhr den Bahnhof von Kahawa.
4,6 Kilometer hinter Kahawa bemerkte der Lokführer Janaka Fernando am Signalposten 581 im Fischerdorf Peraliya kurz vor dem nächsten Halt in Hikkaduwa, nahe dem Ort Seenigama und knapp 20 Kilometer vor Galle ein gelbes Signallicht und drosselte den Anweisungen gemäß das Tempo, bevor er den Zug am unmittelbar darauffolgenden Signalposten 582 mit rotem Licht zum Stillstand brachte. Warum der Zug auf freier Strecke unplanmäßig anhalten sollte, war sowohl für die Passagiere als auch die Zugbegleiter nicht ersichtlich. Niemand hatte von dem Seebeben vor Sumatra und dem auf Sri Lanka zulaufenden Tsunami gehört. Zum Stehen gekommen war die Königin des Meeres auf ebenem Gelände, kaum einen Meter über dem Meeresspiegel und ungefähr 170 Meter von der Küste entfernt.
Die erste Welle überspülte den Küstenstreifen gut zwei Minuten später, riss Häuser mit sich und schlug auf der in Fahrtrichtung gesehen rechten Seite unterhalb der Fenster gegen den Zug. In den Waggons stieg das Wasser gut einen Meter hoch an, sank danach aber langsam wieder ab. Die Wucht des Wassers riss den zweiten Personenwagen von den Gleisen und trug ihn zehn Meter landeinwärts. Er blieb allerdings aufrecht stehen. Die Zugbegleiter reagierten schnell und halfen dessen Insassen beim Umsteigen in die anderen noch intakten Waggons. Dort versuchten derweil viele Passagiere, auf die Wagendächer zu klettern oder schlossen die Fenster, damit nicht noch mehr Wasser hineinlief. Zahlreiche Anwohner liefen in Panik auf die Gleise und sprangen auf die Fahrzeuge auf, um sich in Sicherheit zu bringen. Es wird angenommen, dass bei dieser ersten Welle keine Fahrgäste ernsthaft zu Schaden kamen. Der Lokführer vereinbarte mit seinen Mitarbeitern, die verbliebenen Wagen aneinanderzukoppeln und so bald wie möglich weiterzufahren.
Ungefähr 15 Minuten später lief die zweite, größere Woge auf den Expresszug zu. Mit einer Höhe von sechs bis sieben Metern traf sie auf dem bereits von der ersten Welle kahlgeräumten Gebiet auf keinen nennenswerten Widerstand, ergoss sich über mehrere Kilometer ins Landesinnere und riss den Zug mit. Die Wassermassen rissen die 30 Tonnen schweren Waggons mit und spülten sie teilweise bis zu 100 Meter weit landeinwärts durch Häuser und Palmenhaine hindurch. Selbst die Lokomotive mit einem Gewicht von 80 Tonnen wurde 50 Meter weit fortgetragen. Zwei der Waggons wurden durch den Sog des zurücklaufenden Wassers ins Meer geschwemmt.
Rettungsmaßnahmen
Die ersten Helfer vor Ort waren der regionale Polizeichef B.P.B. Ayupala und seine Mitarbeiter aus dem nahegelegenen Revier. Rettungsmaßnahmen waren zunächst in Ermangelung des passenden Gerätes kaum möglich. Die Helfer suchten mit bloßen Händen nach Opfern und eine medizinische Erstversorgung bestand praktisch nicht. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Rettungskräfte nicht einmal zum Unfallort vordringen konnten, da neben dem Gleisbett auch die sonstige Infrastruktur schwer beschädigt beziehungsweise zerstört war – beispielsweise wichtige Brücken und die Hauptstraße. Die kleinen Nebenstraßen im Landesinneren dagegen waren für großes Räumgerät nicht ausgelegt. So war ein Bagger mit einigen Soldaten, der zufällig gerade in der Gegend war, für knapp drei Tage das einzige Räumgerät.
Bis 13:10 Uhr hatte man mit primitivsten Mitteln – beispielsweise auf Ladeflächen von Lastwagen, auf Motorrädern und in Autorikschas – bereits über 100 Leichen aus dem Zug in das zwölf Kilometer entfernte Batapola Government Hospital, das nächstgelegene Krankenhaus, transportiert. Die Bergungsarbeiten der Opfer und des Zuges zogen sich über mehrere Wochen und wurden mit dem Wiederaufbau der Strecke verbunden.
Opfer
Die genauen Opferzahlen dieses Zugunfalles sind unbekannt und werden sich auch nie ermitteln lassen, da die tatsächliche Passagierzahl des Zuges unbekannt ist. Bei der Abfahrt in Colombo befanden sich schätzungsweise 1.500 Personen an Bord, nach den Zwischenstationen mit Zu- und Abgängen könnten es knapp 1.900 gewesen sein. Fest steht, dass lediglich 150 Personen gerettet wurden oder sich selbst in Sicherheit bringen konnten. Weit mehr als 1.000 Menschen – allgemein wird die Zahl 1.700 genannt – starben. Die meisten von ihnen ertranken in den Waggons, aus denen sie bei steigendem Wasser nicht mehr rechtzeitig entkamen. Weitere erlitten bei der Entgleisung tödliche Frakturen und innere Verletzungen. Ferner wurden zahlreiche Opfer unter umstürzenden Waggons eingeklemmt, da sie hinter ihnen Schutz vor der zweiten Welle gesucht hatten. Neben den einheimischen Opfern aus Sri Lanka befanden sich unter den Toten auch einige Touristen aus England, Schweden und Israel. Eine unbekannte Anzahl an Leichen wurde auch auf das offene Meer hinausgespült und niemals geborgen.
Eine Identifizierung der Opfer war in den meisten Fällen unmöglich, da sie entweder nicht gefunden wurden, von Verletzungen entstellt oder in der langen Zeit bis zur Bergung im Wasser aufgequollen waren. Eine Hilfe bei der Identifizierung waren die Personalausweise, sofern die Getöteten sie noch am Körper trugen. Darüber hinaus fand man Postkarten, Bekleidungsstücke und zahlreiche weitere persönliche Gegenstände, die sich nicht mehr zuordnen ließen.
Wiederaufbau und Nachwirkung
Bereits zum Jahreswechsel 2004/2005 zeigten sich angereiste Bahningenieure zuversichtlich, die Strecke binnen drei Monaten so weit restaurieren zu können, dass zwischen Colombo und Matara wieder eine Zugverbindung aufgebaut werden könne. Von der Mehrzahl der Fachleute wurden sie für diese Äußerungen belächelt, denn es waren auf einer Länge von 150 Kilometern nahezu sämtliche Brücken, Bahnhöfe und Bahndämme zerstört und die Gleis- und Signalanlagen vom Wasser weggerissen oder unter einer hohen, harten Schlammschicht begraben. Unter der Leitung des Generalmanagers der Staatsbahn, Priyal da Silva, schafften es tausende gewerkschaftlich organisierte Arbeiter, die in mehreren Schichten rund um die Uhr an vier Abschnitten gleichzeitig tätig waren, trotz zwischenzeitlicher Materialknappheit und Geldnot, die Trasse in nur 57 Tagen wieder fahrtüchtig herzurichten. Experten vertraten zunächst die Ansicht, für den Wiederaufbau seien neben finanzieller und technischer Hilfe auch Arbeitskräfte aus dem Ausland notwendig, sahen sich anschließend aber gezwungen, ihre Einschätzungen zu revidieren. Die sri-lankischen Verantwortlichen, allen voran der Gewerkschaftsfunktionär Sumathipala Manawadu, äußerten sich darüber hinaus dahingehend, dass der Wiederaufbau mit ausländischer Entwicklungshilfe bedeutend länger gedauert hätte und zudem viel Geld in Korruption verloren gegangen wäre. Zu Auseinandersetzungen kam es jedoch, da viele vom Tsunami betroffene Regionen des Inselstaates der Regierung vorwarfen, die Rekonstruktion der Eisenbahnstrecke als Prestigeprojekt voranzutreiben, gleichzeitig aber den zivilen Wiederaufbau in den Dörfern zu vernachlässigen.
Knapp ein Jahr nach dem verheerenden Zugunfalls standen noch drei der betroffenen Waggons auf dem Abstellgleis im Bahnhof von Peraliya. Dort fanden sich täglich rund 300 in- und ausländische Touristen ein, entweder um ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen oder als Schaulustige. Zum ersten Jahrestag am 26. Dezember 2005 organisierte man am Unfallssort eine große Gedenkfeier, auf der unter anderem der Staatspräsident Mahinda Rajapaksa sowie der Premierminister Ratnasiri Wickremanayake als Redner auftraten. Aus diesem Grunde wurde die Strecke für einen Zeitraum von zwei Stunden gesperrt und Züge umgeleitet. Inzwischen fährt die Königin des Meeres seit Jahren wieder planmäßig und befördert täglich mehr als 10.000 Passagiere. Die Lokomotive und sechs Wagen des Unfallszuges konnten repariert und wieder für den Fahrdienst in Betrieb genommen werden.
Literatur
- Cordt Schnibben (Hrsg.): Tsunami – Geschichte eines Weltbebens. Deutsche Verlags-Anstalt, München, 2005, ISBN 3-421-05890-3, ab Seite 219.
Weblinks
- Andreas Ulrich: „Verzweifelte Suche nach vermisster Eisenbahn“ in Spiegel Online. Abgerufen am 13. August 2009 (deutsch)
- Hilmar König: „Die Auferstehung der "Meeresgöttin"“ in uni-kassel.de. Abgerufen am 14. August 2009 (deutsch)
- sehr ausführlicher Bericht über den Unfall (engl.): Lankalibrary
6.168888888888980.090833333333Koordinaten: 6° 10′ 8″ N, 80° 5′ 27″ O
Wikimedia Foundation.