Carl Ludwig Schleich

Carl Ludwig Schleich

Carl Ludwig Schleich (* 19. Juli 1859 in Stettin; † 7. März 1922 in Bad Saarow) war ein deutscher Chirurg und Schriftsteller. Von ihm stammt eine Methode der Infiltrationsanästhesie.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Carl Ludwig Schleich war der Sohn eines Stettiner Augenarztes, der bei Johann Friedrich Dieffenbach studiert hatte. Schleich jun. legte 1879 in Stralsund am Katharinen-Gymnasium das Abitur ab. Anschließend studierte er Medizin, zunächst an der Universität Zürich (Freundschaft mit dem Dichter Gottfried Keller), wo er auch Mitglied[1] in einem Corps wurde, dann an der Universität Greifswald und bis zum Ersten Staatsexamen 1886 an der Charité in Berlin. Dort war er Famulus bei

Schleich promovierte 1887 in Greifswald beim Chirurgen Heinrich Helferich, einem Schüler von Carl Thiersch[2], und blieb dort als Assistent bis 1889. Im gleichen Jahr eröffnete er eine private Klinik für Gynäkologie und Chirurgie mit zuletzt 15 Betten in Berlin-Kreuzberg in der Friedrichstraße 250 in der Nähe des Belle-Alliance-Platzes, die er bis 1901 betrieb. [3] Und er heiratete seine Jugendliebe Hedwig Oelschlaeger, Tochter des Rudolf Oelschlaegers, dem Präsidenten einer norddeutschen Bahngesellschaft. Noch in der Kaiserzeit erlebte Carl Ludwig Schleich aber die Ernennung zum Professor (1899) und die Ehrung durch den Titel Geheimrat. Ab 1900 übernahm er die Leitung der Chirurgischen Abteilung am Krankenhaus der Gemeinde Groß-Lichterfelde, die heute zum Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf gehört.

Parallel zu seinem Medizinerdasein betätigte Schleich sich schon früh als populärwissenschaftlicher Schriftsteller und Philosoph, zunächst ausschließlich in Zeitschriften wie der „Zukunft“ von Maximilian Harden oder in der „Neuen Rundschau“, herausgegeben von Samuel Fischer. Er publizierte mehrere kleine Bücher, bevor er 1912 den Band „Es läuten die Glocken“ mit „Phantasien zum Sinn des Lebens“ veröffentlichte. Mit zunehmendem Rückzug aus dem medizinischen Alltag wirkte er dann als Essayist in diversen Wochen- und Monatszeitschriften wie „Arena“, „Über Land und Meer“, herausgegeben von Rudolf Presber, und sogar in der Gartenlaube. Hierdurch gelangte er reichsweit zu einer enormen Popularität.

1920 verfasste er einige Aufsätze über sein Leben und seine Lehrer, die zuerst in dem von Ernst Rowohlt verlegten „Tage-Buch“ erschienen, um sie dann im selben Jahr ebenfalls bei Rowohlt unter dem Titel „Besonnte Vergangenheit“ zu veröffentlichen. Das Buch erreichte eine Millionenauflage und wurde für den jungen Verlag der erste Bestseller, dessen bislang letzte Auflage 1985 erschien. Es zählt zu den meistgelesenen Erinnerungsbüchern deutscher Sprache und prägte das Bild der bürgerlichen Welt Deutschlands in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg.

In seinen Memoiren schildert Schleich auch sein erstes Erlebnis mit einigen Tierversuchen: „Als ich in dem Physiologischen Seminar von Prof. Ludimar Hermann (in Zürich), dem hartnäckigen Gegner Emil Heinrich Du Bois-Reymonds, als Entre-Akt die Enthauptung von sechs Fröschen mittelst glatter Scherenschnitte und den blitzartigen Hirnrückenmarkstich bei einigen armen, gurrenden Tauben mitansehen musste, da war es aus mit meiner Begeisterung für die Medizin. Mich packte eine Wut, und ich war entschlossen, ihr für immer Valet zu sagen. Mir schien es unmöglich, diese sinnlosen Grausamkeiten mitzumachen. Aus Mitleid wollte ich Tor ein Arzt der Leidenden werden, und hier stand ich entsetzt vor einer Lehrstätte, ja, einem Kultus der grausamsten Gleichgültigkeit gegen Leid und Tod.[4]

Das gute Zureden seines Vaters, der ein angesehener Mediziner war und 35 Jahre lang dem Pommerschen Ärztebund und dem Stettiner Ärzteverein vorstand, bewahrte ihn vor diesem Schritt. Obwohl Carl Ludwig Schleich wenig später am Pathologischen Institut der Berliner Charité bei seinem Lehrer Rudolf Virchow an Tierversuchen teilnahm, begegnete er dieser Forschungsmethode zeitlebens mit Skepsis. In der Zeitschrift „Arena“ schrieb er: „Ohne allen Zweifel sind die Argumente der Anti-Vivisektionisten aus sittlichen Gründen durchaus der Beachtung wert und können nicht einfach durch den Hinweis auf den eventuellen Nutzen, welchen die gesamte Menschheit eventuell von der Vivisektion zwecks Auffindung von Heilmitteln, Schutzmitteln und hygienischen Grundgesetzen haben könnte und schon gehabt hat, widerlegt werden. Denn noch niemals ist die Utilitarität, das Prinzip der Nützlichkeit, allein maßgebend gewesen für die Frage, was sittlich gut oder verwerflich ist“. [5]

Der Künstler Schleich findet heute noch in der Literatur über die damalige Berliner Bohème mit seiner Tischrunde in der berühmt-berüchtigten „Wein- und Probierstube G. Türke“ (besser bekannt unter dem Namen Zum schwarzen Ferkel) in der Neuen Wilhelmstraße einen Platz, zu der unter anderen die mit ihm eng befreundeten Richard Dehmel und August Strindberg zählten. Carl Ludwig Schleich war gut befreundet mit Margarete und Reinhold Begas. Reinhold Begas Sohn Werner Begas schuf 1922 auch Schleichs Grabdenkmal auf dem Südwestkirchhof des Ev. Synodalverbandes in Stahnsdorf, Bahnhofstraße. Schleich gehörte auch zu den regelmäßigen Besuchern des Salons von Bertha von Arnswaldt (gest. 1919) am Nollendorfplatz. Die Familie Begas und Bertha von Arnswaldt erwähnt Schleich ausführlich in seinen Lebenserinnerungen "Besonnte Vergangenheit".

Carl Ludwig Schleich starb während eines Sanatoriumsaufenthaltes in Bad Saarow und wurde auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf bestattet. Eine Straße im Stralsunder Stadtteil Knieper Nord trägt heute seinen Namen.

Infiltrationsanästhesie

Als Schleich die von ihm entwickelte Methode der lokalen Anästhesie zunächst in der Medizinischen Gesellschaft unter dem Vorsitz Virchows vorstellte, begegnete man ihm ungläubig und mit eisigem Schweigen, worüber Franz Oppenheimer in seinen Lebenserinnerungen berichtet.

Am 11. Juni 1892 stellte Schleich seine Anästhesiemethode auf dem Chirurgenkongress in Berlin vor. Abschließend sagte Schleich laut Protokoll der Verhandlungen:

Ich halte m i c h nach dem Stande der lokalen Anästhesie nicht mehr für berechtigt, die Chloroformnarkose oder ein anderes Inhalationsverfahren bei Operationen in Anwendung zu ziehen, wenn nicht vorher die prinzipiell angewandte Methode der Infiltrationsanästhesie versucht wurde. Erst wenn diese sich im Einzelfalle als unzureichend erwies, resp. erfahrungsgemäß für den Einzelfall nicht zugänglich ist, erst dann entsteht für die Narkose eine besondere Indikation. Aber Operationen in Narkose auszuführen, welche sicherlich auch mit dieser oder einer ähnlichen Form der lokalen Anästhesie durchführbar gewesen wären, das muß ich vom Standpunkte der Humanität und dem der moralischen sowie strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Chirurgen aus bei dem heutigen Stande der Infiltrationsanästhesie für durchaus unberechtigt halten.“ [6]

Der Kongreßleiter Heinrich Adolf von Bardeleben entzog nach einer, entgegen den Gepflogenheiten durchgeführten Abstimmung dem Redner Schleich das Wort, der daraufhin die Sitzung verließ. Erst anläßlich des Kongresses im Jahr 1894 lud Ernst von Bergmann seine Kollegen zu einer Operation ein, die Schleich in der Universitäts-Poliklinik vornehmen konnte. Über den Erfolg berichtete Bergmann auf Wunsch von Friedrich von Esmarch dem Kongreß. Seitdem und seit die Methode mit dem Buch Schmerzlose Operationen einer breiten medizinischen Öffentlichkeit bekannt wurde, begann sich die Infiltrationsanästhesie durchzusetzen. In abgewandelter Form wird sie heute noch angewendet.

Veröffentlichungen

  • Schmerzlose Operationen. Örtliche Betäubung mit indifferenten Flüssigkeiten. Julius Springer, Berlin 1894.
  • Von der Seele. Essays. S. Fischer Verlag, Berlin 1910
  • Es läuten die Glocken. Phantasien über den Sinn des Lebens. Concordia Deutsche Verlags-Anstalt, Berlin 1912
  • Aus Asklepios’ Werkstatt. Plaudereien über Gesundheit und Krankheit. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart und Berlin 1916
  • Erinnerungen an Strindberg. Nebst Nachrufen für Ehrlich und von Bergmann. Georg Müller Verlag, München 1917
  • Vom Schaltwerk der Gedanken. Neue Einsichten und Betrachtungen über die Seele. S. Fischer Verlag, Berlin 1916
  • Gedankenmacht und Hysterie. Ernst Rowohlt Verlag, Berlin 1920
  • Die Weisheit der Freude. Und andere ausgewählte Schriften. Ernst Rowohlt Verlag, Berlin 1920
  • Das Problem des Todes. Ernst Rowohlt Verlag, Berlin 1920
  • Das Ich und die Dämonien. S. Fischer Verlag, Berlin 1920
  • Bewußtsein und Unsterblichkeit. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart und Berlin 1920
  • Besonnte Vergangenheit. Lebenserinnerungen eines Arztes. Ernst Rowohlt Verlag, Berlin 1920
  • Dichtungen. Ernst Rowohlt Verlag, Berlin 1924
  • Aus dem Nachlaß. Ernst Rowohlt Verlag, Berlin 1924
  • Die Wunder der Seele. Mit einem Geleitwort von C. G. Jung. S. Fischer Verlag, Berlin 1934

Literatur

  • Paul Massler: Die Forschungen von Carl Ludwig Schleich und das religiöse Erleben. Grewe, Berlin 1921.
  • Paul Massler: Carl Ludwig Schleich. Grewe, Berlin 1922.
  • Erich Scheil: Carl Ludwig Schleich und Wollin. In: Unser Pommerland, Heft 6/1927, S. 242–246.

Quelle

  • Jürgen Thorwald: Das Weltreich der Chirurgie. Europäischer Buchklub, Stuttgart Zürich Salzburg (1957), S. 364-375.

Einzelnachweise

  1. Eigene Angabe in seiner Autobiographie.
  2. Killian u. Krämer: Meister der Chirurgie. Thieme, Stuttgart 1951, S. 86.
  3. Ralf Chr. Beig: Private Krankenanstalten in Berlin 1869 - 1914, Zur Geschichte einer medizinischen Institution im Spannungsfeld zwischen privater Initiative und staatlicher Kontrolle, Diss. med. Berlin 2003, S. 94 ff.
  4. Besonnte Vergangenheit, Lebenserinnerungen eines Arztes, S. 112, Ernst Rowohlt Verlag, Berlin 1930
  5. 1000 Ärzte gegen die Vivisektion, S. 81, Verband der Schweizerischen Vereine gegen die Vivisektion, Basel, Bern, Zürich, 1935
  6. Friedrich Trendelenburg: Die ersten 25 Jahre der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Julius Springer, Berlin 1923, S. 111.

Weblinks


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