- Johann Reinbacher
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Johann Reinbacher vulgo Höllerhansl (* 8. Dezember 1866 in Dörfl, Gemeinde Bad Gams; † 20. Jänner 1935 in Rachling, Gemeinde Marhof bei Stainz) war ein steirischer Volksheiler oder „Bauerndoktor“, der weit über die Weststeiermark hinaus wegen seiner Heilkunst als Urinschauer und Naturheiler berühmt wurde.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Johanns Vater Josef Reinbacher (1842–1903) übersiedelte 1870 vom „Schneiderbauerhanslhof“ in Dörfl (Gemeinde Bad Gams) auf den „Höllerhof“ nach Rachling in Rainbach (damals Gemeinde Sierling) am Fuß des Rosenkogels. Damit kehrte er wieder zum Ursprungsort der Familie (Rambacher → Rainbacher → Reinbacher) zurück, auf einen Hof, der einmal seiner Großtante gehört hatte. Bereits er beschäftigte sich mit Naturheilkunde und wurde mehrmals als Kurpfuscher eingesperrt, zuletzt 1902 für sechs Wochen. Zudem wurde er immer wieder wegen „unerlaubten Ausschanks alkoholischer Getränke“ angezeigt.
Schon als Kind befasste sich Johann Reinbacher als er mit seinem Bruder Peter das Vieh hütete mit alten Büchern über Naturheilkunde und war sehr religiös. Vermutlich hat er zwischen 1880 und 1890 das Schneiderhandwerk erlernt, trat aber im Dezember 1890 in den Karmeliterorden in Graz ein. Doch bereits im Februar 1891 verließ er den Orden wieder und ging in sein Elternhaus nach Rachling zurück.[1]
Nachdem ihm 1902 eine Schanklizenz verwehrt wurde, bewarb er sich 1905 um die Konzession für eine Greißlerei, die ihm schnell gewährt wurde. So arbeitete er erst als Gemischtwarenhändler und begann daneben aus seinem Wunsch, anderen zu helfen, mit Heilbehandlungen.
1911 heiratete er in St. Stefan ob Stainz die Witwe Cäcilia Bruchmann, die drei Kinder aus erster Ehe mitbrachte. Diese Ehe blieb jedoch kinderlos. „Cilli“ Reinbacher war aber eine ausgezeichnete Managerin ihres Mannes. Sie führte für ihn die Bücher und organisierte später Werbung und Versand. Auch sie bemühte sich vergeblich um eine Genehmigung für einen Gasthausbetrieb.
1915 wurde Johann Reinbacher zum Militärdienst in eine Pioniereinheit eingezogen und nach zwei Jahren auf unbestimmte Zeit beurlaubt.
Nach dem Ersten Weltkrieg begann die große Zeit des „Höllerhansls“. Immer mehr konzentrierte er sich auf die Tätigkeit als Heiler. Er „ordinierte“ an der Kellertüre seines 1911 neu errichteten Wohnhauses und untersuchte Geruch, Farbe und Sedimente des Urins seiner Patienten. Behandelt wurden die von ihm diagnostizierten Leiden mit Kräutertees, die in großen Bottichen im Keller zubereitet wurden. Für das Sammeln dieser Kräuter im Gebiet des Rosenkogels waren mehrere Kräuterweiblein, darunter die „Rosenkogel-“ oder „Almliesel“ (eigentlich Elisabeth Strametz), die Zigarren rauchte und immer mehrere Hüte und Röcke übereinander trug, zuständig.
Johann Reinbacher kassierte nie offiziell Geld für seine Behandlung, verkaufte nur die Tees und Ansichtskarten, verlangte aber Spenden (ca. 100 Kronen pro Flasche), die er auch ordnungsgemäß versteuerte.
So konnten ihm auch zwei Kurpfuscherprozesse 1920 in Stainz und im Juli 1921 in Graz nichts anhaben. Beide Male wurde er nur zu einer Geldstrafe (500 und 10.000 Kronen) wegen der fehlenden Ausbildung verurteilt. Nach dem Grazer Prozess wurde er wie ein Held auf den Schultern aus dem Saal getragen und blieb in Zukunft unbehelligt.
Die ausführlichen Prozessberichte und Diskussionen in den Tageszeitungen waren Werbung für ihn. Während die Kleine Zeitung und die Tagespost für ihn schrieben (Wunderdoktor, Heiler), bezeichnete ihn der sozialistische „Arbeiterwille“ als Scharlatan, Bader und Dr. Einbildung. Danach begann der Ansturm so richtig und zu dieser Zeit mussten an manchen Tagen sogar Nummern an die Wartenden ausgegeben werden. Die 200 bis 500 „Patienten“ pro Tag wurden zu einem Wirtschaftsfaktor für die Region in der schweren Zwischenkriegszeit. Von Transport, Verköstigung und der Unterbringung der Anreisenden lebten viele. Es musste auch Personal angestellt werden (Schreiber für die Rezepte, Ordinationsgehilfin, …). 1927 gab es ein Verfahren über zwei Instanzen wegen Komplikationen bei einer Wienerin, in dem er seine Überlastung als Entschuldigung anführte.
Trotz des Wohlstandes, der mit dem Ansturm verbunden war, lebte er weiterhin sehr bescheiden. Mit dem Geld unterstütze er seine Stiefkinder und andere, die zu ihm als Bittsteller kamen. Viel gab er auch für den Kapellenbau und andere kirchliche Belange aus. Bei Primizen in seiner Kapelle und Firmungen war er sehr spendabel und daher ein beliebter Pate.
Um 1930 wurden Johann Reinbacher jedoch die vielen Patienten zu viel und er wurde durch den Dauerstress alkoholkrank. Das wurde noch durch Naturalienzahlungen in Form von Schnaps verstärkt. Dies wirkte sich auf die Arbeit aus und schon nach wenigen Jahren verringerte sich der Strom der Heilsuchenden deutlich.[2] Viele Transportunternehmen mussten daraufhin ihre Dienste wieder einstellen, darunter sein Schwiegersohn, der eine Buslinie Graz–Stainz–Deutschlandsberg betrieben hatte. Die letzte Zeit vor seinem Tod war der Höllerhansl bettlägerig, ließ sich aber die Urinflaschen ans Bett bringen. Er starb am 20. Jänner 1935 und wurde nach der Verabschiedung in „seiner“ Kapelle am Friedhof von Stainz begraben. Seine Frau vertrieb bis zu ihrem Tod 1944 die Kräutertees über Versand.
Anreise der Patienten
Der Besuch beim Höllerhansl im abgeschiedenen Rachling war anstrengend und dauerte wegen der langen Wartezeiten oft einen ganzen Tag.
Die Patienten aus dem Grazer Raum kamen mit ihren Urinflaschen mit der Graz-Köflacher Eisenbahn nach Preding und von dort mit der 1892 eröffneten Schmalspurbahn nach Stainz. Schon damals hieß diese Bahn deswegen im Volksmund „Flascherlzug“.
Vom Bahnhof Stainz musste man noch die rund 8 Kilometer lange Strecke auf den Rosenkogel, je nach finanziellen Möglichkeiten, mit Fiakern oder zu Fuß bewältigen. Das letzte Stück von Marhof nach Rachling war für Fahrzeuge nicht geeignet, und so mussten hier alle gehen.
Für viele Städter hatte bereits dieser Ausflug eine heilende Wirkung. Darum auch weigerte sich der später vermögende Höllerhansl in den Ausbau des Weges zu investieren: „Bei der Anstrengung gehen die Wind’ ab.“
Der Weg war gesäumt von weggeworfenen Flaschen, sodass man keinen Wegweiser benötigte. Die Bauern am Wegesrand verdienten sich ein Zubrot, indem sie diese auskochten und verkauften.
Um den Besuch an einem Tag zu erledigen, musste man den 6-Uhr-Zug nehmen und dann möglichst schnell auf den Rosenkogel eilen. Alternativ konnte man am Vortag anreisen und nach einer Übernachtung in Stainz früh morgens an die Reihe kommen.
Wer nicht persönlich kommen konnte oder wollte, gab seine Flasche jemandem mit und erhielt sein Rezept dann auf Papier. Es gab sogar Flaschensammelstellen von Botendiensten, die mit Taschen nach Rachling fuhren. Die Patienten kamen aus allen Bevölkerungsschichten, es wird auch von zwei ägyptischen Prinzessinnen berichtet, die 1928 kamen.
Diagnose und Behandlung
Johann Reinbacher bezog sein Wissen nach eigenen Angaben aus einem 300 Jahre alten Buch, das schon sein Urgroßvater besaß. Für die Diagnose benötigte er nur den Urin seiner Patienten, sie mussten nicht persönlich anwesend sein. Laut Aussage im Prozess konnte er sofort Geschlecht und Krankheit der Personen herausfinden und irrte sich nie. Es gibt verschiedene Anekdoten über Täuschungsversuche mit Tierurin und Mischungen, die ihm vorgelegt wurden. Die Behandlung von Wunden lehnte er ab und schickte solche und aussichtslose Fälle zu einem Arzt. Völlig unverblümt sagte er den Leuten auch, dass er ihren baldigen Tod erwarte. Einige starben dann auch wirklich bereits am Weg nach Hause.
Das Ergebnis der Diagnose und die Vorschriften zur Behandlung wurden schriftlich festgehalten. Dafür wurden sogar Formulare gedruckt. Die Behandlung erfolgte durch löffelweise Einnahme seines aus 22 verschiedenen Kräutern gemischten Tees. Für den zweiten Prozess wurde der Tee chemisch untersucht, weil es den Vorwurf gab, eine Patientin wäre durch ihn vergiftet worden. Es wurden dabei keine giftigen Stoffe festgestellt. Er verabreichte auch Salben und Tinkturen bzw. gab Rezepte für eine Drogerie in Stainz mit, die mit ihm zusammenarbeitete und sich dann auch „Zum Höllerhansl“ nannte.
Er wies seine Patienten immer an, zusätzlich auch für die Genesung zu beten (und für seine Kapelle zu spenden), da auch die Hilfe von oben nötig sei. Lehnte jemand dies offen ab, ließ er ihn als Strafe den ganzen Tag warten und nahm ihn erst als Letzten an die Reihe.
Kapellenbau
Schon immer war es Johann Reinbacher ein Anliegen, eine Kapelle zu bauen. Besonders interessierten ihn die Marienerscheinungen in Lourdes. Bereits nach der Rückkehr von den Karmeliten mauerte er um eine Quelle aus Steinen eine Lourdes-Grotte. Vor allem Sehbehinderte wuschen sich dort die Augen, dem Wasser konnte aber keine heilende Wirkung nachgewiesen werden.
In der Nähe begann er mit seinem Vater dann mit der Errichtung einer kleinen Kapelle, deren Bau 1901 offiziell genehmigt wurde. Das Gebäude wurde Maria Lourdes geweiht und als Messkapelle der Pfarre St. Stefan ob Stainz anerkannt. Später kam noch ein Dachreiter dazu. Die Familie Reinbacher wollte damit aus Rachling einen Wallfahrtsort machen. Diese Bemühungen sollten ihnen auch die erhoffte Gasthauslizenz bringen. Ab 1905 bot Johann Reinbacher in seinem Laden die entsprechenden Ansichtskarten und Mitbringsel an.
Auf dem Hang hinter dem Haus errichtete er ein Andachtskreuz, zu dem er täglich morgens und abends einen steilen Weg hinaufstieg, um zu beten. Dort holte er sich die Kraft für den Arbeitsalltag.
Schon bald begann er für eine noch größere Kapelle zu sammeln. 1924, am Höhepunkt seiner Geschäftstätigkeit, begann er mit dem Bau eines kleinen Kirchleins, das über die bestehende Kapelle gebaut wurde. Da die Anlieferung der Ziegelsteine nur bis Marhof möglich war, ließ er die Ziegel dort abladen und verkünden, dass jene Patienten bevorzugt behandelt würden, die ein oder zwei Steine mit hinauf nach Rachling brachten. Im Oktober 1930 konnte diese Kapelle feierlich eingeweiht werden. Der Bauherr selbst konnte an dieser Feier krankheitsbedingt nicht teilnehmen. Nach seinem Tod kam auch noch ein großer Turm mit Glocken dazu.
Alle drei Bauwerke (Grotte, Kapelle und Kreuz) stehen heute noch.
Gedenken
- Ein historischer Zug der Stainzerbahn heißt „Flascherlzug“, seine Wagen „Höllerhansl“, „Bergliesl“ und „Kräuterwagerl“.[3]
- Das „Höllerhansl-Lied“ von Friedrich Moser (1878–1943) erzählt vom Leben und Wirken des Wunderdoktors: „Auf an Bergal drobn, går net weit von Sta(i)nz, wohnt a Wunderdokta, der hoaßt Höller Hans!“ Der in Kärnten geborene Bänkelsänger Friedrich Moser schrieb das Lied anlässlich des Namenstages des Besungenen am 29. Dezember 1922 und trug es dem „Höllerhansl“ persönlich vor. Der Liedtext wurde als Flugblatt mit einer Zeichnung des Höllerhanslhauses im Eigenverlag aufgelegt. Nachdem der Text auch kritische Passagen über die Geschäftemacherei enthält, waren die Stainzer und Rachlinger zuerst darüber nicht besonders erfreut.[4]
- Ein Rundwanderweg von Stainz über Rachling trägt den Namen „Höllerhanslweg“.[5]
- Das „Höllerhanslhaus“ ist heute noch in Rachling zu sehen, wird aber privat genutzt.
- Der gegenüber liegende Neubau des ehemaligen Gasthofs „Zum Kirchenwirt“ der Familie Ganster heißt heute „Gasthof Höllerhansl“.[6]
- 1977 fand im Schloss Stainz die Sonderausstellung „Bauerndoktor und Volksmedizin“ mit dem Schwerpunkt „Höllerhansl“ statt.
Literatur
- Bernd E. Mader: Der Höllerhansl. Leben und Wirken des Naturheilers Johann Reinbacher. Graz/Wien Styria 1997, 2. Auflage 1999. ISBN 3-222-12607-0. 3. Auflage Graz 2011, Leykam. ISBN 978-3-85489-165-9.
- Alexandra Malik: Die „Höllerhanslin“. Volksmedizin im familiären Gefolge des weststeirischen Naturheilers Johann Reinbacher. Graz 1997. Diplomarbeit an der Universität Graz. (Biographie von Cäcilia Reinbacher, der Gattin des „Höllerhansl“).
- Maria Kundegraber: Bauerndoktor und Volksmedizin. Ausstellung anläßlich des 800-jährigen Bestehens von Stainz Juni bis Oktober 1977. Unter Mitarbeit von Bernd Mader. Steiermärkisches Landesmuseum Joanneum. Steirisches Volkskundemuseum, Außenstelle Stainz „Steirisches Bauernmuseum“. Katalog 3. Stainz 1977.
- Elfriede Grabner: Der „Höllerhansl“. Ein weststeirischer Wunderdoktor. In: Blätter für Heimatkunde. Jahrgang 43, Graz 1969, Heft 4, S. 146–158.
Einzelnachweise
- ↑ Bernd E. Mader: Der Höllerhansl. Leben und Wirken des Naturheilers Johann Reinbacher.
- ↑ Neues Land, 12. Februar 2009
- ↑ Flascherlzug
- ↑ Friedrich Moser und das Lied vom Höllerhansl von Dr. Bernd E. Mader.
- ↑ Höllerhanslweg
- ↑ Gasthof Höllerhansl
Weblinks
- Website mit Bild des Höllerhansl
- Ansichtskarte „Johann und Cilli Reinbacher“ von 1923 aus der Sammlung von Franz Tomberger
- Höllerhansl-Lied: Flugblatt und Hörprobe von den Stainzer Buam
- Der komplette Text des Höllerhansl-Liedes
- Höllerhansl-Seite der Gemeinde Marhof
- Höllerhansl-Seite des Gasthofs „Höllerhansl“
- Höllerhansl-Seite des Stainzer Restaurants „Haltestöll“
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