Nationalsozialistischer Untergrund

Nationalsozialistischer Untergrund

Out of date clock icon.svg 00Dieser Artikel beschreibt ein aktuelles Ereignis. Die Informationen können sich deshalb rasch ändern.

Die Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), in den Medien auch als Zwickauer oder Jenaer Zelle bezeichnet, ist eine terroristische Vereinigung, bestehend nach bisherigen Erkenntnissen aus Beate Z., Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt[1], die für die Mordserie Bosporus in den Jahren 2000 bis 2006, das Nagelbomben-Attentat in Köln 2004 und den Polizistenmord von Heilbronn im Jahr 2007 verantwortlich gemacht wird. Mundlos und Böhnhardt begingen nach Behördenangaben am 4. November 2011 Suizid, Beate Z. stellte sich am 8. November der Polizei. Sie hatten zuletzt in Zwickau gelebt. Die Täter werden der rechtsextremen Szene zugeordnet, von einem rechtsterroristischen Hintergrund wird derzeit ausgegangen.[2][3] Holger G., ein mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe, wurde am 13. November 2011 in Lauenau bei Hannover ebenfalls festgenommen.[4] Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, seit 2007 Ausweisdokumente zur Verfügung gestellt zu haben. Zudem soll er mehrfach Wohnmobile für die Gruppierung angemietet haben, eines der Fahrzeuge soll bei dem Mordanschlag auf die Heilbronner Polizisten genutzt worden sein.[5] Die Rolle des Verfassungsschutzes bei der Überwachung der Gruppe ist Gegenstand der politischen und medialen Debatte.[6]

Inhaltsverzeichnis

Ermittlungserkenntnisse

Die drei Personen waren den Behörden der thüringischen Stadt Jena bereits seit langem bekannt und werden der rechtsextremistischen Organisation Thüringer Heimatschutz zugerechnet.[7][8] Sie wurden verdächtigt Anfang September 1997 eine Bombe mit einigen Gramm TNT – allerdings ohne Zündvorrichtung – in einem mit einem Hakenkreuz bemalten Koffer auf dem Jenaer Theaterplatz abgelegt zu haben. Nach zielgerichteten Ermittlungen gegen mehr als ein Dutzend Mitglieder des Thüringer Heimatschutzes wurden auch die drei bekannten Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrundes vernommen, danach aber wieder freigelassen.[9] Als die Polizei am 24. Januar 1998 in Jena sieben Wohnungen und Garagen mutmaßlicher Rechtsextremisten im Zuge einer Razzia durchsuchte, konnte man in der Garage der Frau eine Bombenwerkstatt ausheben. Es wurden fünf funktionsfähige Rohrbomben ohne Zünder mit insgesamt 1,4 Kilogramm TNT sichergestellt. Bei der anschließend geplanten Verhaftung konnten die drei Personen flüchten und tauchten ab. Am 26. Januar 1998 erließ die Staatsanwaltschaft Haftbefehle gegen das Trio.[10]

Am 4. November 2011 wurde nach einem Banküberfall auf eine Eisenacher Sparkasse um 9:30 Uhr von der Polizei nach einem Wohnmobil gefahndet. Als sich eine Streifenwagenbesatzung im Neubaugebiet Wartburgblick im Ortsteil Stregda von Eisenach einem verdächtigen Fahrzeug näherte, waren Knallgeräusche zu vernehmen, dann sei es in Brand geraten. [11] In dem Wagen fand die Polizei die Leichen von Mundlos und Böhnhardt vor. Zudem konnten in den Überresten des Wohnmobils mehrere Waffen sichergestellt werden. Dabei handelte es sich unter anderem um die gestohlenen Dienstwaffen der 2007 in Heilbronn ermordeten Polizistin und ihres verletzten Kollegen.[12]

Am gleichen Tag kam es kurz nach 15 Uhr zu einer Explosion in der Frühlingsstraße in Zwickau, in der die beiden Bankräuber zusammen mit Beate Z. gewohnt hatten. Die Polizei rief eine Fahndung nach der Frau aus. [13] Sie konnte kurze Zeit später festgenommen werden, am 13. November 2011 hat die Bundesanwaltschat Haftbefehl wegen des dringenden Verdachts der Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie der besonders schweren Brandstiftung erlassen. [14]

Mit einer weiteren, in dieser Wohnung gefundenen Waffe wurden nach Angaben der Bundesanwaltschaft die sogenannte Mordserie Bosporus begangen.[15] Mit den polizeilichen Ermittlungen beauftragte die Bundesanwaltschaft das Bundeskriminalamt in Zusammenarbeit mit den Landeskriminalämtern Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen. Es lägen „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Mordtaten einer rechtsextremistischen Gruppierung zuzurechnen sind.“[16] Auf einer DVD, die in den Trümmern gefunden wurden, bekannten sich Böhnhardt und Mundlos in einem 15-minütigem Film zu den Morden sowie der Zugehörigkeit zum Nationalsozialistischerń Untergrund (NSU). Ihre Gruppe sei zudem ein „Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz Taten statt Worte“.[17]

Derzeit zugeordnete Verbrechen

Nationalsozialistischer Untergrund (Deutschland)
NürnbergTat 1: 09.09.2000Tat 2: 13.06.2001Tat 7: 09.06.2005
Nürnberg
Tat 1: 09.09.2000
Tat 2: 13.06.2001
Tat 7: 09.06.2005
HamburgTat 3: 27.06.2001
Hamburg
Tat 3: 27.06.2001
KölnTat 4: 09.06.2004
Köln
Tat 4: 09.06.2004
MünchenTat 5: 29.08.2001Tat 8: 15.06.2005
München
Tat 5: 29.08.2001
Tat 8: 15.06.2005
RostockTat 6: 25.02.2004
Rostock
Tat 6: 25.02.2004
DortmundTat 9: 04.04.2006
Dortmund
Tat 9: 04.04.2006
KasselTat 10: 06.04.2005
Kassel
Tat 10: 06.04.2005
HeilbronnTat 11: 25.04.2007
Heilbronn
Tat 11: 25.04.2007
EisenachTat 12: 04.11.2011
Eisenach
Tat 12: 04.11.2011
ZwickauTat 13: 04.11.2011
Zwickau
Tat 13: 04.11.2011
Tatorte der Mordserie Bosporus, des Bombenattentats, des Sparkassenüberfalls und der Wohnhaussprengung

In folgenden Ermittlungen ergeben sich aufgrund der Waffenfunde und aufgefundener Bekennervideos konkrete Ansatzpunkte:

Mordserie Bosporus

Hauptartikel: Mordserie Bosporus

Bei der Mordserie Bosporus wurden immer mit derselben Tatwaffe, einer tschechischen Pistole des Typs CZ 83, Kaliber 7,65 mm,[18] insgesamt neun Kleinunternehmer mit Migrationshintergrund ermordet. Es handelt sich bei den Opfern um sechs türkische Staatsangehörige, zwei türkischstämmige Deutsche sowie einen Griechen. Die erste bekannte Tat ereignete sich am 9. September 2000, die letzte am 6. April 2006.[19]

Die Tatwaffe wurde im niedergebrannten Haus sichergestellt.

Nagelbomben-Attentat in Köln

Hauptartikel: Nagelbomben-Attentat in Köln 2004

Beim Nagelbomben-Attentat in Köln 2004 wurden auf einer belebten Einkaufsstraße mit vornehmlich türkischen Geschäften 22 Menschen teilweise lebensgefährlich verletzt.

Nach Informationen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel vom 12. November 2011[20] bekannte sich das Zwickauer Trio in einem Bekennervideo, das im zerstörten Haus gefunden wurde, zu dieser Tat. Die Täter nannten sich im Video Nationalsozialistischer Untergrund und drohten weitere Taten an, die sie als Nationalsozialistischer Untergrund II ankündigten.[21]

Polizistenmord von Heilbronn

Beim Polizistenmord von Heilbronn am 25. April 2007 wurde eine 22-jährige Polizeibeamtin erschossen, ihr Kollege überlebte schwer verletzt.[22]

Die Ermittlungen wurden zunächst von der Polizeidirektion Heilbronn in der Sonderkommission Parkplatz geführt. Die Sonderkommission wurde am 11. Februar 2009 wegen personeller Überlastung ans Landeskriminalamt Baden-Württemberg verlagert.[23]

Als Hauptspur im Polizistenmord von Heilbronn wurde von den Ermittlern die mitochondriale DNA einer Frau verfolgt. Die nachgewiesenen DNA-Spuren konnten schließlich einer Verpackungsmitarbeiterin eines an der Herstellung beteiligten Unternehmens zugeordnet werden. Mit der Feststellung, dass diejenigen Wattestäbchen, mit denen die DNA-Spuren an einem Tatort in der Regel aufgenommen werden, verunreinigt waren, endete die Fahndung nach dem Heilbronner Phantom.[24]

Ein Zusammenhang mit dem Überfall auf die Polizisten ließ sich aufgrund der gefundenen Dienstwaffen der beiden Polizeibeamten im ausgebrannten Wohnmobil herstellen.

Banküberfall in Eisenach

Bei einem Überfall am 4. November 2011 gegen 9:30 Uhr auf eine Filale der Wartburg-Sparkasse am Nordplatz im Eisenacher Stadtteil Stregda wurde ein Angestellter leicht verletzt, während die zwei männlichen Täter Beute im fünfstelligen Eurobereich rauben konnten. Sie flüchteten zunächst zu Fuß. In der Nähe des Tatortes fiel Augenzeugen ein weißes Wohnmobil mit einem Kennzeichen aus dem Vogtlandkreis auf. Daraufhin leitete die Polizei eine umgehende Fahnung ein, errichtete Straßensperren und nahm Hubschrauber in Einsatz.

Als sich Beamte gegen 12 Uhr in der kleinen Wohnstraße Am Schafrain – noch im gleichen Stadtviertel – einem verdächtigen Wohnmobil näherten, vernahmen sie zwei Schüsse. Wenig später geriet das Fahrzeug in Brand. Nachdem die herbei gerufene Feuerwehr die Flammen gelöscht hatte, fand man im Inneren die Leichen der zwei Bankräuber Mundlos und Böhnhardt und zudem mehrere Waffen – darunter die Dienstwaffen der 2007 in Heilbronn getöteten Polizistin sowie ihres schwer verletzten Kollegen. Das Mietfahrzeug war etwa eine Woche zuvor ausgeliehen worden.[25]

Weitere untersuchte Straftaten

Unter anderem wird ein Zusammenhang mit dem Sprengstoffanschlag am S-Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn am 27. Juli 2000 nicht ausgeschlossen. Unaufgeklärt ist auch der Sprengstoffanschlag auf das Grab von Heinz Galinski am 19. Dezember 1998 in Berlin.[26][27] Ebenso sollen die Bombenanschläge auf die Wehrmachtsausstellung in Saarbrücken am 9. März 1999 und auf den jüdischen Friedhof in Berlin-Charlottenburg am 16. März 2002[28] neu untersucht werden.[26] Staatsanwaltschaft und Polizei prüfen nach eigenen Angaben auch einen Zusammenhang mit zwölf Banküberfällen in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern.[29]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. J. Jüttner: Mörderische Blutsbrüderschaft. In: Spiegel Online. Vom 13. November 2011
  2. bim/dpa/dapd/Reuters: Minister schlagen Alarm wegen Rechtsterrorismus. In: Spiegel Online. Vom 12. November 2011
  3. MDR aktuell. Vom 11. November 2011
  4. sto/bim: Polizei nimmt vierten Verdächtigen fest. In: Spiegel Online. Vom 13. November 2011
  5. Festnahme eines mutmaßlichen Mitglieds der terroristischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)". Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, vom 13. November 2011
  6. Beginn einer Staatsaffäre?, Süddeutsche Zeitung vom 13. November 2011
  7. Polizistenmord-Verdächtige waren Rechtsextreme. In: Zeit Online. Vom 9. November 2011
  8. Dienstwaffe von erschossener Beamtin gefunden. In: Spiegel Online. Vom 7. November 2011
  9. bim: Neonazi-Terroristen hinterließen Geständnis auf DVD. In: Spiegel Online. Vom 12. November 2011
  10. Die Spur der Bombenbauer aus Jena. Auf: mdr.de Stand vom 8. November 2011, abgerufen am 13. November 2011
  11. K. Mudra, B. Schellbach und S. Willms: Nach Banküberfall in Eisenach rätselhafter Tod im Wohnwagen. In: Thüringer Allgemeine. Vom 5. November 2011
  12. Zeit-online: Mordserie in Deutschland: Gedenken an die Opfer rechter Gewalt, Artikel vom 13. November 2011
  13. Polizeidirektion Südwestsachsen, 8. November 2011
  14. Haftbefehl gegen die Brandstifterin von Zwickau wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA) auf presseportal.de vom 13. November 2011
  15. Döner-Morde und Bluttat an Polizistin hängen zusammen, Süddeutsche Zeitung vom 11. November 2011
  16. Pressemitteilung 35/2011 der Bundesanwaltschaft vom 11. November 2011, abgerufen am 11. November 2011.
  17. Puzzleteile einer grausamen Verbrechensserie, Spiegel Online vom 13. November 2011
  18. Spiegel Online: Ermittler finden Tatwaffe der Döner-Morde, abgerufen am 11. November 2011.
  19. http://www.faz.net/aktuell/politik/verbrechensserie-vor-aufklaerung-heilbronn-eisenach-doenermorde-11525309.html
  20. http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,797400,00.html
  21. http://www.taz.de/Nationalsozialistischer-Untergrund/!81770/
  22. Schlussakt eines realen Krimis, Süddeutsche Zeitung vom 8. November 2011
  23. Carsten Friese: Heilbronner Polizistenmord: LKA übernimmt Phantom-Fall. In: Heilbronner Stimme. 12. Februar 2009 (bei stimme.de, abgerufen am 12. Februar 2009).
  24. „Phantom-Mörderin“ ist ein Phantom - Spiegel-Online-Artikel vom 27. März 2009
  25. http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,796164,00.html
  26. a b http://www.stern.de/panorama/rechtsextremes-trio-aus-zwickau-neonazis-hinterlassen-bekennervideo-1750478.html
  27. Terror in Köln und Düsseldorf, Rheinische Post vom 12. November 2011
  28. Berliner Zeitung, 18. März 2002 (online)
  29. http://www.tlz.de/web/zgt/suche/detail/-/specific/Bankraeuber-haben-offenbar-noch-weitere-Ueberfaelle-begangen-1687277276

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