Wehrmachtsausstellung

Wehrmachtsausstellung

Als Wehrmachtsausstellung werden zwei Wanderausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung bezeichnet, die von 1995 bis 1999 und von 2001 bis 2004 zu sehen waren. Durch sie wurden Verbrechen der Wehrmacht in der Zeit des Nationalsozialismus, vor allem im Krieg gegen die Sowjetunion, einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht und kontrovers diskutiert. Nach der Kritik an der ersten Ausstellung setzte die zweite andere Akzente, bekräftigte aber die Grundaussage von der Beteiligung der Wehrmacht am Vernichtungskrieg des NS-Regimes gegen die Sowjetunion und am Holocaust.

Inhaltsverzeichnis

Erste Wehrmachtsausstellung

Vorläufer

Vor 1991 hatten verschiedene gesellschaftliche Gruppen Projekte zum Gedenken an den 50. Jahrestag des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 initiiert. So gaben evangelische Arbeitsgemeinschaften den Sammelband Brücken der Verständigung heraus.[1]

Um breiteren Bevölkerungsschichten, besonders Schülern und Jugendlichen, neue historische Forschungsergebnisse zu sowjetischen Kriegsopfern, deutschen Vernichtungsplänen vor 1941, deren ideologischen und gesellschaftlichen Wurzeln und der Beteiligung deutscher Führungseliten daran zu vermitteln, konzipierten Reinhard Rürup und andere 1991 die Berliner Ausstellung Der Krieg gegen die Sowjetunion.[2] Diese fand außerhalb Berlins kaum Beachtung.

Dauer, Orte, Besucherzahlen

Die erste Ausstellung trug den Titel „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944“. Sie wurde am 5. März 1995 – dem fünfzigsten Jahr nach Kriegsende – in Hamburg eröffnet und bis November 1999 in 34 Städten der Bundesrepublik und Österreich gezeigt: Berlin, Potsdam, Stuttgart, Wien, Innsbruck, Freiburg, Mönchengladbach, Essen, Erfurt, Regensburg, Klagenfurt, Nürnberg, Linz, Karlsruhe, München, Frankfurt am Main, Bremen, Marburg, Konstanz, Graz, Dresden, Salzburg, Aachen, Kassel, Koblenz, Münster, Bonn, Hannover, Kiel, Saarbrücken, Köln, erneut in Hamburg und Osnabrück.

Sie wurde von bekannten Persönlichkeiten mit Reden eröffnet: zum Beispiel von Klaus von Bismarck in Hamburg, Iring Fetscher in Potsdam, Erhard Eppler in Stuttgart, Johannes Mario Simmel in Wien, Diether Posser in Essen, Jutta Limbach in Karlsruhe, Christian Ude in München, Hans Eichel und Ignaz Bubis in Frankfurt, Hans-Jochen Vogel in Marburg, Franz Vranitzky in Salzburg, Avi Primor in Aachen und Johannes Rau in Bonn. Sie fand in vier Jahren etwa 900.000 Besucher aller Bevölkerungsschichten, Berufsgruppen und Altersstufen und wurde national wie international vielfältig beachtet. Besonders ab 1997 übertrafen die Besucherzahlen die Erwartungen weit: Mehrstündige Wartezeiten wurden vielfach zur Regel, der Ausstellungskatalog wurde zum Bestseller.

Weitere 80 Städte hatten die Ausstellung angefordert. Geplant waren Ausstellungstermine bis zum Jahr 2005, auch im Ausland. Anfragen dazu kamen aus Australien, China, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Israel, Italien, Japan, Luxemburg, den Niederlanden, Russland und Tschechien. 1999 wurde für die USA eine englischsprachige Fassung erstellt. Der englischsprachige Katalog erschien in New York City.

Autoren, Themen, Hauptaussagen

Die Ausstellung wurde von vier Historikern im Auftrag des Hamburger Sozialforschungsinstituts ein Jahr lang vorbereitet: Hannes Heer, Bernd Boll, Walter Manoschek (Assistent für Staats- und Politikwissenschaften der Universität Wien) und Hans Safrian. Die visuelle Konzeption und Gestaltung stammten von Christian Reuther und Johannes Bacher. Die inhaltliche Gesamtleitung lag bei Hannes Heer. Bei der Darbietung des Fotomaterials half Gerd Hankel.

Die Ausstellung und der begleitende Katalog waren in vier Hauptthemen gegliedert:

  • Serbien. Partisanenkrieg 1941, Autor Walter Manoschek
  • Die 6. Armee. Unterwegs nach Stalingrad. 1941 bis 1942, Autoren Bernd Boll und Hans Safrian
  • Weißrußland. Drei Jahre Besatzung 1941 bis 1944, Autor Hannes Heer.
  • Die Bilder der Nachkriegsjahre.

An den drei Fallstudien dokumentierte die Ausstellung die aktive Beteiligung der deutschen Wehrmacht an NS-Verbrechen in vier Hauptbereichen: dem Holocaust, der Ausraubung und Plünderung der besetzten Gebiete, Massenmorden an der Zivilbevölkerung und Vernichtung sowjetischer Kriegsgefangener. Ein Kapitel des dritten Teils war dem Thema Verwischen der Spuren. Vernichtung der Erinnerung während des Krieges gewidmet. Unkommentiert dargebotene illustrierte Massenblätter, Trivialromane oder Filme zeigten dazu das Nachkriegsbild der „sauberen Wehrmacht“.

Die Ausstellung rückte mit Bilddokumenten erstmals drei historisch gut erforschte, aber damals allgemein noch wenig bekannte Thesen ins öffentliche Bewusstsein: den Beginn des Holocaust in den besetzten Gebieten der Sowjetunion, den die Wehrmachtsführung mit plante und dann arbeitsteilig mit durchführte, die Beteiligung ganzer Truppenteile an diesen Verbrechen, wobei Widerstand bis auf wenige Ausnahmen ausblieb, den in Generalität wie Heer weit verbreiteten Antisemitismus und Rassismus, der verbrecherische Befehle und ihrer weithin widerspruchslose Ausführung und die als Kriegsziel beabsichtigte millionenfache Vernichtung der osteuropäischen Zivilbevölkerung erklärt.

Darstellungsform

Die Einzelthemen wurden mit Schriftstücken und zeitgenössischen, meist privaten und oft heimlich aufgenommenen Fotografien ehemaliger Wehrmachtssoldaten auf Stellwänden dargeboten. Die Herkunft der Dokumente war bei ihnen jeweils angegeben. Sie wurden unter thematische Überschriften gestellt wie „Verbrecherische Befehle der Wehrmachtsführung“, davon unterschieden „Verbrecherische Befehle vor Ort“. Andere Kapitel lauteten: „Ein ganz normaler Krieg“, „Die Todgeweihten“ oder „Verlorene Siege“.

Vier Stellwände waren im Ausstellungsraum so zusammengestellt, dass sie ein Eisernes Kreuz darstellten. An den Außenseiten wurden unter der Überschrift „Sprache der Gewalt“ verschiedene Propagandatexte aus den Jahren 1930/32 gezeigt, die den Krieg, Deutschland und das deutsche Soldatentum verherrlichten. Weitere Außenseiten zeigten den "Alltag des Verbrechens" mit Zitaten aus Feldpostbriefen und Geständnissen deutscher Soldaten in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Die Innenwände zeigten Fotografien von Ausschreitungen gegen sowjetische Juden, das Leben von Kriegsgefangenen, Deportationen und Vertreibungen von Zivilisten.

Die Darbietung kombinierte diese Fotografien der Verbrechen mit Dokumenten der vorausgegangenen Befehle und der nachfolgenden Leichenverbrennung, Aktenvernichtung, Urkundenfälschung und Verdrängung nach dem Krieg. Dies sollte zeigen, dass die NS-Ideologie ihr Ziel, sowohl die dazu bestimmten Kriegsgegner als auch die Erinnerung an sie und die Verbrechen an ihnen auszulöschen, in den ersten Nachkriegsjahren teilweise erreichte.

Reaktionen

Medien

In den ersten beiden Jahren der Ausstellung dominierten wissenschaftliche Sachvorträge in den Begleitprogrammen, die wenig medienwirksam waren. Die Medienberichte sprachen vom „Ende der Legende der sauberen Wehrmacht“ und bewerteten dies überwiegend positiv.

In einem Artikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 6. Februar 1996 kritisierte Günther Gillessen die ausgestellten Dokumente als „Zeugnisse eines vagabundierenden Schuldempfindens“. Die allmächtige SS sei für die Verbrechen verantwortlich gewesen. Übergriffe der Wehrmacht seien nur Folge von Stalins brutaler Kriegsführung hinter den deutschen Linien gewesen. Die Ausstellung sei ein unwissenschaftliches Pamphlet, das ein „Bedürfnis der Betroffenheit“ befriedige.[3]

Damit begann eine politische Debatte um die Ausstellung, besonders in den Ausstellungsorten Bremen und München 1996/1997. In der Münchner Tagespresse erschienen gegen die Ausstellung gerichtete Großanzeigen. Auch in anderen Ausstellungsorten kam es schon im Vorfeld zu öffentlichen Diskussionen über Inhalt und Form der Ausstellung: in politischen Gremien ebenso wie im Bildungssektor, den Medien und unter den Besuchern. Besonders der ehemalige Fernsehjournalist Rüdiger Proske machte sich die Bekämpfung der Ausstellung zur Aufgabe und gab dazu eine etwa 100 Seiten starke „Streitschrift“ mit dem Titel „Wider den Mißbrauch der Geschichte deutscher Soldaten zu politischen Zwecken“ heraus. Er schrieb zudem an den Bundeskanzler, alle deutschen Bundestagsabgeordneten, Kultusminister und Bürgermeister der geplanten Ausstellungsorte und forderte sie auf, die Ausstellung abzulehnen und nicht zu zeigen.

1999 wurde die breite gesellschaftliche Debatte zur Rolle der Wehrmacht in der NS-Zeit vielfach als positive Ausstellungswirkung hervorgehoben. So schrieb Ulrich Raulff in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 1. September 1999:[4]

„Bis vor wenigen Jahren hat die Militärgeschichte der Rassenpolitik des Regimes wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Jetzt hat sie begriffen, dass im Schatten des Krieges der Holocaust sich entwickelt und ausgebreitet hat. Der Krieg ermöglichte den Holocaust, und da das Kriegsgeschehen im Wesentlichen von der Wehrmacht dominiert wurde, stellten sich die Fragen nach dem Verhalten der Wehrmacht im Hinblick auf das Kriegsvölkerrecht, die in der deutschen Öffentlichkeit heftig diskutiert wurden. Ob es darum ging, ‚das letzte Tabu’ der deutschen Geschichte zu brechen, oder nicht, der Streit um die Verwicklung der Wehrmacht in die verbrecherische Politik des Regimes, den die Ausstellung ‚Vernichtungskrieg’ des Reemtsma-Instituts auslöste, hat bewirkt, dass der Zweite Weltkrieg in den neunziger Jahren sein Gesicht veränderte. Bei aller Kritikwürdigkeit der ‚Wehrmachtsausstellung’ (die freilich nie in der Lage war, der Wirklichkeit der gesamten Wehrmacht gerecht zu werden): Nach einer Wanderschaft durch 32 Städte und einer Besucherzahl, die sich der Million nähert, ist sie zur erfolgreichsten politischen Ausstellung der Bundesrepublik geworden. Als solche hat sie Bewusstseinstatsachen geschaffen.“

Politik

Seit 1996 löste der Plan, die Ausstellung zu zeigen, in einigen Städten anhaltende Konflikte aus. Während die Gegner sie als pauschale Verleumdung aller Wehrmachtsangehörigen und darüber hinaus der deutschen Soldaten sahen, begrüßten die Befürworter sie als notwendige Aufklärung über ein dunkles Kapitel der deutschen Vergangenheit. Oft verteilten sich Gegner und Befürworter entlang parteipolitischer Frontlinien.

In Bremen kam es über die Ausstellung fast zum Bruch der großen Koalition von CDU und SPD. Der Stadtrat beschloss erst nach längerer Diskussion, sie zuzulassen. In Nürnberg wies der Oberbürgermeister die Schirmherrschaft dafür zurück. Besonders in München kam es zu heftigen Kontroversen zwischen den im Stadtrat vertretenen Parteien. Die meisten CSU-Abgeordneten und Manfred Brunner vom Bund Freier Bürger lehnten die Ausstellung kategorisch ab, während SPD und Grüne sie mit ihrer Mehrheit bejahten. Brunner forderte als Münchner Stadtrat auch nach Ausstellungsbeginn die Absetzung. Umstritten war auch der Ausstellungsort: Anstelle des anfangs vorgesehenen Stadtmuseums fand die Ausstellung im Februar 1997 in der Rathausgalerie am Marienplatz statt. Damit stellte sich Oberbürgermeister Christian Ude hinter sie. Dies verschärfte die Proteste, fand aber auch Rückhalt etwa bei der evangelischen Kirche.

Bayerns Kultusminister Hans Zehetmair (CSU) empfahl, die Ausstellung nicht zu besuchen. Florian Stumfall schrieb unter dem Titel „Wie Deutsche diffamiert werden“ am 22. Februar 1997 im Bayernkurier:

„Die Ausstellung verallgemeinert tatsächliche Verbrechen durch Einheiten und Soldaten der Wehrmacht zum Pauschalvorwurf gegen alle ehemaligen Soldaten. […] Es geht also den Veranstaltern darum, Millionen von Deutschen die Ehre abzusprechen.[5]

Sie sei daher eine „Verschärfung der Strafmaßnahmen des Nürnberger Gerichtshofes“, deren Macher einen „moralischen Vernichtungsfeldzug gegen das deutsche Volk“ inszenierten.

Peter Gauweiler (CSU) sagte am 14. Februar 1997 beim traditionellen Fischessen der Schwabinger CSU, „Tabakmillionär Reemtsma“ habe „durch die jahrelange Finanzierung des Mobs aus der Hafenstraße sein demokratisches Grundbewußtsein nicht unter Beweis gestellt“. Er solle „einmal eine Ausstellung machen über die Toten und Verletzten von den Milliarden seiner Zigaretten, die er verkauft hat und denen er sein Vermögen verdankt.“ Dies rechtfertigte er in einem an 50.000 Münchner Haushalte verteilten Flugblatt. SPD und Grüne sahen hierin fehlende Distanz zum Rechtsextremismus und die Gefahr eines schwarz-braunen Bündnisses. Dietmar Keese (SPD) verglich Gauweilers Sätze mit der „Sprache eines Joseph Goebbels“.[6]

Der Bundestag debattierte am 13. März 1997 in einer aktuellen Stunde über die Ausstellung und die dort gezeigten Verbrechen der Wehrmacht. Redner aller Parteien befassten sich auch biografisch und persönlich mit dem Thema soldatischer und deutscher Schuld. Danach beantragten vermehrt Länderparlamente, staatliche Archive und Museen, Universitäten und Volkshochschulen die Ausstellung, die nun häufiger von hochrangigen Politikern eröffnet wurde. Viele Ausstellungsorte dokumentierten die Debatten vor, während und nach der Ausstellung.

Rechtsextremisten

Deutsche Rechtsextremisten begleiteten die Ausstellung mit zahlreichen öffentlichen Protesten, Propaganda dagegen, Anschlägen und Anschlagsversuchen. Bei der Eröffnung am 10. Januar 1997 in Karlsruhe demonstrierten etwa 30 Angehörige der Republikaner, der NPD und der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) unter ihrer Parole: Der deutsche Soldat: Ehrlich, anständig, treu! – Schluß mit der antideutschen Hetze! Der JN-Vertreter Michael Wendland kündete fortlaufende Aufmärsche an allen weiteren Ausstellungsorten bis Ende 1998 gegen die „volksverhetzende, antideutsche Schandausstellung“ an. Sein Aufruf wurde von anderen Neonazi-Gruppen aufgegriffen und im Mailboxsystem des Thule-Netzes verbreitet.

Gegen die „Anti-Wehrmacht-Ausstellung“ mobilisierte auch der Gründer der rechtsextremen „Deutschlandbewegung“ Alfred Mechtersheimer. Sein „Bündnis 97“ verleumdete die Ausstellung in Flugblättern als „Wanderzirkus“. Der Unterzeichner, Andreas Gregor Wick, war in den 1990er Jahren auch im „Studienzentrum Weikersheim“ aktiv.[7]

Am 24. Februar 1997 folgten etwa 300 Gegner, darunter Skinheads, dem Aufruf eines „Anti-Diffamierungs-Komitees“ und protestierten vor dem Münchner Rathaus gegen den auf den Folgetag angesetzten Ausstellungsbeginn. Am 1. März 1997 demonstrierten etwa 4500 bundesweit von NPD und JN mobilisierte Neonazis in der Münchner Innenstadt. Die gewünschte Route zur Feldherrnhalle wurde ihnen verboten, ein Aufeinandertreffen mit Demonstranten von einem breiten Gegenbündnis wurde jedoch polizeilich nur knapp verhindert.[8]

In Linz gab es anonyme Bombendrohungen. Am 9. März 1999 wurde auf die Ausstellung in Saarbrücken ein Sprengstoffattentat verübt.[9]

Geschichtsrevisionisten

Die von dem Geschichtsrevisionisten Alfred Schickel geleitete Stuttgarter „Arbeitsgemeinschaft für Kameradenwerke und Traditionsverbände e.V.“ behauptete in einer „Aufklärungsschrift“ den „linksextremen politischen Standort der Veranstalter und ihrer Hintermänner und damit die Zielrichtung ihrer Desinformationspolitik nach altsowjetischem Muster“. Die Ausstellung sei „Kern einer ideologischen Kampagne, die allen ehemaligen und heutigen Soldaten gilt“. Sie sei „historisch unhaltbar“. Einem „Maßnahmen“-Katalog zufolge sollten alle Ausstellungstermine „gezielt und systematisch beobachtet und mit sachlich-wirksamer Kritik begleitet werden“. Entsprechendes Propagandamaterial wurde an bestimmte Medien und Politiker verteilt: darunter ein 35 Seiten starkes Gutachten von Hartmut Schustereit, einem früheren Mitarbeiter beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg.

Dieser beurteilte die Ausstellung mit Bezug auf wenige Seiten des Begleitkataloges als „Fortschreibung sowjetischer Propaganda“, die „längst durch die Geschichtsforschung widerlegt“ sei. Dabei berief er sich auf Vertreter der Präventivkriegsthese, wonach Adolf Hitler mit dem Überfall auf die Sowjetunion nur einem drohenden Angriff Josef Stalins zuvorgekommen sei. Vor allem zitierte er Joachim Hoffmann, einem anderen ehemaligen Mitarbeiter des Militärischen Forschungsamtes. Dieser war in einem Strafprozess wegen Volksverhetzung gegen den rechtsextremen Verleger Wigbert Grabert als Entlastungszeuge aufgetreten und hatte dort das Buch „Grundlagen zur Zeitgeschichte“ des Holocaustleugners Germar Rudolf als „notwendiges Sachbuch mit wissenschaftlichem Anspruch“ bezeichnet.

Die „Österreichische Landsmannschaft“ in Wien bot das Gutachten wie folgt an:

„Der Militärhistoriker hat im Auftrag bundesdeutscher Traditionsverbände eine korrigierende Darstellung verfaßt; er kritisiert wissenschaftlich einwandfrei und unwiderlegbar, was die formale, sprachliche wie auch die inhaltliche Ebene der Fälschungen und Verleumdungen betrifft.“

Der unter derselben Adresse ansässige Wiener „Österreichische Arbeitskreis für Kultur und Geschichte“ behauptete, das Gutachten beweise, dass die „reißerische und verleumderische Ausdrucksweise“ der Ausstellung dem „Vokabular sowjetisch-kommunistischer Agitation und Propaganda“ entlehnt sei.

Die Stuttgarter „Arbeitsgemeinschaft“ gab zudem die Streitschrift Rüdiger Proskes heraus.

Für beide Broschüren warben unter anderen der rechtsextreme Grabert-Verlag, die Junge Freiheit, Nation Europa, der Witiko-Brief und der österreichische Eckartbote.

Soldaten

Traditionsverbände ehemaliger Wehrmachtssoldaten lehnten die Ausstellung von Beginn an ab. In Bonn gründete sich ein „Arbeitskreis von Historikern und ehemaligen Soldaten“, um ein öffentliches Gesprächsforum zu diesem Thema auszurichten, bei dem „ausgesuchte Zeitzeugen und Historiker“ vor „eingeladenen Gästen der Medien“ reden sollten. Er trug den Arbeitstitel „Wahrheit für die Soldaten der Wehrmacht“ und gab 1997 unter Federführung von Joachim F. Weber das Buch Armee im Kreuzfeuer heraus.

In Bayern schrieb der „Bayerische Soldatenbund 1874“ und der „Bund ehemaliger Stalingradkämpfer“ wütende Protestbriefe gegen die Entscheidung des Münchner Stadtrats, die Ausstellung zu zeigen.

Das Bundesverteidigungsministerium erlaubte Angehörigen der Bundeswehr den Ausstellungsbesuch nur als Privatpersonen. Dennoch empfahlen manche Truppenkommandeure den Besuch der Ausstellung.

Vertriebenenverbände

Im April 1997 veröffentlichte die Junge Freiheit und das „Ostpreußenblatt“ eine Erklärung von Götz Kubitschek und seiner „Arbeitsgemeinschaft Paulskirche“, in der es hieß:

„Die Ausstellung […] verstößt gegen elementare Kriterien wissenschaftlicher Arbeitsweise. Trotzdem wird sie nun an herausragendem Ort gezeigt. Die Frankfurter Paulskirche kann als Symbol der deutschen nationalen Revolution von 1848 nicht der geeignete Ort für diese Ausstellung sein. Wir fordern die Politiker auf, die wissenschaftliche Kritik ernst zu nehmen, die Ausstellung nicht zu unterstützen und nicht durch herausragende Ausstellungsorte aufzuwerten. Sie bringt nichts Neues, das Bekannte aber verzerrt und schädigend für das Miteinander der Generationen.“

Dies unterschrieben 340 Personen, darunter etwa 70 ehemalige und damalige Bundeswehrangehörige, Vertreter vom Bund der Vertriebenen wie Wilhelm von Gottberg, Wolfgang Thüne, Hermann Thomasius und Harry Poley von der Landsmannschaft Ostpreußen, Hans Mirtes für die Sudetendeutsche Landsmannschaft, der CDU-Bundestagsabgeordnete Wilfried Böhm und Hans Wahls vom rechtsextremen Witikobund.

Das Ostpreußenblatt machte sich zum Sprachrohr für die Ablehnung der Ausstellung. Ausgabe 10/97 zitierte Alfred Dregger: Diese Ausstellung schockiert und verwirrt, sie schmäht und verletzt, und das ist auch wohl ihre Absicht. Dregger sprach von „stupider Vergangenheitsbewältigung, die selten einen Beitrag liefert, der sich wirklich um Verständnis bemüht“ und betonte:

„Aber die meisten dieser Soldaten, die Leib und Leben für ihr Land riskierten und unendlich viel Leid ertragen mußten, können zu Recht bestreiten, daß sie sich an Hitlers Verbrechen beteiligt oder sonstwie Kriegsverbrechen begangen hätten.“

[10]

In Ausgabe 13/97 meinte Generalmajor a.D. Gerd-Helmut Komossa, durch die Ausstellung werde das Ansehen der Soldaten „gezielt geschädigt“. Der ehemalige ZDF-Redakteur Helmut Kamphausen beschrieb sie als „Ausstellung eines Kommunisten, der von einem Multimillionär ausgehalten wird“. In derselben Ausgabe wurde die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure und Opfer der NS-Militärjustiz abgelehnt: Es seien zu Recht verurteilte Verbrecher „in den eigenen Reihen“ gewesen, mit denen kein „anständiger Soldat“ zu tun haben wolle.

In Ausgabe 14/97 erklärte der frühere Militärpfarrer Lothar Groppe, Verbrechen von Wehrmachtssoldaten seien „unbestreitbar“. Diese „bedauerlichen Exzesse“ seien aber „unausbleiblich“ gewesen, „da durch das blutige Kampfgeschehen, nicht zuletzt durch heimtückische Überfälle von Partisanen die Hemmschwelle für Rechtsbrüche in jeder Armee gesenkt wird.“ Verfassungsrichterin Jutta Limbach, die die Ausstellung in Karlsruhe eröffnet hatte, habe damit keine richterliche Unabhängigkeit, sondern „ideologische Verbohrtheit“ gezeigt.

Diese Gegner griffen auch die wissenschaftliche Kritik an einigen Exponaten auf und pauschalisierten sie: Viele der gezeigten Verbrechen seien nicht von Deutschen, sondern von sowjetischen Soldaten auf Befehl Stalins hin begangen worden. Diese Verbrechen der Roten Armee müsse die Ausstellung ebenfalls zeigen. Mit diesen Argumentationsmustern bekämpften sowohl Rechtkonservative als auch Rechtsextremisten die Wehrmachtsausstellung als Angriff auf die „Ehre der deutschen Soldaten“.[11]

Kritik von Historikern

Neue historische Erkenntnisse über die Wehrmachtsverbrechen präsentierte diese Ausstellung kaum. Es waren weitgehend seit den 1960er Jahren schrittweise entstandene Forschungsergebnisse, die erstmals zusammengefasst und mit Privatfotografien einem größeren Publikum vorgestellt wurden. Kritik fanden vor allem

  • der Titel „Verbrechen der Wehrmacht“: Er wirke bereits als pauschale Verurteilung aller Wehrmachtssoldaten. Demgegenüber wies eine Schautafel gleich zu Beginn darauf hin: Die Ausstellung will kein verspätetes und pauschales Urteil über eine ganze Generation ehemaliger Soldaten fällen, betonte aber auch, daß die Wehrmacht an allen Verbrechen aktiv und als Gesamtorganisation beteiligt war.
  • die Darstellungsform: Sie vermische plakative Bewertungen mit der Präsentation der Fakten. Auch dies wirke als pauschale Verleumdung aller Wehrmachtsangehörigen als Verbrecher.
  • fehlende Differenzierung zwischen Tätern, Mittätern oder Augenzeugen sowohl in Dokumenten als auch begleitenden Wertungen.
  • fehlende Beispiele für Befehlsverweigerung und Nichtbeteiligung an Verbrechen. Dadurch werde der Eindruck einer Gleichsetzung von Wehrmachtssoldaten und Verbrechern begünstigt.
  • fehlende Aussagekraft vieler Fotografien für die angegebene Handlung. So zeigten manche Fotos eine Reihe nackter Juden, nicht aber ihre Ermordung, wie die Bildunterschrift behauptete.
  • fehlende oder unpräzise Herkunftsangaben für manche Fotografien. Ohne diese sei aber keine Zuordnung der verantwortlichen Täter möglich. Fotos ohne solche Angaben könnten zu einer falschen Einordnung der Verbrechen führen.
  • fehlende didaktische Hilfestellung zum Verständnis der gezeigten Bilder. Sie erzeugen Schock und Entsetzen, aber ließen die Betrachter mit Fragen über die Hintergründe allein.

1999 wies der polnischstämmige Historiker Bogdan Musial auf Fehler bei der Zuordnung von zehn Fotos hin, die „nicht deutsche, sondern sowjetische Verbrechen im Sommer 1941 zeigen.“ Er behauptete darüber hinaus, „etwa die Hälfte“ der Fotos zeigten Handlungen, die nichts mit Kriegsverbrechen zu tun gehabt hätten.[12] Der ungarische Historiker Krisztián Ungváry erklärte, eine auf sechs Fotos gezeigte Exekution serbischer Jugendlicher in einer jugoslawischen Stadt sei nicht von Wehrmachtssoldaten, sondern Angehörigen der ungarischen Armee ausgeführt worden. Nur zehn Prozent aller damit befassten 800 Fotos zeigten tatsächlich Wehrmachtsverbrechen; die übrigen seien Taten von ungarischen, finnischen und kroatischen Soldaten, „Hilfswilligen“ aus der Ukraine, Russland und den baltischen Staaten oder aber Angehörigen der SS und des Sicherheitsdienstes (SD).[13] Dieter Schmidt-Neuhaus zweifelte vier Fotos an, die Opfer eines Massakers in Tarnopol zeigen sollten.[14] Der Militärhistoriker Rolf-Dieter Müller vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt griff diese Kritik auf und warf den Ausstellungsautoren vor, das Massenpublikum irregeführt zu haben.[15]

Untersuchung

Wegen der Kritik von Historikern und des dadurch ausgelösten Medienechos zog Institutsleiter Jan Philipp Reemtsma die Ausstellung im November 1999 vorläufig zurück und beauftragte eine Historikerkommission, sie zu überprüfen. Zu dieser gehörten Omer Bartov, Cornelia Brink, Gerhard Hirschfeld, Friedrich P. Kahlenberg, Manfred Messerschmidt, Reinhard Rürup, Christian Streit und Hans-Ulrich Thamer. Reemtsma schloss Hannes Heer, der eine Neufassung ablehnte und nur Korrekturen der bemängelten Fotos befürwortete, im Sommer 2000 von der Leitung und weiteren Mitarbeit daran aus.

Die Kommission veröffentlichte am 15. November 2000 ihren Untersuchungsbericht mit dem Ergebnis, „dass von den 1433 Fotografien der Ausstellung weniger als 20 Fotos nicht in eine Ausstellung über die Wehrmacht gehören.“ Es seien bei einigen Fotos falsche Bildunterschriften aus deren Archiven ungeprüft übernommen worden; dies wurde für zwei von zehn Fotos, die Musial bemängelt hatte, bestätigt. Zugleich stellte der Bericht fest, dass „die Grundaussagen der Ausstellung über die Wehrmacht und den im ‚Osten’ geführten Vernichtungskrieg der Sache nach richtig“ seien. Die Ausstellungsautoren hätten intensive und seriöse Quellenarbeit geleistet und die Ausstellung enthalte „keine Fälschungen“.

Ihre Mängel seien „im bemerkenswert unbekümmerten Gebrauch fotografischer Quellen, wie er in geschichtswissenschaftlichen und populären Publikationen leider sehr verbreitet ist“, zu sehen. Dieser Umgang sei „derart verbreitet, dass gegenwärtig vermutlich nur wenige Ausstellungen und Publikationen historischer Fotografien den strengen Kriterien standhalten würden, von denen hier ausgegangen wird.“ Andererseits sei „keine historische Ausstellung, die mit Fotografien arbeitet, jemals so gründlich untersucht worden“.

In Bezug auf die Präsentation stellte die Kommission fest: „Die Ausstellung argumentiert teilweise zu pauschal und unzulässig verallgemeinernd.“ In Bezug auf den Inhalt stellte sie fest:

„Es ist unbestreitbar, dass sich die Wehrmacht in der Sowjetunion in den an den Juden verübten Völkermord, in die Verbrechen an den sowjetischen Kriegsgefangenen und in den Kampf gegen die Zivilbevölkerung nicht nur „verstrickte“, sondern dass sie an diesen Verbrechen teils führend, teils unterstützend beteiligt war. Dabei handelte es sich nicht um vereinzelte „Übergriffe“ oder „Exzesse“, sondern um Handlungen, die auf Entscheidungen der obersten militärischen Führung und der Truppenführer an der Front und hinter der Front beruhten.“

Aufgrund des Ergebnisses empfahl die Kommission eine Überarbeitung der Präsentation ohne Veränderung der Grundaussagen, besonders die Einbeziehung der Opferperspektive neben Täterdokumenten.[16]

Zweite Wehrmachtsausstellung

Dauer, Orte, Gäste

Die zweite Ausstellung trug den Titel „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944“. Sie wurde am 27. November 2001 in Berlin von Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin eröffnet und bis zum 31. März 2004 an insgesamt elf Orten in Deutschland, in Luxemburg und Wien, zuletzt vom 29. Januar bis 28. März 2004 in Hamburg gezeigt. Seither ist sie vorläufig im Magazin des Deutschen Historischen Museums in Berlin archiviert.

Anders als bei der ersten Fassung erlaubte der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping Generälen und Soldaten, in Uniform an der Veranstaltung teilzunehmen. Der damalige wissenschaftliche Direktor des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, Horst Möller, hielt eine der Hauptreden zur Eröffnung.

Inhalte, Konzept, Form

Für die überarbeitete Ausstellung hatte Reemtsma im November und Dezember 1999 das Konzept einer „Neufassung“ bzw. „Transformation“ der zurückgezogenen ersten Fassung vorgegeben. Zur Sprecherin dafür ernannte er Ulrike Jureit.

Die Neufassung legte den Schwerpunkt auf den Russlandkrieg, dessen verbrecherische Planung, Durchführung und Folgen. Sie zeigte die Definition von Kriegsverbrechen nach damaligem Kriegsvölkerrecht, die Definition von Befehl und Gehorsam und die Handlungsspielräume des einzelnen Soldaten, ethische Normen zu befolgen und sich der Teilnahme an Verbrechen zu entziehen. Die Misshandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen, die Ausplünderung der eroberten Gebiete, das Verhungernlassen der Zivilbevölkerung, die Deportationen und Zwangsarbeit, unmenschliche Bestrafungen und Geiselerschießungen wurden ausführlicher dokumentiert als in der ersten Fassung. Viele Hintergrundinformationen konnten zusätzlich abgerufen werden. Auf wertende Tafelüberschriften wurde verzichtet, die Hintergrundfarbe Schwarz wurde durch Weiß ersetzt.

Mehr Einzelverbrechen mit mehr Text- und weniger Bilddokumenten wurden gezeigt; dabei wurden nur Fotografien mit eindeutigen und präzisen Angaben zu Datum, Ort, Vorgang verwendet und manchmal – soweit bekannt – der Name des Fotografen genannt. Dadurch entfiel ein Großteil der privaten Landserfotografien, die die Perspektive der unmittelbar Ausführenden zeigten, zugunsten von zur Veröffentlichung zugelassenen Fotografien aus Wehrmachtsakten. Bei umstrittenen Fotografien wie denen zu den Vorgängen in Tarnopol wurde die Problematik der Quellen erläutert. Damit zog die Neufassung wesentliche Konsequenzen aus der Kritik an der Erstfassung. Deren Rezeptionsgeschichte wurde ebenfalls dokumentiert.

Rezeption

Die Zweitfassung wurde in den Medien meist als wissenschaftlich und sachlich gelobt. Betont wurde von fast allen Rezensenten, dass sie an der Grundthese eines Vernichtungskrieges der Wehrmacht gegen die Sowjetunion festhielt und noch verdeutlichte, dass diese dadurch als Ganze an den dabei stattgefundenen Verbrechen mitschuldig geworden sei.

Auch Hannes Heer stimmte dieser Einschätzung im Grundsatz zu, kritisierte aber, dass die Neufassung wesentliche Forschungsergebnisse seit Beginn der Erstfassung nicht berücksichtigt habe, die man dieser als Defizite vorgehalten habe: die Wehrmachtsverbrechen im Polenfeldzug, die Teilnahme am Völkermord an den Sinti und Roma, die Rolle der von der Wehrmacht aufgestellten einheimischen Hilfsverbände beim Holocaust. Vor allem werde die Frage nach den Motiven und Mentalitäten der Täter vermieden und bleibe unbeantwortet. Durch die Aussonderung der meisten Privatfotografien werde die Beteiligung einfacher Soldaten und Truppenteile an den Massenmorden erneut großenteils unsichtbar. Damit bleibe die Neufassung hinter der Kritik zurück, die sich nicht gegen die Grundthese vom Vernichtungskrieg als solche, sondern die Thesen zu dessen Ursachen gerichtet habe.[17]

Einen der von Heer genannten Kritikpunkte glich eine weitere, am Deutschen Historischen Institut Warschau zusammengestellte Ausstellung zum Verhalten der Wehrmacht im Polenfeldzug aus. Sie trägt den Titel: Größte Härte … Verbrechen der Wehrmacht in Polen September/Oktober 1939.

Gerd Wiegel vom Studienkreis deutscher Widerstand 1933–1945 kritisierte beide Versionen: Sie hätten die langfristigen Interessen und Ziele des verbrecherischen Vernichtungskrieges der Wehrmacht ausgeblendet und etwa den Generalplan Ost nicht einmal erwähnt. Die Neufassung habe die Provokation der Privatbilder entfernt und so den Täterkreis erneut auf hohe Wehrmachtsgeneräle reduziert:[18]

„Verschwunden sind in Katalog und Ausstellung die Fotos der einfachen Täter vor Ort; man sieht die Opfer – die Täter zumeist nur, insoweit sie Truppenführer und Befehlshaber sind, einfache Soldaten sind kaum zu sehen.“

Diese Entschärfung erklärt auch für Werner Röhr die politische Akzeptanz der zweiten gegenüber der umstrittenen ersten Fassung:[19]

„Obwohl die neue Ausstellung die alte an Materialfülle, an Differenzierung, an professioneller Gestaltung weit übertrifft, obwohl sie deren Grundaussage beibehält und diese umfangreicher und genauer untermauert, kommt sie an deren Wirkung nicht entfernt heran. […] Die alte Ausstellung zeigte, wie diese Mitwirkung an den Verbrechen von vielen „willigen Vollstreckern“ umgesetzt wurde, hier lag ihr Skandal. Hinter diese Provokation zurückgegangen zu sein ist ein fatales Friedensangebot an die Kritiker.“

Für Klaus Naumann lag einer der Gründe für diese Wirkung der ersten Fassung gerade im bewussten Verzicht auf historische Einordnung und der Begrenzung auf Tatsachenillustration:[20]

„Mit Absicht wurde – bis auf knappe Anspielungen – auf jegliche historische ‚Ableitung‘ wie auf die Formulierung historischer ‚Lehren‘ verzichtet. […] Denn jedes Narrativ, das ein Geschehen in ein Vorher und Nachher einbettet, steht vor dem Dilemma, durch die bloße Kontinuität des Erzählens, Herleitens oder Begründens, und sei diese auch noch so vorsichtig formuliert, einen affirmativen und suggestiven Sog zu erzeugen: Das was geschehen ist, sei geschehen, weil es so oder so geschehen m u ß t e. Die Ausstellung entzieht sich diesem Deutungszwang, um den Blick für die Tatsachen (es ist geschehen) freizumachen.“

Film

Die österreichische Regisseurin Ruth Beckermann gab 1998 den Dokumentarfilm Jenseits des Krieges heraus. Er zeigt die Reaktionen ehemaliger Wehrmachtssoldaten in Österreich beim und nach dem Besuch der ersten Ausstellung, zeichnet Gespräche und Interviews mit ihnen auf.

Im deutschen Kino erschien ab August 2006, als DVD ab Februar 2007 der Film Der unbekannte Soldat. Das Drehbuch verfasste und die Regie führte Michael Verhoeven. Neben der Präsentation zahlloser Wehrmachtsverbrechen, vor allem in der Ukraine und Weißrussland, vergleicht der Film insbesondere die zwei Fassungen der Ausstellung und untersucht kritisch, welche Gründe den Herausgeber Jan Philipp Reemtsma veranlassten, Heer zu entlassen und die Ausstellung auch in einigen zentralen Fragestellungen zu verändern. Verhoeven folgt in seinem Urteil Heer und stellt dar, dass vor allem private Bilder normaler Soldaten, geschossen während der Mordhandlungen oder direkt danach, entfernt worden seien. In der Zweitausstellung fehle somit die identische Perspektive von Fotograf und Mörder, also der Blick in die Psyche des Täter-Voyeurs, der sich mit den Bildern habe brüsten wollen.

Literatur

Ausstellungsmaterial
  • Hannes Heer u.a. (Hrsg.): Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944 Ausstellungskatalog. Hamburger Institut für Sozialforschung, Hamburger Edition, 1. Auflage, Hamburg 1996, ISBN 3-930908-24-7; 2., stark veränderte Auflage 2002, ISBN 3-930908-74-3 (diese auch auf Datenträger erhältlich)
  • Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU) Band 50 (1999) Heft 10, ISSN 0016-9056, S. 589–595 und 596–603
  • Gottfried Kößler: Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Bausteine für den Unterricht zur Vor- und Nachbereitung des Ausstellungsbesuchs. (Fritz-Bauer-Institut, Pädagogische Materialien, Nr. 3) 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-932883-07-1
  • ZEIT-PUNKTE: Gehorsam bis zum Mord? Der verschwiegene Krieg der deutschen Wehrmacht. Fakten, Analysen, Debatte. Die Zeit, Themenheft 03/1995
Ausstellungswirkungen
  • Christian Hartmann, Johannes Hürter, Ulrike Jureit: Verbrechen der Wehrmacht. Bilanz einer Debatte. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52802-3
  • Johannes Klotz: Die Ausstellung „Vernichtungskrieg, Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“. Zwischen Geschichtswissenschaft und Geschichtspolitik. In: Detlef Bald, Johannes Klotz, Wolfram Wette: Mythos Wehrmacht. Nachkriegsdebatten und Traditionspflege, Berlin 2001, ISBN 3-7466-8072-7, S. 116-176
  • Klaus Latzel: Soldatenverbände gegen die Ausstellung „Vernichtungskrieg“ – der lange Schatten des letzten Wehrmachtsberichts. In: Michael Th. Greven, Oliver von Wrochem (Hrsg.): Der Krieg in der Nachkriegszeit. Der Zweite Weltkrieg in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik. Opladen 2000, S. 325-336
  • Hamburger Institut f. Sozialforschung (Hrsg.): Besucher einer Ausstellung. Die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ in Interview und Gespräch. Hamburger Edition, HIS, ISBN 978-3-930908-42-4
  • Hamburger Institut für Sozialforschung (Hrsg.): Eine Ausstellung und ihre Folgen. Zur Rezeption der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“. Hamburg 1999
  • Hamburger Institut für Sozialforschung (Hrsg.): Krieg ist ein Gesellschaftszustand. Reden zur Eröffnung der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“. Hamburg 1998
  • Landeshauptstadt München, Kulturreferat (Hrsg.): Bilanz einer Ausstellung. Dokumentation der Kontroverse um die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ in München, Galerie im Rathaus 25. Februar bis 6. April 1997. Th. Knaur Nachf., München 1998
  • Klose, Marten: Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Rezeption und Reaktionen im Kontext von persönlicher Erfahrung und familiärer Erinnerung, Eingang zum Volltext
  • Heribert Prantl: Wehrmachtsverbrechen. Eine deutsche Kontroverse. Hoffmann und Campe, 1997, ISBN 3-455-10365-0
  • Hans-Günther Thiele (Hrsg.): Die Wehrmachtsausstellung. Dokumentation einer Kontroverse. Edition Temmen, 2. Auflage, Bonn 1999, ISBN 978-3-86108-700-7
Ausstellungsanalysen
  • Karl-Heinz Schmick: Untersuchungen zur Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944“. Ludwigsfelder Verlag-Haus, Ludwigsfelde 2000, ISBN 3-933022-09-6
  • Karl-Heinz Schmick: Alter Wein in neuen Schläuchen: eine Analyse der Zweiten Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944“. Süderbrarup, Freiland 2002, ISBN 3-9808689-1-5
  • Hannes Heer: Vom Verschwinden der Täter. Der Vernichtungskrieg fand statt, aber keiner war dabei. Aufbau TB, Berlin 2005, ISBN 3-7466-8135-9
  • Alexander Pollak: Die Historisierung eines Tabubruchs. Von der umstrittenen Entmythologisierung des Bilds der „sauberen Wehrmacht“ zur versachlichten Dokumentation des Vernichtungskrieges: ein Vergleich der beiden Wehrmachtsausstellungen. In: zeitgeschichte 29/2002, Heft 2, S. 56–63
  • Ulrike Jureit: „Zeigen heißt verschweigen“. Die Ausstellungen über die Verbrechen der Wehrmacht. In: Mittelweg 36/13 (2004), Heft 1, S. 3–27
  • Miriam Y. Arani: „Und an den Fotos entzündete sich die Kritik“. Die „Wehrmachtsausstellung“, deren Kritiker und die Neukonzeption. Ein Beitrag aus fotohistorisch-quellenkritischer Sicht. In: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie. Heft 85/86, Jonas Verlag, Marburg 2002, S. 96-124 (Online: Archiv)
  • Walter Manoschek, Alexander Pollak Ruth Wodak, Hannes Heer (Hrsg.): Wie Geschichte gemacht wird. Zur Konstruktion von Erinnerungen an Wehrmacht und Zweiten Weltkrieg. Czernin Verlag, Wien 2003, ISBN 3-7076-0161-7

Weblinks

Ausstellungsmaterial
Bilanz
Rezensionen
Einzelaspekte

Einzelnachweise

  1. Elisabeth Raiser u.a. (Hrsg.): Brücken der Verständigung. Für ein neues Verhältnis zur Sowjetunion. Im Auftrag der Arbeitsgemeinschaften Solidarische Kirche Westfalen und Lippe. Gütersloh 1986
  2. Reinhard Rürup (Hrsg.): Der Krieg gegen die Sowjetunion. Eine Dokumentation. (Ausstellungskatalog) Berlin 1991
  3. Hannes Heer: Von der Schwierigkeit, einen Krieg zu beenden – Reaktionen auf die Ausstellung „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“; in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Heft 12-1997
  4. Ulrich Raulff: Schockwellen, FAZ vom 1. September 1999, zitiert nach Hannes Heer: Vom Verschwinden der Täter (PDF; S. 7, Fn 13)
  5. Bayernkurier vom 22. Februar 1997: Wie Deutsche diffamiert werden
  6. Geschichte Material: Die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“
  7. Anton Maegerle: „Anti-deutsche Hetze“ – Rechtsextremsten machen gegen die Wehrmachtsausstellung mobil (Blick nach Rechts 3/1997)
  8. Hamburg.de, 28. April 2003: NPD-Demo gegen Wehrmachtsausstellung
  9. Jüdisches Archiv, FAZ Kultur 2. Dezember 2001: Anschlag Saarbrücken
  10. Das Ostpreußenblatt, Jahrgang 48 – Folge 10 vom 8. März 1997, S. 1; zitiert auf www.konservative.de – Die konservative Informationsbasis im Internet
  11. Jean Cremet: Einig in der Empörung – In der Agitation gegen die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-44“ melden sich neben der extremen Rechten zunehmend auch die Vertriebenen zu Wort (Blick nach Rechts 11/1997)
  12. Bogdan Musial: Bilder einer Ausstellung. Kritische Anmerkungen zur Wanderausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 47, Oktober 1999, S. 563–591
  13. Chrisztián Ungváry:,Echte Bilder- problematische Aussagen. Eine quantitative und qualitative Fotoanalyse der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944“. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 10, 1999, S.584-595
  14. Dieter Schmidt-Neuhaus: Die Tarnopol-Stellwand der Wanderausstellung „Vernichtungskrieg-Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944“. Eine Falluntersuchung zur Verwendung von Bildquellen. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 10 1999, S. 596–603
  15. Rolf-Dieter Müller: „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944“. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen 54/1995, S.324
  16. Kommissionsbericht zur Überprüfung der Ausstellung Bericht der Kommission zur Überprüfung der Ausstellung „ Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“, S. 25, 33, 79, 85 unten, 92 (PDF)
  17. Hannes Heer: Vom Verschwinden der Täter. Die Auseinandersetzungen um die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht l941 bis 1944“. (PDF)
  18. Gerd Wiegel: Das Verschwinden der Bilder. Von der alten zur neuen „Wehrmachtsausstellung“ (Studienkreis Deutscher Widerstand 1933–1945 e.V., informationen Nr. 56, November 2002)
  19. zitiert nach Gerd Wiegel: Das Verschwinden der Bilder, a.a.O.
  20. Klaus Naumann: Was bleibt von der Wehrgemeinschaft? Ein doppelter Blick auf die „Wehrmacht-Ausstellung“

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